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Donnerstag, 13. Juni 2024

Aus die Maus Pt. I


Ingo Scheel - Schlussakkord

Der Tod gehört zum Leben. Wissen wir alle.
Fun Fact: Der Tod gehört auch zur Popkultur. Beide gehen eigentlich schon seit den Anfängen in einer Beziehung durch die Zeit. Dabei ist natürlich das Tragödienhafte beim Tod eines Popstars das Wesentliche. Optimalerweise muss es ein Tod in jungen Jahren sein.

Klar, wenn der letzte Beatle an Alterschwäche stirbt, Keith Richards sein letztes Blues-Lick gespielt und Johnny Rotten zum letzten Mal rumkrakeelt hat, dann ist das auch tragisch. Aber anders. So tragisch, wie der Tag, an dem Oma und Opa stirbt. Irgendwann passiert es halt und damit müssen wir alle lernen, umzugehen. All die Musiker, die es über die Mitte 50 geschaft haben, sind halt nicht mehr so aufsehenerregend.

Es gibt Verschwörungstheorien, dass Elvis noch lebt und irgendwo in Texas als Tankwart arbeitet (naja, jetzt mit 89 Jahren wohl auch nicht mehr). Sowas gibt es beispielsweise von Tina Turner oder Johnny Cash nicht. Weil die halt alt und auf medizinisch nachweisbare Weise gestorben sind. Somit war damit zu rechnen.

Würde Taylor Swift in den nächsten zwei bis drei Jahren sterben - was nicht zu wünschen ist - will ich mir gar nicht ausmalen, was für absurde Theorien über ihren Tod oder dessen Vortäuschung ins Kraut schießen würden. Live fast, die young bleibt somit der beste Dünger für Pop-Mythen.


Also: Die Mythen und die Geschichten bilden sich um jene, die früh gestorben sind. Da das Leben als Pop/Rockstar immer eine ordentliche Dosis Exzess und Exzentrik beinhaltet, dazu oft eine grundlegende Unruhe, Weltschmerz, Depression und fiebrige Nervosität, inklusive der Neigung gute Ratschläge nicht anzunehmen UND der menschliche Körper für so einen Lebensentwurf eher schlecht gemacht ist, gibt eine Menge Künstler*innen, die schon früh und sicher oft unabsichtlich von der Bühne gegangen sind.

Hinzu kommt aus der Perspektive der Fans sicher die tragische Fallhöhe. Denn der/die Popstar hat aus dieser Sicht ja eigentlich alles: Aufmerksamkeit, Ruhm, Talent, meist jede Menge Geld und ein gutes Netzwerk, um bis in das Rentenalter weiter Musik zu machen. Dazu wird ihm/ihr oft die Freiheit zugeschrieben, ab einem gewissen Erfolgslevel, künstlerisch eh alles machen zu können, was man will, weil sich jeder Output sowieso millionenfach verkauft.

Und trotzdem: Wenn ein Popstar trotz all dieser Vorraussetzungen frühzeitig aus dem Leben gefetzt wird (Ich hörte Buddy Holly ist mit seiner Brille verwest, aber genau weiß ich das nicht), dann ist Tragik angesagt. Und die verkauft sich natürlich besonders gut.
Andererseits gehört auch dazu, dass ein Star, der früh gestorben ist, nunmal keinen Scheiß mehr produzieren kann. Ökonomisch zynisch und wunderbar zugleich. Die Hits werden in Erinnerung bleiben und mögliche experimentelle Peinlichkeiten sind nun ausgeschlossen. Ein Film, ein Biopic, eine Doku, ein Konzertmitschnitt, ja das geht natürlich nach einer gewissen Zeit auch immer.


Sagen wir mal 20 Jahre danach, das passt doch, da fangen wir jetzt mal langsam an zu planen, dann wird das spitze. Kunsthandwerklich topfitte Coverbands können dazu aus dem vorliegenden Werk ein auskömmliches Einkommen genenerieren. Des Popstars früher Tod ist also keine so schlechte Fügung, vom zynischen Hochstand der Marktwirtschaft betrachtet.

Wozu reflektiere ich das hier alles? Weil Ingo Scheel, umtriebiger Musikjournalist (u.a. Visions), mit "Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" eine unterhaltsame Sammlung von Episoden über tote Rockstars zusmmengetragen. Die Idee ist nicht ganz neu, aber genau deshalb ist es einen Blick wert, ob und was hier anders oder besser gemacht wurde.

