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Montag, 27. Januar 2020

Au revoir, Aeronaut.

Bam, die erste.

2020, oder wie manche sagen, das neue Jahrzehnt (was nicht stimmt, denn das fängt ja erst mit 2021 an), schlägt mir zum ersten Mal nach drei Wochen unerwartet mit der Faust in die Magengrube.

Der 19.Januar 2020 ist ein Sonntag. Es ist der Tag, an dem GUZ oder Olifr Guz oder Oliver Maurmann, Sänger der AERONAUTEN aus der Schweiz, stirbt. Alles ist voll mit Beileidsbekundungen und Nachrufen - Webseiten von Tageszeitungen, Webseiten von Musikmagazinen und soziale Medien sowieso. Gut so. Denn GUZ hat es verdient.
Ich mache mit beim öffentlichen Trauern und Greinen. Like jedes Video auf Facebook, das von den Aeronauten, jeden traurigen Kommentar, den ich sehe und jeden Clip von Liveaufnahmen der Band und Songs seines solistischen Schaffens, das gepostet wird.

Ich bin ziemlich erschrocken, denn GUZ war ein nicht zu unterschätzender Faktor deutschsprachiger Popkultur. Ein Typ, der auch mit Ü40 immer noch gut für Überraschungen war. Die Nachricht von seinem Tod hat mich ziemlich umgehauen. Sind das Nebenwirkungen eines frisch erwachten Fan-Tums der letzten Jahre? Guz war einer von den ganz ganz Guten, definitiv. Davon gibt es sicher einige, aber der Tod von GUZ hat mich doch mehr als schockiert, als ich es erwartet hätte.

Warum?

Möglicherweise, weil Olifr Maurmann noch nicht besonders alt war. 52 Jahre, das ist in Westeuropa kein Alter, sagt man so. Dass dahinter massive gesundheitliche Probleme standen, wie es im Netz zu lesen ist, war nicht so sehr bekannt. Muss ja auch nicht. Mit seinen Malaisen öffentlich hausieren gehen, ist nicht cool. Und GUZ war cool. Cool sein ist eine harte Währung im Popmusikland. Der Devisenkurs zu Franken, Dollar oder Euro ist so hoch, dass er eigentlich unbezahlbar ist. Weswegen die besten Künstler oft recht prekär leben. GUZ konnte ein Lied davon singen. Hat er auch gemacht. Für "Anpumpen" wurde dreist bei "Hey Jude" geklaut und mit einem Text versehen, der dir mit sanftem Druck den Finger unters Kinn legt, um das Haupt nach oben zu drücken, wenn's kohlemäßig mal wieder eng ist.



Guz. 52 Jahre. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist nicht so weit weg von meinem Alter. Rückblickend betrachtet kann GUZ für mich als Projektion für einen nicht existierenden großen Bruder herhalten. Vielleicht löst so eine auf Fan-sein beruhende Projektion auch einiges an Schrecken aus.

Schwer ist es auch der Schrecken, wenn einer geht, der regelmäßig neues Musikmaterial geliefert hat; an dessen regelmäßigen Output in Form von unterschiedlichsten Projekten (Aeronauten, GUZ, Die Zorros, all this and more...) man sich irgendwie gewöhnt hatte. Es war eine schöne Gewohnheit, immer wieder was neues von GUZ mitzubekommen. Eine Gewohnheit, die jetzt fehlen wird.



Was auch immer gut ging bei GUZ und den Aeronauten: Die ironische Beschreibung der zunehmenden Versteinerung der Punk-Szene aus der Sicht eines All-Time-Slackers, vgl. "Ottos kleine Hardcoreband" (auch hier wunderbar schamloses Kopieren, diesmal Iggy Pop) oder "Freundin". Mit diesen sehr treffenden Beschreibungen ("Sie hören Musik aus dem Baskenland...") einer immer in Stereotypen verschwindenden Szene hat er mich sofort gekriegt. Oder mir den Spiegel vorgehalten. Vielleicht ist "Freundin" sogar der beste Emo-Song, der je auf deutsch geschrieben wurde....




