Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 16. Januar 2025

Schön, wenn Kuduro Gamelan kickt! Pt. I


CEMENTO ATLANTICO – Dromomania

Für die Leser diese Fanzines mag das befremdlich klingen (für 98% der Menschheit, die dies nicht lesen, jedoch ganz normal): Ich habe noch nie ein geschriebenes Wort über Musik verloren!

Meine Gehirnareale scheinen dafür bislang nicht vernetzt, denn ich deklamiere nicht beim Lesen wie mittelalterliche Skribenten oder erblicke gar geometrische Figuren wie Bach beim Musizieren.

Nun, das muss man ja auch nicht, murmelt der irritierte Leser, ein Abspielgerät genügt. Herrje, wurde hier etwa der allersimpelste Azubi drangesetzt? Ich aber rufe: Sagt dies nicht, denn wenn Ihr wüsstet, wie alt ich bin, Ihr würdet Euch schämen!

Daher beginne ich mit meinem Zeitgenossen Debussy - wie er, nachdem er ein javanisches Gamelan-Orchester in Paris erlebte - nicht mehr komponieren konnte wie zuvor. Die europäische Leitfrequenz verschob sich von streicherhaften Höhenzügen in wesentlich subterranere und polyphonere Gefilde, die der geneigte oder spektakulär ungeneignte Hörer bis da bloß als Geräusch wahrnahm. Weswegen es bei Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ weiland zu Tumulten kam.

So was werden wir wohl kaum wieder erleben, aber „Weltmusik“ hatte lange Zeit gleichfalls mit vehementen Vorbehalten zu kämpfen – oder wurde von findigen Plattenproduzenten in eine Batik- Dudelecke gepresst. Doch die Globalisierung läuft seit X Jahrhunderten, mindestens seit der Vereenigde Oostindische Compagnie (als schlechtes Beispiel) oder Zheng He mit seiner Schatzflotte (wurde eingeäschert), warum sollte man da nicht endlich mal ein passendes musikalisches Gewand schneidern?

Und da haben wir nun diesen italienischen Kühnen, namens Alessandro Zoffoli alias Cemento Atlantico aus Cesenatico!



Und was steckt schon alles in diesem Namen! Das „opus caementitium“, der Proto-Beton des Römischen Reichs sowie der Name eines legendären Clubs in Buenos Aires (wo ich mal Silvester 1992 weilte – doch das würde den Rahmen hier völlig sprengen). Cesenatico hat einen von Leonardo da Vinci höchstselbst entworfenen Hafen und für zwei Jahre das höchste Haus Italiens (1958-60). 35 Stockwerke Stahlbeton im razzionalismo italiano – da liegt die Latte hoch.

Aber wo liegt dieses Cesenatico? Aha, an der Adria, südlich von Ravenna und nur ein paar Steinwürfe von San Marino! Ha, die älteste Republik der Welt - und so erklingen in Zoffolis Zweitwerk polyrhythmisch und ganz gleichberechtigt Dhol- und Tabla-artige Drums, Arpeggio- Bässe, Marimbas, spanische Poesie, Flamenco-Gitarren sowie Field-Recordings - und Field-Recordings gibt es auf diesem Album eine ganze Menge.

Vereint von der digitalen Audio-Werkstation, wie der Deutsche sagt. Und sind das Sarangi- Streicher? Allenthalben „a strange mixture of east and west“ wie sogleich der erste Song im voice- over feststellt. Ich höre Kuduro, denke an Burial und empfange Flamenco-Vibes – nicht alles im selben Song, sondern im Verlauf der acht, die zur Hälfte spanische Namen tragen.

Danza Negra ist für mich das atmosphärisch dichteste Stück, aber verheddern wir uns nicht in Details, die sich jederzeit ändern können. „You will feel at home here“ (Zitat aus Garawek Khaos)!



