Viel wird über Bands und Musikschaffende geschrieben. Oft wird das so erzählt, als wäre es selbstverständlich, Musik machen zu können, die Zeit und Gelegenheit zu finden, die Gemeinschaft mit den anderen, die eine Band zur Band macht. Und als wäre es selbstverständlich, sich die Anerkennung auf der Bühne zu erkämpfen. Ist es aber nicht. Wer ist schon einfach so „MusikerIn“? Wann darf man das eigentlich von sich sagen?
Darum hat die Renfield-Crew genauer nachgefragt. Wir haben uns vier großartige, ganz unterschiedliche Musikerinnen zusammengesucht, die alle hinter das Schlagzeug gehören – wenn auch, wie wir erfuhren, Instrumententausch gängige Bandpraxis ist. Und ließen uns von ihnen erzählen, wie sie da eigentlich hingekommen sind, was das für sie bedeutet und welchen Platz das geliebte laute Ding in ihrem Leben einnimmt.
Natürlich kommt dabei auch immer wieder ganz von allein die Frage auf, ob das immer noch auffällt – Frau am Schlagzeug? Sagen wir mal so: Es wird langsam. Aber die Sammlung der Sprüche, die Schlagzeugerinnen immer noch regelmäßig gedrückt bekommen, wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten...
DER KOLLEKTIVE STECKBRIEF
Namen: Johanna, Katrin, Rachel, Malwina.
Alter: Zwischen Mitte 20 und Mitte 40. Oder so um den Dreh.
Ausgeübte Tätigkeiten neben der Musik: Schreiben, Kochen, Kellnern, wissenschaftliche Arbeit, Unterrichten, Kinder erziehen, Modeln, Metalle zerspanen.
Musikstile: Punk, Ska, Rock, Postpunk, Swing, Latin, Schamanismus, new primitive music.
I. JOHANNA - NUR EIN HALBER LEBENSLAUF
Mit Johanna von Kulku treffe ich mich an einem sonnigen Frühlingstag vor einem sonnigen Café. Sie ist noch etwas blass vom Winter, zeigt aber schon ihr Grübchen und lächelt in die Sonne. Die zweifache Mutter hat eher selten Zeit, im Café zu sitzen, und auch genug Zeit für ihre Band zu finden, fällt nicht immer leicht – auch weil der Vater ihrer Kinder in derselben Band spielt, die sie gemeinsam gegründet haben. Das heißt, jede Probe und jeder Auftritt erfordert Kinderbetreuung. „Andreas macht alleine ziemlich viel Musik“, erzählt sie, „aber zusammen ist es schwer. Wenn wir nicht arbeiten müssen, gehen wir tagsüber zusammen in den Proberaum, wenn die Kinder in der KiTa sind. Aber abends muss immer organisiert werden.“
Kulku ist eher das, was sie eine freie Formation nennt. Beim Auftritt im April im Berliner Wedding sind acht Musiker „aus dem Berliner Underground“ mit dabei. In Johannas Muttersprache Finnisch bedeutet Kulku etwas Ähnliches wie: der Weg, die Bewegung, das Gehen, das Fließen. „Auch so was wie den Groove?“ frage ich sie, und sie lacht und nickt.
Kulku sind musikalisch etwas völlig Eigenes. Sie selbst nennen es „new primitive music“ oder „Animism'n'Roll“, womit sie auf ihre schamanistischen Elemente verweisen. Für Johanna ist das Schlagzeug auch ein Instrument der Trance, Musik ist nicht nur Ausdrucksform, sondern ein Weg, sich für Erfahrungen zu öffnen. Kulku bauen auch Instrumente selbst und konstruieren „organische“ Klanginstallationen mit Wind und Wasser. „Radiotauglich wollten wir nie sein.“
Johanna kommt vom Punkrock her und hat Musik immer als etwas zutiefst Politisches erlebt, schon Mitte der 90er in Helsinki. Mit 16, 17 Jahren war sie damals in der Szene aktiv, Punk, Tierrechte, Aktivismus und Musik gehörten zusammen. „Damals und dort waren es doch hauptsächlich Jungs, die Musik machten. Die wenigen Frauen waren meist Sängerinnen und dann gleich richtige Profis.“ Sie selbst kam zuerst durch die Britpop-Band Elastica auf die Idee, Musik zu machen, und begann mit einigen Freundinnen zusammen zu spielen. „Energie und Aggressionen mussten raus, darum fing ich mit dem Schlagzeug an.“ Mit zwei anderen Mädels und einem Jungen als Gitarristen spielte sie dann in der Band G-litter. „Das kam aus der Szene, aber wir klangen ganz anders. Es war so eine Art märchenhafter Funk.“
Um 2000 herum kam Johanna, nach einiger Zeit in London, nach Berlin. „Es war damals viel leichter in Berlin“, meint sie. Musikerin zu sein und trotzdem irgendwie leben zu können, das wird zunehmend prekärer. „Du brauchst Zeit, um Musik zu machen. Du brauchst einen freien Kopf und Kreativität. Und diese Zeit geht eben ab von der Zeit, in der man Geld verdienen kann. Und als Frau wird man dann vielleicht auch noch Mutter. Und auch das braucht Zeit.“
Und sagen wirklich heute immer noch Leute so was wie: „Oh guck mal, da ist `ne Frau am Schlagzeug?“ Ja klar, meint Johanna. Gerade durch den Instrumententausch auf der Bühne bei Kulku kann es Bemerkungen geben, wenn sie sich ans Schlagzeug setzt. Ganz typisch ist auch, wenn sie sagt, dass sie Musik mache. „Dann kommt oft so was wie: Ah ja, singst du? Und wenn ich sage, ich spiele Schlagzeug, dann kann es heißen: Das hätte ich jetzt nie gedacht... Weil ich nicht danach aussehen würde. Wie das auch immer aussehen würde...“
Nett gemeint und kurz gedacht ist auch der Klassiker: dem zarten Mädchen Hilfe beim Schlagzeugaufbau anbieten. Das nervt Johanna besonders, so sehr, dass es auch schon vorkam, dass sie tatsächlich mal etwas nicht genau wusste und sich nicht helfen lassen wollte, um sich nicht in diese Kleinmädchenrolle drängen zu lassen. Das Do-It-Yourself-Ethos war ihr immer wichtig. Sie hat ihr Instrument selbst gelernt und fühlt sich als Autodidaktin herausgefordert, sich auch technisch zu beweisen.
Der Vermarktung aber wollte sie sich entziehen, nicht Teil der Industrie werden. „Ich hatte nie die Idee, davon leben zu können.“ Mit den Trashcats wäre das vielleicht sogar gegangen. Die klangen nach den Ramones und verkleideten sich als Kellnerinnen. „Und das hat Spaß gemacht!“ Die vier Bandmitglieder arbeiteten damals alle im Berliner White Trash und bekamen gleich die Gelegenheit, im Rahmen des „Real Life Rock Drama“-Abends in der Columbiahalle zu spielen. Danach schrieben sie eigene Songs und entwickelten sich weiter, sprachen auch mal mit dem einen oder anderen Manager. Letzten Endes lösten die Trashcats sich jedoch auf, ohne Teil der Musikindustrie geworden zu sein.
Für Johanna ist Musik nicht ihr Beruf, aber viel mehr als ein Hobby. „Musik ist ein wichtiger Teil meines Lebens, den ich auch brauche. Aber es ist nicht einfach, das aufrecht zu erhalten, wenn man arbeiten und Geld verdienen muss. Da wird man gefragt: und was machst du? Und dann kommt manchmal diese Selbstverniedlichung, dieses: Ja eigentlich mache ich ja Musik. Dieses Eigentliche nehmen wir oft nicht ernst genug, lassen es außen vor, aus Angst, was die Gesellschaft darüber denkt, wie es zu rechtfertigen ist, wenn es kein Job ist. Da bleibt dann nur ein halber Lebenslauf.“
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II. KATRIN - KANN ICH DEINE STICKS HABEN?
Auf der Bühne trägt Katrin Anzug. Weißes Hemd, schwarze Weste, schwarze Sonnenbrille und schwarze Melone auf den blonden Haaren. Stock und Hut stehen ihr gut. Um sie herum lauter Jungs, die alle wie die Blues Brothers aussehen, und dazwischen Frontfrau Ariane. Keyboard, Gesang, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Posaune, Trompete, Tenorsaxophon – das ist Port Royal.
