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Donnerstag, 25. Juli 2024

Schön wenn junge Menschen Musik machen Pt. XIXXDIX

Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1

Der kanadische Produzent Scott Monteith, a.k.a. Deadbeat, war investigativ im Urlaub und vertonte diesen geräuschvoll in seinem neusten Album The Lichen Diaries Vol 1.
Nebulöse Schleier, durchschnitten von wirren Lichtsäbeln vor einem seichten Regenbogen über der Gischt karibischen Gewässers, gerahmt von mattgrünen Palmen zieren das Cover: Die Dominikanische Republik. Inmitten dieses Arrangements erkennt man bei näherem Hinschauen den Fuß eines Bürostuhls nebst lässig schlängelnden Kabeln, eine mögliche Andeutung auf Reminiszenzen in Monteith’s Tonstudio.
Hier zeigt sich bereits das Spannungsfeld, dass in The Lichen Diaries auch akustisch aufgemacht wird, nämlich eine sehnsüchtige Robinsonade inmitten palmenverklärter Herausforderung menschlicher Existenz, die ihre räsonable Verhaftung im artifiziellen Kulturbombast funktionaler Differenzierungen nimmer leugnen kann.

Das Album beginnt mit Grillen und Dschungelgezwitscher, vermischt mit desinteressierter Anthropo-Akustik. Hie und da eine Klangschale auf einem ätherischen Synthteppich angeschlagen. Es könnte mondäner Ashram-Ambient werden, doch dafür fehlt die Geduld. Brutzeln und Gluckern flankieren die Drive-Thru-Meditation und in den Teppich werden mit heißer Nadel Orgelmuster in Overdrive-Optik gestrickt. Rhythmisch gekämmtes White-Noise trachtet hintergründig danach, wellenwogengleich einzulullen, doch plötzlich stöbert eine 303-Bassmelodie unentschlossen durchs Dickicht und dann ist es auch schon vorbei.


Im zweiten Track, der sich wie alle anderen Titel nahtlos einreiht, nimmt die Reise Fahrt auf. Four on the floor, aber mit Barfußschuhen! Lieblich-hüpfend breit-verhallte Dub-Kicks, auf der sich unisono eine kurz angeschlagene Hammond dazu gesellt. Hier fühlt sich Monteith sicher, der als Deadbeat Einiges im Dub-Genre veröffentlicht hat. Die dubbigen Fußstapfen hinterlassen ihre forsche Spur aber immer noch inmitten des krissligen Dschungelambientes, über dem sich gewitterwolkig und Blitze zuckend Turbulenzen ankündigen, von denen der Hörer jedoch unerwartet filterout verschont bleibt.

Nun wird es noisy und alles geriert zu einem großen, sämigen Flatsch; als wenn sich ein erhabener Geist aus der grünen Hölle erhebt und Petrus die Stirn hinbietet, unterstützt von ein paar Tropenholz schlägelnden Jüngern. Wer will da schon noch regnen? Leider sind die anheimgestellten Synthieklänge, dröhnend geboostet, etwas ungestüm gelevelt und holpern eher in die sonst spannende Melange aus Ambient-Flow und metallisch-zirrender Äther-Elektrik.


Der Drone-Sound tönt weiter, jetzt versöhnlerisch mit dem Wettergott, besänftigend, träumerisch, mit friedlich-indigener Resonanz. Ab der Mitte des jetzigen Tracks werden die Felle von Big-Toms zum Zittern gebracht und verleihen der Zeremonie eine Prise Weisheit, die schließlich sanft und mit weniger Delay im Synth tippelnd ausklingt.
Es klärt auf. Das Gewitter war nur eine Drohgebärde. Der Dschungel brüllt sein üblich schrilles Fundament. Eine dünne Melodie tanzt zitternd mit verstörtem Orientierungssinn um eine sich in Trance befindende Bassline – quo vadis? Ein Dialog zwischen Timbre und Shape mit einem Quäntchen Acid.

Das Ende naht und endlich: Ein Sonnenstrahl durchsticht das firmamentale Dickicht und ein jungfräulicher Wind durchstiebt die Wogen vor der atemberaubenden Küste karibischer Jahresurlaubs-Silhouette. Leise Zweifel strömen kristallin-sphärisch präfrontal, ergießen sich im Lappen der Erkenntnis erratisch – wie lange wird man hier noch stranden können? Aeroplane Strings in stereo-strato-cirrus. Soundtechnisch der schönste Teil im Album, das aus- wie einklingt, mit egalitärem Personen-Polter.


The Lichen Diaries ist eine knappe dreiviertel Stunde Field Recordings eingekleidet mit allerlei Synthesizer-Gewändern. Hin und wieder rhythmisch untersetzt, meistenteils aber befreit von Beats. Eine geräuschvolle, zweifelsschwere und gleichsam zweifelsleichte Kulisse, vor der man sich gern, doch stets argwöhnisch durch das Noisy-Nature-Ambient-Theater treiben lässt, veröffentlicht im April 2024 auf BLKRTZ.
Bar den üppigen phonetischen Andeutungen in The Lichen Diaries, die so viele namensgebende Assoziationen zulassen, benennt Monteith die Tracks übrigens lediglich im akademischen Duktus von 1.1 bis 1.6 und macht somit abermals einen Fingerzeig auf den Habitus der technokratischen Welt, aus der er kommt und mit deren Maschinen er hiesiges Album kreiert hat, das dessen zum Trotz ein Echo eines ehemals unbefleckten Naturparadieses erklingen lässt.

The Lichen Diaries – Die verflochtenen Tagebücher. Vol 1 – das lässt hoffen auf weitere Reisen von Scott Monteith, an denen er uns teilhaben lässt, den Hörer dabei aber immer auch zu sich selbst führt.

Gustav Roland Reudengeutz

Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1 ist im April 2024 auf BLKRTZ erschienen. Alles weitere von Scott Monteith hier.

Donnerstag, 18. Juli 2024

Schön, wenn es noch einfarbige Alben gibt Pt. MLX


EASTIE RO!S - Das Braune Album

Die geistern ja auch schon länger durch die Berliner Konzerträume. Habe sie aber zwischendurch immer mal wieder aus den Augen verloren. Wobei ich auch sagen muß, dass mich die EASTIE RO!S mich bisher nie so ganz gepackt haben.
Das war halt okayer Punkrock mit ziemlich deutlichem 77er-Einschlag. Die ganze Combo hatte äußerlich so eine sehr typische Punkrock-Optik. Glaube, das hat mich damals eher abgetörnt, weil's so was uniformes hatte. Mittlerweile bin ich schon froh, wenn es so ein Outfit noch gibt.

Dann gibt's noch den Kalauer-Namen, und das fand ich leider damals schon fad, weil es ja doch immer wieder Combos gab, die das gemacht haben: Beck's Street Boys, Vier Blonde Nonnen, Thrashing Pumpguns, sowas halt. Diese nahe am Original bleibenden Wortwitzbandnamen finde ich bis heute eher abtörnend, weil das auf dem Dorf echt jede zweite Trottelkapelle gemacht hat. Das sind natürlich alles sehr oberflächliche Einschätzungen, aber sowas kann einem schon das Bild von einer Band verhageln.

Aber die EASTIES, wie ich sie hier mal zärtlich nenne, stehen anscheinend auf tricky Referenzen. Das war schon bei ihren Peel Sessions so, ist beim Bandnamen so und nun eben Das Braune Album, allein vom Titel her. Ich sage nur Weißes Album, da ist das Braune natürlich ein wunderbarer Kommentar, ein schön gehässiger, die Kacke-Assoziation ist schon lustig. So sollte Punk öfter sein.


Dieses Braune Album hat mich dann doch etwas neugierig gemacht, vielleicht auch wegen der Tatsache, dass Jacke Schwarz (früher bei Corna Kruswa, hat auch eine spitzen Soloplatte gemacht) da jetzt mittut. Tut er das schon länger? Ich weiß es nicht. Passt aber gut.

Was zu sagen ist: Die EASTIE RO!S machen auf ihrer dritten Platte bei Tomaten Records (auch dazu findet sich ein lustiger Hinweis auf der Vinylversion. Auf die Beatles-Plattenfirma. Guckt nach.) immer noch Punkrock. Vom Beat her, von den Akkorden, den Strukturen der Songs, da geht nun gar nichts dran vorbei. Smells and sounds aber immer noch fresh. A bissl like RATTLESNAKE MEN, SHOCKS, BOTTROPS und auch so Früh-80er-Berlin-Punk wie z.B. ELEGANT. Diese geografische Verortung ist wahrscheinlich nur Assoziation, die mir hier die objektive Einordnung trübt. Ich komme nicht allerdings drumherum, es klingt schon sehr nach dieser Stadt.


Bei dem Punkrock-Rahmen, der hier gesetzt wird, ist zu sagen, dass das BRAUNE ALBUM schön abwechslungsreich geworden ist. Bei "Ignoriert und Isoliert" klingt die Gitarre erstmal glatt nach TURBOSTAAT oder einem alten Track der vielen Rachhut-Bands, bei "Abhäng im Weddding" gibt's einen unerwarteten Mundharmonika-Einsatz, der Lo-Fi-Take "George H." hat einen schönen Anti-Folk-Charakter und ganz am Ende das hübsche Piano-Snippet "Kleben geblieben" is auh super. Mit diesen kleinen hübschen Ideen und den Hits auf dem Braunen Album gefallen mir die EASTIE RO!S 2024 ziemlich gut.


Vielleicht auch, weil sie textlich sehr treffend zwischen eloquentem Rotz, einer gewissen melancholischen Grundstimmung und der Auseinandersetzung mit der Orientierungslosigkeit und Oberflächlickeit, die diese Stadt manchmal mit sich bringt, mäandrieren.
Das ist mir früher nicht so aufgefallen und reibt sich gut mit dem musikalisch nach vorne drängenden Gesamtsound. Wahrscheinlich ist es diese Mischung, die das BRAUNE ALBUM (kommt hübsch mit Prägung auf dem Frontcover) für mich derzeit sehr interessant macht. Ich wünsche mir jedenfalls, dass die EASTIE RO!S dafür mal eine Goldene Schallplatte kriegen. Irgendwann einmal.
Eilt ja nicht.

Bester Song: "Menschen aus Glas"

Beste Songzeile übrigens "Warum ist es so schwer, ein Arschloch zu sein?"

Gute Nacht.

Gary Flanell

Das Braune Album der EASTIE RO!S erscheint am 19.07.2024 auf Tomatenplatten. Releaseparty ist am 20.07. im Schokoladen. Wahrscheinlich schon ausverkauft, wenn ich das hier schreibe.

Donnerstag, 11. Juli 2024

Schön, wenn die Straße noch nach nirgendwo führt Pt. XIXIOXL


Let's talk about Sommerhits, oder überhaupt jahreszeitenbezogene Songkategorien:

Macht diese Einteilung im Angesicht des fühlbaren Klimawandels überhaupt noch Sinn? Oder könnte ich jetzt schon mal William Shattners Weihnachtsalbum in Schleife laufen lassen, weil egal, ob Dezember oder Juli, es ist ja eh bald immer und überall gleich warm.

