Dieses Blog durchsuchen

Montag, 19. Februar 2024

Schön, wenn aus Wien Musik kommt Pt. III

ZINN - Chtuluzän

Gerade vor ein paar Tagen aus dem Kino gestolpert. Vorher ins Kino gestolpert und "Rickerl" angeschaut, diesen hübsch traurigen Film mit Voodoo Jürgens. Spielt in Wien, und zeigt mal wieder, dass in Österreich kontinuierlich sehr gute Musik entsteht. Als großer Wien-Fan freut es mich somit, dass die umtriebigen Menschen von Staatsakt eine weitere sehr gute Band aus Wien aufgetan haben: ZINN. Drei Frauen, die schwarz nicht nur als Lippenstift tragen.
Ich will die geografische Herkunft nicht als Qualitätsmerkmal herauspolieren, denn auch in Wien gibt es sicher langweilige und doofe Bands. ZINNs erstes Album "Chtuluzän" ist mehr als ein Zucken mit der Augenbraue wert, als nur durch die Tatsache, dass sie aus Wien kommen.


"Chtuluzän" - was mag das denn sein? fragt sich der chipsfutternde Popkultur-interessierte Mensch auf der Couch. Es lohnt sich ein Blick ins Werk der feministischen Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway, die den Begriff eingeführt hat, um das derzeitige Zeitalter zu benennen. Hier mal die Brühwürfelversion mit Vergleichen.
Irgendwas mit -zän am Ende kommt immer gut, wenn man ein Erdzeitalter beschreiben will. (Dad joke zum Thema: Die drittn Zän, zum Beispiel, hö.). Und wenn dann noch Chtulu davor steht, so als H.P. Lovecraft-Verweis, dann entsteht schnell der Eindruck, dass die damit beschriebenen Umstände monströs sind und somit eh alles fürn Oarsch ist. So pessimistisch ist der Begriff Chthuluzän von Haraway allerdings nicht gemeint, eher als Alternative zum Begriff des Anthropozäns. Ein Begriff mit Lovecraft-Referenz klingt assoziativ allerdings erstmal nach horrormäßigem und komplettem Kontrollverlust und Weltuntergang - so aus Menschenperspektive. Kann aber auch Vorteile haben: Weltuntergangsszenarien waren oft ein gutes Thema fürs Songwriting.

Wie das ist, wenn alles verloren geht, wussten schon einige Musiker*innen aus Wien sehr gut in Musik und Worte zu fassen. Das war dann manchmal auch ganz lustig. Auch ZINN sind darin zuweilen sehr gut. Vielleicht hat es doch was mit der musikalischen Früherziehung oder dem Trinkwasser in dieser Stadt zu tun.
Chtuluzän klingt also cool und fatalistisch gleichermaßen und ist somit definitiv geeignet, um in popkulturellen Zusammenhängen verwendet zu werden. Vielleicht als Warnung, dass wir schon längt in monströsen Zeiten leben? Ich würde das derzeit unterschreiben.
Bezogen auf ZINN könnte man auch gut die griechische Mythologie bemühen: Sind diese drei Musikerinnen popkulturelle Sirenen, die verführerisch und tödlich irgendwelche Helden ins Elend ziehen? Oder sind sie die popkulturellen Erinnyen, die Rache suchen, zornig, ewig jagend, ewig sich rächend, z.B. am Patriarchat (schwer dafür!) oder an der Menschheit an sich?

Es wäre passend, denn bedrohlich ist hier einiges, vgl. "Heiliges CO2".
Zumindest äußern sie ihren Unmut nicht so plakativ, wie viele Punk-Bands, die - sicher ehrlich und löblich, aber auch ein wenig zu offensichtlich - gegen das Elend der Welt anbrüllen. ZINN, und das ist das Schöne an der ganzen "Chtuluzän"-Platte, geben sich eher schleichend, verführerisch und düster, sodass es bedrohlich und attraktiv zugleich wirkt.
Alle Vorsicht nützt nichts, diesem dunkel-süßen Charme kann man sich schwer entziehen. Hier klingt vieles nach Schwermut, nach Goth ohne Goth-Kitsch und Post-Punk wie ihn Siouxsie Sioux zelebriert, gerne mit einem guten Chanson-Spritzer garniert (z.B. bei der "Seeräuber-Jenny". Jaja, so ein Brecht-Touch ist auch mit drin, drunter machen sie's nicht.). Auch die Wut früher Frauen-Punkbands und eine gut präsentierte Systemkritik, die in mächtige Sounds gehüllt wird, zum Beispiel in "Kapital", spielt oft mit rein.


Dazu hat "Chtuluzän" auch oft diese morbide, lethargische Langsamkeit, die an DIE HEITERKEIT erinnert. Ist vielleicht kein Zufall, dass beide Bands ihre ersten Alben bei dem gleichen Label herausgebracht haben.

Morbide: Übrigens auch so ein Wort, das oft mit Wien, den Wiener*innen und den ihnen zugeordnetem Humor verbunden wird. Als müsste man an den Wiener Schulen automatisch ein Halbjahres-Praktikum bei den Friedhofsbetrieben machen.
Es sollte bei aller Desperatheit in Wort und Ausdruck aber nicht der Fehler gemacht werden, ZINN für eine schaurig-lustige All-female-Halloween-Band mit gemütlichem Wiener-Kaffeehaus-Schmäh zu halten. Dafür sind ihre Aussagen zu den Umständen doch zu ernsthaft.
So bin ich fast geneigt ihnen zu glauben, dass wir wirklich in einem Chtuluhaften Zeitalter leben und somit eh alles verloren ist. Oder fürn Oarsch, sucht's euch halt aus. Sollte dem so sein, entschuldigt mich für einen Moment, ich muss nochmal kurz ins Bad, meinen schwarzen Lippenstift für das stilvolle Ende auflegen.

Barry Tomorrow

"Chtuluzän" ist am 09. Februar 2024 auf Staatsakt erschienen.



Foto Zinn: Apollonia Theresa Bitzan

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen