Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 27. Dezember 2016

Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, denn …

Dieser eine Platz, diese Zuflucht, dieses Zuhause ...
Seufze, wenn du es gefunden hast und sei dankbar. Und seufze, wenn du es nach wie vor suchst, denn dann hast nicht aufgehört zu glauben, dass da etwas zu finden ist. Wie aber finden?
Nun, folge vielleicht tatsächlich dem Gesang. Flieg mit Anne Kaffeekanne übers Dach und guck von oben, und geh im Raumanzug durchs Viertel, die Straße erzählt dir sicher einen. Trampe nach Norden, ja, da könnte was sein! Oder frag Pinguin, kleinen König oder Ilse Bilse.
Oder unterhalt dich mit Herrn Vahle, Liedermacher und Autor, insbesondere auch verbeheimatet in jedem ordentlichen Kinderzimmer, und Herrn Pascow, Ex- oder Niemals-wirklich-Gimbweilerer, Schreimann-Musikant und Tante Guerilla.

Philip: Seid ihr welche von den Guten?

Alex Pascow: Ich bin mir nicht ganz sicher, wie du das meinst. Ich verhalte mich nicht immer gut, zuweilen verhalte ich mich schlecht, egoistisch, und ich habe definitiv meine Leichen im Keller. Manchmal versuche ich dieses Verhalten dadurch zu rechtfertigen, dass ich mir einrede, gewisse Werte abzulehnen, weil sie schlicht und einfach falsch sind und es nicht schlimm ist, diese zu brechen. Hin und wieder liege ich damit vielleicht sogar richtig, aber mindestens genauso so oft verwende ich diese Sicht aber einfach nur als billige Ausrede für beschissenes Verhalten. Solltest du aber mit die „Guten“ auf den geschundenen Begriff „Gutmensch“ anspielen, dann sage ich, Ja, ich bin einer von diesen „Gutmenschen“, und es ist mir eine Freude, den „Schlechtmenschen“ damit so richtig auf den Geist zu gehen.

Fredrik Vahle: Jeder Mensch ist in dieser Hinsicht Mischling. Ich auch.

Philip: Gilt das überhaupt, ist man in musikalischer Gesellschaft sicher? Oder ist Seumes Reimchen allzu hoffnungsfroh und naiv und macht die Ausnahmen nicht übersehbar?
Fredrik Vahle: Wenn dadurch eine hinderliche Singhemmung gelöst wird – wohlan!



Alex Pascow: Es gibt sicherlich Leute, mit denen ich nicht über Musik sprechen will, allerdings ist es schon so, dass das Reden über Musik hilft, small talk zu überspringen. Und da ich small talk einfach nicht mag und zudem auch total schlecht darin bin, ist es für mich auch sehr anstrengend und fühlt sich zuweilen wie geraubte Zeit und Energie an. Im Umfeld von Musik ist das oft einfacher. Entweder ist die Musik so laut, dass man sich das Labern gleich sparen kann, oder du lässt den small talk einfach weg und beginnst gleich darüber zu reden, ob du nun über die Ramones oder Sex Pistols zum Punk gekommen bist. Gitarristen untereinander haben es hier besonders einfach. Sie können jedes Geplänkel auslassen und kommen gleich auf Riffing, Amptuning und Sounds zu sprechen und hören danach nie wieder damit auf.


Philip: Kunst, die rein gar nichts will und einfach ist, also auch Liedgut, mag es geben, aber mindestens so häufig wird da sehr wohl gewollt, mehr noch, es wird hingewiesen, erzogen, belehrt, aufgestachelt, beschimpft und verunglimpft. Verleidet einem das das eigene Machen, oder spornt es umgekehrt sogar an?