Möglicherweise sind diese Bezeichnungen in ihrer Gesamtheit nur billige Tricks, um den Verkauf anzukurbeln Na, wer hätte das gedacht? Ich hab ehrlich gesagt, keine Ahnung, was in diesem Jahr ein großflächiger Sommerhit sein könnte, befürchte aber bei weiten Teilen der Bevölkerung könnte es ein neu vertexteter Hit von Gigi D'Agostino sein.
Für Menschen mit Geschmack und Stil, und an diese wendet sich der Renfield-Blog ja in seiner Gesamtheit, sei an dieser Stelle die neue Single "Road to nowhere" von den Amsterdamer Rhythm'n'Blues-Gangstern DOCTOR VELVET empfohlen.


Da finden sich knackige 50er-R'n'B-Latino-Swing-Anleihen mit halbstarkem Gangster-Touch, sehr präzisen Bläsersätzen, alles sehr retro gestaltet, aber so gut gespielt, dass es für einen Soundtrack eines Irgendwas-mit-Gangstern-Films von Tarantino reichen könnte. Ein Film, in dem zwei nicht sonderlich erfolgreiche Gangster durch L.A. fahren (oder auf den Grachten von Amsterdam) und irgendwas fieses für ihren Boss erledigen müssen. Vielleicht Vampire jagen oder Sklaven befreien.
Ein Film, den wir uns im Open-Air-Kino anschauen, dabei einen Aperol-Spritz oder ähnliches sommerliche Mixgetränk süppelnd, so süß und kühlend, dass wir gar nicht merken, wie besoffen wir sind, wenn der Abspann läuft. Für so einen Film würde "Road to nowhere", bzw. noch besser die spanische B-Seite "Camina hacia ningun lugar" spitze passen.

Spontan fallen mir noch Rolando Bruno und Nestter Donuts als Nachbarn in einer Playlist der "Road to nowhere" ein. Oder diverse latino-Garage/Vintage-Compilations von Munster bzw. Vampispl records. Da erscheint Docot Velvet übrigens nicht, sondern auf einem Label mit dem wunderbaren Namen Wap Shoo Wap Records.

Jetzt könnten hier noch Infos zu Tito Ramirez kommen, dem 'Prince of Spanish Soul,' 'The Kink of Mambo,' oder dem 'Ambassador of Boogaloo, naja wie auch immer (kurzer Check bei Youtube: schon ein cooler Typ) oder wie der Film, zu dem "Road to nowhere" den Soundtrack liefern könnte, sich in die derzeitige Fußball-EM-Atmo einfügt. Geschenkt.

Das könnt ihr Medienkompetenten entweder selber recherchieren oder mal selber in euch hineinfühlen, ob und wie dieser Hüftschieber zur Europameisterschaft passt. Auch wenn dieses Jahr kein Fußballgroßereignis wäre, könnte ich mir jedenfalls den neuesten Doc Velvet-Song bei einem kühlen Cocktail in der "heißen Jahreszeit" (Theodor Adorno) vor einer gemütlichen Bar in Kreuzberg sehr gut geben.

Doctor Velvet ( Featuring Tito Ramirez ) "Road To Nowhere" ist als 7" auf Wap Shoo Wap Records erschienen.

Gary Flanell

Donnerstag, 4. Juli 2024

Schöne alte Kürbiswelt Pt. I: Herr Nussbaum bei den Smashing Pumpkins


Kommen Sie, staunen Sie!

Aber seien Sie auf der Hut! Oder dem Schlapphut.

In einer entgeisterten Stadt, die noch weniger eine solche ist, als es angeblich Bielefeld nie war. Wo die unheimlichen Besessenen Geschäftetetris in einem Minto spielen.
Deren Altstadt so alt aussieht und kopfsteingepflastert immer bergab geht. Die zwei altertümliche Hauptbahnhöfe hat. Eine Honnschaft namens Kothausen und da in steinwurfweiter Nähe auch gleich Stadien, in deren einem aufgeblasene Ledersäcke mit Füßen getreten und in deren anderem kleine Kugeln mit Holzstöcken geschlagen werden.

Stadien des Grauens. Offene Riesengruselkabinette, in denen Teilnehmerurkunden vergeben, Ehrenurkunden jedoch stets verpasst werden. Es immer im Kreis oder Oval geht, Hindernisse hindern, Sand in den Turnschuhen, zwischen den Zehen und im Bauchnabel klebt. Dann wann anders überall Bratwürste, Bratwürste, Bratwürste und die Knautschplastikbierbecher sparsam gefüllt sind. All diese schlimmen Dinge, die passieren.

Gerne hätte ich Herrn Corgan gefragt, was seine Meinung dazu sei, nämlich zu Auftritten kurz vor dem Sommer und dem Vollmond auf einer Bühne in einer Hockeyarena in Mönchengladbach, aber fürs Renfield gab's leider Platzkarte statt Access All Areas, so dass ein klärender Austausch ausbleiben musste.

(DitisnatürlichnichinMönchengladbachaberinBerlinwasjasoziemlichdasgleicheis - der Setzer)

Mit Sicherheit wären die Anmerkungen des glatzköpfigen Vampirsängers bemerkenswert gewesen, jedenfalls verwunderte er sich seinerseits im Verlauf des Abends auch ohne Nachfragen zu Ort und Zeit über andere lokale Besonderheiten wie den Abriss der Berliner Mauer, zu Techno fickende Menschen und Fußball. Wenigstens bis sein Gitarrist ihm den Mund verbat und darauf hinwies, dass es hässlich sei, wenn er rede.

Lieber dann doch Singen und Musizieren. Und sogar Tanzen! Nicht ausdauernd, aber doch ein bisschen. Und durchaus ein wenig unheimlich, schließlich wars ja auch ein Vampirzirkus, der da gastierte.

Nachdem Interpol recht blass, vielleicht tatsächlich blutleer, abgeliefert hatten, wurden sie zügig wieder eingesargt und im Nightliner verstaut, und die Kürbisse kamen über Gladbach wie ein nostalgischer Schattenwurf.

Erst etwas knarzig, leicht steif in den Gelenken, dann aber mit gebleckten Zähnen und wehendem Umhang, deutlich mehr Lautstärke als Vorband und sich dauerunterhaltende Zuschauer, zu nicht unerheblichen Anteilen in frisch gekauften 90er-Jahre oder DFB-Shirts, und Jahrmarktsmengen an Licht.
Gegen den dann knapp zweistündigen Großangriff aus Oper, Stadionrock und Musikgeschichte halfen kein Kraut, keine Brezel und keine Klamottenverfehlungen.
Souverän bis bissig bis verquast saiten- oder trommelverliebt abgespacet ballerten SM in Nachfolge von unter anderem Olé Party, Roland Kaiser und Rod Stewart Ladung um Ladung Vergangenheit in das mit Mut zur Lücke gefüllte Arenchen, so dass im letzten Viertel der Heimsuchung immerhin die Ü50er ihre Sozialarbeiterfox aufführten.

Vielen anderen genügte dann aber wohl auch nur der Blick durchs Handy auf die veitstanzenden Bühnenlichter. Statt geballt zu werden, umklammerten Fäuste da lieber tsatsikitropfende Haufen Raspelfleisch, die es auf der kleinen Kirmes oberhalb neben Weißweinschorle, Sitzkissen und Merch zu kaufen gab. So gesehen alles sehr 2024.
Best of-Shows haben stets etwas von Raclette zu Silvester und Blättern im hinteren Teil der Sonntagszeitung, aber an diesem Abend unter der Woche unterhielt die in den letzten Jahrzehnten bestimmt schon hundertfach gespielte Horrorshow mehr als das Meiste in dieser Nichtsstadt das komplette Jahr über.

Insofern – besten Dank, Herr Vlad Corgan und auf Wiederhören, unerwartet in irgendeiner anderen Nacht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit andernorts.

Philipp Nussbaum

Donnerstag, 27. Juni 2024

Schön, wenn Leverkusen Hardcore dokumentiert wird Pt. IVX



...Like this! (Beyond Music: Lars, Nils, Axel, Jan, Volker, PQ" Part 1.)

Das Schöne am Schreiben für einen Zine-Blog wie diesen hier, ist, dass einem Aktualität komplett egal sein kann.
Klar ist es schön, neue, gerade erschienenen Platten zu besprechen, um ganz vorne dabei zu sein.
Aber mal ehrlich, notwendig ist das nicht.

Hier geht es nicht um Musikjournalismus, der eine gewisse Tagesaktualität als Anspruch hat, denn
1.) sollte Fanzine machen meiner Meinung nach nie einem Zeitdruck oder Aktualitätszwang unterliegen (wenigstens ein Medium sollte dem den Akteuren innewohnenden Slackertum gerecht werden) und
2.) verdient hier ja keiner Geld, ergo gibt es auch keinen Druck von irgendwelchen Werbekunden, dass man die oder jene gerade erschienene Scheibe besprechen müsste. Zeitnah am besten. Zeitnah. Ein ebenso schönes wie beschissenes Wort.

Was mich zu der vor mir liegenden Doppel-CD bringt. Die liegt hier schon länger rum, genauer gesagt, hat sie mir Jan vom TRUST 2020 zur Rezension zukommen lassen . Nun komme ich mal dazu, so kann's gehen. Geht es dann ja auch.
Also, was haben wir hier? Ein Zeitdokument könnte man es nennen, denn hier wird eine - oder vielleicht auch die? Keine Ahnung, ob es mehrere Szeneblasen da gab - Hardcore-Szene aus Leverkusen Mitte der 90er Jahre mit diversen Aufnahmen nachgewiesen.

Auf zwei CDs bekommt man einen ganzen Sack voll Aufnahmen von Bands wie John Hillerman (noch nie gehört), Beyond a Minority (kenn ich nicht), Leviathan (Noch nie gehört), Infamous Minds (kenn ich nicht), Melodic Coeroperation (noch nie gehört), Don't call me Nilsi (kenn ich nicht), The Optimist Club (noch nie gehört) La Pistola (kenn ich nicht), The Pomplautzki Expierence (???), U-Boot (noch nie gehört), Betty (kenn ich nicht), New Punkrock Elite (noch nie gehört), Die Pastellbrüder (Kenn ich nicht) geliefert.
CD 1 ist dabei ein Konvolut von Live-Aufnahmen, während CD 2 die Aufnahmen eines Tapesamplers namens "FVS goes Heavy" und eine Single namens "Fuck Music for Fuck people" zusammenfasst.

Musikalisch erinnert mich das schon an das, was Mitte der 90er oft in NRW, in den Vororten, den Reihenhaussiedlungen zu hören war. Wütender HC, der Art, wie man ihn auf Festivals wie dem Dynamo oder ähnlichem zu hören bekam, melodischer Punkrock, weil alle gerade voll auf Bad Religion (das Cover ist eh eine Referenz an deren erstes Album) abfuhren, Schlager-Indie-Dada, weil alle Helge Schneider und das 70er-Schlager-Revival gerade toll fanden. Grindcore auch. Vieles mit einer irgendwie metallischen Gitarre versehen, die im Nachhinein echt dünne klingt.

