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Montag, 29. August 2016

Happy birthday, asshole - GG Allin zum 60.

Heute wäre GG Allin - das gute alte, Scheiße werfende, Leute verprügelnde, auf die Bühne kackende, menschenverachtende und gewaltverherrlichende Texte schreibende, drogenfressende Rock'n'Roll-Ungeheuer 60 Jahre alt geworden.

WÄRE - wenn er sich nicht schon 1993 nach einem Gig in New York durch eine unbeabsichtigte Überdosis Heroin ins Jenseits geschossen hätte.
Als großer GG-Allin-Fan komme ich natürlich nicht umhin, zu diesem besonderen Datum aus dem umfangreichen Lebenswerk dieses vielseitigen Künstlers eine kleine Auswahl aus verschiedenen Phasen seines Schaffens zu empfehlen.
Denn wichtig ist: Auch wenn der Herr Allin oft wegen seines, sagen wir mal sehr exzentrischen, On- und Off stage-Gebahrens einem größeren Teil der Menschheit bekannt geworden ist, geht es bei ihm ja oft um Musik. GG Allin war kein Bildhauer, kein Filmschauspieler, kein Maler (in begrenztem Maße schon), sondern in der Hauptsache Musiker. Deshalb nun ein paar seiner Hits per Video-Link. MAZ ab!

GG Allin & The Jabbers - Don't talk to me: Da war er noch recht brav, der GG. Und seine Band, die Jabbers auch. Er singt so klar wie eine Lerche, der Song ist ein schmissiger Punkrock-Hit und wilder oder böser als andere Punkbands, die Ende der 70er den RAMONES, STOOGES, NEW YORK DOLLS und DEAD BOYS nacheiferten, war das alles auch nicht. Wohl einer der zugänglichsten GG-Songs und mittlerweile ein Klassiker in jeder Punkrock-Disco.


GG Allin & The Scumfucs - Assfuckin buttsuckin cuntlickin masturbation: Was viele nicht wissen: GG Allin verfügte über eine solide Schulbildung. Zumindest war er so in der Lage, beim nachfolgenden Track die verschiedenen Sexualpraktiken in die alphabetisch richtige Reihenfolge zu bringen. Damit hätte er, wäre das mit der Rock'n'Roll-Animal-Karriere nichts geworden, auch in einer der lokalen Bibliotheken seiner Heimat New Hampshire anfangen können. Erschienen ist ABC Masturbation auf GGs zweitem Album "Eat my Fuc", auf welchem seine Stimme schon etwas fertiger und keifender klingt, als das noch zu Jabbers-Zeiten der Fall war. Soundmäßig wurde hier schon die Vision des beschissenst klingenden Albums ever verfolgt. Tja, und textlich ging es auch schon um einiges wilder und exzessiver zu als früher, wie man auch ohne Anglistikstudium raushören kann.



GG Allin & Bulge - Suck my ass it smells:
Kommen wir zu einem Stück von einer der Platten, die GG Allin für eine seiner besten hielt. "Freaks, Fagoots, Drunks and Junks" war der Titel des fünften Allin-Albums, eingespielt in New Hampshire zusammen mit den Kumpels der lokalem Metal-Punk-Band PSYCHO, hier als BULGE gelistet. "Suck my ass it smells" ist deshalb unterhaltsam, weil es sich nicht normalen Punkrocksongstrukturen unterwirft. Strophe, Refrain, Bridge - wird hier alles ignoriert. Längenmäßig ist die Band fast schon in Grindcore-Gefilden unterwegs, durch die repetitive Darbietung bekommt der Song zudem auch einen eher No-Wave-mäßigen Touch. GG grunzt mittlerweile mehr als, dass er singt und vertieft sich auf "Freaks, Faggots..." immer weiter in sein eigenes Universum aus Krach und Schock- und Scheißetexten. Interessant ist, dass "Freaks, Fagoots, Drunks and Junks"-Songs wie "Outlaw Scumfuc", "Die When You Die" und "Cunt Sucking Cannibal" bis zum Ende seiner Karriere zu Allins festen Live-Repertoire gehörten.