Vor Jahren flog eine Promo-CD von "Der beste Freund des Menschen", der letzten Solo-Platte von GUZ, ins Renfield-HQ. Aus Zeitmangel habe ich damals kaum da reingehört, ich glaube, auch rezensiert wurde sie nicht im Heft.
Erst in den letzten Monaten 2019, fiel mir das Ding im Zuge einer internen Neustrukturierung meines CD-Bestandes wieder in die Hände. Und verdammt, da hatte mich GUZ doch noch gekriegt.

Im Herbst 2019 läuft das Ding in einem Lichtenberger Plattenbau fast rund um die Uhr. Immer und immer wieder und am Stück. Ich merke, dass ich wirklich über Jahre eine Perle übersehen habe. Eine Perle? Eine ganze Platte voll! Auch wenn es sieben Jahre her ist, seit "DBFdM" erschienen ist, sind die Songs wirklich gut. Immer noch.

Großartige Songs sind da drauf, mit den GUZ-typischen kleinen Alltagsbeobachtungen: "Hassloch", "Neid", "Sommer 1984".
Oder vielleicht am bekanntesten: "Lass uns Drogen nehmen und rumfahren" - jener Song, der durch das hübsche Video von "Die Zukunft", dem Projekt von Bernadette La Hengst, GUZ und Knarf Rellöm, nochmal intensive mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, und als Referenz auf "Let's take some drugs and drive around" von The Silohs bzw. Michael Hall gelesen werden kann.

All diese guten Texte zwischen Melancholie und Beat-Punk-Widerborst, der gut reflektiert über die Zeit gerettet wurde. Das machte mir Lust auf mehr. Ich klickte mich in diesen Wochen durch diverse Youtube-Videos des GUZ'schen Schaffen. Nahm mir fest vor: Wenn GUZ das nächste Mal in Berlin spielt, schau ich mir das auf alle Fälle an.

Tja.



Dass ich erst vor wenigen Monaten meine ganz eigene GUZ-Phase hatte, ist sicher ein Grund mehr für das Ausmaß, in dem mich die Meldung von seinem Tod umgehauen hat. Ganz allein bin ich damit sicher nicht. Die ganze deutschsprachige Pop-Blase, die in den 90ern sozialisiert wurde, trauert mit. Selbst die sarkastischsten Pop-Zulieferer, wie z.B. Linus Volkmann, werden in ihren Post-Mortem-Posts auf einmal recht lieb und leise.

Manchmal denke ich, dass ich mich so langsam mal dran gewöhnen sollte. An die Tatsache, dass Menschen sterben. Nicht nur geschätzte Musiker, die ich gar nicht persönlich kenne. Könnte man mit Mitte 40 ja mal geschafft haben. Gelegenheiten, sich daran gewöhnen zu können, gab es leider bisher schon mehr, als es mir lieb war. Nicht nur Omas und Opas oder Eltern. Auch Freunde, Gleichaltrige, Bruder-Menschen. Ich dachte lange, dass es normal wäre, wenn einige Freunde von dir sterben, ehe du Mitte 30 bist. Dass da jeder in meiner Alterskohorte so seine Erfahrungen hat. Aber das ist es wohl nicht. Und ja, mir ist auch klar, dass in anderen Teilen der Welt viele Menschen jeden Tag noch viel größere Teile ihrer Familie oder ihres Freundeskreises verlieren. Und nicht die Möglichkeiten haben, darüber in einem Blog zu reflektieren.

Sich daran gewöhnen... Well, richtig leicht wird es ehrlich gesagt nicht. Nicht mehr komplett in Panik zu verfallen... geht einigermaßen, einen ganz eigenen Umgang damit finden auch... irgendwie. Aber ein Schatten, die jeder Verlust mit sich bringt, bleibt. Und jedes Mal ist es ein Schatten mehr, der sich auf das Denken und die Sicht auf die Welt legt. Diese Schatten zu akzeptieren und das dazugehörige Licht umso mehr wert zu schätzen, bleibt vielleicht der einzige brauchbare Weg.

Tschüss Guz.




Zum Nachruf auf der Aeronauten-Homepage geht es hier.



Gary Flanell

Mittwoch, 8. Januar 2020

Dr. Loo or: How I watched a strange movie and didn't really get anything it at all.