Alex Pascow:
Kunst, die gar nichts will außer sein? Ich bezweifele stark, dass es die wirklich gibt. Viel eher glaube ich, dass diese Deutung erfunden wurde, um sich von Erwartungen und der Frage nach einem Sinn oder einer Message von vornherein zu befreien. Aber selbst wenn es keinerlei Bedeutung in der Kunst zu geben braucht, so gibt es doch immer einen Auslöser, warum sie geschaffen wird und entsteht. Sie soll doch zumindest neu sein oder in irgendeiner Form einen neuen Blick schaffen. Aus dem puren Nichts entsteht keine Kunst, ganz egal welche. Das wäre dann wohl eher Natur, und selbst diese entsteht nicht aus dem Nichts. Um auf deine Frage zurück zu kommen. Natürlich nerven schlechte Musik und schlechte Texte, vor allem dann, wenn sie allzu gewollt sind und nichts Eigenes besitzen. Nicht falsch verstehen, es ist für meine Begriffe vollkommen in Ordnung, sich von anderen inspirieren zu lassen und Sachen zu klauen, so lange man dabei in irgendeiner Form was von sich selbst preis gibt oder etwas Neues schafft. Aber nur zu reproduzieren, was andere bereits gemacht haben und sich dabei noch so zu verstecken, dass man selbst nicht zu erkennen ist, ist langweilig und belanglos. Das will ich nicht nicht hören, sehen oder lesen. Es sollte entweder authentisch und damit auch ein Stück weit verletzbar oder eben neu sein. Wenn es beides nicht ist, wirst du als Musiker, Texter selbst niemals deinen wahren Kick haben.

Fredrik Vahle:
Wenn ich selber kreativ bin, denke ich nicht so sehr an anderes!



Philip: Sind Musik und Musikant eine Einheit? Kommt nur raus, was zuvor bereits drin war und alles ist authentisch?

Alex Pascow: Das kann so sein, muss es aber nicht. Wie bereits zuvor gesagt, Authentizität ist eine Möglichkeit oder ein Weg, aber bei weitem nicht der einzige. Es gibt so viele Bands, Autoren, Filmemacher, Zeichner etc., deren Kunst rein gar nichts mit deren Alltag zu tun hat. Man muss nicht mit Drachen gekämpft haben, um eine guter Märchenerzähler zu sein, und man muss sich auch nicht drei Mal im Jahr das Herz brechen lassen, um darüber zu singen. Es mag sein, dass das alles in einem „drinstecken“ muss, um daraus einen Song oder eine Geschichte zu machen, aber man muss es definitiv nicht selbst erlebt haben. Und mal ehrlich, wo wären die ganz großen Werke, wenn es nur um Authentizität ginge?

Fredrik Vahle: Wenn nur rauskommt, was vorhin drin war, dann ist das eher langweilig. Mir macht es Spaß, auch bei Liedern, die ich schon oft gesungen habe, immer wieder was Neues zu entdecken!



Philip: Und noch zu zu dem dem, was drin war und ist – wer hat das wie in dich reingefüllt? Lässt sich sagen, was der erste Kontakt zu Musik und Liedern war und was der letztlich angerichtet hat?
Fredrik Vahle: Das war weniger in der Familie, aber dann gab es so mit 14/15 Jahren Singen im Freundeskreis, auf Tramp-Fahrten quer durch Europa. Und dann mit Ulli Freise (Elster Silberflug) und Christiane Knauf.

Alex Pascow: Ich glaube, einen Teil davon habe ich mir einfüllen lassen, sprich, ich habe erfahren, gelernt und wurde von dem geprägt, was um mich herum geschah und geschieht. Dies passiert zu einem ganz großen Teil unbewusst. Manches davon kann ich mir im Laufe der Zeit bewusst machen, manches bleibt für immer versteckt und beeinflusst mich sicher unbewusst. Einen anderen Teile habe ich mir selbst eingefüllt. Jeder beginnt schon sehr früh, eine Auswahl zu treffen und selbst zu entscheiden, was einen interessiert, was man gut findet, womit man sich auseinandersetzen will usw. Das ist eine bewusste Entscheidung für und gegen etwas. Im Endeffekt bin ich also weder ein Opfer meiner Umwelt noch lebe ich wirklich autonom.