Und weil's so schön ist: "Die when you die"


GG Allin & The Murder Junkies - Bite it you scum: Ich hatte mal eine Band, in der ich Bass gespielt habe. Wir spielten nur Coverversionen und waren soundmäßig ziemlich nah an dem dran, was ME FIRST & THE GIMME GIMMIES so machen. Das meiste in unsere Repertoire war nett und wir waren auch nett, meistens zumindest. Unsere Konzerte waren nicht gefährlich, nicht mal unserer Name war das. Die Band hieß schlicht und ergreifend KELLERBAND (und nein, selbst wenn jetzt jemand dazu im Netz suchen sollte, es gibt nur ein Livetape und das wurde nie digitalisiert) und von alten POLICE-Songs bis zu blöden Schlagern drehten wir alles durch einen netten NOFX-mäßigen Melodycorewolf. Das waren die 90er und es war meist so harmlos, wie es sich hier liest. Nur einmal im Liveset legte ich den Bass zur Seite und ging ans Mikro. Immer dann, wenn wir "Bite it you scum" von GG Allin spielten. Natürlich war ich dabei nie so wie GG Allin. Ich habe weder auf die Bühne gekackt, noch mit Scheiße geschmissen oder Zuschauern weh getan. Was ich getan habe war: Mir das Mikro in Allin-Manier vor die Stirn zu hämmern (was weh tat, in dem Augenblick aber auch seltsam klärend und konzentrationsfördernd war), bis ich dort oben eine Macke hatte. Während des Songs wälzte ich mich wild auf der Bühne rum, egal wie dreckig oder sauber die war. Vielelcht habe ich mich dabei auch mal komplett nackig gemacht, da weiß ich nicht mehr so genau. Es waren diese 3-4 Minuten, in denen mir alles scheißegal war. Das war auf eine gewisse Weise recht befreiend. Für immer - und das ist der Unterschied zu GG Allin - würde ich das allerdings nicht machen wollen. Vielleicht wollte ich damals ein bisschen sein wie GG Allin. Genau so gefährlich. Bedrohlich. Aber nur ein bisschen.


GG Allin & The Criminal Quartet - Son of evil: Man kann gegen GG Allin einiges sagen, zu seinen Stärken gehört eindeutig ein Händchen für gute Bandnamen. Wer seine Projekte MURDER JUNKIES, AIDS BRIGADE, CAROLINE SHITKICKERS oder TEXAS NAZIS nennt, der hat zwar einen recht rustikalen, aber doch vorhandenen Sinn für Humor. Mit dem CRIMINAL QUARTET spielte Allin eine recht ungewöhnliche Platte ein, zumindest für seine Verhältnisse. Carnival of Excess ist nämlich eine astreine White Trash-Country-Platte. Die Gitarre bleibt unverstärkt und siehe da, GG lässt seine Schwäche für Countymusik aufblitzen und kann wieder richtig singen. Kein übelgelauntes Gegrunze weit und breit, stattdessen geradezu fröhliche, wenn auch simple Songs zum Mitsingen und -Schunkeln, wie sie Hank Williams III nicht besser hinkriegen könnte. Dürfte auf einem alten ranzigen Radio in einem Wohnwagen im Trailerpark am besten klingen.


That's it. Was noch zu sagen wäre: Diese Auswahl von GG Allin-Songs ist bei weitem nicht repräsentativ. Andere Leute würden andere Hits wählen, aber diese hier sind vielleicht ganz gut geeignet, um dem interessierten Laien ein kurzen Einblick in das Universum des GG Allin zu geben.

Gary Flanell

Sonntag, 14. August 2016

Blutige Knie

Wie ein Fuchs streife ich derzeit des nächtens um die Kontoauszugsdruckerautomaten dieser Stadt. Ich warte auf eine nokturne Eingebung zwecks einer Kaufentscheidung. Ich überlege, ob ich mir die 5-LP-Box mit allen offiziellen Alben von TON STEINE SCHERBEN zulegen soll. Im Augenblick führt die Stimme der Vernunft in der Diskussion das Wort und das wird wohl auch lange Zeit so bleiben.
Die Vernunft sagt mir nämlich: Alle acht Scherbenplatten brauchst du eh nicht, alle acht Scherbenplatten kannst du dir sicher auch auf Youtube anhören und schauen und für alle acht Scherbenplatten in dieser Box hast du eh gerade kein Geld. Stimmt alles.

Die dunkle Stimme der Unvernunft sagt, zugegeben etwas schwachbrüstig: Kauf dir das Ding. Es macht sich gut im Regal und außerdem hat man dann mal alles von denen. Letzteres ist eigentlich kein bzw. ein absolutes Blödsinnsargument, zieht aber bei der Kaufentscheidung oft genug. Es ist dieses Wer-weiß-wofür-man's-mal-brauchen-kann-Argument. Als würde ich die schöne Box irgendwann mal in einen zugerauchten Club zum Auflegen mitnehmen. Never. Und die Musik, sagt die Stimme, der Unvernunft, die ist ja auch dufte.

Da hat sie ja recht, aber so ein richtiger Grund ist das auch nicht. Das stimmt nun wirklich. Rockmusik aus Deutschland, ach, da waren die Scherben noch was. Das war noch echte Mucke. Macht heute ja keiner mehr. Und Mucke sagt auch keiner mehr. Nicht mal der Ansager auf einem ostdeutschen Bluesfestival. Keine Mucke mehr, keine Kunden mehr, kein Slang mehr aus Zeiten, als Bluesrock samt Parka und Haarnetz noch so richtig subversiv war. Seit den 70ern also. Seit TSS-Zeiten also. Als wir alle noch dufte Kunden waren.



