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Dienstag, 25. August 2015

Nitro + Milk = Nitro&Milk!

„Dies ist ein freies Land. Erschieß, wen du willst, aber tu es ohne Hass im Herzen.“

Richard Widmark


Im Sommer 1995 drehte ich mit Freunden in der westfälischen Hitze einen Western. Der Titel war „Schlucky Luke – Der Mann der schneller trinkt als sein Schatten“. Es ging dabei – große Überraschung – viel um Alkohol.
Die Rollen waren schnell verteilt. Basti war der Indianer, aber auch nur, weil er zu der Zeit einen grünen Iro hatte. Andreas hatte einen alten Cowboyhut im Partykeller rumliegen, was ihn für die Hauptrolle des schweigsamen Trinkers empfahl. Dann war doch Wiebke. Wiebke hatte ein Pferd, auf dem der Cowboy Schlucky Luke durch die Gegend reiten durfte.
Durch-die-Gegend-Reiten und mit dem Indianer quatschen, der am Wegesrand saß, war so ziemlich der ganze Handlungssstrang unseres Drehbuchs. Die dramaturgisch größte Herausforderung bestand darin, Schluckys Pferd am richtigen Platz vor dem Indianer zum Stehen zu bringen.
Nach zwei Drehtagen, versandete das Projekt allerdings unter der heißen westfälischen Sonne. Um einen Western zu drehen, braucht man also viel Durchhaltevermögen. Wir hatten damals nicht so viel davon. Die drei Menschen hinter dem Western-Serien-Projekt Nitro&Milk dafür umso mehr. Denn seit mittlerweile acht Jahren und fünf Folgen arbeiten Elias und Veit aus dem Umfeld der Berliner KvU gemeinsam mit Kamerafrau Johanna an ihrem ganz eigenen Wild-West-Opus.




Los ging alles vor 8 Jahren. Ostern 207 fand der erste Spatenstich für die zu N&M gehörigen Kulissensiedlung statt. Die Idee, einen Western zu drehen, liegt noch etwas weiter zurück. Elias wohnt damals in Potsdam, Veit in Königs Wusterhausen. Elias hat eine Band in Greifswald und will Veit überreden, da einzusteigen. Also fahren beide hoch an die Küste. Als sie mit dem Zug durch weites Mecklenburger Land zuckeln, reift die Inspiration wie eine fette Traube am Weinstock der Kreativität.

Die Idee, einen Western zu drehen, beginnt mit einer Band. Elias wohnt damals in Potsdam, Veit in Königs Wusterhausen. Elias hat eine Band in Greifswald und will Veit überreden, da einzusteigen. Also fahren beide hoch an die Küste. Als sie mit dem Zug durch weites Mecklenburger Land zuckeln, reift die Inspiration wie eine fette Traube am Weinstock der Kreativität.

Elias: Meck-Pomm eben. Das fanden wir gut und sind dann auf den Trichter gekommen, dass wir beide eine Westernvergangenheit gehabt haben. Lucky Luke, Legowestern, Cowboys und Indianer, fanden wir alles geil. Dann haben wir gedacht, wir machen einen Cowboyfilm über unsere Band, die wir in den Film einbauen.

Die erwähnte Band hat sich irgendwann aufgelöst, der Western ist geblieben. In den Hauptrollen: Die Charakter Elias und Veit. Dazu werden diverse aktuelle Freundinnen als Darstellerinnen eingespannt. Ideen haben Veit und Elias von Anfang an so viele, dass es gleich ein Spielfilm sein muss. Recht schnell merkt das zweiköpfige Autorenkollektiv allerdings, dass es schlauer sein könnte, mehrere kurze Filme anstelle eines monsi-langen Streifens zu machen. Veit: Wir dachten, dass ein 20-Minuten-Film realistischer umzusetzen ist. Aber das ist noch schlimmer, weil wir ja in der kurzen Zeit noch mehr Input, noch mehr Leute und Geschehnisse packen müssen als in 90 Minuten.