Philip: An der Uhr gedreht und unterstellt, die musikalisch-künstlerische Sozialisation legte einen fest – was wäre, wenn das Damals mit dem heutigen Gesamtsoundtrack unterlegt wäre? Klängest auch du anders? Klängest du überhaupt?

Alex Pascow: Ich kann nicht sagen, ob mich Musik, Bands und der ganze Rockzirkus heute nochmal so erreichen würde, wie es damals passiert ist. Und das meine ich jetzt völlig wertfrei. Es war nicht generell besser oder schlechter damals, aber es war definitiv anders. Vielleicht haben heute YouTuber oder Blogger die Anziehungskraft, wie sie früher Rock- und Punkbands hatten. Aber ich bin mir sicher, würde ich heute als Schüler wieder damit beginnen, Musik zu machen, sie wäre definitiv anders. Alles andere wäre auch wirklich strange … Stell dir vor, es hätte sich in den letzten 15 Jahren nichts getan und die Kids würden immer noch den gleichen Kram abfeiern. Das wäre selbst für CSU-Verhältnisse sterbenslangweilig.

Fredrik Vahle: Schwierige Frage – aber meine Stimme würde man vielleicht heraushören ...



Philip: Eure Lieder gehören jetzt wiederum zum Aufwachsen vieler, untermalen klanglich alle möglichen Situationen und bringen textlich die unterschiedlichsten Gefühlslagen auf den Punkt. Sind am Ende gar auf bedeutungsvollen Mixtapes. Ist das schön? Oder auch ein bisschen unheimlich?

Alex Pascow: Meist ist es schön und für mich zählt es zu den besten Momenten der Bandgeschichte, wenn ich mitkriege, welche Bedeutung der eine oder oder andere unserer Songs für manche Menschen hat. Manchmal stelle ich dann fest, dass ein paar Leute praktisch das gleiche in einem Text sehen wie ich, als ich ihn schrieb oder wenn ich ihn singe. Ein anderes Mal sehen Leute etwas ganz anderes darin, was sie aber genauso bewegt. Und manchmal, ja, manchmal wirst du auch einfach nur vollgelabert und es gibt keine Gemeinsamkeit außer Bier. Und weiß Gott, es gibt Schlimmeres.

Fredrik Vahle: So ist es, beides trifft zu.


Philip: „Hätte ich damals nicht xxx von Fredrik Vahle oder von Pascow gehört, bei Gott, ich wäre heute wer anders!“ Wer könnte so etwas sagen und damit schmeicheln? Wer ließe dich damit ein Loch im Boden suchen zum Verstecken?


Fredrik Vahle: Komische Frage. Trotzdem: Ich bin mit der Resonanz auf meine Arbeit zufrieden!

Alex Pascow: HaHaHa … No Masters! Nein, keine Ahnung, ob es da jemanden gibt? Wenn es der Wahrheit entspricht, würde mich eine solche Aussage sehr freuen, fast egal von wem sie kommt. Okay, stell dir vor, eine Person, die du wissentlich und aus voller Überzeugung verachtest, würde so etwas zu dir sagen. Nein, dann würde ich mich nicht freuen. Also vergiss, was ich sagte :-)

Philip: Was läuft derzeit daheim in den eigenen vier Wänden? Und wie?

Fredrik Vahle: Nicht viel. Vielleicht Linard Bardill und Gurdjeffs Hymnen. Ich mache viel selber Musik. Auch zu Hause.