Heute machen ja alle nur noch so emotionalen Indierock. Und das schon seit Tocotronic damit angefangen haben. Auch schon seit fast 30 Jahren. Oder Tingeltangel-Punk-Gedöns. Und Punk, der hat ja heute eigentlich den Stellenwert den Bluesrock inden 70ern hatte. Sagte mal ein kluger Freund von mir udn er hat recht. Ist heute zumeist nur noch auf sich selbst und die eigene Jugend bezogene Musik von alten weißen Männern für alte weiße Männer. Bliebe noch HipHop. Davon habe ich schon mal gehört. Ist für mich aber noch Neuland, auf dass ich mich erst langsam vortaste. Werde mir bald mal was von den FANTASTISCHEN VIER anhören. Ein Kollege auf der Arbeit sagte, die machen sowas. Hip Hop. Ganz modern.

Das ist natürlich fast alles Quatsch, verzeiht mir. Aber so eine richtig coole, erdige, handgemachte Rockermucke mit schicken Texten, da muss man schon lange suchen, seit eben jene Scherben oder die CHARLY-SCHRECKSCHUß-BAND (deren "Geheimratseckenblues" ist auch so ein zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Artefakt der deutschsprachigen Rockmusik) aktuell waren.



Aber jetzt kommmt da was. Aus Berlin. Ne richtig dufte Mucke. Sind so zwei Typen, einer von DRIVE-BY-SHOOTING (der Timo an der Gitarre) und einer von SENSOR (der Till, am Schlagzeug), und die machen ROCKmusik. Als Duo. Das ist jetzt nicht mehr so eine Riesennovität, seit den WHITE STRIPES mindestens. Wäre aber ein schicker Werbeaufhänger für BLUTIGE KNIE. Die WHITE STRIPES von Berlin. Von Friedrichshain, besser gesagt.

Der Timo und der Till, die haben beide mal zusammen in ihrer Stammkneipe gesessen. Tagung heißt die, netter Laden, da wurde auch schon mal das ein oder andere RENFIELD-Interview geführt. Gab es möglicherweise schon zu DDR-Zeiten und wird es wohl auch noch geben, wenn alle Mauern der Welt zu Schutt zerfallen sind. Saßen Timo und Till also so rum. Bei DxBxSx war gerade Pause, aber Timo hatte Bock, weiter Mucke zu machen. Kennt man ja, so richtig aufhören kann man ja nie. Gut, dass der Till auch Bock hatte und so gab es ein paar Biere und dann gab es den Namen, der ist BLUTIGE KNIE. Dann gab es ein Tape und viele Livekonzerte und jetzt gibt es diese Platte.

Der Name ist gar nicht so schlecht, finde ich. Blutige Knie kennt jede/r, schon seit Kindertagen und der Gedanke an die letzte Schotterakne lässt einen auch gern mal innerlich zusammenzucken. Aber man weiß auch, dass es sich ab und an lohnt, sich sowas zu holen. Um dann wieder aufzustehen.



Jetzt also die Platte. Zugegeben, stilistisch ist das kein großer Quantensprung im Vergleich zu den letzten DxBxSx-Platten. Nur halt noch reduzierter, noch knorztrockener wird da Stonerrock, Blues und 70er-Jahre-Kifferrock (also eigentlich alles dasselbe) angerührt. Noch purer könnte man sagen, mit noch mehr Retroschmiß an der Backe. Texte gibt's auch, und ähnlich wie bei DxBxSx - die hatten ja mit "It's so Berghain" den Überhit zum Thema - mokiert man sich gern über allgegenwärtige Auswüchse des Berlin-Hypes und die Unzulänglichkeiten und Widrigkeiten des täglichen Lebens. Und den Frust darüber, der sich am besten in handgemachter ROCKmusik kanalisieren lässt, damit man nicht doch eines tages mal komplett Amok läuft.
"It's so Berghain" ist nebenbei immer noch so ein schönes Lied, das es auch nach drei Jahren noch wert ist, hier mal eingebettet zu werden. Liebe Internet-Regie, bitte MAZ ab!



Blutige Knie sind bei weitem nicht nur ein DxBxSx-Abziehbildchen, aber die musikalsiche Linie lässt sich gut zurückverfolgen. Brüche zwischen den Bands gibt es nicht. Musikalisch ist das solide und handgemacht, inhaltlich wird sympathisch rumgenölt. Irgendwann auf der ersten Seite ist er dann da, der absolute Hit der Platte. "Sind nicht Weltmeister" ist das beste, wirklich das beste, deutlichste und massentauglichste Statement gegen doofen Fußballpatriotismus seit langem.