„Das ist Ska, aber das hat auch ziemlich vielfältige andere Einflüsse“, erklärt Katrin, mit der ich in einer Neuköllner Kneipe sitze, den „pirate style“ von Port Royal. „Da sind rockige Einflüsse drin und Latin-Einflüsse.“ Der gemischte Stil von Bands wie Seeed hat sie beeinflußt. Wenn sie erzählt, wie eine Ska-Band Musik macht, klingt das ganz anders als die typische Dreierkombination aus Bass-Gitarre-Drums. Die Bläser spielen nach Noten, die Rhythmusgruppe spielt Akkorde. 10 Leute mit ganz verschiedenen Instrumenten zu koordinieren, geht nur mit einem gewissen Maß an Professionalität. Am Songschreiben sind aber verschiedene Leute beteiligt. „Meist entwickelt sich das dann beim Spielen weiter.“
Katrin hat sich das Schlagzeugspiel selbst beigebracht und spielt schon seit vielen Jahren für die Ska-Combo. „Es ist ein Hobby“, sagt sie. Im täglichen Leben ist sie Wissenschaftlerin und wirkt entsprechend kompetent und gelassen. Sie ist Diplomingenieurin für Werkstoffwissenschaften und promoviert über die Zerspanung von Metallen. Und zum Musikmachen kam sie nicht etwa in abgeranzten Punkrockkellern oder auf verkifften Hippie-Festivals, sondern in der Schule.
Sie fing in der neunten Klasse an zu spielen und nahm in der Oberstufe dann an der schuleigenen Big Band teil. Nahe lag das insofern, als es in der Schule Schlagzeug und Übungsraum gab, was Katrin zu Hause beides fehlte. „Schlagzeug übte einfach eine Anziehungskraft auf mich aus“, sagt sie. Die Eltern empfahlen ihr aber erst einmal Keyboard-Unterricht. „Schlagzeug, das nimmt Platz weg und ist laut“, hieß es damals. Katrin wirkt eher leise, doch sie ist von einer stillen Entschlossenheit. „Später hab ich mir dann eine Ecke im Werkzeugkeller freigeräumt.“
Ohne Unterricht hat sie damals nach Gehör gelernt, sich im Fernsehen verschiedene Schlagzeugstile ausgeguckt zwischen Echt und der Kelly Family. „Irgendwann hab ich den Rhythmus rausgehört.“ Dann gab es in der Schule eine Percussion-AG, und als dann bei der Weihnachtsfeier eine Schlagzeugerin der Big Band ausgefallen ist, konnte Katrin einspringen. „So bin ich dann da reingerutscht.“ Aus der Big Band entwickelte sich nach der Schule die Erstbesetzung von Port Royal. Dafür nahm Katrin dann später auch ein paar Unterrichtsstunden, im Wesentlichen aber ist auch sie Autodidaktin.
„Die Leute sind oft überrascht, wenn ich sage, dass ich Schlagzeug spiele“, lächelt Katrin. „So siehst du gar nicht aus, heißt es dann. Ich weiß nie genau, was die damit meinen. Vielleicht müssten Schlagzeuger muskulöse Oberarme haben oder so...“ Ob sie auch bei den Auftritten manchmal Sprüche zu hören bekommt, frage ich sie. Katrin zuckt die Achseln.
Höflich schaltet sich ihr Mann Stefan ein, der bisher dem Gespräch interessiert zugehört hat. Stefan spielt auch bei Port Royal. Er ist Bassist und beschäftigt sich auch mit Ton und Technik. „Darf ich...?“ fragt er, und als sie nickt, erzählt er: „Es kommt schon öfter mal vor, dass ich beim Aufbau gefragt werde, ob ich der Schlagzeuger sei, wenn ich helfe, ein paar Sachen reinzutragen. Interessant finde ich aber auch die Gespräche mit den Tontechnikern.“ Stefan meint, es gebe zwei typische Kommentare der Tontechniker zu Katrins Spiel: Manche loben sie und sagen, sie spiele großartig, andere finden, ihr fehle der „Wumms“. „Ich kann das meistens vorhersagen, welche Reaktion da jetzt kommt. Damit, wie Kati wirklich spielt, hat das weniger zu tun, eher damit, was die von ihr erwarten. Sie kann schon auch leise spielen, das gilt aber für die ganze Band.“
Auch das Publikum reagiert unterschiedlich, stellt Stefan fest. Öfters kommen Leute nach dem Auftritt auf die Bühne. „Die stürmen dann an allen vorbei außer an Ariane und Kati.“ Frauen fühlen sich inspiriert von Katrins Spiel. „Die freuen sich und sagen: toll, wie du spielst. Manche fragen, ob sie ihnen ihre Sticks schenkt.“ „Ich hab inzwischen mehrere dabei“, sagt Katrin und grinst. „Aber von den Männern kommt auch öfter mal: Toll, dass DU das machst.“ Katrin kümmert das wenig. Sie bleibt leise. Aber ihren Platz nimmt sie trotzdem ein.
Port-Royal-Music
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Text: Alissa Wyrdguth
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