Es ist ein normaler Abend in Januar und Gary Flanell zeigt mir eine Neuerwerbung in seiner Plattensammlung. Auf dem Cover ist ein etwas verschwommenes Gesicht zu sehen, wahrscheinlich der Künstler, der diese Platte aufgenommen hat, sowie zwei Zeilen japanische Schriftzeichen, die wir leider nicht lesen können. Als wir die Platte auflegen, ertönt sympathische, sanfte Folk Music. Irgendwo meine ich die Wörter Rakete (misairu) und Wind (Kaze) zu erkennen, soweit recht passend für ein fluffiges Singer/Songwriter-Album der 1970er, aber ansonsten geht die Bedeutung der Texte aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse völlig unter. Auch der Name des Musikers, der Titel des Albums und die Bedeutung seiner Texte gehen somit erst mal an uns vorbei. Aber wir leben ja zum Glück in modernen Zeiten. In Zeiten, in denen viele von uns über eine Art mechanisches und vielfältig hilfreiches Anhängsel verfügen.

Dank eines Phänomens, das eigentlich nur als eine Art Cyber-Magie beschrieben werden kann, braucht man lediglich die Kamera des Smartphones mit Übersetzungs-App über ein beliebige Textzeile schweben zu lassen und das Gerät spuckt mit ein bisschen Glück eine passende Übersetzung aus. In unserem Fall löst der Bildschirm meines Handys das Geheimnis um den gut frisierten Urheber der japansichen 70ies-Folkplatte: Shigeru Izumiya heißt der Typ mit dem vollen Haar, das Album übersetzt recht unspektakulär: „Spring, Summer, Fall, Winter“.



Als wir im Netz nach weiteren Spuren auf das Schaffen des Shigeru I. suchen, finden wir heraus, dass der auf dem Plattencover so sanft anmutende, 1948 geborene Izumiya mittlerweile deutlich härtere Gesichtszüge und weniger Haare hat. Zudem stellt sich heraus, dass der Sänger auch ein noch immer aktiver Schauspieler ist und in den 1980ern die Regie zu einem Film geführt hat: Death Powder. Beziehungsweise デスパウダ, oder Desu Paudā.

Death Powder/Desu Pauda (Memo an Herrn Flanell: Death Powder - großartiger Name für eine urst und böse brutale Japcore-Band) gilt Wikipedia zufolge als einer der ersten Vertreter des japanischen Cyberpunk-Genre. Ohne zu lange darüber nachzudenken entdecken wir, dass der Film in voller Länge auf Youtube hochgeladen wurde. Vielleicht von einem Fan? Wir wissen es nicht. „Low quality copy for posterity“ steht im Klammern hinter dem Titel. In schlechter Qualität für die Nachwelt. Wir sind gespannt.

Death Powder ist eine chaotische Erfahrung, die durch oftmals fehlende Untertitel noch chaotischer und verwirrender rüber kommt. Dabei ist es wohl schon ein großes Glück, dass stellenweise überhaupt englische Untertitel eingeblendet werden, freundlicherweise zur Verfügung gestellt durch Video Search of Miami. Offiziellere Institutionen gibt es wohl kaum.

Drei Wissenschaftler*innen, Kiyoshi (Takichi Inukai), Norris (Rikako Murakami)& Harima (gespielt von Izumiya selbst), haben in einer mysteriösen Lagerhalle eine Art Androiden namens Guernica geschaffen. Das weiblich anmutende Geschöpf liegt festgebunden an ein Gitterbett und trägt einen BDSM-ähnliche Maske und Mundschutz. Nach einer Verfolgungsjagd, in welcher Kiyoshi und Norris von mysteriösen maskierten Männer fliehen, mit den sie allerdings auch fast schon freundschaftlich schwätzen, machen sich die beiden auf dem Weg zu ihr Kollegen Harima, welcher die Lagerhalle überwacht.



Als Norris – ausgestattet mit einem sehr schicken und für die 80er reichlich modern daherkommenden Headset - versucht, Funkkontakt zum Lagerhaus aufzunehmen, hört sie nur erotisches und schmerzhaftes Gestöhne. Kiyoshi nimmt es gelassen und vermutet, dass Harima sich „bloß“ an der Androidin in der Lagerhalle vergreift. Norris vermutet allerdings mehr dahinter, was auch die einzige Erklärung dafür ist, dass die beiden übers Dach in ihre eigene Lagerhalle einsteigen – in der sie Harima mit einer Schrotflinte erwartet.