Ich sage nur: Hit, Hit, Hit! Gibt es mittlerweile auch auf die EM 2016 zugeschnitten in der Europameister-Version. Sollte wirklich in jedem Fußballstadion des Landes vor Anpfiff gespielt werden. Und zur offiziellen DFB-Hymne erhoben werden. Ich mach gleich schon mal die Petition klar.



Es gibt also fast nix zu meckern, auch nicht am Sound oder der Produktion. Da dies eine Rezension über eine echte Rockplatte ist, MUSS über sowas gesprochen werden. Macht man ja so im Rockuniversum, über den Sound reden. Aber ich mache es kurz. Nur eine Referenz an den Produzenten: Fein abgeliefert, Alex Ott.

Was allerdings beim ersten Album der Blutigen Knie etwas nervt, ist dieses gewollte Überschlagen der Stimme in manchen Songs. Obertöne sollte man können oder es eben ganz lassen. Das nervt nach einiger Zeit doch etwas, und gibt MUCKER, BOOKER, WICHTIGTUER einen etwas blödeligen Touch, den die Platte gar nicht nötig hat.

Was diese Rezension dagegen nötig hat, ist ein Hinweis auf die Tatsache, dass der Titel der Platte, um die es geht, zum ersten Mal drei Zeilen vor Schluß auftaucht. Fein abgeliefert, Herr Flanell.

Was noch zu sagen ist: Bakraufarfita Records ist wirklich keins von den Labels, deren Releases ich vorbehaltlos abfeiere (ich erinnere mich an diese seltsame Band aus Köln, Angelika-irgendwas, die so unglaublich unauffällig-blassen Pop-Punk mit schlechten ÄRZTE-Texten machte, dass ich nach dem Anhören schon den Namen vergessen hatte. Bis heute.). Um so schöner, dass sie mit BLUTIGE KNIE einen echten Treffer an Land gezogen haben. Einen Treffer, der dem retro-affinen Rocker mit Joint im Mundwinkel, Black-Sabbath-Shirt und Berlin-Bezug mal einen Griff ins Portmonee wert sein könnte.

Was jetzt noch fehlt und BLUTIGE KNIE endgültig einen festen Platz im Lexikon der deutschsprachigen Rockmusik sichern würde, wäre ein gemeinsames Album mit HAFTBEFEHL und ROMANO. Es würde mich komplett narrisch machen.

"Mucker Booker Wichtigtuer" von BLUTIGE KNIE erscheint am 02.09.2016 auf Bakraufarfita Rec.

(E) auf der 26-teiligen Renfield-Rezensions-Skala

Gary Flanell

Dienstag, 9. August 2016

Jack of None (english version)

This time in englisch - thanks alot to Alissa Wyrdguth for translation.

THE SHAGGS were that kind of band. So was YOUTH BRIGADE. So were those black proto-punks DEATH, and the Mmmmbop teenies HANSON . The kind of band you might file under “three siblings”. If you can really think of no other way to arrange your record collection.

If so, this is where you might file JACK OF NONE“who’s listening to van gogh’s ear?” arrived here at headquarters some weeks ago. The siblings in question are A.G., Maxine and Julian Syjuco, children of avant garde artists Cesare and Jean-Marie Syjuco who have been really well known in the Philippine art scene for many years.

Well my daily life seldom brings me across either Philippine avant garde artists or their children. But JACK OF NONE’s record got me right away. Not the sibling thing, not the exotic thing – hey, it’s 2016 and one of those effects of globalization, Eurocentric as it may be, is that pop has got absolutely everywhere, into what we used to think of as the last corners of the earth. And they are playing it right back at us. Anyone been wondering lately what is happening in punk in the Philippines? You might a) get on the net and find a lot of links for Pinoy Punk or b) ask expert Mika of Alleiner Thread zine who knows all about it or c) re-listen the SUBCULT RADIO SHOW on the topic – but I am digressing.



JACK OF NONE have little to do with straight punk rock. I’d rather put them close to early wave and post punk, with their cool vibes and ambivalence. Which makes them the more interesting to me. Whatever I expected, it wasn’t the sound track to a David Lynch movie that’s never been made.



They go easy on us at first. “Hotel Carcass” opens with a loose, loungy bass line and adds a cryptic spoken word thing. When this started dripping from my amps one sweaty summer night, I thought of some southeastern version of NOUVELLE VAGUE. Without covers. Which might be charming, I thought, wiping my brows.