Ich kann es mir richtig vorstellen, was für Klamotten dazu getragen wurden: Kapus und Shirts von Sick Of it All, Nirvana, Biohazard oder NOFX. Baggy Pants. Dazu grungy lange Haare und irgendwer hat immer sein Skateboard dabei gehabt.
Gesoffen und gekifft wurde wahrscheinlich auch und somit unterschied sich die John-Hillermann-Clique wohl nicht allzusehr von den 90er-Punkblasen in anderen nordwestdeutschen Mittelzentren.
Diese Compilation erinnert mich an den ersten Tapesampler, den ich je rausgebracht habe. Hieß "Hamm is just a 4-letter word" und sollte einen Blick auf die Indie/Punkbands, die eben aus Hamm/Westfalen, also meinem unmittelbaren Sozialraum, kamen. Da es dort keine einheitliche Szene gab, wurde es ein bunter Teppich aus Bands, die Metal, Punk, Indie, Fun-Punk spielten. Ähnlich wie auf dieser Compilation.

Wählerisch konnte man nicht sein und auch auf dem "..Like This"-Sampler ist es ähnlich. Teilweise sehr unterschiedliche Bands, die den oben genannten Genres entsprechen. Es ging mehr darum, den geographischen Raum musikalisch abzubilden, anstatt unterschiedliche Facetten einer Musikkategorie darzustellen. Was auch nicht möglich gewesen wäre, in Hamm genausowenig wie in Leverkusen, weil es eben zuwenig Bands von einer Gattung gab. Da wäre schnell Schluß gewesen mit Sampler machen. Aber so schöne Terence Hill/Bud Spencer-Intros hatten wir damals nicht.

Diese "Like This"-Doppel_CD ist in erster Linie eine nettes Nostalgie-Zuckerbrot für alle Beteiligten - augenscheinlich nur Typen, oder sehr wenige Frauen - ob sie einen größeren Wissensgewinn für die Darstellung von Punk in Deutschland in den 90ern darstellt, müsste man diskutieren. Ich nehme die Position "Wohl eher nicht" ein.

Aber vielleicht ist dies nur ein Teil eines größeren Panoramas, wenn der die deutschsprachige Indie/Punk-Musiklandschaft vor 25-30 Jahren dargestellt werden soll.
Ich versteige mich wohl nicht, wenn ich zumindest behaupte, dass es sich dabei nicht gerade um revolutionäre Klein-Szenen handelte, die musikalisch einzigartiges geschaffen haben. Wir waren halt pickelige weiße Mittelschichtskids, die ihren Spaß haben wollten. Das hat jeden ganz woanders hingeführt. So kann's gehen.

Gary Flanell

Donnerstag, 20. Juni 2024

Da kann aber die Band jetzt nichts für Pt. XXI

Meine Schulter riecht nach Teer. Zugsalbe. Hab da ein Pickel. Das riecht auch die Frau, die neben mir steht, denn sie schaut skeptisch zu mir rüber. Man riecht sich hier sehr schnell, weil der Frannz Club, in dem wir uns gerade befinden, ausverkauft ist.

400 Leute sind hier, und alle wollen NICHTSEATTLE bei letzten Konzert ihrer "Haus"-Tour sehen. Die Platte ist cool, ich hör mir das zuhause gern mal an, wenn ich was ruhiges haben will. Über die sehr gute "Fleißig"-Single habe ich mich ja schon vor einiger Zeit hier ausgelassen.


Ich bin hier allerdings eher zufällig, denn JENS AUSDERWÄSCHE von BAUMARKT spielt vor NICHTSEATTLE und hat mich auf die Gästeliste gesetzt. Der Frannzclub macht schon am Eingang nicht den sympathischsten Eindruck. Halbvolle Wasserflaschen müssen abgegeben werden, Kollege Huber wird es verweigert, ein paar Flyer seiner Bookingagentur an der Garderobe auszulegen. Die stellen sich ganz schön an hier.

Drinnen dann erster Halt bei der Frau, die meine Schulter riecht. Ich mag den Geruch von Teer und auch wenn der streng ist. Es ist ein geiler Gestank. Werde mich demnächst mal komplett mit Zugsalbe einreiben und dann auf einen Keller-Rave gehen.
Ich schiebe mich weiter nach vorne, um zu sehen, was JENS AUSDERWÄSCHE so auf der Bühne macht. Nur mit einer Akustik-Gitarre sitzt sie barfuß auf einem Hocker. Bringt ihre leicht verträumten, man könnte sagen, angenehm versponnenen Songs in den unsympathischen Club. Das Publikum klatscht nach jedem Song höflich bis zurückhaltend. Zugabe wird nicht gefordert.


Als NICHSTEATTLE anfangen, bin ich irgendwie rechts neben der Bühne an der Bar gelandet. Treffe dort YXILONIA, eine alte Freundin, bei der ich mich sehr lange nicht gemeldet habe. Dafür gibt's Gründe, aber die gehören nicht hierher. Wir kommen ins Reden, auch als NICHTSEATTLE den zweiten, dritten Song spielen. Wir reden über das Hamburger Internat und die dazugehörige Doku, über die gerade alle diskutieren. Über die Schluffiklamotten der Musiker*innen auf der Bühne, die so grunge-slacker-mäßig aussehen, wie ein Hamburger-Schule-Reenactement. Über die Tatsache, dass die Band recht jung ist, der Großteil des Publikums, aber recht alt. Wir ja auch. Warum die Band keine jüngeren Leute im größeren Maß anspricht. Warum wir nicht mehr in so komischen Tocotronic-Oma-Klamotten rumlaufen würden. Wir lachen recht viel.

Dann neben uns ein empörter Einwurf von links. Unsere Gespräch sei doch eher kontraproduktiv für die Atmosphäre. Wir sollen doch gefälligst mal ruhig sein.
Das kommt von irgend so einem Pferdegesicht in Adidasjacke mit Goldstreifen. Steht da mit seinem versträhnten Freund in Trainingsjacke rum.
Oha. Wir quasseln also zuviel und zu laut. Na sowas. Wir sind ziemlich baff, wegen der rüden Ansprache und der Tatsache, dass wir ja hier auf einem ausverkauften Clubkonzert sind, wo mit ein paar Hintergrundgeräuschen zu rechnen ist.

Ganz Sozialarbeiter versuche ich mich rasch an einem Perspektivwechsel. Wie wäre das, wenn ich auf einem Konzert wäre, und neben mir quatschen zwei Leute für mich zu laut? Wie ich reagieren würde, weiß ich nicht genau. Ich weiß aber, dass ich andere Leute nicht zurechtweisen würde wie eine doofe Deutschlehrerin. Wahrscheinlich würde ich entweder woanders hingehen oder das einfach akzeptieren.
Gehört zum Konzert mit 400 Leuten nun mal dazu, dass sich Leute unterhalten. Die Adidas-Jacke schaut uns nochmal böse an und gibt sich dann mit ihrem fransenhaarigen Boyfriend wieder der Atmosphäre hin. Wir wispern noch ein wenig, bis YXILONIA sich eine Sitzgelegenheit sucht.

Dieses Gemecker hängt mir nach. Meine Fresse, "Kontraproduktiv für die Atmosphäre". Ich war vorher schon genervt von einem langen Arbeitstag. Dann vom scheiß Prenzlauer Berg, der mir bei der Fahrt durch Husemann- und Sredzkistraße und seinen Edel-Restaurant-Altbaufassaden immer abgehobener und arroganter erscheint. Einem Stadtteil, der sich echt zum Schlechten entwickelt hat. Vom Frannzclub. Vielleicht bin ich auch einfach müde und deshalb schlecht gelaunt.

Und dann stehe ich auf einem Konzert, voll mit Leuten, die ich allein vor ihrer Art ebenso schnöselig und doof finde wie diesen Kiez und deswegen allesamt in diesem Reichenghetto Prenzlauer Berg wohnhaft verorte. Alle zusammen hier im Laden kriegen wir sicher 1000 Menschenjahre zusammen, ich nehme schon mal 50 davon. Trotzdem ist mir der Großteil dieser Menschen fremd und eigentlich finde ich 395 von den 400 Leuten in diesem Laden scheiße. Grundlos. Andererseits: Eigentlich mal wieder ganz geil, wegen nix Scheißlaune zu haben.

NICHTSEATTLE spielen derweil ihren zart-melancholischen Indie-Rock/Pop mit PJ Harvey-Versatz souverän runter. Da sitzt alles perfekt, kein schiefer Ton, kein versauter Einsatz, alles gut, aber eben auch keine Unberechenbarkeit. Sie sind so gut eingespielt, wie es am Ende einer Tour sein sollte. Eigentlich genau wie auf Platte. Tja.



Der Band ist kein Vorwurf zu machen, dass ich mich hier nicht wohlfühle. Eher dem Publikum. Ich finde die Pärchen scheiße, die bei den romantischen Klimpersongs nicht gestört werden wollen und damit eine angestrengte Atmosphäre kreieren, die nach Stock im Arsch riecht.
Ich finde aber auch die rücksichtslosen Typen scheiße, die sich wie selbstverständlich an allen anderen vorbei immer weiter Richtung Bühne bohren, OBWOHL offensichtlich kein Platz mehr ist und damit kleineren Menschen auch den letzten Blick auf die Bühne nehmen.
Wie gesagt, alles meine Alterskohorte, daran liegt es nicht. Ich befürchte, hier drückt mich eher der Klassismus, denn wir sehen hier ein eher gutbürgerliches Publikum. Gut gekleidet und frisiert, bissl alternativ, aber stilvoll, nicht zu schick, aber man kann das Geld schon erkennen.

PrenzlBergbewohner*innen halt. Leute, die in den Wohnungen sitzen, die NICHTSEATTLE meinen, wenn sie von "arschhohen Decken singen". Und die nicht verstehen, dass genau sie angesprochen sind. Leute, die auch "Bodentiefe Fenster" nicht verstehen würden. Keine Alkis, keine Kern-Assis im äußerlichen Sinn. Die wahrscheinlich auch Max Giesinger und den ganzen Deutschpop-Poetenscheiß gut finden. Und früher mal "die Tocos" (lach!). Und deshalb eben auch NICHTSEATTLE. Wegen der Musik, nicht wegen der Texte.

Das triggert was in mir. Eine große Abneigung gegen ähnliche Typen, gut gebildet, gut aussehend, gut verdienend. Meistens von Haus aus. Schick. Aber irgendwie auch unglaublich uncool. Langweilige Gestalten allesamt. Ich habe das Gefühl, der ganze Club ist voller Lehrer und Lehrerinnen. Sind im Frannz wahrscheinlich nur wenige, aber meine Knöpfe sind jetzt gedrückt: Ich find hier alle scheiße. Vielleicht finde ich deshalb auch den ganzen Prenzlauer Berg mittlerweile scheiße, und vielleicht ficken mich da meine Herkunft und meine Erfahrungen seit langer Zeit mal wieder ganz hart.