Die folgende Actionszene ist, wie eigentlich alles an diesem wunderlichen Film, verwirrend. Einerseits durch ein fehlendes „Warum“, anderseits durch die bizarre, aber passende Kameraführung. Kiyoshi wird beispielsweise durch Harima eine Treppe hinunter geschmissen, es könnte dabei aber genauso gut sein, dass er die Treppe hoch getreten wird. Norris schneidet im Kampf besser ab. bewaffnet mit eine Art Föhn-Handschuh-Pistole schafft sie es Harima dadurch zu schwächen, indem sie ihm eine vorherige Szene, die wie ein Würfel ins Bild gemorpht wurde, wie einen Fußball ins Gesicht tritt. Während sich aus recht unerklärliche Gründen die ehemaligen Kolleg*innen bekämpfen, schafft es die Androidin, sich zu befreien. Darauf besprüht sie Kiyoshi mit dem titelgebenden Death Powder.

Mit zermatschtem Gesicht und gruslig verquollenen Augen erfährt der gute Kiyoshi nun starke Halluzinationen, die so real erscheinen, dass – so scheint es - womöglich die tatsächliche Realität davon beeinflusst wird. Die Verfolger der Anfangsszene tauchen wiederum auf, angeführt von ein mit Narben bedecktem Mann im Rollstuhl. Gedanken, so die Halluzination, werden vom Körper als Geisel genommen. Der Körper begrenzt das Potential der Gedanken, aber ein Leben ohne Körper ist gleichzeitig der Tod. Ohne Tod kein Leben, ohne Körper unendliche Gedankenkraft. Alles sehr deepes Gedankengut, dass dort in verschwommenen, ruinenartigen Räumen ausgesprochen wird. Aber die Hölle, die ist überall.



Solche ernsthaften Erkenntnisse über das Sein muss man erstmals sacken lassen. Dabei hilft die folgende Halluzination, welche genauso gut eine Rückblende sein könnte. Ein munter vor sich hin rockender Wissenschaftler,der sich im Laufe des Films als Dr. Loo vorstellt, springt im Folgenden fröhlich durch irgendwelche Dünen, gefolgt von ein Ensemble, das aussieht, als würde es sich bereitmachen für ein Photo-Shooting für das Cover eines Synth-Pop Albums. Dr. Loo ist ein fröhliches Kerlchen, welches gern eine harte Van-Halen-artige Rockgitarre spielt und mit anderen schrägen Wissenschaftler*innen und dem „90s Android Guernica“ sorglos ein Musikvideo für sein Debut-Track „Dr. Loo Made Me“ aufnimmt.

Nach einer kurzen Rückkehr zu den anderen, albtraumhaften Halluzinationen von Maskenmännern, aufquellenden Gesichter und seltsamen, blutenden organischen Massen folgt, eine kurze, beinahe meditative Sequenz. Es ist eine Pause im Plot die unbedarfte Zuschauer wie uns glauben lässt, nun würde das Ende eines Films eingeläutet. Anders kann man das entspannte, fünf-minütige Saxophon-Solo, untermalt mit vorbei gleitenden Stills von Skylines, Autos und dem gelegentlichen Mann mit Fedora nicht umschreiben. Natürlich haben wir uns geirrt. Der Film ist noch lange nicht am Ende. Der ganze Streifen dauert etwas mehr als eine Stunde, die sich allerdings anfühlt wie drei.

Nach der semi-romantischen Slideshow ist noch lange nicht Schluss. Vielmehr tauchen nun drei unschuldige Paketboten auf, die – völlig losgelöst vom vorherigen Plot - ein Paket in einer Lagerhalle abliefern sollen. (vielleicht ist es DIE Lagerhalle, in der sich vorher alles abgespielt hat, aber so genau weiß man das nicht).