It gets less catchy then, but that makes it more exciting. Those slightly brittle Filipinos do experimental things with electro, alternative rock and industrial. Across all that they sometimes put a metal guitar which wouldn’t be out of place with Rammstein or Marilyn Manson. Adding to confusion or rather to variety, although fitting the whole, is singer Maxine’s voice. She is putting it through enough effects to make it sound like Apple’s Siri on acid. Possibly the sound engineer has had a little too much fun on the voice tracks, but nevermind.



(E) for Exotic bonus up my ass (this is a good thing) on the 26-step scale of renfield appreciation.

Gary Flanell


jackofnone.net

Samstag, 6. August 2016

Immer noch heiß.

Wer zum Teufel hat eigentlich das Konzept der Sommerplatte erfunden? Wer auch immer es war, er oder sie hat da ein Bild von einem Album kreiert, dass man drei Monate lang am Stück zu jeder Tages-, Nacht- und sonstigen Aktivität hören kann, ohne irgendwann davon genug zu bekommen. Ein Album also, dass zum Rumliegen am Strand passt, genauso wie zum grillen mit Freunden, zum Fahrradausflug, zur Boulepartie, zu Sex in überhitzten Hotelzimmern im Urlaub. Es ist gleichermaßen der Soundtrack um Eisessen, zum Planschen im Pool, zum Gutes-Buch-lesen, zum Gin-Tonic trinke. Zum Rausgehen ohne Jacke. Zum Erdbeerenpflücken. Zum Wassermelonen-Essen und zum Besuch bei der Oma, die selbstgemachten, gut gekühlten Kartoffelsalat kredenzt. Insgesamt also ein Album, dass eher zur Saison mit den hohen Temperaturen passt.



Das muss nicht zwangsweise eine sehr melodiöse oder poppige Platte sein.Es gibt sicher genug Menschen, die bester Laune sind, wenn sie eine eher melancholische und zweifel verbreitende Musik hören. Ich glaube nicht, dass es sowas wie eine Sommerplatte gibt. Klar, vielleicht gibt es zwischen Juni und September mehr Tage, an denen man lieber was von den BEACH BOYS als von NACHTFROST hört, aber das hat sicher nichts mit der Jahreszeit zu tun. Geht im Winter sicher auch. Was mich zu den COATHANGERS bringt. Drei Frauen aus Atlanta, die vor einigen Wochen (Ok, es war schon im April. Aber April 2016.) ihr fünftes Album rausgebracht haben.



Vor fünf Wochen war der Sommer noch am Anfang und noch nicht mittendrin und auch wenn ich diesem Sommerplattenkonzept nicht viel abgewinnen kann (außer der Tatsache, dass man damit immer einen guten Aufhänger für eine Rezension am Start hat), könnte ich mir vorstellen mit "Nosebleed Weekend" eine Menge Zeit in dieser Saison zu verbringen. Da passt nämlich einiges. Zum einen ist es eine Platte, die hübsch abwechslungsreich ist, da gibt es Sounds, die die ganz locker die Energie von diversen Rrriot grrl und frühen Punkbands haben. Dann sind da welche mit einem ordentlichen 60ies-Girl-Group-Touch und insgesamt schwebt da über allem, noch so eine gewisse Grunge-Coolness. Also nicht diese pathetische Rockstar-Scheiße, wie sie SOUNDGARDEN oder PEARL JAM schon immer fabriziert haben. Mehr so diese wütende Art, die HOLE vor über 25 Jahren an den Tag gelegt haben. Davon ab ist das Artwork schon eher eins, das man mit dem Sommer verbinden könnte. Die drei Musikerinnen in luftiger Bekleidung auf einer Wiese im Gegenlicht fotografiert, auf dem Cover. Der Verweis zum nasenblutigen Albumcover wird da auch ganz locker miteingebunden. Und Back-Cover-Fotos, bei denen all drei mitten in der Nacht vor der Haustür sitzen, erinnern auch nicht an eiskalte Nächte in dunkler Jahreszeit. Also vielleicht doch eine Sommerplatte? Muss jeder für sich selber rausfinden.
Nimm Lana Del Rey das Valium weg und steck sie mit Courtney Love und den Go Go's eine Woche in einen Proberaum, dann weißt du ungefähr wie's klingt.

(F auf der 26-teiligen Renfield-Platten-Bewertungsskala)

Nosebleed Weekend von The Coathanger ist auf Suicide Squeeze Records erschienen.
Gary Flanell


Freitag, 5. August 2016

Das Gute Leben: Weitersuchen Pt. IV

Der vorerst letzte Beitrag zu unserer kleinen Reihe Das Gute Leben. Abgeschlossen ist sie damit nicht, sondern wird in loser Reihe fortgeführt. Gastschreiber sind gern willkommen und können sich mit einer Textidee bzw. einem kleinen Exposé bei renfield-fanzine@hotmail.de vorstellen.