Im Mittelpunkt der Nitro&Milk-Serie steht ‚Tines Lamblike Gang‘, zu der neben der namensgebenden Tine noch Elias und Veit gehören. In mittlerweile fünf abgedrehten Folgen, von denen drei schon auf der N&M-Homepage zum Download bereitstehen, kämpfen sich die drei durch allerlei Abenteuer. Da sollen Geisterstädte zu neuem Leben erweckt werden, bringt man nasenblutende Räuber zur Strecke und schändet versehentlich Indianerfriedhöfe.
Allen Stories gemein ist, dass die Protagonisten mehr oder weniger unverschuldet in einen Schlamassel hineinschlittern. Während aber allen anderen Figuren großes Unheil wiederfährt, kommen Veit, Elias und Tine mit ein bis zwei blauen Augen oder mit dem Leben davon. Auch wenn die DIY-Machart dem Zuschauer oft zum Schmunzeln bringt, geht es bei Nitro&Milk doch recht finster zu. Tod und Krankheit sind in allen Folgen präsent. Die Sympathien liegen natürlich immer bei den drei Hauptfiguren. Überraschend ist jedoch, dass das so gar nicht intendiert ist.



Elias: Ich erwarte vom Zuschauer, dass er zu dem Entschluss kommt, dass Tina, Veit und Elias blöde Arschlöcher sind. Bisschen doof und überhaupt nicht sensibel. Mensche, die kein Feingefühl für Leute haben, die eh schon gesellschaftlich auf die Fresse bekommen, wie die Indianer zum Beispiel. Wenn die drei ankommen und sagen: „Wir beleben diese Geisterstadt zu einer normalen Stadt. Oh, das ist ja Indianerterritorium und wir müssen uns gegen die Indianer verteidigen“, dann liegen ja die falsch, die so eine Nummer abziehen. Ich erwarte dann vom Zuschauer, dass er selber drauf kommt. Ist ja nett, das alle mit uns sympathisieren, aber dann liegt der Fehler beim Zuschauer, nicht bei uns.

Das fällt allerdings etwas schwer, denn da die Rollen von Veit und Elias am sorgfältigsten gezeichnet sind, identifiziert man sich natürlich schneller mit ihnen, als mit eindimensional wirkenden Indianerkomparsen, die zu Recht ihr Land zurückerobern wollen.
Schon kurz nach den ersten Screenings mussten sich Veit und Elias den Vorwurf gefallen lassen, in der Darstellung der Indianer alte Klischees auszuwalzen. Dass nordamerikanischen Ureinwohner in echt nun mal nicht wie in den alten Karl-May-Filmen aussehen, ist den beiden auch klar. Das Spiel mit den Westernklischees wird allerdings bewusst in Kauf genommen.

Elias: Das einzige blöde Klischee ist, dass wir es im ersten Teil gewagt haben, den Leuten Langhaarperücken aufzusetzen. Was man auch noch sieht. Western lebt ja von diesen Klischees, du willst auf der einen Seite mit diesen Klischees arbeiten, auf der anderen Seite nicht rassistisch sein.

Weniger Probleme gibt es bei der Rekrutierung von freiwilligen Darstellern: Wahrscheinlich ließe sich ein Who-is-Who der Friedrichshainer/Kreuzberger Punkszene erstellen, würde man eine Liste aller Freunde anlegen, die bisher für einen Einsatz vor die Kamera gesprungen sind. Wer genau hinschautBands wie MINUS APES, PUFF oder die FROGRAMMERS als beinharte Cowboygangs erkennen.



Der Einsatz von Freunden und Verwandten führt zu teilweise skurrilen Szenen. Elias Eltern wurden beispielsweise derart besetzt, dass sie in der dritten Folge von ihrem eigenen Sohn um die Ecke gebracht werden. Wenn befreundete Bands und Musiker als Kleindarsteller Schlange stehen, liegt es auch nahe, dieselben Musiker für den passenden Soundtrack einspannen.

Wenn allerdings viele der Darsteller aus der Punkszene kommen und mit szenetypischen Outfits ausgestattet sind, die aber zu Wildwest-Zeiten undenkbar waren, ergeben sich in Hinblick auf die Detailtreue neue Probleme.

Elias: Wir haben einen leichten Authentizitätswahn entwickelt und arbeiten mit Klamotten aus der Zeit der Jahrhundertwende. Dann ist es natürlich nicht so schön, wenn die Leute grüne Haare oder Iros haben oder arg tätowiert im Gesicht sind. Das macht die Sache manchmal etwas schwierig. Auch bei Frauen, die kurze Haare haben. Die müssen dann halt Perücken tragen. Es gab ja zu jeder Zeit Menschen, die nicht konventionell gelebt haben. Aber wenn du dich in unserer Punkerclique umschaust, dann würden es nur noch solche Charaktere sein.