Irgendwann mache ich die Augen auf. NICHTSEATTLE bringen gerade den "Frau sein"-Song. Auch der voller Gefühl und zart gespielt, wie alles. Kennen hier auch alle und finden alle dufte. Die Sängerin hat schöne Hände, das sieht man beim Gitarre spielen deutlich. Die Musiker*innen alle nett und zurückhaltend, ganz ohne Posen. Ist das an sich schon eine Pose? Ich merke, dass mir jetzt schon zweimal im Stehen die Augen zugefallen sind. So spannend ist das hier. Wäre aber bei jedem anderen Konzert genauso. Also gehe ich, bevor ich komplett einschlafe. Zuhause lege ich eine Platte von LA TWAL auf. Das bringt Ruhe rein.



Wenn NICHTSEATTLE irgendwann wieder in kleineren Läden spielen, so mit 100 Leuten, alles ein bißchen stinkiger und kaputter, dann schau ich wieder mal rein. Aber sicher nie mehr im Frannz. Bis dahin reicht mir das auf Platte. Da kann aber die Band jetzt nichts für.

Gary Flanell

Donnerstag, 13. Juni 2024

Aus die Maus Pt. I


Ingo Scheel - Schlussakkord

Der Tod gehört zum Leben. Wissen wir alle.
Fun Fact: Der Tod gehört auch zur Popkultur. Beide gehen eigentlich schon seit den Anfängen in einer Beziehung durch die Zeit. Dabei ist natürlich das Tragödienhafte beim Tod eines Popstars das Wesentliche. Optimalerweise muss es ein Tod in jungen Jahren sein.

Klar, wenn der letzte Beatle an Alterschwäche stirbt, Keith Richards sein letztes Blues-Lick gespielt und Johnny Rotten zum letzten Mal rumkrakeelt hat, dann ist das auch tragisch. Aber anders. So tragisch, wie der Tag, an dem Oma und Opa stirbt. Irgendwann passiert es halt und damit müssen wir alle lernen, umzugehen. All die Musiker, die es über die Mitte 50 geschaft haben, sind halt nicht mehr so aufsehenerregend.

Es gibt Verschwörungstheorien, dass Elvis noch lebt und irgendwo in Texas als Tankwart arbeitet (naja, jetzt mit 89 Jahren wohl auch nicht mehr). Sowas gibt es beispielsweise von Tina Turner oder Johnny Cash nicht. Weil die halt alt und auf medizinisch nachweisbare Weise gestorben sind. Somit war damit zu rechnen.

Würde Taylor Swift in den nächsten zwei bis drei Jahren sterben - was nicht zu wünschen ist - will ich mir gar nicht ausmalen, was für absurde Theorien über ihren Tod oder dessen Vortäuschung ins Kraut schießen würden. Live fast, die young bleibt somit der beste Dünger für Pop-Mythen.


Also: Die Mythen und die Geschichten bilden sich um jene, die früh gestorben sind. Da das Leben als Pop/Rockstar immer eine ordentliche Dosis Exzess und Exzentrik beinhaltet, dazu oft eine grundlegende Unruhe, Weltschmerz, Depression und fiebrige Nervosität, inklusive der Neigung gute Ratschläge nicht anzunehmen UND der menschliche Körper für so einen Lebensentwurf eher schlecht gemacht ist, gibt eine Menge Künstler*innen, die schon früh und sicher oft unabsichtlich von der Bühne gegangen sind.

Hinzu kommt aus der Perspektive der Fans sicher die tragische Fallhöhe. Denn der/die Popstar hat aus dieser Sicht ja eigentlich alles: Aufmerksamkeit, Ruhm, Talent, meist jede Menge Geld und ein gutes Netzwerk, um bis in das Rentenalter weiter Musik zu machen. Dazu wird ihm/ihr oft die Freiheit zugeschrieben, ab einem gewissen Erfolgslevel, künstlerisch eh alles machen zu können, was man will, weil sich jeder Output sowieso millionenfach verkauft.

Und trotzdem: Wenn ein Popstar trotz all dieser Vorraussetzungen frühzeitig aus dem Leben gefetzt wird (Ich hörte Buddy Holly ist mit seiner Brille verwest, aber genau weiß ich das nicht), dann ist Tragik angesagt. Und die verkauft sich natürlich besonders gut.
Andererseits gehört auch dazu, dass ein Star, der früh gestorben ist, nunmal keinen Scheiß mehr produzieren kann. Ökonomisch zynisch und wunderbar zugleich. Die Hits werden in Erinnerung bleiben und mögliche experimentelle Peinlichkeiten sind nun ausgeschlossen. Ein Film, ein Biopic, eine Doku, ein Konzertmitschnitt, ja das geht natürlich nach einer gewissen Zeit auch immer.


Sagen wir mal 20 Jahre danach, das passt doch, da fangen wir jetzt mal langsam an zu planen, dann wird das spitze. Kunsthandwerklich topfitte Coverbands können dazu aus dem vorliegenden Werk ein auskömmliches Einkommen genenerieren. Des Popstars früher Tod ist also keine so schlechte Fügung, vom zynischen Hochstand der Marktwirtschaft betrachtet.

Wozu reflektiere ich das hier alles? Weil Ingo Scheel, umtriebiger Musikjournalist (u.a. Visions), mit "Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" eine unterhaltsame Sammlung von Episoden über tote Rockstars zusmmengetragen. Die Idee ist nicht ganz neu, aber genau deshalb ist es einen Blick wert, ob und was hier anders oder besser gemacht wurde.

Episodenhaft werden hier 30 popkulturelle Todesfälle dargestellt. Die Rahmendaten zu fast aller hier aufgeführten Personen kann man heutzutage bei Wikipedia abfragen. Ingo Scheel schafft es aber, die Lebens- und Todesumstände jedes Mal in kleinen Geschichten sehr unterhaltsam und bildlich darzustellen. Dass dabei die üblichen Verdächtigen (John Lennon, Janis Joplin, Jim Morrisson, Brian Jones, Whitney Houston) am Start sind, ist nicht verwunderlich.

Das schöne an diesem Buch ist, dass auch ein paar Menschen dabei sind, die halt nicht zum ewig gleichen Kanon der Jung-verstorbenen Popstars gehören: Mal Evans, Cathy Wayne oder Darrell Banks werden hier gebührend geehrt. Die sind eben oft nicht mit dabei, wenn man auf einer langen Autofahrt mal wieder das A-Z-Spiel der toten Rockstars spielt.


Auch schön die Tatsache, dass Scheel sich weder an ein Genre klammert, (von Metal über Rock/Pop, Soul bis zu Schlager ist alles dabei. HipHop allerdings gar nicht), noch eine zeitliche Einschränkung macht. Von den 50ern ins ins 21. Jahrhundert finden sich viel zu früh verstorbene Pop-Akteur*innen.

Was mich ein wenig irritiert, sind die Cliffhanger am Ende jedes Kapitels, die jeweils auf den nächsten Abschnitt im Buch hinweisen. Das ist sicher nett gemeint, allerdings bringt das manchmal auch einen gewissen "Geschichten aus der Gruft"-Trashfaktor mit rein. So nach dem Motto "Seltsam, aber so steht es geschrieben..."

"Schlussakkord" muss man nicht an einem Stück von vorne nach hinten lesen. Ich habe, wenig überraschend, mit dem Kapitel über G.G. Allin angefangen. Andererseits verführen diese Cliffhanger dazu, einfach weiterzulesen, obwohl man eigentlich nun mal was ganz anderes zu tun hätte. So lässt sich das Buch doch gut an einem Stück wegbingen. Es ist unterhaltsame, leicht morbide Lektüre, nicht zu verkopft und alles in schönen kleinen Häppchen verpackt. Dazu grafisch hübsch aufbereitet durch die stilvollen Schwarzweiß-Illustrationen von Oliver Schmitt. Quasi eine popliterarische Tüte Chips über den Tod. Hat man schnell weggemampft. Lecker it is.


Eine Sache, über die zu sprechen wäre, ist das Geschlechterverhältnis der Aufgeführten: 30 Texte sind drin, davon neun über Frauen. So richtig ausgeglichen ist das nicht, andererseits hätte das auch noch viel schlimmer aussehen können.
Ein Buch nur über tote Rockstar-Männer wäre aber heutzutage sicher nicht mehr zu vermitteln. Es ließe sich auch darüber nachdenken, ob und warum sich Männer im Pop-Business öfter ins Aus schießen. Wenn es dazu belastbare Zahlen gibt, würde ich vermuten, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Männer im Pop teilweise so hart sind, dass sie nur noch durch heftige Betäubung bis zum Tod auszuhalten sind. Was wiederum zeigt, dass das Patriarchat uns alle fickt. Frauen aber nochmal mehr als Männer, eh klar. Ok, vielleicht war es manchmal auch einfach unbedarftes Herumexperimentieren mit Drogen.

Noch was? Ja. Die Auswahlstrategie der Künstler*innen, die es ins Buch geschafft haben, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar: Ganz viele weltweit Bekannte aus dem anglo-amerikanischen Raum, klar. Aber eben auch Alexandra, die nun mal Schlager gemacht hat und nur hierzulande einen gewissen Status hatte. Aber wie passt sie in die Reihe der anderen? Wahrscheinlich geht es um das Mythenhafte, eben darum, welcher Frühtod eine gute Story hergibt. und das ist nunmal eine Kerneigenschaft von Pop - die gute und tragische Story hinter der Figur auf der Bühne. So gesehen war Ikarus wahrscheinlich der erste Popstar.

Natürlich ist so ein Buch nie komplett.
Wenn man ein wenig überlegt, gibt es noch zig Leute, deren Geschichte hier erzählt werden müsste: Mia Zapata, Ian Curtis, Hillel Slovak, Fela Kuti, 2Pac, Notorious B.I.G. fallen mir als erstes ein. Hinzu kommt, dass Scheel sich meist auf die historisch bekannten Popszenen des anglo-amerikanischen Raumes konzentriert. In Zeiten von globalisierter Popkultur wäre ein Blick auf die tragisch verstorbenen Popstars in Asien, Afrika, Südamerika oder auch Europa (Ost und West) sicher interessant. Aber das bleibt möglicherweise eine Option für eine Fortsetzung der Schussakkorde.

"Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" von Ingo Scheel ist im Ventil Verlag erschienen.

Gary Flanell

Donnerstag, 6. Juni 2024

Schön, wenn Punkbands noch Live-Platten rausbringen Pt. XIXIXIXI


G31
Live auf St. Pauli


Was ist das denn für ein Bandname?
Klingt irgendwie nach Sonderabteilung der Geheimpolizei, oder so? Steht aber im Endeffekt nur für Gärtnerstraße 31, der Proberaumadresse dieser Band aus Hamburg. Und die haben bereits zwei Studio-Alben veröffentlicht. Es ist also dringend an der Zeit für ein Live-Album…

Naja gut, in der Regel machen das hat Bands, denen nichts mehr einfällt gegen Ende ihrer Karriere. Aber das unterstellen wir den fünf HanseatInnen mal nicht. Aufgenommen wurden die zehn Songs des Albums im Indra beim „St. Pauli Punk Festival“ im vergangenen Jahr.