Der beste Klub der Welt
Meine früheste Erinnerung an den besten Klub der Welt ist quasi ein Bewerbungsgespräch. Ich wurde gefragt, warum ich in den Verein eintreten wolle. Dieser war gerade ein paar Wochen alt und ich saß mit zwei weiteren Aspiranten in der Abenddämmerung an einem alten Holztisch. Uns gegenüber saßen die (aus heutiger Sicht) ehrwürdigen Urahnen des Vereins. Ich sagte, ich wolle Feierkultur betreiben, die frei ist von den Zwängen von Markt und Profit.

Das hört sich etwas theoretisch an, war es damals wohl auch, weil ich gerade Marx entdeckte, aber das Ganze machte auch praktisch Sinn. Wir machten, worauf wir Lust hatten. Wir machten Veranstaltungen, weil wir sie gut fanden, und nicht weil wir glaubten, damit Geld verdienen zu können. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Bei meiner ersten Party saß jemand als kroatischer Bergschäfer verkleidet am Eingang und veranstaltete Peperoni-Esswettbewerbe. Innen stampfte der Humpta balkanesischer Musik, die Menge tobte und kreischte und wir warfen selig lachend Peperoni in das Gewühl und verspritzten Wodka wie Weihwasser, um die Geister zu befreien.

Unsere erste eigene Partyreihe hieß „Hanumans Töne“. Es lief Drum&Bass (allzu „gerader“ Techno ist bis heute verboten), und wir verteilten Masken von indischen Göttern, Totenkopfmasken und Affenmasken. Wir bliesen dabei Muschelhörner und schwenkten Weihrauch. Immer wieder kamen Leute zu mir und schwärmten, dass das die beste Party ihres Lebens sei.



Manchmal kamen wieder nur so wenige, dass die Party ein Flop wurde. Werbung verbieten wir uns. Auch unsere Regel, dass alles was eingenommen wird, nur an die Künstler oder wieder an den Verein geht, ist großartig und ätzend zugleich. Es muss nämlich Spaß machen. Tätigkeiten, die keinen Spaß machen, beispielsweise bis sechs Uhr morgens alleine an der Tür stehen, um keine Arschlöcher hineinzulassen, werden als Opfer empfunden. Man tut es, aber nur begrenzt. Üblicherweise würde dieses Opfer durch Verdienst ausgeglichen. So ist dann keiner keinem mehr etwas schuldig. Diesen Ausgleich gibt es bei uns nicht. Das ist schwierig. Dafür feiern wir aber die besten Parties der Welt.

Andere Klubs müssen sich nach irgendeinem Massengeschmack richten. Andere Klubs können es sich auch nicht leisten, „Gäste anschnauzen“ zu spielen. Ein Volkssport für uns: Wer sein Bier bestellt, indem er oder sie einen zerknüllten Geldschein auf die Theke wirft und „Bier“ blafft, dem wird der Geldschein ins Gesicht zurückgeschmissen mit den Worten: „Nur wenn Du Bitte sagst“. Alleine der erstaunt-indignierte Ausdruck auf dem Gesicht des unverschämten „Kunden“, der nicht versteht, dass er keiner ist, ist einige Opfer wert.

Ich habe immer wieder Phasen, in denen ich mich entferne und in die tiefe Klubwelt Berlins eintauche. Dort ist es auch schön. Aber auch wenn die Anlage bei uns ein wenig schlechter ist als die im Berghain oder im Kater, stelle ich doch fest, dass die bessere Musik, die schrägeren Veranstaltungen, die interessanteren Leute eher hier zu finden sind. Im besten Klub der Welt.

Houssam Hamade

Mittwoch, 3. August 2016

Das Gute Leben: Weitersuchen Pt. III

Erstmal den Notstand ausrufen!
Das mit der Anerkennung durch Erfüllen von Erwartungen habe ich erst so richtig gemerkt, als ich meine Kinder bekommen habe. Erstaunlich, wie man auf einmal in der Familie so einen ganz anderen Stand hat. Nicht dass der vorher problematisch war, halt typischer Studentenstatus. Auf einmal war ich statt dessen eine Mutter. Sofort wurde mir ungewohnte Autorität zugeschrieben und eine andere Art von Respekt erwiesen. Sehr angenehm, sowas.
Dann beschlossen der Vater meiner Kinder und ich, nicht etwa zu heiraten und die Steuerklasse zu wechseln, sondern doch lieber in getrennte Wohnungen zu ziehen, was uns in Folge ermöglichte, uns nicht gegenseitig zu erwürgen und die Schädel einzuschlagen, sondern Freunde zu werden und die Herausforderungen des Lebens wieder als Verbündete anzutreten.