Episodenhaft werden hier 30 popkulturelle Todesfälle dargestellt. Die Rahmendaten zu fast aller hier aufgeführten Personen kann man heutzutage bei Wikipedia abfragen. Ingo Scheel schafft es aber, die Lebens- und Todesumstände jedes Mal in kleinen Geschichten sehr unterhaltsam und bildlich darzustellen. Dass dabei die üblichen Verdächtigen (John Lennon, Janis Joplin, Jim Morrisson, Brian Jones, Whitney Houston) am Start sind, ist nicht verwunderlich.

Das schöne an diesem Buch ist, dass auch ein paar Menschen dabei sind, die halt nicht zum ewig gleichen Kanon der Jung-verstorbenen Popstars gehören: Mal Evans, Cathy Wayne oder Darrell Banks werden hier gebührend geehrt. Die sind eben oft nicht mit dabei, wenn man auf einer langen Autofahrt mal wieder das A-Z-Spiel der toten Rockstars spielt.


Auch schön die Tatsache, dass Scheel sich weder an ein Genre klammert, (von Metal über Rock/Pop, Soul bis zu Schlager ist alles dabei. HipHop allerdings gar nicht), noch eine zeitliche Einschränkung macht. Von den 50ern ins ins 21. Jahrhundert finden sich viel zu früh verstorbene Pop-Akteur*innen.

Was mich ein wenig irritiert, sind die Cliffhanger am Ende jedes Kapitels, die jeweils auf den nächsten Abschnitt im Buch hinweisen. Das ist sicher nett gemeint, allerdings bringt das manchmal auch einen gewissen "Geschichten aus der Gruft"-Trashfaktor mit rein. So nach dem Motto "Seltsam, aber so steht es geschrieben..."

"Schlussakkord" muss man nicht an einem Stück von vorne nach hinten lesen. Ich habe, wenig überraschend, mit dem Kapitel über G.G. Allin angefangen. Andererseits verführen diese Cliffhanger dazu, einfach weiterzulesen, obwohl man eigentlich nun mal was ganz anderes zu tun hätte. So lässt sich das Buch doch gut an einem Stück wegbingen. Es ist unterhaltsame, leicht morbide Lektüre, nicht zu verkopft und alles in schönen kleinen Häppchen verpackt. Dazu grafisch hübsch aufbereitet durch die stilvollen Schwarzweiß-Illustrationen von Oliver Schmitt. Quasi eine popliterarische Tüte Chips über den Tod. Hat man schnell weggemampft. Lecker it is.


Eine Sache, über die zu sprechen wäre, ist das Geschlechterverhältnis der Aufgeführten: 30 Texte sind drin, davon neun über Frauen. So richtig ausgeglichen ist das nicht, andererseits hätte das auch noch viel schlimmer aussehen können.
Ein Buch nur über tote Rockstar-Männer wäre aber heutzutage sicher nicht mehr zu vermitteln. Es ließe sich auch darüber nachdenken, ob und warum sich Männer im Pop-Business öfter ins Aus schießen. Wenn es dazu belastbare Zahlen gibt, würde ich vermuten, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Männer im Pop teilweise so hart sind, dass sie nur noch durch heftige Betäubung bis zum Tod auszuhalten sind. Was wiederum zeigt, dass das Patriarchat uns alle fickt. Frauen aber nochmal mehr als Männer, eh klar. Ok, vielleicht war es manchmal auch einfach unbedarftes Herumexperimentieren mit Drogen.

Noch was? Ja. Die Auswahlstrategie der Künstler*innen, die es ins Buch geschafft haben, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar: Ganz viele weltweit Bekannte aus dem anglo-amerikanischen Raum, klar. Aber eben auch Alexandra, die nun mal Schlager gemacht hat und nur hierzulande einen gewissen Status hatte. Aber wie passt sie in die Reihe der anderen? Wahrscheinlich geht es um das Mythenhafte, eben darum, welcher Frühtod eine gute Story hergibt. und das ist nunmal eine Kerneigenschaft von Pop - die gute und tragische Story hinter der Figur auf der Bühne. So gesehen war Ikarus wahrscheinlich der erste Popstar.

Natürlich ist so ein Buch nie komplett.
Wenn man ein wenig überlegt, gibt es noch zig Leute, deren Geschichte hier erzählt werden müsste: Mia Zapata, Ian Curtis, Hillel Slovak, Fela Kuti, 2Pac, Notorious B.I.G. fallen mir als erstes ein. Hinzu kommt, dass Scheel sich meist auf die historisch bekannten Popszenen des anglo-amerikanischen Raumes konzentriert. In Zeiten von globalisierter Popkultur wäre ein Blick auf die tragisch verstorbenen Popstars in Asien, Afrika, Südamerika oder auch Europa (Ost und West) sicher interessant. Aber das bleibt möglicherweise eine Option für eine Fortsetzung der Schussakkorde.

"Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" von Ingo Scheel ist im Ventil Verlag erschienen.

Gary Flanell

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