Schließen wir deshalb mit dem brieflichen Ausruf Debussys: „Ah, mein Freund, erinnere Dich der javanischen Musik, die alle Nuancen enthielt, selbst solche, die man nicht benennen kann, bei der Tonika und Dominante nichts weiter sind als nutzlose Hirngespinste zum Gebrauch für Weinekinder, die noch nichts begreifen!“

Wundert Euch ebenfalls nicht, anfangs hörte ich beim Verfassen „The Book of Taliesyn“ von den frühen Deep Purple - das erklärt einiges + die Verfremdung (sowie den Klassik-Approach) - sondern schnappt Euch Eure Boombox und nehmt DROMOMANIA hinaus in die Lande!

Bit Father Out

Das komplette Dromomania-Album von Cemento Atlantico ist auf Vinyl & CD sowie digital hier über die C.A.-Bandcamp-Seite zu kriegen.

Donnerstag, 9. Januar 2025

Schön, wenn Nintendo-Core noch ballert Pt. IXI


KEM TRAIL - ACHT COLA ACHT BIT / SACHBESCHÄDIGUNG

Neues Jahr, guten Tag. Dann mal los und weitergemacht...

Zwei Fragen gehen mir beim Hören dieser Platte durch den Kopf:

1. Was war eigentlich mein Lieblingsspiel auf dem C64?

2. Was haben 8bit-Sounds und Thomas Gottschalk gemeinsam?

1. Das ist leicht zu beantworten: Ganz klar THE GREAT GIANA SISTERS. War eh mehr so der Jump'n'Run-Typ. Niedliche Pixelfiguren, denen die Haare explodieren, wenn sie mit dem Kopf einen Backstein zerbröseln war voll meins. So Tüfteladventure wie MANIAC MANSION eher nicht so. Dann lieber BUBBLE BOBBLE und ehm, dieses Spiel, bei dem man in Windeseile Roboterschaltkreise miteinander verknüpfen musste. Name leider vergessen.

2. Die Gemeinsamkeiten von dem "Berufsjugendlichen der Nation" (Spiegel Online) und dieser Art der Musik? Wahrscheinlich die Tatsache, dass sie zu ihrer Hochzeit in den 80ern ganz unterhaltsam waren. Auch, weil es wenig anderes gab, was in Reichweite war.

In Bezug auf das würdevolle Altern haben die 8Bit-Sounds dagegen ganz klar die Nase vorn. Der Humor von "Tommy" (HÖRZU) Gottschalk befindet sich mehr so auf dem Niveau einer Gurke, die du Anfang des Jahres gekauft und seitdem hinten im Kühlschrank vergessen hast.


Der kleinste gemeinsame Nenner ist wohl, dass Gottschalk und 8bit nunmal popkulturelle Phänomene der 80er waren und nun, ca. 40 Jahre später, bei beiden ein gewisser Alterungsprozess nicht aufzuhalten ist. Der allerdings mal so und mal so ausfällt.

Dieses 8bit-Gedöns, Sound und Bild, hat immer noch Charme, zugegeben einen recht nerdigen, aber immer noch Charme. Und die Leute, die damit Musik machen, wissen, dass sie sich hier mit einem Retrophänomen beschäftigen. Bei Gottschalk und seinem Altherren-Witz-Ich-fass-Leute-einfach-mal-an-Habitus bin ich mir nicht so sicher.

So gesehen passen 8bit-Sounds und rebellische Subkultur super zusammen: Hier kann sich Punk noch einmal als Außenseiter-Genre inszenieren, und gleichzeitig auch anschlußfähig für Leute aus linken Kontexten sein, die am Sonntag Morgen ins Sisiphos gehen, dementsprechend halt mehr so Elektro hören und drögen konventionellen GitarreBassSchlagzeug-Punk als etwas aus der Zeit gefallen bewerten.

KEM TRAIL, 8bit-Einzelkämpfer aus Hamburg, hat auf diesem Album zwei Veröffentlichungen zuammengemerged. ACHT COLA ACHT BIT ist als Tape schon 2022 rausgekommen, SACHBESCHÄDIGUNG wurde im letzten Jahr aufgenommen (Ha, jetzt müsst ihr nochmal alle rechnen, welches Jahr denn nun gemeint ist) - und nun gibt's das alles auf einer Platte.


Die ist in ihrer Gesamtheit sehr schick geworden, auch das Cover bringt beide Einflüße - Punk hier, old school Klötzchengrafik da, gut zusammen: Ein pixeliger Roboter zieht - die Faust erhoben - eine Schneise der Zerstörung durch eine Stadt, alles natürlich schick in Schwarz-Roter Optik. Opa Transformer beim Straßenkampf, ich will ein T-Shirt. Wann gibt's das Spiel im Emulator dazu?

Musikalisch ist die Platte ziemlich genau ein Mix aus seligen Electro-Sounds der Brotkisten-Ära und Texten, die typische Deutschpunkthemen abscannen: Hier was gegen Bullen, da was übers Saufen, apokalyptische Endzeitfantasien, Bürokratie-Irrsinn, Anti-Karriere-Songs, fundamentale linke Systemkritik - textmässig also alles am Start, was Punks seit den 80ern gerne thematisieren, wenn sie Musik machen. Da passen die beiden Coverversionen von L'ATTENTAT und BRAINDEAD super rein, ein schöner Brückenschlag zwischen Ost- und West-Punk, das.

Also ist das ACHT COLA ACHT BIT / SACHBESCHÄDIGUNG nur was für hoffnungslose Liebhaber von verstaubten 80er-Sounds- und Subkulturen? Nein.
Interessanterweise klingt diese Nintendo-Punk-Variante doch lebendiger und näher an der recht düsteren Gegenwart als gedacht. Das Tempo der Tracks ist natürlich um einiges höher als bei den gemütlichen Games aus dem C64 und damit grätschen dann doch Techno und Drum'n'Bass rein, sowas war und ist in linken Kontexten ja schon immer sehr verbreitet. Und schnelle, laute Musik - was ist denn bitte mehr Punk als das?
Also insgesamt eine sehr geeignete Platte, um die etwas schal gewordene Punkparty mit deinen Iro-Kumpels Atze, Zecke, Ratte und Penis mal aus dem Bierschlummer zu reißen. Darauf ein analoges Dosenbier.

Dazu kommt: Mit Blick auf derzeitige politische Entwicklungen und dem derzeit live mitzuerlebenden gesellschaftlichen Backlash sind die Themen, die KEM TRAIL ins Mikro brüllt, doch aktueller, als sie es vor 40 Jahren wohl mal waren. Bisschen gruselig dann doch, aber auch hier gilt: Scheiß Leben, aber geile Grafik.

Gary Flanell

KEM TRAIL - ACHT COLA ACHT BIT / SACHBESCHÄDIGUNG ist in limitierter Vinyl-Version (300 Stücker) und digital (und vielleicht auch auf Tape und Floppydisc?) auf RILREC erschienen.

KEM TRAIL gibt's live übrigens am 08.März 2025 in einem schäbigen Keller in Kreuzberg zu sehen.

Dienstag, 31. Dezember 2024

Schön, wenn Menschen ihre Lieblingsplatten des Jahres benennen. Können.

Jahresrückblicke kann jeder und macht jeder. Wir ebenfalls. Auch wenn's knapp ist.
Deshalb hier die Hit-not-Shit-Listen der Renfield-Blogsters, mit allem, was die Menschen, die diesen Blog wie fleißige Bienchen mit Text und Witz bestücken, 2024 gern gehört haben.

Kollege Abel empfiehlt übrigens jahresunabhängig alles von Brahms und Schubert. (Die haben leider letztes Jahr kein neues Album rausgebracht. Kommt vielleicht noch.) Und Rachmaninoff. Ein Mann mit Geschmack.

Gary Flanell (der Punk-Garage-Lo-Fi-Outsider-Rock'n'Roll-Blogsatz-Mogul):

PEKKA LAINE - The enchanted sounds of... (Svart)
Geile Instro-Surfmusik wie aus Omas finnischer Musikbox. Wenn das hier läuft, eskapiere ich total und denke, die Welt ist doch ganz ok und gut wird sowieso alles. Genau richtig zur Orientierung in Raum und Zeit an einem Sonntag morgen.

TRUST ISSUES - Too white to be real (Break The Silence)
Soviele Punkplatten gehen mir mittlerweile am Arsch vorbei, die hier kriegt einen besonderen Platz. Warum? Weil's eine der besten Punkplatten der letzten Zeit ist. Von alten Helden, die wissen, wie man's machen muss.

DAVID HOLMES feat. RAVEN VIOLET: Blind on a galloping horse (Heavenly)
Von David Holmes könnte ich alles nehmen, egal ob UNLOVED oder sein Solozeug. Diesmal mit der unglaublichen Raven Violet, was eine tolle Valiumstimme. Hit auf der Hitplatte: It's over now, if we run out of love. Da hat der eine Oasis-Typ mit geschraubt. Hört man auch.

STUMPF - SAND (Edelfaul)
Ein Höhepunkt des Jahres: Die Stumpfen haben Sand aufs Vinyl gepackt. Ein Monument, geschaffen, um mächtige Felsen kleinzukriegen. Es schleift und knirscht und sägt und dröhnt. Und es braucht Zeit. Höre ich in Augenblicken, in denen ich merke: So schnell muss alles nicht gehen. Schmeiß mal mal 'ne Fuhre Sand in den Kalender. Dit bremst.

TONY SLUG EXPERIENCE- s/t (Whoop Shoo Dop)
Tony Slug war einer der ausdauerndsten Punkrocker der Niederlande, leider in diesem Jahr gestorben. Das hier also ein letztes Dokument für den PunkROCK, den er seit den 80ern konsequent betrieben hat. Beindruckend, wer hier alles an Mikros und Instrumenten zusammengekommen ist: Jello Biafra, Nikke von den Hellacopters, Jerry A. von Poison Idea und soviele mehr. Habe ein unpeinliches Supergroup-Feeling. Geil.



Wolfgang Noise
(der Jazz-Polyrhythmik-Weltmusik-Elektro-DubStep-Drum'n'Bass-Berlin-Kreuzberg-Korrespondent)


PAINKILLER– Samsara (Tzadik)
Die Rückkehr der alten Götter: Anders als früher weil Mick Harris nicht mehr Schlagzeug spielt, aber genauso zerstörerisch, befriedigend und schmerzlindernd.

CHELSEA WOLFE - She Reaches Out To She Reaches Out To She (Loma Vista)
Die Fürstin der Finsternis mit wie üblich genialem Album, diesmal mehr zwischen Gothic Ambient und Doomstep, falls es das gibt.

PETER SOMUAH - Highlife (ACT)
Sympathischer ghanaischer Trompeter aus den Niederlanden mit qualitativ hochwertigem Strain aus Highlife und Jazz.

PΞB – IAMCHAINSAW (Edelfaul)
Debüt-Tape vom Kreuzköllner Kettensägen-Couple mit nix wie Schlagzeug, Stimme, moderner Technik und, wie Zweikant sagen würden: bedingungsloser Grundeinstellung.

IBELISSE GUERDA FERRAGUTI & FRANK ROSALY – Mestizx (International Anthem) Verwunschene Folkmusik, die, wenn sie erst mal angefangen hat, nicht so leicht wieder aufhört.



Philipp Nussbaum
(Der NRW-Korrespondent. Der Reydter der Apokalypse. Hat ATOMVULKAN BRITZ im Herbst safe durch die Hood von Mönchengladbach geleitet und saß wie der Pate von MG beim Gig rum. Stark.)


Die Musiken, garantiert unvollständig und garantiert morgen in einer anderen Zusammenstellung:

ARXX "Good Boy" - Getränk dazu: Gin Tonic
ANTILOPEN GANG "Alles muss repariert werden" - Getränk dazu: Gin Gin
EA80 "Stecker" (oder wie auch immer) - Getränk dazu: Malzbier oder Fanta
INCISURAT "Zurren" - Getränk dazu: einige Helle
SAFI "Groteske" - Getränk dazu: sieben Fässer Wein

Ergänzung:
Zu EA80 mag auch Herdecker Sackträger genossen werden.