Für unsere Kinder heißt das, dass sie ihre Eltern nicht täglich streiten sehen. Und dass es in beiden Wohnungen noch andere Leute gibt, die sie liebhaben, die mit ihnen Musik machen, Pfannkuchen backen, Brettspiele spielen (hatte ich noch nie Lust zu), ihnen Bilder malen (dito) und darauf bestehen, dass man gemeinsam am Tisch sitzt. Auf selbigem gibt’s dann auch mal den selbstgemachten Kartoffelbrei, der bei mir immer aus der Tüte kommt. Und einen dritten Bruder gibt es noch obendrauf.

Für uns heißt das auch, dass nicht jede soziale Fähigkeit von mir als der perfekten Mutter vermittelt werden muss. Ich brauche nicht den Engel im Haus zu geben, und der Kollege auch nicht den Patriarchen. Meine Kinder bedanken sich an der Kasse beim Verkäufer für die gerade gekauften Obstriegel und fragen ihn, wie er heißt. Von mir haben sie das nicht. So nett bin ich nie. Sie begegnen Menschen mit Zutrauen, weil sie nie etwas anderes erfahren haben als liebevolle Zuwendung, und zwar von verschiedenen Leuten, die verschiedene Arten des Umgangs haben.

Als ihnen Aschenputtel vorgelesen wurde, da sagten sie, das Mädchen hätte keinen Papa und keine Mama mehr. Dass sie im Märchen wohl einen Vater hat, der sich aber nicht um sie kümmert, das können sie sich nicht vorstellen: das ist dann ja kein Papa, per definitionem, sozusagen.
Als meine Familienangehörigen von unserer Kleinfamiliendemontage hörten, wurde der Notstand ausgerufen. Panik und Ressentiment machten sich breit. „Ihr Berliner!“ äußerte mein Schwager sich kopfschüttelnd. Meine Mutter brach zwischenzeitlich die diplomatischen Beziehungen ab, da ich ihre Enkel der Willkür und blanken Not preisgäbe und darüber hinaus den mir gerade so eben nicht Angetrauten böswillig seinem traurigen Schicksal überließe. (Der sah das anders, wurde aber nicht gefragt.) Selbst mein Vater, der sich selbst allen sozialen Bindungen entzieht, forderte über Dritte Informationen an, ob denn alles in Ordnung sei aus Anlaß dieses offenbar erschreckenden Bruches.

Die Reaktion meiner Verwandten ist, wie ich von anderen erfuhr, nicht etwa ungewöhnlich, sondern typisch. Alleinerziehend zu sein ist ein riesiges Stigma, ein Grund zur Besorgnis, etwas zu Vermeidendes, eine Katastrophe, die eine Familie befällt. Niemals aber etwas, das man wählt, das man sich aussucht, das man extra so haben will. Was nicht klar bestimmt ist als „Kleinfamilie“, ist auch wieder nur Negation: Verlust von etwas, nicht Gewinn von etwas anderem, Konkreten. Das zeigt sich auch an der gut gemeinten, aber unschuldig verächtlichen Bezeichnung „Patchwork“. Flickwerk ist etwas, das aus einem schiefen, nicht passenden, irgendwie übrig gebliebenen Zeug zusammengebastelt wurde, um damit zu versöhnen, dass es halt nicht so geklappt hat, wie es eigentlich hätte sein sollen: wie es normal wäre. Wir haben das nicht so erlebt. Wir sind eine Familie geworden und fragen uns nicht so genau, wo die anfängt und aufhört, eine Familie aus Freunden, auf die ich mich verlassen kann. Einer davon ist der Vater meiner Kinder.

Alissa Wyrdguth

Montag, 1. August 2016

Das gute Leben. Weitersuchen Pt.II

So viele tolle Projekte

„Aber du hast doch so viele tolle Projekte“, raunen mir meine Freunde immer wieder zu. Stimmt. Oft kann ich die aber nicht so wertschätzen, wie ich es gern möchte. Und warum? Weil mir der Scheißgedanke im Nacken sitzt, wie ich über den nächsten Monat kommen soll. Das vergällt mir oft die Freude an den schönen Projekten. Weil das, was ich gern tue, monetär nicht zum Leben reicht. Also beziehe ich Hartz4.


Alle sechs bis zwölf Monate das EKS-Fomular auszufüllen, in Vorausschau, was man denn verdienen werde, ist schon desparat genug. Noch desparater wird es, wenn man vom Jobcenter ein Schreiben bekommt, dessen Mißtrauen gegenüber meinen Angaben nur so aus der Druckertinte quillt. Wer mit „dem Amt“ zu tun hat, kommt relativ schnell in die Situation, sich irgendwie schuldig zu fühlen. Schuldig, sich nicht genug um einen bezahlten Job zu bemühen. Schuldig, die Unterlagen nicht rechtzeitig eingereicht zu haben. Schuldig, sein gesamtes Arbeitsleben vermasselt zu haben. Denn wenn's nicht klappt mit deiner hübschen Kreativ-Freiberuflerexistenz, dann bist du alleine schuld, weil du lebst, wie du lebst. Mit diversen Tätigkeiten jonglieren, ständig Leistung bringen und nicht mal die Miete davon zahlen können. Ach, die Miete. Auch so ein Thema, das den prekär lebenden Menschen zur scheinbar alternativlosen Depression bringt. Aber eben nur scheinbar.