Es läuft, wie’s halt so läuft im Paketzusteller-Alltag: Niemand macht die Tür auf, beim Nachbar abgeben gibt’s nicht, also ruft man den Chef an. Der die drei auffordert, in die Lagerhalle einzubrechen, denn das Paket muss geliefert werden. Macht alles Sinn. Doch auch Türen sind in DEATH POWDER nicht mehr das, was sie mal waren und so werden die Paketboten nach erfolgreichem Eindringen in das Lager durch ein organisches Gewebe, das sich als Tür getarnt hat, nun ja, verdaut. Es folgen die üblichen schmelzenden Gesichter, Zähne und Augen an Stellen, wo keine Zähne sein sollten und andere Pampe, welche man nur als „sehr organisch“ bezeichnen könnte. Oder als Marmelade.

Fazit: Death Powder ist verwirrend und es ist fraglich inwiefern der Film verständlicher wäre, wenn man die etwa 40% nicht aufs Englisch übersetzten japanischen Untertitel verstehen könnte. Interessant ist sicher, dass dieses brutal-psychedelische LoRes-Arthouse-Meisterwerk in voller Länge bei Youtube zu sehen ist, und hier mal ausnahmsweise keine Altersbeschränkung greift. Stellen wir uns also mal vor, dass eine Bande fünf- bis achtjähriger in einem unbeaufsichtigten Moment an einem verregneten Nachmittag eine Stunde lang vor diesen Bildern klebt. Selbst Vielgucker wie wir waren streckenweise nicht nur verwirrt (das eigentlich die ganze Zeit), sondern auch ein wenig erschrocken über die Gewalt, die Shigeru Izumiya in Death Powder auf die Leinwand bringt (Haben wir jetzt was gepetzt? Egal). Was die ganze Sache noch unheimlicher macht, ist die Diskrepanz zwischen dem was Izumiya einerseits als Musiker veröffentlicht hat (nettes 70ies-Gitarrengeplänkel, Bob Dylan, JJ. Cale und Konsorten lassen grüßen) und dem, was er als Regisseur umsetzt. Überträgt man es auf hiesige Künstler, könnte man sich mal vorstellen, dass Hermann van Veen oder Reinhard Mey auf die Idee kommen, ihre Trashversion von Hellraiser zu verfilmen.

Frühe japanischen Cyberpunkfilme zeichnen sich oft durch eine absichtlich unklare Plot-Linie sowie unverständliche Ereignisse, Transformationen und Metamorphosen aus. Nimmt man dies als Stilmittel in Kauf ist es vielleicht tatsächlich besser DEATH POWDER als Erfahrung zu sehen und mal genau in sich selber hineinzuhorchen und zu schauen, welche Gefühle die unterschiedlichen Szenen auslösen. Der Film löst einiges an Fragen aus, welche unmöglich durch denselben Film beantwortet werden können. Vielleicht kann man sie nur lösen, indem man selbst in eine Lagerhalle einbricht und mit der Tür verschmelzt. Vielleicht reicht es aber auch einfach, irre und gut gelaunt durch die Dünen zu hopsen, während eine selbst erfundene androide Freund*in kryptisch zuschaut.

Bernard Fruithagel

Death Powder (JP, 1986)
Regie: Shigeru Izumiya
Darsteller: Shigeru Izumiya, Takichi Inukai, Rikako Murakami u.a.
Länge: 63 Min.



Sonntag, 5. Januar 2020

Atomvulkan Britz - next Gig


Machen wir's kurz:

Atomvulkan Britz (NoiseDubWave-Instro-Effekt-Duo aus Berlin) spielt
am 25. 01.2020 gemeinsam mit den Kollegen von
BUM (angenehm hektisches Indie-Elektro-Gezappel) und Lutzilla (Gesang, Gitarre, Drums, Ex-Neustadt und Nördliche Gärten)) in ihrem favourite Schnapsloch.

Alle weiteren Infos stehen auf dem Flyer oben.

Und jetzt noch was zum gucken um zu hören...

Lutz Steinbrück (von Lutzilla)



und

Atomvulkan Britz mit ihrer Hitsingle BRITZKRIEG BOP




Donnerstag, 2. Januar 2020

Urlaub in Zivilien

Neulich waren wir im Urlaub. Zehn Tage Campen auf einem wunderbaren Zeltplatz an der Ostsee. Mitten im Wald, direkt am Meer. Wenn ich mich vorm Zelt hinlegte und nach oben durch das Blätterdach schaute, war alles schon fast, als wäre man in einem von Tolkiens Wäldern gelandet, in denen Elfen nichts anderes tun, als würdig umherzuwandern.

