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Dienstag, 7. April 2015

Ox-Schreiber-Tour 2015 Schweiz (Last part. Seriously.)

Part 3: Vom freundlichsten Taxifahrer der Welt und den Metalmädels

Jetzt sitzen wir also schon wieder im Zug. Eben haben wir uns noch am Hohenemser Bahnhof die Sonne auf die übernächtigen Nasen scheinen lassen und schon rollt draußen vor den Fenstern die bergige Landschaft an uns vorbei. Schön ist sie, die bergige Landschaft, das Leben mit seinen Höhen und Tiefen sowieso und sogar Bregenz-Riedenburg schenken wir heute ein Lächeln, als es sich still und heimlich wieder auf die uns vorgegebene Bahnstrecke schleicht. Riedenburg lächelt wohlwollend zurück und wir vertiefen uns in Gespräche über die Tour, das Land, die Kinderpopulation der Vorarlberger Skinheadszene am Beispiel eines einen Buggy durch den Waggon schiebenden Renees.

Und irgendwann zwischen all diesen Gesprächen meint Gary Flanell: „Ja, hier ist er ja wieder, der Bodensee“. Und ich, ich sehe aus dem Fenster und will etwas sagen wie: „Ach Bodensee, du viel zu spät entdeckte Liebe“, sage aber stattdessen: „Fuck, Alter, wir haben vergessen auszusteigen!“

Denn das Schild da am Bahnhof sagt auch etwas, „Bregenz Hafen“ nämlich, und wir, wir hätten „Bregenz Hauptbahnhof“, also eine Station früher aussteigen müssen. Da kann der Bodensee noch so friedlich vor uns liegen, wir sind zu weit und der Anschlusszug nach Zürich steht wahrscheinlich schon bereit.

Also springen wir raus aus dem Zug und während ich panisch versuche abzuwägen, wie weit es denn ist und ob das am Fußweg packbar ist, winkt uns Herr Flanell in seiner Berliner Gelassenheit mal eben ein Taxi ran. „Hauptbahnhof, bitte“, sage ich hastig und Gary Flanell sagt dasselbe, aber eben ganz relaxed. „Kein Problem“, meint der freundlichste Taxifahrer der Welt und wir erklären ihm kurz unser Dilemma: Literaturreisende auf dem Weg nach Bern, in Gespräche vertieft, den Ausstieg verpennt (was ja sonst nur in der Nazi –und Drogenszene üblich ist), Anschlusszug in fünf Minuten etc. Der freundlichste Taxifahrer findet das lustig und schüttelt auch gleich die passende Anekdote (die ich leider vergessen habe) aus dem, weil draußen der Frühling strahlt, hochgekrempelten Hemdsärmel. Als wir dann nach einer Minute und siebendundzwanzig Sekunden Fahrzeit und fünfhundert Metern Geradeausfahren auch schon da sind und unsere Geldbörsen zücken wollen, meint der freundlichste Taxifahrer der Welt mit einem Lächeln in seinem freundlichen Taxifahrergesicht in seinem Vorarlberger Dialekt (für mich nicht eins zu eins wiedergebbar) so etwas wie: „Kein Problem Jungs, ich wäre sowieso hier hergefahren, schaut ihr mal, dass ihr euren Zug erwischt“.

Wir bedanken uns überschwänglich und winken dem freundlichsten Taxifahrer der Welt ein letztes Mal dankbar zu. Dann realisieren wir, dass ja noch reichlich Zeit ist und holen erst einmal Kaffee.Hätten wir vorab geahnt, wie viel Zeit wir wirklich haben, hätten wir uns zwei Kaffees geholt oder wären zu Fuß gegangen, denn der Zug nach Zürich verspätet sich um 14 Minuten. Allgemeine Panik am Bahnhof, wir freuen aber uns erst einmal ein weiteres Mal auf Tour zu sein, trinken Kaffee, genießen den Seeblick und bekommen unsererseits erst Panik, als uns bewusst wird, dass unsere Wartezeit in Zürich 15 Minuten beträgt, was Minus vierzehn Minuten Verspätung und keinerlei Orientierung am Züricher Hauptbahnhof „reichlich Kacke am Dampfen“ ergibt.

Es dampft schlussendlich gar nichts, alles geht sich prima aus. Und weil diese in Österreich durch und durch gängige Redewendung in Deutschland, wie ich auch während vergangener Lesereisen mit deutschen Landsmännern immer wieder gesagt bekam, scheinbar nicht verwendet wird, erwischen wir locker den Zug. Um ja in den richtigen zu steigen prägen wir uns bereits in diesem Zug die Bezeichnung des Anschlusszuges ein. Und ja, wir wären nicht URS GROB BOOTSBETRIEB würden wir dies nicht tun indem wir uns gegenseitig mit phatten Rhymes befeuern. Beispiel gefällig? Here we go: „Wo wird die Butter niemals ranzig? Im IC Vier Null Zwanzig“ oder „Mit welchem Zug fuhr einst Glenn Danzig, na mit dem IC Vier Null Zwanzig“.

Und wenn nun solche lustigen Wortspiele zweier bärtiger Brillenträger mit Augenringen und schlechtem Atem für irritierte Gesichter der mitreisenden Menschen sorgt, dann sollten sich eben diese mitreisenden Menschen später mit uns in den IC 4020 setzen und sich an den lautstark in schwer verständlicher Sprache (ja, es ist Deutsch, natürlich, aber Deutsch ist nun einmal nicht Deutsch und wenn mich als Österreicher in Deutschland kaum jemand versteht, so verstehe ich für meinen Teil leider in der Schweiz – und sogar in Vorarlberg – kaum jemanden) Gesprächen der Metalmädels (ob die den Mätel auch kennen ist mir nicht allerdings bekannt) erfreuen. Denn die reden alle am Stück, und alle vier gleichzeitig und manchmal telefonieren sie auch. Viel verstehe ich wie gesagt nicht, aber dass „IRON MAIDEN was für Pussys“ ist und „er in vierundzwanzig Tagen zwanzig wird“ weiß ich jetzt trotzdem. Um es mit den Worten von Dieter Bohlen zu sagen: „Ich fühle mich gut unterhalten, aber es reicht nicht für den Recall“.

Und dann, dann ist da also dieses Bern, Hauptstadt der Schweiz. Stadt von der ich nur den Bahnhof, ein paar altehrwürdige Häuser und die altehrwürdige Reitschule zu sehen bekommen werde. Ich hatte ja im Vorfeld gehofft auf der Reise quer durch die Schweiz die landschaftlichen Reize des Landes genießen zu können, aber konzentriere du dich einmal auf vorbeiziehende Berge, Seen und was auch immer, wenn die Metalmädels Metallieder mitzusingen versuchen. Zumindest fährt mein EC Wasauchimmer am nächsten Tag auf der Heimreise lange, ja sehr lange dem Züricher See entlang und bietet geile Wasser-Bergkulisse, bevor es über Liechtenstein, Österreich, Deutschland und wieder Österreich nach Hause geht.

Bevor es aber soweit ist erwartet uns am Bahnhof Lepra. Oder besser gesagt, er sollte uns erwarten, ist aber noch nicht da. Dass er sich verspäten wird, hat er mir übrigens via Facebook-Messenger mitgeteilt Blöd nur, dass ich in der Schweiz keinen Internetempfang habe. Ja, aber er kommt und dann wird erst einmal Wein eingekauft. Und das Spiel gespielt „Wer findet das billigste alkoholische Getränk“ und den Metalmädels zum erfolgreichen Alkopopseinkauf gratuliert.
Alles weitere soll euch aber lieber Gary Flanell erzählen, ich muss jetzt nämlich meine Restfranken umtauschen gehen.

H.C. Roth

Nachtrag:

Der HC und seine Restfranken, immerhin hat er noch welche. Nach dem hinterhältigen Diebstahl meines Portmonees in Charlottenburg besitze ich sowas gar nicht mehr. jetzt snd da nur noch Erinnerungen an den Abend unserer Lesung in der Berner Reitschule.

Von diesem unserem letzten Leseort kam mir bisher nur Gutes zu Ohren. Wenn all das, was so erzählt wurde, stimmte, dannn war die Reitschule zu Bern sowas wie ein sagenumwobenes Schloß unter den alternativen Zentren dieser Welt.Unter den vielen Dächern der ehemaligen Reitschule verbirgt sich ein Areal mit unzähligen Räumen für diverse Projekte. Nach einem üppigen Abendessen bekommen wir von Sandro und Lepra eine kleine Führung. Unter dem Dach der Reitschule finden sich sehr viele einzelne Räume, die von unterschiedlichsten Gruppen genutzt werden. Im Innenhof der Infoladen, gegenüber die große Halle für dicke Konzerte, gleich daneben zwei Cafes oder Bars und wer weiß, was wir alles noch gar nciht gesehenn haben. Auch im Innenhof ist auch der ehemaligen Pferdestall, der heute als Kino genutzt wird – wo wir lesen werden.
Am beeindruckendsten für mich war auf alle Fälle der Dachstuhl. Selten genug gibt es Konzerträume, die sich auf einem Dachboden befinden und der hier ist nicht nur groß, sondern auch wunderschön mit seinen dicken Dachbalken, der großen Bühne und dem langen Tresen. Habe mir fest vorgenommen, demnächst mit URS GROB BOOTSBETRIEB genau hier die Berner Massen zum ausrasten zu bringen.

Auch das erwähnte Pferdestall-Kino ist top. Die alten Futterkrippen hängen noch an der Wand und HC und ich erwägen kurz, uns für die Lesung entweder dort hinein zu legen – oder in die Gosse, die immer noch im Boden erkennbar ist. . Unsere neun Gäste sitzen an diesem Abend allesamt in der ersten Reihe und haben deshalb den perfekten Blick auf das, was HCund ich da so treiben. Der Kollege Roth kann es sich wirklich nicht nehmen lassen, sich im Laufe des Abends sich dann wirklich wirklich wirklich in die gepflasterte Ablaufrinne zu begeben und dort zu performen. Gemeinsam gibt es nochmal das Beste von Frosch mit Socken, der Spinne Pup und dem Rockpinguin. Und ganz am Schluß noch einmaleine Polizisten-Verzehr-Performance im Themroc`schen Sinne von U.G.B. – diesmal so intensiv und kräftezehrend wie noch gar nie auf der Tour.

Hinterher, die Gäste sind schon lange gegangen, kleben Lepra, HC, Sandro und ich noch an der Kinobar und kippen ein Bier nach dem nächsten in uns rein. Der Unglücksrabe Roth muss leider schon um fünf oder so den Zug Richtung Graz erwischen. Ich bin froh, dass ich mich diesmal ausschlafen kann. Denn am Montag war noch eine Lesung in Basel geplant. Die entfällt aber aufgrund diverser Fehlplanungen und so habe ich nun einen Off-Day am Ende der Reise.
Heißt: gemütlich auspennen, dann mit einer Wienerin im Berner Exil noch einen Kaffee schlürfen (liebe Nina, schön war‘s!) und dann so langsam, wie es das Klischee von den Schweizern vorgibt, auf den Weg nach Basel.
Dort verziehe ich mich fix ins Hostel, und verlasse es nur kurz, um im verschlafenen Kiez hinterm Bahnhof irgendwas zu essen zu kriegen. Meine Tourabschlußmahlzeit ist die wohl teuerste Bratwurst mit Pommes der Welt. 22 Restfranken ist sie wert, puh. „Hauptsache satt“, denke ich und lege mich in mein Hostelbett. Jetzt will ich nur noch nach Hause.

Vor dem Rückflug am nächsten Tag betrete ich den örtlichen Plattenladen – verlasse ihn mit zwei 7inches von Jonathan Richman und den Oblivians. Abends Aufschlag in Schönefeld. Als wäre es nicht anders zu machen, fällt dort draußen die S-Bahn auf unbestimmte Zeit aus. Mit Tram und Ersatzverkehr kämpfe ich mich zwei Stunden lang durch den Moloch Berlin. Beim dritten Umstieg an irgendeiner verlassenen dunklen Tramstation denke ich noch eimal an die Sonne am Bodensee und sehne ich mich kurz, nur ganz kurz, nach der beschaulichen Pünktlichkeit der Schweizer Bahn zurück.

Gary Flanell

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