Gängig wird ja so gewohnt: Du zahlst einem Vermieter relativ viel Geld dafür, dass er dir einen oder mehrere Wohnräume zur Verfügung stellt. Dieser Vermieter ist im Gegenzug meist nicht greifbar und wenn überhaupt, manifestiert er sich in Form einer eher mißtrauisch zu betrachtenden Hausverwaltung. Andere Wohnmodelle werden von den meisten nicht in Betracht gezogen. Von mir selber lange auch nicht. Bis ich umgezogen bin. Raus aus meiner WG im kuscheligen Kreuzberg, rein in ein Hausprojekt in Lichtenberg. Lichtenberg?



Vor zwei Jahren wäre das ein Berliner Äquivalent zur Verbannung in den Ural gewesen. Doch die Wohnungssuche in Kreuzberg oder Neukölln ändert das rasch, wenn du mit 30 anderen Interessierten eine Wohnung anschaust und merkst: Ich habe hier keine Chance. Keine Chance gegen die Kinder reicher Eltern, die ihre Ellbogen im Wohnungskampf mit gut bestückten Bürgschaften ausgepolstert haben, keine Chance mit meinen beschissenen Kontoauszügen gegen die Regelmäßigverdiener. Um nochmal in einer WG neu anzufangen, fehlte mir nach 16 Jahren einfach die Energie. Ich brauchte vier eigene Wände und ein eigenes Klo. Aber wie? Und wo? Lichtenberg?

Dort tat sich eine Möglichkeit auf, die ich so nicht auf dem Schirm hatte. Denn zum ersten Mal überhaupt wohne ich jetzt in einem Hausprojekt.
Meine Wohnung befindet sich in einem sechsstöckigen Plattenbau, in dem früher die Stasi hauste. Jetzt leben dort 60 Menschen fast aller Altersstufen. Man kennt sich vom Sehen, grüßt sich, quatscht miteinander, ist sich eher bekannt als fremd. Das hier ist quasi „Mein Block“, um mal Sido zu zitieren. Es ist ein wenig wie das Prinzip WG, nur auf eine andere Ebene gehoben. Statt sich eine Wohnung zu teilen, teilen wir uns ein Haus.

Jede/r hat seine/ihre Rückzugsräume, kennt aber die Menschen, die nebenan, unten drunter oder oben drüber wohnen. Natürlich zahle ich hier auch Miete, aber eine günstige. Und die dient dem Haus, nicht der Rendite der Eigentümerfirmen.

Hausprojekte kennt man eher von besetzten Häusern, die nach harten Kämpfen einen legalen Status bekommen. In der Stasiplatte war das anders. Das Projekt hat sich ganz legal gegründet und das Geld für den Kauf über Kredite zusammenbekommen. Das geht mit Hilfe des Mietshäuser-Syndikats. Gekauft wurde gemeinsam: als GmbH. Die Mitglieder dieses Projekts haben dann dieses Stasi-Bürohaus von Hand so saniert, dass es WG- und einzelwohntauglich geworden ist. Und den ständigen Mieterhöhungen von Immobilienfirmen entzogen.

Darum ist dieses Haus auch mehr geworden als ein Ort zum Schöner Wohnen. So wird den Geflüchteten, die im Stasikomplex nebenan untergebracht wurden, 1-2 mal in der Woche ein Internetcafé bereit gestellt. Ein antifaschistischer Verein hat bei uns günstige Büroräume. Und natürlich werden Lesungen und Konzerte organisiert.

Diese Idee, im Kollektiv was zu schaffen, wird oft mit Anti-Individualismus und Mitmach-Zwang assoziiert, mit denen, die diese Platte erst dort hingestellt haben. Dieses Kollektiv aber besteht aus Individualisten, die gemerkt haben, dass das gesellschaftlich immer wieder geforderte Einzelkämpfertum nichts bringt außer permanenter Erschöpfung. Klar, ein Haus für 60 Leute ist ein großes Unterfangen, will man alle 60 Menschen erreichen und motivieren, sich einzubringen. Sowas geht nicht schnell, sondern braucht viel Zeit und viele Gespräche. Aber das ist ein Projekt, das wir wertschätzen können: diese Idee – gemeinsam, aber ohne Zwang - wieder stärker in die Köpfe zu bringen. Swimmie lässt grüßen.


Gary Flanell