Gustav Roland Reudengeutz
(der Free-Jazz-Techno-Atonal-Experimental-Ost-Berlin-Checker-Korrespondent)


Mit unterschwelligem Erschrecken auf die Frage nach den fünf favorisierten Tracks in diesem Jahr, stelle ich fest, dass ich wirklich wieder mehr und intensiver Musik hören muss! Aber ein paar alte Fundsachen sind dabei - nix Neues, aber für mich aktuell.

ESBJÖRN SVENNSON TRIO – The Left Lane
Treibend auf der Autobahn mit 180, aber gefühlt mit 300 und darum besser gleich mit Air Wings einen norwegischen Berg runter über Schweden in den Bottnischen Meerbusen. Angenehme, treibende dreizehneinhalb Minuten Triojazz. Jazz, Jazz, Jazz, dabei hat Esbjörn auch abgefahrene Noise-Kompositionen am Start gehabt – aber is ja eh alles Jazz…

POETS OF THOUGHT – The Rhyme Goes On
Den eher auf der Überlandstraße bei Abendsonne und mit Ellenbogen aus dem Fenster. Was für ein Bounce! Viel jazziger konnte elektronische Musik damals kaum klingen. Und super einfach gescratcht, aber es reicht sowas von aus…

P-TRIX – I Just Play Terror Routine
Hier die Platten auf einem ungleich höheren Niveau zerkratzt, eigentlich auch kein genuiner Track, aber eigentlich doch und apropos Bounce: Yeah!! Super funky, sehr innovativ und extrem cool performend, ist P-Trix als Turntablist um die Jahrtausendwende mit seinen Motor-off-skills bekannt geworden. Hab ich ziemlich oft gebannt wie eine schwingende Marionette am PC gehört und kann man sich eigentlich auch nur dort geben. Ich mag die 1999 USA DMC Finals Version.

RYOJI IKEDA – Ultratronics 04
Im brütenden Sommer zuerst gehört, völlig unpassend, denn Ikedas Klangkonzeption ist grundsätzlich außerordentlich kühl und eher dunkel. Ultratronics 04 indessen zählt zu den groovigeren, runderen Kompositionen, zu der man einen Veitstanz um Konrad Zuses Z3-Rechner machen sollte.

APHEX TWIN – Bucephalus Bouncing Ball
Tja, anscheinend war 2024 besonders schwungvoll oder einfach nur wieder ballaballa. Gut, wenn man dazu die passende Musik parat hat. Aphex Twin holt mich da voll ab. Bucephalus Bouncing Ball – die elektronische Idealvertonung des Menschen in der mehr oder weniger fortschrittlichen Welthermetik. Kann überall auf der Metaebene gehört werden.



Mr. Stonebridge (Der Indie-Post-Punk-Pop-Hamburger-Schule-Korrespondent)

2024 – Beste Musik zum...

NICHTSEATTLE: „Frau Sein“ & „Treskowallee“ … zum am Wasser sitzen oder in Bewegung sein

KRATZEN: „Reichtum“ … zum Durchs-Zimmer-Hüpfen

SLEAFORD MODS & HOT CHIPS: „Nom Nom Nom“ - auf der Torstraße mit dem Autostrom radeln

HUNDEFUTTERGRUPPE: „Kerze und Taschenmesser“ - zum Frühstück, Mittag, Abendbrot

FRITZI ERNST: „Ich bin so dumm“ - zum morgendlichen In-den-Spiegel-kucken

SOLTERO: „A True Indication“ - Tag in der Natur oder am Meer

TINY DORIS: „Nackt aufm Pelz“ - Beim Schnibbeln

JENSAUSDERWÄSCHE: „Grenzen“ - abends im Bettliegen



Das war es gewesen für 2024. Und ja, leider sind hier derzeit nur Männer unterwegs. Allesamt gute Männer, allerdings halt eben...wisst ihr auch. Das darf sich gerne ändern, von daher: Mitschreiberinnen sind hier herzlich willkommen.
Girls to the Blog, bei Interesse gern melden unter renfield-fanzine@hotmail.de. Niedrigschwelligkeit is the key, musikalisch/thematisch geht fast alles, the vielfältiger, the better quasi.

Guten Rootsh,

Gary Flanell

Mittwoch, 25. Dezember 2024

Das traurigste Weihnachten ever

Vor ein paar Tagen frug Kollege Daniel Decker auf Facebook nach Ideen für das traurigste Weihnachten aller Zeiten. Kein Problem, dachte ich. Danach noch in Meme-Sprech "Hold my beer". Und dann, dann antwortete ich ihm recht ausführlich in der Kommentarspalte.
Später, des nächtens, habe ich den Text noch einmal überarbeitet und fand ihn auch nach mehrmaligem Lesen für bloggenswert. Sowas muss natürlich gepostet werden, wenn Weihnachten schon halb vorbei ist.

Für das traurigste Weihnachten ever empfehle ich also folgendes:

1. Filme gucken. Viele, die ganze Nacht durch - am besten diese hier:

- Leaving Las Vegas

- Komm und sieh

- Stalker

- irgendeinen belgischen Indiefilm - Ex Drummer, Die Beschissenheit der Dinge oder The Broken Circle Breakdown wären geeignet. Allerdings nicht Brügge sehen und sterben - der ist zu lustig.

2. Wohnung herrichten.

Fenster verdunkeln, Aussenrollos komplett runter lassen. Dann in alle Räumen Heizung und Licht aus, am besten derart, dass du alle Glühbirnen mit einem Nudelholz (sowas hat ja heute keiner mehr), Baseballschläger oder der bloßen Faust kaputtdrischst. Wenn Faust, dann Wunden bluten lassen.

Außerdem: Zwei olle Kerzenstumpen, die schon kurz vorm Verglühen sind, anzünden. Anschließend Feuerzeug, Streichhölzer und Mobiltelefon in die Toilette werfen. Gründlich nachspülen. Alle Fenster weit öffnen, nicht nur auf Kipp. Alle Türen in der Wohnung aufmachen, soll ja nicht zu warm werden. Das erledigt habend, komplett entkleiden. Wäsche aus dem Fenster werfen (dazu noch eimnmal kur die Rollos hochziehen).
Dann ist da nur noch eine dünne Decke aus grauem Baustellenvlies als Bekleidung.

3. Damit es noch zäher wird: Schlechte Internetverbindung einrichten - sollte schnell gehen.

4. Was im Vorfeld zu tun war.

An den Tagen vorher hast du die Wohnung komplett leer geräumt und alle Möbel sowie die Dinge, die du einmal mochtest, weit unter Wert an eine Haushaltsauflösung verkauft. Einiges davon wirst du im Frühjahr auf dem Trödelmarkt wiederfinden. Also keine Angst.

5. Weihnachtsessen.

Zu essen hast du nur zwei Scheiben hartes Brot, die du 2 Tage vorher von dem kleinen Laib Graubrot abschnittest, welchen du wiederum 3 Tage vorher bei einer "Gutes von gestern"-Aktion in dem Supermarkt gekauft hast, den du normalerweise wegen hygienischen Bedenken meidest.

Eventuell dazu noch die verbleichten Gürkchen aus dem Spreewälder-Glas, das schon seit sechs Monaten geöffnet in der Seitentür deines Kühlschranks steht. Der Kühlschrank wurde nicht verkauft, die Haushaltsauflöser sagten: "Sowas nehm wa nich'. "

Als Abschluss noch einen Zahnstocher in das Gewebe hinter deinen Schneidezähnen stecken.

6. Musik.

Ist. Immer. Wichtig.Fast. Immer. Du hörst also keine Musik, da ist nur die Stille des Raumes und der Kälte und der Dunkelheit. Diese Stille, die dich darüber nachdenken lässt, warum die Unendlichkeit mit dir Schluss gemacht hat.

7. Schlafen und Ruhen.

Nicht schlafen. Du schläfst nicht. Du guckst dir die empfohlenen Filme an und bleibst wach. Die Nacht wirst du in diesem Zustand durchwachen.

