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Mittwoch, 2. Dezember 2015

California Über alles

Die Biografie der Dead Kennedys von Alex Ogg

Bücher über Punk gibt es mittlerweile sehr viele. Wahrscheinlich lässt sich damit ein ganzes Archiv füllen. Aber das gibt’s ja schon. Auch über einzelne Bands wurde ja auch schon einiges , mehr oder minder interessantes zusammengeschrieben.Nicht, dass ich sagen würde, jetzt reicht's mal, aber wenn ich mich so umschaue, ist die Dokumentatin doch recht ungleich verlaufen. Massenweise Literatur gibt es über die RAMONES, die SEX PISTOLS, THE CLASH, CRASS undsoweiterundsofort gibt es ja schon massenweise. Seltsamerweise wurde aber bisher eine der erfolgreichsten Punkbands ever biografisch noch nicht aufgearbeitet – die DEAD KENNEDYs. Bis jetzt.

Zeit wurde es ja mal. Vielleicht hat Alex Ogg, der Verfasser der DK-Biographie „California über alles“ einen kleinen masochistischen Hang. Denn so einflußreich die Band war, umso schwieriger dürfte es gewesen sein, die Mitglieder über die gemeinsame Zeit berichten zu lassen. Es ist vielleicht eine ganz besondere Tragik, dass diese Band, die für viele ein Inbegriff der coolen, „guten“ Punkband war, die für DIY steht wie sonst keine Anfang der 80er, dass diese Band mittlerweile heillos zerstritten ist und sich jahrelang gegenseitig ohne zu zögern den sprichwörtlichen Schlamm um die Ohren gehauen hat.

Wegen Tantiemen, Rechteverwertungen und Abrechnungen. Ich gebe zu, dass meine Sympathien lange Zeit komplett auf der Seite von Jello Biafra lagen. Vielleicht aus dem Grund, dass der ja nach dem Ende der DKs regelmäßig neue Projekte startete, von denen eigentlich alle immer sehr erfrischend und spannend waren. Wiederholung oder Rückschau waren nie Jellos Ding. Statt sich auf den Kennedys-Lorbeeren auszuruhen, und sich eventuell eine Band zusammen zu suchen, mit der er bis ans Ende seiner Tage die alten Hits spielen könnte, ging er immer neue Projekte an. Mal Punk, mal Country (mit Mojo Nixon), mal spoken word Performances, mal Elektro-Industrial-Rock (LARD), mal einfach eine neue Punk/Rockband mit verschiedenen Buddies. Nicht zu vergessen wäre dann noch Alternative Tentacles, jenes Label, das auch abseits der Dead Kennedys immer für interessante Platten gut war.

Von seinen ehemaligen Mitstreitern Klaus Flouride, East Bay Ray und D.H. Peligro kam dazu im Vergleich in den 30 Jahren nach der Auflösung wenig. Ein paar Touren mit einem Ersatzsänger – wobei ich mich frage, was einen Punkrocker dazu treiben kann, zu versichen, Jello Biafra in dieser Band glaubwürdig ersetzen zu können – das war's.

Wie das alles so kam, vom Anfang bis zur Auflösung 1986, nach der letzten LP Bedtime for Democracy und danach zu dem fiesen Zwist um das Erbe der Band, ist also schon spannend.
Alex Ogg behandelt in seinem Buch gar nicht auf die ganze Geschichte der Dead Kennedys. Dann wäre es wahrscheinlich ein 6-bändiges Werk geworden und Alex hätte die nächsten Jahre in einem Sanatorium zubringen müssen. Aber die Fronten zwischen den Bandmitgliedern waren zutiefst verhärtet, wie Ogg anschaulich im Vorwort erklärt. Ursprünglich waren Teile des Buchtextes als Liner-Notes für eine Neuauflage der ersten DK-LP „Fresh Fruit for rotten vegetables“ vorgesehen. Biafra vs. the rest of the band, hauptsächlich East Bay Ray, waren die Kontrahenten. Es ist fast absurd zu lesen, wie Oggs Interviewtranskriptionen, die er für das Manuskript verwendete von der jeweiligen Gegenseite komplett auseinander genommen wurden. Wie man sich um einzelne Formulierungen stritt. Wie es seitenweise Anmerkungen gab. Wie aus ursprünglich 5000 Wörtern CD-Beilagentext auf einmal 64.000 wurden.

Leider habe ich Alex Ogg bei seinen Lesungen in Berlin verpasst, ich könnte mir aber vorstellen, dass er ein Mensch mit einem sehr langen Atem sein muss, um zwischen diesen beiden Streitparteien hin und herswitchen zu können. War da Buddhismus und Meditation im Spiel? Keine Ahnung, wieviel Geld es für dieses Buch gegeben haben wird, aber das allein kann Arbeitsleistung nicht aufwiegen.
Von daher ist es verständlich und im Sinne der seelischen Gesundheit des Autors, dass in „California über alles“ nur die Anfänge der Band in der frühen Punkszene von San Francisco Anfang der 80er, bis nach der Veröffentlichung von „Fresh fruit...“.
Für diesen Zeitraum bekommt man allerdings alles, was man von einer guten Punk-Bio erwartet. Viele Livefotos, Comics über die Bandgeschichte, zahlreiche Bilder vom Artwork der Platten, das ja bei den DKs immer eine sehr wichtige Rolle spielte und natürlich viele Hintergrundinfos zum Werdegang der Band. Die gehen mir allerdings manchmal zu sehr ins Detail. Ich meine, ist es wirklich wichtig, welche Bandmaschine die DKs bei den Aufnahmen zu ihrem ersten Album benutzt haben? Trägt es wirklich zum Verständnis des Debutalbums bei, wenn man weiß, dass es das große lolliförmige Sonymikro war, mit dem aufgenommen wurde? Davin ab liefert „California...“ 177 Seiten viele Infos über eine der einflussreichsten Punkbands ever. Sagte ich 177 Seiten? Aber das Buch hat doch 240, was ist da los?

Die Wahrheit ist: Nach knapp 180 ist merkwürdigerweise schon Schluß mit dem eigentlichen Text. Die anschließenden 60 Seiten sind gefüllt mit Anmerkungen, Zitaten von Musikerkollegen zum Einfluß der Platte, weiterem Artwork, einer Timeline und einer Discographie. Das mag alles Sinn machen, trotzdem war ich ein wenig überrrascht über das abrupte Ende. Und irgendwie auch ein wenig enttäuscht, denn Alex Ogg hat, abgesehen von dem Hang zu vielen Details (s.o.), eine gute Schreibe. Stell dir vor, du erwartest als Kind eine geile lange Gute-Nacht-Geschichte von deinem Großvater und das was er dir erzählt, ist nach 10 Minuten schon vorbei, und du bis noch gar nicht müde. So ungefähr war das, als ich „California über alles“ zuklappte. Ich hätte also gern noch erfahren, wie es weiterging nach der ersten DK-Platte. Wäre schön gewesen, wenn da noch mehr wäre. Aber andererseits... bleibt so ja noch die Möglichkeit der Fortsetzung.

Alex Ogg: California über alles Dead Kennedys – wie alles begann 240 Seiten Ventil Verlag ISBN 978-3-95575-008-4



Gary Flanell

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