Nitro&Milk ist eine Low-bis No-Budget-Produktion im besten Sinne. Kostüme? Schneidert Elias selber. Technik-Ausstattung? Besorgt Veit über ebay. Drehbuch? Wird selber geschrieben, ist aber oft nur eine grobe Richtlinie für die am Dreh beteiligten Laiendarsteller. Kulissen? Werden seit 2007 in der Weite von Meck-Pomm selber auf der familieneigenen Pferdekoppel in einem Dorf mit dem wunderschöne Namen Trittelwitz gebaut. Kameratechnik? Hat sich Johanna im Laufe der Zeit bei den Drehs selber draufgeschafft. Filmförderung? Das höchste der Gefühle war eine geschenkte VHS-Kamera. Weil die Digitalisierung des Filmmaterials aber zu aufwändig war, verkaufte Veit das Schätzchen und investierte den Erlös in modernere Ausstattung, auch um vom dauernden Ausleihen irgendwelcher Stative und Requisiten unabhängig zu sein.

Weil spätestens seit Klaus Kinski und Werner Herzog zu jeder guten Filmproduktion der gepflegte Argumentation um die kreative Umsetzung gehört, gibt es auch bei Nitro&Milk gern mal Diskussionen am Drehort. Auch, weil das Drehbuch eher Richtlinie als strikt auswendig zu lernende Vorgabe ist.

Johanna: Wir haben zwar ein Drehbuch, aber da ist kein Storyboard drin, das passiert direkt in der Szene in dem Moment. Man probiert viel aus und hat kein klares Konzept. Das ist dann bei brütender Hitze ganz schön anstrengend.

Dreharbeiten bei Nitro&Milk sind, bei allem Eindruck von Laissez-Faire und gewolltem Dilettantismus, nicht immer einfach. Weil meist im Sommer gedreht wird, können die Temperaturen für alle Beteiligten zu einem sehr zermürbenden Faktor werden. Unvergessen ist jener Drehtag im Sommer 2014, als sich die Crew, nach einem längeren Umtrunk am Vorband, recht verkatert und in schweren Cowboy-Monturen aus Leder unter praller Sonne in Trittelwitz durch verschiedene Einstellungen schleppte. Da waren nicht nur die Darsteller vor der Kamera ziemlich am Ende.



Johanna: Wenn du in dem Moment auf rohem Holz mit nackten Füssen mit der Kamera an so einem komischen Vehikel, entlangrutschen musst, ist das sehr anstrengend. Es ist total heiß, du reißt dir die Füße auf, weil du ohne Schuhe laufen musst, weil im Sand keine Turnschuhabdrücke sein dürfen, aber danach findest du das natürlich toll, dass es das gibt.

Nitro&Milk nur als Hobby abzutun, wäre zu wenig. Denn es ist schon mehr als das Feierabend-Video von zwei Kumpels, die ein paar lahme Cowboy-Witze verfilmen. Sonst hätten Johanna, Veit und Elias das Projekt nicht so lange am Laufen gehalten. Man nimmt sich ernst, als Filmemacher, Requisiteur, Drehbuch-Schreiber, Dramaturg, Kamerafrau und Schauspieler. Aber eben nicht so ernst, dass es peinlich wirken würde.
Der Ernst schlägt sich eher darin nieder, nie in einen Klamauk à la „Schuh des Manitou“ zu verfallen. Die bisherigen Nitro&Milk-Folgen wirken wie eine Mischung aus alten Spaghettiwestern und Winnetou/Old-Shatterhand-Versatzstücken und zu einem guten Teil findet sich auch die Stimmung, die man in Helge Schneiders Western findet.
Wobei Veit und Elias einhellig den 70er-Jahre-Western „Bad Company“ mit Jeff Bridges einen Western für den besten aller Zeiten halten.



Fünf Folgen der DIY-Western-im-Osten-Serie sind schon abgedreht oder werden derzeit geschnitten. Die sechste ist in Planung. Alle fertigen Folgen sind auf der Nitro&Milk-Homepage um Download verfügbar. Wenn es so weitergeht, ist noch mit einigen N&M-Episoden zu rechnen. Denn wie der berühmteste aller Cowboys schon früh sagte: The Drehbuch of future is unwritten.

Alle fertigen Episoden von Nitro&Milk kann man auf der N&M-Homepage kostenlos herunterladen.

Gary Flanell

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