Dieser Campingplatz ist beim ersten Anpfiff zu den Sommerferien ausgebucht. Picke-Packe-dicht, wenn man nicht schon Monate vorher einen Platz reserviert. Was wir getan haben. Wenn man den Rest des Jahres in seiner Berliner Blase verbringt, kann man zuweilen vergessen, dass in Berlin vieles eben nicht so wie der Rest vom Land ist. Nicht, dass in Berlin alles immer supi wäre, aber es scheint mir eine größere Toleranz und eine andere Art zu geben, wie man im täglichen Leben rumläuft oder agiert. Ein anderer Habitus.

Auf diesem Campingplatz konnte man einen guten Blick auf den Querschnitt der deutschen Gesellschaft kriegen: Junge, Alte, Dicke, Dünne, Familien, Kinder, Gutverdiener neben Nicht-so-Gutverdienern, Freiwild-Shirt-Träger (ohne dafür irgendwelche Sanktionen fürchten zu müssen), Schlagerfans, Jack-Wolfskin-Fetischisten, Technikfreaks mit den neuesten zusammenfaltbaren Camping-Gadgets. Wir dagegen lagen jeden Morgen so festival-like auf der zerzausten Picknickdecke rum, unseren Kaffee schlürfend.

Das mit dem Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft stimmt so nicht ganz. Denn was beim Zelten ganz klar wird: Das ist doch eine sehr biodeutsche Angelegenheit. PoCs, türkische oder arabische Camper waren extrem selten. Woran das liegen mag? Zuerst mal sind wir drauf gekommen, das Campen keine rein deutsche, aber doch eine sehr nord- bis mitteleuropäische, und auch nordamerikanische Angelegenheit ist. Vielleicht auch, weil der Rest der Welt nicht so blöd ist, eine Woche in windschiefen Unterkünften, eingeschränkten Hygieneverhältnissen und das noch engere Zusammensein mit fremden Menschen, zu einer wackeligen "Zurück zur Natur"-Fantasie zusammen zu mixen.

Was noch auffiel: Beim ziellosen Daherschlendern sind mir des öfteren junge Familienväter mit Kids entgegengekommen, meist jünger als ich. Bei vielen von ihnen dachte ich: Der sieht aus, als käme er gerade von der Bundeswehr. Und der da auch. Und der nächste auch. Und irgendwie war das so bei ganz vielen von den Vätern, die dort zelteten. Vielleicht war es auch so. Vielleicht sind all die Typen, die jetzt beim Bund sind, gern mal mit der Familie am Ostseestrand. Und als ich so über die Bundeswehrvatis und- Muttis nachdachte, fiel mir ein, dass es ja mittlerweile nur noch Bundeswehr und keinen Zivildienst mehr gibt. Klar, auch keine Wehrpflicht mehr, aber eine Armee noch, immerhin.


Ich überlegte weiter, wann ich Zivildienst gemacht habe (1995, glaube ich) und wann der Zivildienst hierzulande abgeschafft wurde. 2012 war das. Dass es nun seit acht Jahren keinen Zivildienst mehr gibt, macht etwas mit der Gesellschaft, finde ich. Klar, Zivildienst war für viele ein Gegenstück zur Wehrpflicht, weil man eben nicht zum Bund wollte, aus welchen Gründen auch immer. Ich finde aber auch, dass dahinter auch ein bestimmte Haltung stand, mit der man sich als junger Mann auseinandersetzen musste. Und diese Haltung musste auch erstmal entwickelt werden. War vielleicht für manche das erste und einzige Mal, dass sie eine Haltung zu irgendwas entwickeln mussten.

Man wollte nicht in die Armee, musste sich dafür bewusst entscheiden und das auch begründen. Wenn einer zum Bund wollte, musste das niemand begründen. Für Zivildienst musste man sich Gedanken machen, musste ein nicht ganz einfaches Verfahren und möglicherweise auch gewissen Ressentiments im Sozialen Umfeld auf sich nehmen. Allein der Begriff "Kriegsdienstverweigerer" hatte ja schon für viele einen negativen Klang, Was verweigern ist immer schlecht, klingt nach Drückeberger. Der Akt, seine "Drückebergerei" argumentativ zu belegen, war für viele sicher ein großer Akt der Reflexion.

Mit diesem ganzen Verfahren, sich dem Bund zu entziehen, wuchs aber auch eine gewisse Haltung, die zumindest in Ansätzen kritisch gegenüber staatlichen Institutionen war und auch pazifistische Ideen vermittelte. Wer Zivi sein wollte, musste sich schon ein paar Gedanken über seine seine irgendwie linke Grundeinstellung, die damit einherging machen. Ich würde sagen, dass dieser ganze Prozess, um den Bund zu vermeiden, bei vielen eine bestimmte pazifistische Einstellung erst möglich gemacht hat und sich auch im weiteren Leben ausdrückt. Dazu kommt, dass viele Zivis eben nicht nur die üblichen linken, strickwollpullitragenden Alternativos waren, sondern auch jede Menge Männer, die mit einem linken Kontext eher nicht soviel am Hut hatten, aber eben auch nicht zum Bund wollten.

Also. Zivildienst gibt es nicht mehr. Bundeswehr schon. Und was sagt mir das? Viele würden sagen, dass sich diese Gesellschaft in eine konservativere, rechtere Richtung bewegt. Dass rechte Meinungen wieder salonfähiger werden. Das liegt natürlich nicht nur daran, dass es die Bundeswehr noch gibt und den Zivildienst nicht mehr. Aber wäre es möglich, dass diese Lücke, die der Nicht-Mehr-Zivildienst hinterlassen hat, doch etwas dazu beiträgt, dass bestimmte pazifistische, weltoffene, hierarchiekritische Ansichten gar nicht mehr entwickelt werden, während die Bundeswehr immer noch ihre alten Ordnungen und Traditionen hat und diese auch weiter trägt?

Wäre es möglich, dass hier ein kleines Gegengewicht fehlt, welches gewisse rechte und konservative Einstellungen auffangen könnte und junge Männer und Frauen dafür sensibilisiert? Natürlich ist die Bundeswehr derzeit kein sehr großer gesellschaftlicher Faktor (Militär hatte in Deutschland schon mal eine ganz andere Stellung, wie wir alle wissen), aber eben doch einer. Immerhin lag die Zahl der Soldaten (Berufs-, Zeit.- und freiwillige) bei knapp 174.000. Zivildienst war als mögliches Gegengewicht zu Bund, Soldat-sein und damit verbundenen Werten eben auch einer. Und ist durch seine derzeitige Nicht-Existenz auf gewisse Weise immer noch ein Faktor, der zur politischen Meinungsbildung beiträgt. Es mag nur ein kleines Rädchen im System von gesellschaftlichen Haltungen sein, das nicht mehr vorhanden ist, aber möglicherweise eins, dass man nicht vernachlässigen sollte.

Natürlich gibt es die Möglichkeit, sich freiwillig zu engagieren. FöJ, FsJ, BuFDi - das steht allen offen. Im Unterschied zum Zivildienst auch Frauen. Und es sind nicht wenige die das in Anspruch nehmen - 2018, so schreibt es Wikipedia - ungefähr 41.000 Menschen. 41.000 Freiwilligendienstler*innen und 174.000 Bundeswehrsoldaten - ein ziemlich schiefes Verhältnis. Zum Vergleich - 2009 gab es noch über 90.000 Zivis. Die angebotenen Freiwilligendienste ziehen also knapp die Hälfte an.

Allerdings hat die schönen Freiwilligkeit auch ein Haken: Wer sich dazu entschließt, ein Jahr seiner Zeit freiwillig in einer sozialen, kulturellen oder ökologischen Einrichtung zu absolvieren, der/die ist wahrscheinlich eh schon in diesen Zusammenhängen unterwegs. Ihm/ihr sind wahrscheinlich bestimmte kritische oder pazifistische Ansichten nicht fremd. Ein Pflichtdienst könnte allerdings auch Menschen zeitweise in diese Felder führen, die mit diesen Bereichen eher nichts zu tun haben und die dort auch zumindest für ein winziges Zeitfenster neue Perspektiven entwickeln könnten.

Dazu kommt auch die Sozialisation, die ein Militärdienst mit sich bringt. Und die ist bei der Armee sicher um einiges verheerender und mit erbarmungslosen Unterordnungszwängen und hierarchischem Druck verbunden, als es je beim Zivildienst der Fall war. Sicher spielt dabei auch Alkohol als soziales Schmier- und Druckmittel eine große Rolle und ich wette beim Bund noch in größerem Maße, als es je beim Zivildienst der Fall war. Geschichten über Kampftrinken auf der Stube bis einer Galle kotzt, kann sicher jeder
Wehrdienstabsolvent erzählen, der monatelang isoliert mit anderen Typen in einer Kaserne eine geschlossene Gruppe bilden musste.
Das führt mich wieder zur derzeitigen Situation: Denn die Bundeswehr samt ihrer toxischen Sozialisationsmechanismen gibt es immer noch und ich wette, dass viele Männern dort mit Hilfe von Schikanen, Ritualen zur Männlichkeitsausformung (die sich bestimmt auf sehr alte Rollenbilder bezieht) und Alkoholkonsum ein Bild vom Mannsein und von der Gesellschaft vermittelt wird, das sehr rückwärtsgewandt wird un sich an einem alten Korpsgeist orientiert, von dem ich wünschte, er wäre doch allmählich mal einer Truppe von aufgeklärten Ghostbustern zum Opfer gefallen.

Zivildienst, als kritischer Gegenpart zu einer auf alten Geschlechterbildern beruhenden Militärtradition, fehlt auch hier. Eine entsprechende Institution, die ein anderes Verständnis von Männlichkeit, sozialem Miteinander und andere Perspektiven auf bestimmte Lebensbereiche vermittelt, gibt es nicht. Und das erst recht, wenn man bedenkt, dass ca. 1/4 der Bevölkerung dieses Landes dazu tendieren, rechte Ansichten zu vertreten.

Davon ab könnte ein ziviler sozialer Dienst auch anderweitig von Nutzen sein: Nämlich in der Hinsicht, dass man für eine gewisse Zeit raus ist aus dem Rattenrennen um Job, Karriere und streng durchgetakteter Lebensplanung. Nimm sechs oder 12 Monate, die jede/r nach dem Schulabschluß ableisten MUSS. Das gibt eine gewisse Ruhe, zumindest für den Augenblick. Eine Zwitspanne, in der erstmal nicht geplant werden muss, was du als nächstes machen willst oder musst. So etwas kann für einen Augenblick sehr beruhigend wirken und auch bezüglich der eigenen Berufs- und Lebens- und Karriereplanung, etwas den Druck rausnehmen.

Es gibt Momente, da wünsche ich mir echt einen verpflichtenden Sozialen Dienst. Für alle Bewohner dieses Landes ab 18 Jahren. Männer, Frauen, alle. Ob sechs Monate oder ein Jahr oder sonst was, das ließe sich alles diskutieren. Aber ich denke, dass so ein Dienst viele Soziale Einrichtungen entlasten würde, und andererseits vielleicht auch denen die dazu verpflichtet wären, noch ein anderes Bild der Gesellschaft vermitteln würde.

Es gibt allerdings für mich ein Dilemma: Diese Augenblicke, in denen ich mir denke, dass so en Pflichtdienst gar nicht so schlecht wäre, sind nur kurz. Denn vom Staat zu einem Dienst verpflichtet zu werden, finde ich ja eigentlich eher uncool. Staatliche Eingriffe in meine persönliche Lebensplanung oder der von anderen Leuten, nunja, ist nun mal nicht wirklich was, dass ich mir heutzutage wünsche. Vielleicht auch, weil es nicht so ganz zu meinem von mir zusammen konstruierten Selbstbild passt, dass ich einmal einen verpflichtenden sozialen Dienst für alle wirklich gut finden würde. Wenn es allerdings dazu führt, dass in Zukunft die Menschen, denen ich beim Campen begegne, weniger wie Soldaten auf Urlaub wirken, wäre das schon ein guter Grund dafür.


Gary Flanell