Somit handelt es sich um ein Heimspiel der Band, das diese auch als solches solide ins Ziel bringt. Auch wenn so manche Ansage ein wenig befremdlich klingt und hier und da das ganze doch etwas arg rüpelig, so versprühen G31 durchaus Charme. Und Sympathiepunkte sammeln sie auch mit ihrem Deutschpunk auch ein.
Vintage-Freunde mit Hang zur Retrospektive finden sicher sofort Gefallen an Songs wie „Punkern gehen“, „Revolution spielen“ oder Flaschenwerfer“. Das erinnert stark an die 80er Jahre und Bands wie Hans-A-Plast, Rotzkotz oder Bluttat. Sängerin Mitra sorgt da schon für Authentizität. Die raue Produktion tut ihr übriges. Nennen wir es Zeitdokument oder ein weiteres Puzzlestück der großen Hamburger Punk-Historie.

Abel Gebhardt

G31 - Live auf St. Pauli ist auf Bitzcore rausgekommen

Donnerstag, 30. Mai 2024

Schön, wenn Bärchen wieder Musik macht Pt. I


BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS

Die Rückkehr des Bumm!

Ok, so ganz langsam wurde auch mal Zeit, dass Bärchen und die Milchbubis den Nachfolger ihres Erfolgsalbums „Dann macht es Bumm“ (1981) unters Volk zu bringen.
Etwas mehr als vierzig Jahre sollten dann auch für die Arbeit an der Platte ausreichen. Aber gut, man hat ja auch neben der Musik immer so viel um die Ohren.
Kinderkriegen, Job, Sex, Hobbies, Oma werden.
Da kann die Band schon mal auf der Strecke bleiben.

But who cares. Jetzt ist also mit „Die Rückkehr des Bumm!“ der zweite Longplayer des ursprünglich aus Hannover stammenden Trios bei Tapete Records erschienen, die bereits 2021 mit „Endlich komplett betrunken“ eine Bis-Dato-Werkschau veröffentlichten.

Und sonst?
Auf jeden Fall ist der Band um Frontfrau und Punk-Maschine Annette Simons mit „Alles Falsch“ ein würdiger Nachfolge-Hit zu „Jung kaputt spart Altersheime“ gelungen.
Ein Song in bester Bärchen-Manier: Simple gestrickt, eingängige Melodie, pointierte Lyrics und somit ein Treffer direkt ins Herz. Bärchen Und Die Milchbubis haben bereits damals den Spagat zwischen frühem Punk und nicht-peinlicher Neuen Deutschen Welle hervorragend hinbekommen. Und das gelingt ihnen heute auch noch.



Nur heißt es heute „Kein Stress mit PMS“ und „Happy Bonbon“. No Future war halt doch gestern. Aber genug der Theorie. „Die Rückkehr des Bumm!“ Macht einfach Spaß und man kann die Band nur ins Herz schließen und knuddeln wollen. Auf der Bühne eh eine Wucht und Unterhaltungsbombe, den häuslichen Soundtrack bekommt man hier perfekt dazu geliefert.

Abel Gebhardt

Bärchen und die Milchbubis - Die Rückkehr des Bumm! ist auf Tapete Records erschienen.

Sonntag, 28. April 2024

Schön, wenn es in Wien noch schrammelt Pt. II


BAITS

All Filler No Killer

Ja, haben wir denn nun wirklich langsam das Grunge-Revival, dass Uli Seiler und sein Punk Rock Piano in gleichnamigem Song so schön heraufbeschworen hat?
Ich hätte nichts dagegen. Denn eigentlich muss ja alles wiederkommen. Manchmal zumindest.

Warum also nicht die karierte Flanell (!!!) - Hemden wieder ausgegraben und Kurt Cobain gehuldigt. Eine Vorliebe für den Rock aus Seattle können auch die BAITS aus Österreich nicht verhehlen. Auf ihrem zweiten Studio-Album „All Filter No Killer“ gibt sich das Quartett um Frontfrau Sonja ordentlich rockig, manchmal auch ein wenig punkig, ohne dabei aber nun allzu sehr zu übertreiben. Denn dazu ist die Musik dann doch ein wenig zu brav.

Oder liegt es an der Produktion, dem Tempo? Auf jeden Fall will der angebotene Vergleich mit AMYL & THE SNIFFERS und HOLE nicht so richtig funktionieren, denn da fehlt doch die entscheidende Portion Rotzigkeit und Aggressivität.
Nicht zu kurz kommt dagegen der Hard- und Schweine-Rock-Anteil im Sound der BAITS. Und somit ist die Spannbreite auch ganz ansehnlich, reicht sie eben doch von Grunge über Hardrock bis zu Meldody-Core, ohne einen gewissen Pop-Appeal außen vor zu lassen.


Und schauen wir uns noch die Lyrics an, da horche ich gerne hin. Denn Sonja thematisiert hier Dinge, die uns alle angehen. Vor allem soziale Gerechtigkeit bringen zu auf die Palme. Zu Recht. Da kann man sich dann auch mal den Frust darüber aus der Seele schreien. Und komm, es ist ja inzwischen schon fast eine Seltenheit, wenn es Musik aus Österreich zu uns rüber schafft und nicht mit Schamring Mundart-Bonus punkten möchte, sondern ganz profan mit englischen Texten vorgetragen wird.

Abel Gebhardt

BAITS - All Filler No Killer ist auf Noise Appeal Records erschienen.

Dienstag, 20. Februar 2024

ŽEN is space (for the cat)



Moonlee Records aus Slowenien fand ich schon immer geil. War zu Renfield-Printzeiten immer eine gute Quelle für Post-Punk, Noise-Rock und Indie und ähnliches aus den Post-jugoslawischen Republiken. Daran hat sich nicht soviel geändert, und zu den dort verlässlich abliefernden Bands gehören ŽEN, die gibt's gefühlt auch schon ewig und hier kriegt's niemand mit.

Jedenfalls: ŽEN haben eine neue Single raus, "NEDAMISE" heißt sie, und dabei geht es nicht nur am Anfang recht spacig zu. Man startet mit retromäßigem Sci-Fi-Gequietsche los. Dann hübsch verhallte und flirrende Gitarren, die legen sich geradezu verträumt über den Uptempo-Antrieb und die kroatischen Lyrics, diese auch mehrstimmig. Shoegaze nennt man solche Sounds wohl, hier würde Spacegaze sehr gut passen, das schenke ich ŽEN mal als Genrebezeichnung. Passende Szene im Film: Supertolles Raumfahrtgerät verlässt mit optimistischem Vollschub die Atmosphäre und macht sich auf in die unendlichen Weiten des Alls.
Später wird die Noise-Brennstufe gezündet. Genau zur richtigen Zeit. Ok, nicht so ganz überraschend, könnte aber in einer Indie-Disco kurz nach Mitternacht gut ins Gebälk krachen. Und dann haben sie noch diese süße Katze im Video, wer hatte nochmal eine Katze ins All geschossen? Der Dalai Lama?

Hinterher wieder viel halliges Gefiepe und Gesummse aus dem Sci-Fi-Soundkasten. Und dann ist's vorbei. Punktlandung geglückt, Applaus aus dem Kontrollzentrum. Captn CHROME und Commander LUSH nehmen die Helme ab und grüßen respektvoll, direkt auf den Balkan. Jetzt hätte ich doch mal wieder Lust auf eine ganze ŽEN-Platte.

Montag, 19. Februar 2024

Schön, wenn aus Wien Musik kommt Pt. III

ZINN - Chtuluzän

Gerade vor ein paar Tagen aus dem Kino gestolpert. Vorher ins Kino gestolpert und "Rickerl" angeschaut, diesen hübsch traurigen Film mit Voodoo Jürgens. Spielt in Wien, und zeigt mal wieder, dass in Österreich kontinuierlich sehr gute Musik entsteht. Als großer Wien-Fan freut es mich somit, dass die umtriebigen Menschen von Staatsakt eine weitere sehr gute Band aus Wien aufgetan haben: ZINN. Drei Frauen, die schwarz nicht nur als Lippenstift tragen.
Ich will die geografische Herkunft nicht als Qualitätsmerkmal herauspolieren, denn auch in Wien gibt es sicher langweilige und doofe Bands. ZINNs erstes Album "Chtuluzän" ist mehr als ein Zucken mit der Augenbraue wert, als nur durch die Tatsache, dass sie aus Wien kommen.


"Chtuluzän" - was mag das denn sein? fragt sich der chipsfutternde Popkultur-interessierte Mensch auf der Couch. Es lohnt sich ein Blick ins Werk der feministischen Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway, die den Begriff eingeführt hat, um das derzeitige Zeitalter zu benennen. Hier mal die Brühwürfelversion mit Vergleichen.
Irgendwas mit -zän am Ende kommt immer gut, wenn man ein Erdzeitalter beschreiben will. (Dad joke zum Thema: Die drittn Zän, zum Beispiel, hö.). Und wenn dann noch Chtulu davor steht, so als H.P. Lovecraft-Verweis, dann entsteht schnell der Eindruck, dass die damit beschriebenen Umstände monströs sind und somit eh alles fürn Oarsch ist. So pessimistisch ist der Begriff Chthuluzän von Haraway allerdings nicht gemeint, eher als Alternative zum Begriff des Anthropozäns. Ein Begriff mit Lovecraft-Referenz klingt assoziativ allerdings erstmal nach horrormäßigem und komplettem Kontrollverlust und Weltuntergang - so aus Menschenperspektive. Kann aber auch Vorteile haben: Weltuntergangsszenarien waren oft ein gutes Thema fürs Songwriting.

Wie das ist, wenn alles verloren geht, wussten schon einige Musiker*innen aus Wien sehr gut in Musik und Worte zu fassen. Das war dann manchmal auch ganz lustig. Auch ZINN sind darin zuweilen sehr gut. Vielleicht hat es doch was mit der musikalischen Früherziehung oder dem Trinkwasser in dieser Stadt zu tun.
Chtuluzän klingt also cool und fatalistisch gleichermaßen und ist somit definitiv geeignet, um in popkulturellen Zusammenhängen verwendet zu werden. Vielleicht als Warnung, dass wir schon längt in monströsen Zeiten leben? Ich würde das derzeit unterschreiben.
Bezogen auf ZINN könnte man auch gut die griechische Mythologie bemühen: Sind diese drei Musikerinnen popkulturelle Sirenen, die verführerisch und tödlich irgendwelche Helden ins Elend ziehen? Oder sind sie die popkulturellen Erinnyen, die Rache suchen, zornig, ewig jagend, ewig sich rächend, z.B. am Patriarchat (schwer dafür!) oder an der Menschheit an sich?

Es wäre passend, denn bedrohlich ist hier einiges, vgl. "Heiliges CO2".
Zumindest äußern sie ihren Unmut nicht so plakativ, wie viele Punk-Bands, die - sicher ehrlich und löblich, aber auch ein wenig zu offensichtlich - gegen das Elend der Welt anbrüllen. ZINN, und das ist das Schöne an der ganzen "Chtuluzän"-Platte, geben sich eher schleichend, verführerisch und düster, sodass es bedrohlich und attraktiv zugleich wirkt.
Alle Vorsicht nützt nichts, diesem dunkel-süßen Charme kann man sich schwer entziehen. Hier klingt vieles nach Schwermut, nach Goth ohne Goth-Kitsch und Post-Punk wie ihn Siouxsie Sioux zelebriert, gerne mit einem guten Chanson-Spritzer garniert (z.B. bei der "Seeräuber-Jenny". Jaja, so ein Brecht-Touch ist auch mit drin, drunter machen sie's nicht.). Auch die Wut früher Frauen-Punkbands und eine gut präsentierte Systemkritik, die in mächtige Sounds gehüllt wird, zum Beispiel in "Kapital", spielt oft mit rein.


Dazu hat "Chtuluzän" auch oft diese morbide, lethargische Langsamkeit, die an DIE HEITERKEIT erinnert. Ist vielleicht kein Zufall, dass beide Bands ihre ersten Alben bei dem gleichen Label herausgebracht haben.

Morbide: Übrigens auch so ein Wort, das oft mit Wien, den Wiener*innen und den ihnen zugeordnetem Humor verbunden wird. Als müsste man an den Wiener Schulen automatisch ein Halbjahres-Praktikum bei den Friedhofsbetrieben machen.
Es sollte bei aller Desperatheit in Wort und Ausdruck aber nicht der Fehler gemacht werden, ZINN für eine schaurig-lustige All-female-Halloween-Band mit gemütlichem Wiener-Kaffeehaus-Schmäh zu halten. Dafür sind ihre Aussagen zu den Umständen doch zu ernsthaft.
So bin ich fast geneigt ihnen zu glauben, dass wir wirklich in einem Chtuluhaften Zeitalter leben und somit eh alles verloren ist. Oder fürn Oarsch, sucht's euch halt aus. Sollte dem so sein, entschuldigt mich für einen Moment, ich muss nochmal kurz ins Bad, meinen schwarzen Lippenstift für das stilvolle Ende auflegen.

Barry Tomorrow

"Chtuluzän" ist am 09. Februar 2024 auf Staatsakt erschienen.



Foto Zinn: Apollonia Theresa Bitzan

Samstag, 17. Februar 2024

Schön, wenn Stumpf Sand macht Pt.IVMXI

Stumpf - Sand
Die Steinlawine rollt langsam los. Erst nur ein paar Kiesel, aber dann schlagen die Felsen stumpf aneinander, ganz nah am Ohr.
Aber man will den Kopf nicht einziehen, sondern eine angenehme Bedrohlichkeit lockt den Hörer und die Hörerin. Man will Teil der Entropie werden. Eine taumelnde Unwucht bildet schließlich doch einen ziemlich runden Kreis. Der Treibsand krallt sich an die Knöchel und vertrackte Snare-Figuren und drahtigste Basssaiten begleiten das eigene Versinken. Ruhe kehrt erstmal trotzdem nicht ein. Die A-Seite endet dramatisch in Feedbacks und dem Versuch sich zu erheben, aber es folgt immer wieder ein Sturz auf die schon längst blutigen Knie.


Nach der Halbzeit ist die Soundwelt zwar noch die gleiche, kalt und klar, aber es ist sowas wie Tag geworden. Nachdem man so richtig vermöbelt wurde, kann man sich nun langsam wieder aufrichten und voran schleppen. Vermutlich Richtung Strand, aber ob es zum Surfen reicht, ist ungewiss. Das Humpeln ist noch deutlich spürbar, aber es ist ein emanzipiertes Humpeln geworden. Der Kopf nickt. Entlassen wird man in eine weite Landschaft, in der kein Echo hallt. Erschöpft wandelt man ziellos dem Ende entgegen. Herrlich demoliert.

Asja Skrinik

Stumpf - Sand erscheint am 12.03.2023 digital und auf Vinyl auf edelfaul recordings.

Dienstag, 23. Januar 2024

Schön, wenn arbeitende Menschen auch noch Musik machen Pt. I


Im Regal hinter mir steht ein Buch mit dem Titel "Paradoxien der Arbeit".
Habe es noch nicht gelesen, bin abends immer zu müde und kann mir nur noch irgendwas auf Netflix in die Augen schrauben. Allein vom Titel her aber genau mein Buch.
Es geht ja schon mit der Begrifflichkeit los: Sagst du Lohnarbeit oder nur Arbeit? Wenn du nur Arbeit sagst, meinst du trotzdem die Art von Arbeit, für die es Geld gibt - und man unterstellt dir vielleicht, deinen Marx komplett gelesen zu haben.

Du meinst sicher nicht Pflege-, Care- oder Hausarbeit (die du machen musst, willst du nicht die berühmte Madenkolonie unter dem Bett haben).
Diese Lohnarbeit, die strukturierte, die ganze Wochen des einzigen Lebens, das du gerade hast, aus- und verfüllt; diese Arbeit bleibt in ihrer notwendigen Menge, dem Zeit- und Energieaufwand oft zwiespältig. Oder gar scheiße? Vor ein paar Monaten hätte ich das noch mit voller Inbrunst unterschrieben. Habe sogar allgemein über den Zweck von regelmäßiger Lohnarbeit gezetert. Habe Songs darüber geschrieben und morgens rausgebrüllt, meist war es der Blues (vgl. Gary Flanell - "Scheiß Lohnarbeits-Blues").

Nun ist es so, dass die Routine wirkt: Ich bin zufrieden mit meinem Job. Es gibt Geld, Struktur und Anerkennung und wirklich guten Kaffee. Ok, Geld ist auch Anerkennung, aber wenn das was du tust, von deinen Kolleg*innen als gut angesehen wird, dann ist das the groovy kind of Anerkennung. Alles tutti Sahne und gut also, zumindest in diesem Lebensbereich. Und trotzdem, der Zweifel, ob das alles sinnig ist oder gewollt, bleibt. Wird bleiben. Immer ein bißchen. Der Blues zupft mich jetzt halt im Hinterkopf und nicht vorne auf dem Stirnlappen. Fast jeden Song, der diese Ambivalenz von Arbeit thematisiert, finde ich erstmal gut.

Aktuelles Beispiel: Die neue Single namens "Fleißig" von NICHTSEATTLE a.k.a. Katja Kollmann und Band. Textlich so ziemlich alles zusammenfassend, was es dazu im 21. Jahrhundert zu sagen gibt: Über das Abrackern, das Ungläubig Zugucken, auf das, was die anderen für einen Quatsch machen, um im Hamsterrad arbeitsfähig zu bleiben.


Allerdings liegt die Ambivalenz darin, dass es nicht mehr reicht, mit slackerhafter Verächtlichkeit auf all die Idioten zu gucken, die jeden Tag um 8 Uhr morgens im Büro sitzen, während man selber... ja was eigentlich tut?
Um 8 Uhr auch im Büro sitzen, allerdings in dem von deinem Jobcenterberater. Auch nicht cool.


Davon ab geht es hier nicht nur um Arbeit. Eher um das ziemlich häufig auftretende Gefühl, nie genug getan zu haben, immer was machen zu müssen, in der Affenbande der Selbstoptimierung mit durch den Dschungel zu rennen, um dieses Andauernd-was-machen zu müssen, vielleicht auch die dunkle selbstausbeuterische Seite des Prizips DIY (sage ich so und tippe abends um fast elf diesen Text in diesen Blog). Und um eben das Gefühl des "Reicht nicht."

Auf "Fleißig" geht Kollmann das Thema recht poetry-slam-artig an, direkt über die gezupfte unverzerrte E-Gitarre aus der Bob-Dylan-Schule drüber, wird sprechgesungen, ohne sich an HipHop ranzuschleimen und langsam schält sich noch ein Schlagzeug in den Wulst aus Melancholie und Wut. Die oft wiederholte frustig rausgeschrieene Erkenntnis "Ich bin immer so fleißig aber irgendwie... reicht's nicht." drückt schon so gut aus, wie sich die Lohnarbeitswelt im 21. Jahrundert allzu oft darstellt.

Und da könnte sich jeder angesprochen fühlen: Die Tramfahrerin, der vollbärtige Barkeeper hinterm Tresen in deiner Lieblingskneipe, die studentisch Beschäftige in der Unibibliothek, der Post-Doc-Mensch mit einer ganzen Reihe von befristeten Lehraufträgen, die Irgendwas-mit-Medien-Menschen, die Referendar*innen, die am Rande des Burn-Out-Vulkans durch ihre Ausbildung balancieren, freiberufliche Grafiker*innen, Schreiber*innen, Soundtechniker*innen, Musiker*innen, die Quereinsteiger*innen, die sich das mal alles ganz anders vorgestellt haben, die Homies bei Zalando im Lager, der Typ auf dem Wolt-Fahrrad vor dir... soviele Menschen.
Vielleicht sogar die Festangestellten im Öffentlichen Dienst, aber was weiß ich?
Ich stell jetzt den Wecker, muss ja morgen früh raus. Ihr kennt das. Nicht so früh, dass es weh tut... aber trotzdem.

Also: Neue Single "Fleißig" von Nicht-Seattle & Band ist raus, Album "Haus" (produziert von Olaf O.P.A.L.) kommt im April. Auf Staatsakt.
Darüber wird zu schreiben sein.

Gary Flanell

Samstag, 20. Januar 2024

Schön wenn Menschen noch Orgel spielen Pt. XXIIXX


E.T. Explore Me – Drug Me

Drog mich!
Los, komm schon, Drog mich!
Manche Albumtitel lassen sich einfach nicht 1:1 übersetzen, wie wir sehen. Funktioniert nicht.
Drog mich!
Was aber gut funktioniert, ist so orgelgetriebener Psychedelic-Garage Rock von diesen drei Niederländern. Finde ich ja fast immer geil, sowas. Sich nicht nur auf die Kraft der Twang-Delay-Reverb-Gitarre zu verlassen und das Soundspektrum etwas zu erweitern, da steig ich gerne sofort ein. Drog mich! Hier in den heiligen Renfield-Hallen stehen auch diverse Orgeln rum. Direkt neben mir eine Eco Tiger, leider an der ein oder anderen Taste etwas kaputt. Ist nicht so, dass ich wirklich spielen könnte, aber es geht mehr darum, Töne zu erzeugen, als den perfekten Boogie hinzulegen.
Drog mich!

Eine Tiger hat das Trio aus den Niederlanden nicht an Board, ihr Monster mit Tasten ist eine ACE Tone Compact, Orgelexperten werden jetzt sicher lustvoll aufstöhnen. Wenn es das Trum ist, das auf den Fotos vom Infoblatt zu sehen ist, dann ähnelt diese Orgel eher einer Weltmeister Orgel aus DDR-Zeiten (steht auch hier irgendwo im Eck), Feeling B hatten so ein Ding, und es wiegt ca. 35 Kilo. Heavy stuff also. Ich denke, gewichtsmäßig könnte das ACE-Tone-Moped ähnlich gelagert sein. Drog mich!