Alex Pascow: Ganz ehrlich? Das Album von Eliot Sumner finde ich super. Die neue DISCO//OSLO und die neue LYGO höre ich oft und dass nicht nur ,weil sie auf unserem Label erschienen sind. Dann stehe ich momentan auch ziemlich auf rhythmische Sachen, also Songs, die hier interessant sind, ohne dabei penetrant zu werden, CLASH hatten hier ein paar richtig gute Sachen, auch Bands wie PROPAGANDHI oder AGAINST ME oder auch Leute wie bspw. Micah P. Hinson oder sogar Charles Aznavour. Außerdem schaffen es immer wieder Klassiker auf meine Playlist, zur Zeit mal wieder die DESCENDENTS.



Philip: Wann bist du endgültig fertig mit Musik? Wann kommt kein Ton und kein Wort mehr?

Fredrik Vahle: Weiß ich nicht...

Alex Pascow: Es gibt immer mal wieder Phasen in denen ich keine Lust habe, mich mit Musik aktiv zu beschäftigen. Dann bin ich schnell gelangweilt oder genervt von Musik, die mir begegnet. Oft kommen aber gerade im Anschluss an solch einen Zeitraum ein paar Tage oder Wochen, in denen mir selbst viel einfällt oder ich Musik von anderen richtig verschlingen kann. Aber selbst in solch einer Phase, denke ich immer nur bis zum nächsten Song oder vielleicht noch bis zum nächsten Album, weiter nicht. Und sollte mir irgendwann nichts mehr einfallen, was mich selbst fesselt, höre ich auf oder mache was anderes. Ich weiß aber auch, dass ich ein Arbeiter sein kann, das heißt, ich höre nicht auf, nur weil ein Song oder Text zu Anfang mal beschissen ist. Die wenigsten Stück oder Texte funktionieren von Anfang an, an den allermeisten muss man arbeiten und sie zu guten Songs zu machen. Das ist nicht immer leicht, oft sogar zum Kotzen und nicht selten fühlt es sich dann auch an, wie jede andere Arbeit auch. Wie so oft schon gesagt ...10% Inspiration, 90% Transpiration.

Philip: Jetzt aber noch nicht fertig. Es wäre fein, dass Gespräch mit einigen eigenen relevanten Liedzeilen zu beenden. Wenn sie gar themaexklusiv wären, wäre dies sicherlich verzeihlich.

Alex Pascow: Eigene relevante Textzeilen? Mit Textzeilen von anderen könnte ich dich zuschütten, aber nun gut gut, versuchen wir es mal mit eigenen:

„Cherchez la femme“ aus „Die dumme Kuh mit den schönen Augen“ - Dabei handelt es sich genau genommen nicht um ein Zitat von uns, vielmehr ist es eine bestehende und weit verbreitete Redewendung, die wir lediglich aufgegriffen und eingebaut haben. Nichtsdestotrotz ist und bleibt die Aussage dieses Zitats die ultimative Triebfeder für alle Arten von Texten, Songs und jeder Menge Abstürze in allen Facetten.

„Die Zeit, die mir fehlt, ist das Geld, das ich krieg.“ aus „Castle Rock“ - Es ist eine Abwandlung oder Anspielung eines Blumfeld Zitates. Aber unseres geht in eine andere Richtung und für mich fasst diese Stelle das Album „Diene der Party“ im Ganzen gut zusammen.



„Wenn meine Generation auf mich zählt, dann Honey, ist sie verloren“
aus KO Computer. - Ach verdammt, auch ich bin im Laufe der Jahre mehr eingemacht worden als ich es zuvor geglaubt hätte, trotzdem ist an diesem Zitat noch immer was Wahres dran. So gesehen ist es manchmal auch gut keinen Frieden zu kriegen. Oder zu machen.



Fredrik Vahle: Von der CD „Lilo Lausch läuft leise“: „Unterschiede kann man seh'n/ Zuhör'n bringt dich ins Versteh'n./ … Denn da ist ein großer Klang/ der die ganze weite Welt/ wenn man aufeinander hört/ wie von selbst zusammen hält.“




fredrikvahle.de
pascow.org

Interview: Philip Nussbaum

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen