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Donnerstag, 23. Januar 2025
Ambivalentes Gefühlskino der Bafög-Bohéme
Die Regierung: Unten
„Natalie sagt“, „Charlotte“, „Corinna“ oder „Nicole“: Tilmann Rossmys Vorliebe für Frauennamen als oder in Songtitel(n) ist kennzeichnend für das Album „Unten“ seiner Band „Die Regierung“. Er teilt sie mit seinem Einflüsterer Leonard Cohen, der Lieben und Liebschaften in „So Long, Marianne“ oder „Suzanne“ ebenfalls titelgebend in Songportäts verewigte.
Wem Corinna und Natalie und bekannt vorkommen: Bingo! Schon 1994 sorgte die aus Essen an die Elbe emigrierte Popband mit dieser Scheibe auf L'age d'or für Furore. Ein Jahr später löste sie sich auf, ehe sie später in neuer Besetzung wieder loslegte. Trotz des Aufwinds der sogenannten Hamburger Schule blieb der Gruppe Anfang der Neunziger der kommerzielle Erfolg weitgehend versagt. Aber sie avancierte zum Kritiker-Liebling, wie sich Sänger, Texter und Gitarrist Tilman Rossmy im Booklet-Interview mit Carsten Friedrichs zur Neu-Auflage erinnert. Zum 30-jährigen „Unten“-Jubiläum hat Tapete Records das Album Ende letzten Jahres als LP, auf CD und online veröffentlicht.
Zu hören ist zeitlos guter Poprock zum Zuhören und Abgehen. Weniger sperrig als die damaligen Hamburger Szene-Kollegas von „Kolossale Jugend“, „Blumfeld“ oder „Cpt. Kirk &.“, stand „Die Regierung“ für eingängigere Melodien mit Ohrwurm-Potenzial. Songwriterorientierter schon eher im musikalischen Atemzug mit Tom Liwa oder Bernd Begemann unterwegs, mit prägnanten Gitarren und dem Piano von Thies Mynther als tragender Extrasäule. Auf „Unten“ ist das Eingängige nie eintönig, top und dynamisch arrangiert, dabei immer wieder überraschend. Produziert haben das Herman Herman (Lassie Singers) und Chris von Rautenkranz.
Tilman Rossmy singt seine selbstreflexiven, kitsch- und ironiefreien Texte über Gemütszustände und Beziehungsgeflechte unaufgeregt, beiläufig bis schnodderig und mit Blick für Details, wenn er alltägliche Widersprüche, schöne wie seltsame Augenblicke, im Songformat festhält. Immer im Wissen, dass das alles schnell vorbei sein kann. Die Songtexte über diffuse, festgefahrene Beziehungskisten offenbaren auch Eingeständnisse von Ratlosigkeit: Die singende „Ich“-Figur schont sich nicht. Wo sie gerne anders wäre, bezichtigt sich als einer von vielen, „Ein Idiot mehr“. Ein Rausch, die Leere und die Einsicht.
Neben Unsicherheiten und ungeklärten Beziehungen spiegelt sich in den Texten aber auch das Abenteuer der Großstadt, mit der Lust, Neues zu entdecken – Anfang der Neunziger war das noch machbar, ohne viel Verantwortung und Geld, wie Rossmy im Booklet-Interview über seinen Lifestyle verrät: „Diese vier Jahre in Hamburg waren wie ein Traum. Irgendwie was es damals möglich, mit 800 Euro Bafög, täglich zwischen 17 und 5 Uhr zwischen 'Sorgenbrecher', 'Casper's Ballroom', 'Tempelhof' und 'Pudel' ein zünftiges Bohéme-Leben zu führen. Hatte schon was.“
Stonebridge
"Unten" von Die Regierung (erstmals 1994 auf L'age d'dor. Oder Lado) wurde wiederveröffentlicht auf Tapete Records
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