„Aber lohnt sich das denn? So schwere Instrumente, wo heute dein Handy 3000 verschiedene Synthiesounds basteln kann?“ fragen sich die Feingeister? Na sowas von. Denn schwere Orgeln machen schwer geile Sounds, zu irgendwas muss die verbaute Elektronik ja da sein. Drog mich! Bei E.T. EXLPORE wird’s mal eher fix und nach vorne gehend (Höre "Boots" oder „Noon“, das ist schon schlecht gelaunter Noise-Rock und „SIC“, mit der wunderbaren Kim Tee Lo als Gastsängern) oder eher schwül-mysteriös. THE LO-FAT ORCHESTRA wären so Büder im Geiste, denke ich. Wenn es ein wenig langsamer, rhythmischer und psychedelischer wird, macht „Drug me“ am meisten Spaß. Mir zumindest, hier auf dem Teppich liegend.
Drog mich!

Bestes Beispiel wäre „Lipstick vibrators“, auch weil da diese brummelige Stimme von Joost Varkevisser so geil rüberkommt. Zuweilen muss ich auch an HUGO RACE & THE TRUE SPIRIT denken. Drog mich! Bei denen wird ja auch viel bedeutungsschwanger gebrummelt und somit angenehm desperate Stimmung erzeugt wie kurz vorm Showdown im Spaghetti-Western. Das können Joost und die beiden Jeroens auch recht gut. Drog mich!

Achja, das Album heißt ja „Drug me“ (Drog mich!), aber die Verzückung funktioniert auch sehr gut ohne Zugabe von psychedelischen Substanzen. Wie ich feststelle. Was erst passiert, wenn man sich dazu die richtigen Dinge zuführt, überlasse ich den pillenwerfenden Beatfreaks. Und das hier ist sicher keine naive Lobhudelei auf den Drogenkonsum. Denn wir wissen ja alle, dass Drogen scheiße sind und zumeist auch überaus doof und hässlich machen. Mindestens zwei Gründe, keine längerfristig zu nehmen. Ich hab jetzt eher Bock af Apfelstrudel. Drog mich!

Diese Rezension wurde im 10 minütigen Free writing Verfahren geschrieben und nur sanft redigiert.

Gary Flanell

E.T. Explore Me – Drug Me ist als CD und LP am 19.01.2024 auf Voodoo Rhythm Records erschienen.

Montag, 15. Januar 2024

Schön, wenn Bands noch Musik machen Pt. XIXIIIX


N.T.Ä.
Stories The Pave The Road To Hell


Jetzt ist es so, dass da draußen irgendwelche Bauern und ihre rechten Anhänger/Freunde/Kameraden/Genossen/Provokateure vor meiner Tür demonstrieren und ganz böse und sauer „auf die da oben sind“.
Und deshalb schreien sie Parolen, die teilweise so dermaßen unter der Gürtellinie sind, dass man sich auf einer Pegida-Demo wähnen könnte. So darf man Wut nicht kanalisieren.

Dann schon lieber auf die Art und Weise, wie es N.T.Ä. auf ihrem ersten Album „Stories The Pave The Road To Hell “ vormachen. Hier singt sich Frontfrau Nadine Nevermore die Seele aus dem Leib, als könnte sie alles Übel der Welt einfach wegschreien. Unterstützt wird sie dabei von ihren zwei Mitstreitern Tommy Crack und Axel Äxport. Das sind doch alleine schon mal echte Punk-Namen. Und so klingt auch die Musik dieses Trios. Direkt, raus, rotzig und nach vorne rausgeprügelt. Old School im wahrsten Sinne des Wortes. Eine sehr löbliche Form der Auflehnung und des Protestes. Auch in den Texten, die sich mit dem ganzen Scheiß da draußen von Armut über Drogen bis falschen Freunden auseinandersetzen. Verpackt in Hardcore-Punk-Sound der klassischen Art.



Das Album hätte auch gut in den frühen 90er Jahren das Licht der Welt erblicken können. Hat es aber nicht, sondern heute. Und auch im Hier und Jetzt passt das gut rein. Punk ist ja auch irgendwie zeitlos. Genauso wie die Proteste da draußen. Times are changing und bleiben doch irgendwie immer gleich. Da brauchen wir so einen Sound. Egal aus welchem Land er kommt, sogar aus Deutschland (Du alte Sau!).

Abel Gebhardt

N.T.Ä. - Stories The Pave The Road To Hell erscheint am 26.01.2024 als LP/CD auf Kidnap Music.

Samstag, 6. Januar 2024

Schön wenn Garagepunks noch Garagepunk machen Pt. XIIX


Japanischer Garage-Punk hatte schon immer eine ganz eigene Faszination. Das lag sicher zum einen an der für europäische Hörer recht überdrehten Performance
und nunja, grellen, fast comicartigen Interpretation von Rock'n'Roll und Punk. Das hatte und hat immer großen Unterhaltungswert, dafür muss man sich nur mal auf einen Gig von GUITAR WOLF begeben. Und sicher liegt's manchmal auch an den Lyrics, die oft gar nicht zu verstehen waren, selbst wenn klar war, dass da irgendwie auf Englisch gesungen wurde. Was aber auch wieder egal war, denn: Einen Scheiß drauf geben, ob dich jemand versteht oder eben auch nicht nicht, das war Punkrock.

Neben GUITAR WOLF gab es noch die in den 90ern recht präsenten TEEN GENERATE aus Tokyo, die unzählige Singles und LP's auf Labels wie Crypt oder Estrus rausgebracht haben. Wer "Wild Zero", das Rock'n'Roll-Wunderwerk im Filmformat, gesehen hatte, der kannte auch diese Garage-Punks.
Was aus denen geworden ist? Gebe zu, dass ich mich das in den letzten Jahre kaum gefragt habe. Die werden schon irgendwo sein, aber eben nicht in meiner Lebenrealität, dachte ich.

Eine hübsche Überraschung, dass nun die ANGEL FACES (nicht zu verwechseln mit der ähnlich klingenden französischen Band aus den 80ern) um die Ecke kommen, denn damit schließt sich der Kreis zu TEENGENERATE. Deren Gitarrist Fink hat nämlich, so scheint es, eine neue Crew um sich geschart und jetzt haut man gleich mal ein knackiges Album und eine 7inch raus.
Musikalisch ist klar, wohin es geht, die machen jetzt keinen Glee-Doom oder experimentellen Wurst-Wave. Sehr frischen Garage-Rock präsentiert man. Als wäre es immer noch Mitte der 90er, die Lederjacke und das Ramones-Shirt in Größe M würden immer noch passen und Chucks wären immer noch das, was als Gesundheitsschuhe durchgehen würde.
Die Gitarre klirrt wunderbar schrammelig-dünn und früh-punkrockig, eigentlich alle Songs haben ein ordentliches Tempo und der Gesang von Hercules (SO muss ein*e Sänger*in heißen! Eigentlich sollte es in jeder fuckin' Garageband eine Person namens Hercules geben. Grüße an dieser Stelle an die Cockbirds. Habt alles richtig gemacht.) ist angenehm struppig.


Bei manchen Chören muss ich glatt an müllige TOY DOLLS nennen, ohne dass der Gesang zu Olga-esk wird. Ansonsten regieren Ramones-Riffs und - TEEN GENERATE-Beats, alles schön billo, aber nie so lederartig finster wie GUITAR WOLF, sondern sehr gut gelaunt, also wie gemacht für eine richtig geile Punkrock Party. Bei "I can't stop" gönnt man sich sogar eine Reminiszenz an Chubby Checkers Twist - twistig wird's dann aber doch nicht.
Das schöne ist nun einfach, dass das zwar alles wieder erkennbar ist, aber soviele Bands, die diesen Stiefel fahren, gibt's auch nicht mehr. Von daher große Freude, dass Fink und seine Bande am Start sind. Fast schon beruhigend sowas. Hoffentlich gibt's ANGEL FACE bald mal live zu sehen. Ich komm dann rum.

C auf der 26,5-teiligen bewertungs-Skala aus dem Renfield-Universum.

Gary Flanell

Das selbstbenannte Debut-Album vom ANGEL FACE ist auf Slovenly Records erschienen.

Freitag, 5. Januar 2024

Schön wenn MMMMenschen Musik machen, Part XIX

Mila Morgenstern + Michael Merkelbach
M4+ ½ =


Das Duo mit den vielen Ms macht auf diesem Tape zu zweit Musik im Mehrspurverfahren. Eine erfrischende Ansammlung diverser Groß- (Fender Rhodes, Bassquerflöte) und Klein-Instrumente (Maultrommel, Thermoskanne) addiert sich zum verträumt vor sich hin murmelnden Gesamtsound, der gegen Ende auch noch funky wird. 

Ein paar Samples sind in den Arrangements versteckt und werden geklärt, mir sind sie nicht aufgefallen. Dafür hab ich das Rätsel um die seltsam mathematisch anmutenden Titel schon mal gelöst.

Spoiler Alarm: Sie entsprechen jeweils der Anzahl der Viertelnoten pro Takt bzw. Loop-Periode. Da fast alle Titel auf „1/2“ enden, gibt es also jede Menge stranger Rhythmen, nur nicht so simple Sachen wie Vierviertel oder Walzer oder so. In Griechenland normal, hier eine Art Rhythmus-Sudoku, zusammengepuzzelt von den beiden Ms. in ihrem Musikzimmer und mit (1/2?) Gast.


Für alle, denen das jetzt aber zu viel Gezähle ist, haben alle Stücke noch poetische Alternativtitel zwischen Morbidität und Melancholie. Damit passen sie auch ganz gut zum manischen Morphen und Mäandern der Musik. Die würde mir noch besser gefallen, wenn beim Anhäufen der Spuren oder spätestens im Mix noch ein bisschen Luft zum Atmen geblieben wäre.

Sun Ra Bullock

Mila Morgenstern + Michael Merkelbach - M4+ ½ = - ist erschienen auf Tomatenplatten

Freitag, 27. Oktober 2023

Konzert+++ Konzert+++Konzert+++


Jawollo Apollo!!
Endlich mal wieder schöne Musik!
Irgendwo im Osten, aber nicht allzu tief im Osten. Kurz hinter der Ringbahn, wo die hoffnungsvollen Wohnungssuchenden jetzt auch mal hinschauen, von Friedrichshain aus. Auf einer der gemütlichsten Bühnen, die diese gentrifizierte Zombie-Stadt noch zu bieten hat.

Genauer gesagt, in einem Hinterhof, in dem nun Gras wächst und früher mal alles mit Betonplatte ausgelegt war. Einem Hinterhof, in dessen dazugehörigen Hauptgebäude einst Spione spionierten, und jetzt Menschen gemeinschaftlich zusammenleben. In einem Schuppen, einem kleinen Mehrzweckgebäude im Hinterhof auf dem ehemaligen Gelände des DDR-Geheimdienstes, der sogenannten REMISE.

Also: Kommt rum und seht es euch an. Kommt vorbei und hört zu. Kommt vorbei, nehmt einen Drink und jubelt zu nettem Anti-Folk und Singer/Songwriter Zeug. Wird gemütlich.

KONZERT IN DER REMISE

Wann? 04.11., ab 20 Uhr.

Wo? Remise im Hinterhof, Magdalenenstraße 19, Haus 4, 10365 Berlin.

Wer?

DRUNK AT YOUR WEDDING (Electric folk, Berlin)

LUTZ NEUSTADT (Singer/Songwriter, Berlin)

GARY FLANELL (Silver Slacker Sounds, Berlin)


***ENGLISH VERSION***

Hell ya!

DRUNK AT YOUR WEDDING, Lutz Neustadt of LUTZILLA and Gary Flanell are playing live- somewhere on one of the coziest stages this gentrified zombie city has to offer.

Where spies once did, ehm, spy, there is a shed, a remise, a small multi-purpose building in the backyard on the former area of east german secret police HQ, there will be now music.

If you do not believe, come around and see. Come around and listen. Come around and cheer to some nice anti-folk and singer/songwriter stuff.

CONCERT @ THE REMISE

Date: 04.11., ab 20 Uhr

Location: Remise im Hinterhof, Magdalenenstraße 19, Haus 4, 10365 Berlin


Artists:

DRUNK AT YOUR WEDDING (Electric folk, Berlin)

LUTZ NEUSTADT (Singer/Songwriter, Berlin)

GARY FLANELL (Silver Slacker Sounds, Berlin)


Mittwoch, 25. Oktober 2023

Die Skizzen von Kurosawa


Seit etwa 12 Jahren wohne ich nun in Deutschland. Mal hier, mal da, aber über die Hälfte davon und mit Unterbrechungen in Berlin. Dennoch gibt es Tage, wo ich das Gefühl habe hier überhaupt nicht her zu gehören. Dank ein running-gag von mein Vater war ich mir schon sehr früh von POTUS nummer 35, JFK, und sein Position zum Berliner-Sein bewusst.
Wenn ein Typ der nicht mal in Berlin gewohnt hat sich ein Berliner nennen kann, warum sollte ich das dann nicht?

Aber als ich mich an einen letzten Juni-Tag ein kleines Arbeitspäuschen nehme und durch die Straßen von Kreuzberg spaziere, merke ich wie sich doch ein gewisses Gefühl langsam breit macht.
Ist es die Sonne, die nur so halbherzig durch grauen Wolken scheint aber doch den Fernsehturm glänzen lässt? Ist es das typische Niederländische Ehepaar was sich über die Preis von Brötchen beschwert und von den ich mich dringend mental distanzieren möchte?
In meine weite, etwas schlabberige Hosen, mit Sandalen an den Füßen und eine Club-Mate, latsche ich zu der Comic Laden in Arbeitsnähe auf der suche One-Shots, Independent-Comics und Artbooks, und das Gefühl wird größer und größer.

All das hat daran beigetragen, dass die unsterblichen Wörter von John Fitzgerald „Jack“ Kennedy voller Stolz und Gusto durch mein Kopf schießen, als wäre ich 26. Juni 1963 da gewesen:

„Ich denke, ich bin heute gefühlt dann vielleicht doch schon ein bisschen ein Berliner glaube ich.“

Mit diesem starken Gefühl der örtlichen Zugehörigkeit mach ich mich 60 Jahren und 3 Tagen später weiter auf den Weg nach den Comic Laden Modern Graphics. Bevor ich reingehe schaue ich neugierig ins Schaufenster und da steht es ja auch schon. Zwischen jede Menge größere und buntere Buchen sehe ich ein kleines, schlichteres Büchlein mit den Wörter „Akira Kurosawa“. Hat einer der wichtigste Filmmachern der Welt auch mal gezeichnet?
Das Cover, ein bisschen versteckt hinter den größeren Bücher drum herum, zeigt neben der Name des Direktors süße kleine Samurai Kritzeleien und ein großen Frosch, letzteren in einen typisch Japanischen Tuschen-Stil.

Die Idee, dass so ein Meister der Filmwelt auch ausreichend kleine Kritzeleien gemacht und gesammelt hat für ein Band, fasziniert mich.
Bestimmt ist Herr Kurosawa eines Tages, irgendwo zwischen Rashomon (1950) und Madadayo (1993) aufgestanden, hat sich ne Kippe angezündet, lamentiert das Toho ihm noch immer kein Godzilla Film drehen lässt und sich aus der Frust ans Zeichnen gesetzt hat.



Oder vielleicht würden die ganzen Skizzen und Zeichnungen von seine Enkelkinder auf den Dachboden gefunden. Voller Staub und Spinnenwebern waren sie, und die Enkelkinder haben sie liebevoll saubergemacht für die Nachwelt und ihren Portmonee.

So oder so, mir war ziemlich klar das ich es haben wollte. Doch das Buch steht im Schaufenster. Das darf man doch nicht einfach so nehmen, oder? Ich stöbere der Anstand halber noch etwas durch den Laden. Hatte ich sowieso vor, aber statt dabei nur entspannt ohne viel zu denken die viele Bücher und Comics und Merchandise anzugucken, denke ich ständig an das Kurosawa Buch.

Enfin, nach den ganzen Laden beachtet zu haben entscheide ich mir ein weiteren Comic zu genehmigen. In Junji Itos Cat Diary: Yon & Mu kauft die Verlobte von Horror Mangaka Junji Ito zwei Kätzchen. Die Geschichten sind sehr Süß und witzig, weil Katzen. Sie sind auch fürchterlich grotesk und düster gezeichnet, weil Junji Ito.

Und dann, dann tue ich es einfach: Ich grapsche das Kurosawa Buch im Schaufenster. Die Legalität dieser Aktion ist mir noch immer ein Rätsel, also kündige ich sofort an bei der Kasse, dass ich diesem eingeschweißten Buch mit meine dreckige kleine Finger wie ein Krimineller zu mir genommen habe um es zu kaufen. Voll okay, anscheinend.
Ob ich ein Kassenzettel will? Eigentlich immer. Heute aber irgendwie nicht. Den Junji Ito comic habe ich durchgeblättert und kannte ich schon. Das Kurosawa Band ist sogar noch in Folie, und ob perfekt oder bloß gut, ich kann mir nicht vorstellen das es mir nicht gefallen wurde.
„Nö, recht herzlichen dank“, sage ich mit ein Lächeln und wünsche den Verkäufer ein wunderschönen Tag. Dadurch wirke ich natürlich nochmal so extra wie ein wasch-echter Berliner.

Das Buch heißt im ganzen: „Akira Kurosawa und der meditierender Frosch“. Auf der Rückseite eine Abwanderung einer der weltweit Bekanntesten Haikus, über ein Frosch der so von „plumps“ im Teich springt. Unter den schelmischen Frosch steht Reprodukt. Neben Akira Kurosawa steht, an einer etwas verlorene Stelle, das Wort „Mahler“.

„Aha, weil er ja gemalt hat“, denke ich mir, und realisiere den Fehler den du jetzt bestimmt schon siehst sehr langsam. Denn trotz meine 12 Jahren Erfahrung mit den Uhreinwohnern dieses Landes habe ich gelegentlich noch meine Schwierigkeiten. Umlaute? Die verteile ich nach Gutdünken wie Gewürze über meine Sätze. Die ganze Fälle? Gar nicht erst mit Anfangen die zu lernen.

Es fängt an mit ein Comic-Adaption von Tagebuch eintrage einer Österreichischen Autor. Ungewöhnlich, aber eigentlich spannend. Und passend auch, denn es geht darüber wie schön es ist Geschichten zu erfinden aber wie anstrengend es manchmal ist diesen dann zu verwirklichen als, in diesem Fall, eine Bühnenproduktion. Die darauffolgende Comics irritieren dann schon etwas mehr. Ein Charakter spricht mit Österreichischen Akzent, es geht um sehr spezifische Ereignisse in der Deutschsprachige-Comicwelt und so werde ich mir so langsam von meinem Fehler bewusst.

„Mahlen“ und „malen“. Vor etwa 9 Jahre habe ich diesen Fehler schon mal gemacht. Vorher und seitdem garantiert auch, aber da ist es noch mal ein Ding gewesen. Wie hätte es auch kein Ding sein können, den „Insekten mahlen macht mir Spaß“ kann man verständlicherweise nicht einfach so stehen lassen.

Ich seufze. Kennedy und mein Vater düsen gemeinsam mit dem Auto nach Dallas und aus meine Gedanken raus um Platz zu machen für die Stimme meiner Mutter:

„Ein Lernmoment.“

Ich nehme es hin. Ich akzeptiere es. Ich war impulsiv und der Preis dafür ist anscheinend €16,-. Resigniert Blätter ich durch den Comic.
Der Autor, Nicolas Mahler, ist mittlerweile in Japan gelandet und eröffnet eine Ausstellung zu seine Werken in einem Manga-Museum. Später sehen Leser*innen die klassische japanischen Tuschbilder, von Mahler als Maler nachgemalt. Auch der frecher Frosch vom Cover ist dabei. Es kommt ein bisschen Wut hoch. Wütend bin ich sehr selten. Ausrasten weil ich mir von ein Person unfair behandelt fühle und kein andere Verteidigung sehe passiert auch kaum.

Anfänglich galt mein Wut nur das Marketingteam von Reprodukt: Lumpengesindel das ein so groß möglichen Publikum erreichen will anstatt dafür zu sorgen, dass hauptsächlich die richtige Zielgruppe den Comic kauft.
Indem man zum Beispiel den Namen des Autors nicht massiv viel kleiner schreibt als den Namen eines viel bekannteren Menschen, idealerweise vor einem lebensgroßen Frosch welchen in einem Komplett anderen Zeichen-Stil als der Rest des Comics. Ach, und mit 2 kleine süße Samurai, die nur auf 1/4 der Seiten eine Rolle spielen. Doch es stellt sich heraus, auch Herr Mahler ist in dieser Nummer nicht unschuldig.



Auf Seite 114 entschuldigt sich der Autor bei diejenige Leser*innen, denen das Buch gekauft haben weil sie dachten, es wäre Material von Akira Kurosawa. Zum Ausgleich bietet er Trivia an, gefühlt direkt aus'm Wikipedia-Artikel. Noch wie war ich so sauer auf A5 Papier.
Bestimmt sind die Comics ganz gut, vor allem wenn man sich dafür interessiert selber hauptberuflich (Comic)-Autor*in zu werden in einer der D-A-CH Länder.
Diejenige Geschichten in welchen der Autor von Begegnungen mit anderen interessante Autor*innen oder Künstler*innen fand ich am meisten Unterhaltsam, aber alles wo das Natterngezücht von Reprodukt primär über sich selbst oder seine Gedanken schreibt, da war ich aus unterschiedlichen Gründen raus.

Denn in die ewige Wörter von John Fitzgerald Kurosawa, einstiger Daimyo von Berlin:

Ein Tropfen fällt
Schaut, das Gefäß ist randvoll
Die Erbitterung

Bernard Fruithagel