Falls du doch schlafen willst: Nicht ins Bett (das du verkauft hast), auch nicht an die kahle unverputzte Wand lehnen, sondern auf dem kalten Fliesenboden im Bad niederlassen, ohne das mittlerweile liebgewonnene Baustellenvlies unterzulegen. Aufpassen dass du dich nicht auf die halbverrottete Grinch-Leiche legst, die du schon im Sommer neben das Klo gelegt hast.
Deckenlicht anlassen, was ja nicht geht, weil du ja alle Glühbirnen kaputtgeschlagen hast. Mach es dir auf den Scherben und den Fliesen bequem.

8. Stoffwechselprodukte.

Toilette nicht benutzen, sondern die körperlichen Verwertungsprozesse einfach dem Fluss des Lebens folgen lassen. Keine Taschentücher, kein Toilettenpapier, keine Feuchttücher oder ähnliches Gewebe (bis auf das Baustellenvlies) wurden vorrausschauend nicht eingekauft. Nichts, womit du eventuell Tränen abtupfen könntest. "Let it flow, let it flow, let it flow" (Bing Crosby)

9. Drogen.

Drogen, welche Drogen? Du nimmst keine Drogen, das alles muss bei reinem, klaren Bewusstsein er- und durchlebt werden.

10. Epilog.

Eines sollte klar sein dabei: Du bist allein an diesem Abend. Nicht nur allein, weil du mal nach einem Jahr von normalem sozialen Austausch ein paar Minuten für dich brauchst, nein, du bist allein. Komplett. Allumfassend.

Niemand ist da, niemand erreichbar. Kein Chat, kein Anruf, keine Sprachnachricht. Keine SMS, kein Gif, kein Meme von irgendwem, keine Message. Jegliches Kommunikationsmittel ist gekappt. Du bist allein. Und nicht nur allein in dem Sinne, dass gerade kein Lebewesen in der Nähe ist. Nein. Du bist auch emotional allein. Vollkommen einsam ohne Aussicht, dass sich das bald ändert. Einfach. Komplett. Einsam.

Geh den Weg der Angst. Geh ihn ganz allein.

Gary Flanell

Donnerstag, 19. Dezember 2024

Schön, wenn der Samtvogel wieder fliegt Pt. XXIV


GÜNTHER SCHICKERT - SAMTVOGEL

Dieses Album wollte ich schon ganz lange mal gehört haben. Es ist fast genau so alt wie ich, so dass Bureau B das Dings jetzt mit einer Jubiläumsausgabe (50!) ehrt.

Aber vor allem ist es bisher ein immer besonders geheimnisvolles Teilchen der Vergangenheit von Günther Schickert gewesen, den ich vor ungefähr 25 Jahren das erste Mal kennengelernt habe, weil wir uns einen Proberaum in der Waldemarstraße geteilt haben.

Er war eine tiefenentspannt wirkende Erscheinung mit Hut, von dem ich nicht viel wusste, außer dass er einen empfindlichen permanenten Aufbau kompliziert verschalteter Effektpedale pflegte, von dem wir (unbeholfen jazzrockende Postpunk-Opfer) gefälligst die Finger zu lassen hatten. Ich hab seine Effekte oder auch nur ihn damals nie in Aktion gesehen, aber ich wusste, dass er African Headcharge kannte und mochte, was ich bemerkenswert fand, denn mit dieser Leidenschaft war ich bisher allein geblieben.

Wir verloren uns aus den Augen, aber Jahre später sollte ich, interessanten Bassvibrationen folgend, in eine Stahltür in einem Kreuzberger Hof stolpern, und hinterm Tisch am Einlass saß niemand anders als der Günther aus der Waldemar und zeigte wortlos auf die Treppe abwärts. Das kann man wohl als lebensverändernden Moment bezeichnen, denn seitdem bin ich aus dem Loch, in das er mich damals lotste, nie so ganz wieder herausgekrochen. Das macht ihn noch ein bisschen mysteriöser.

Die Ahnung, dass Günther nicht irgendwer war, erhärtete sich kurz darauf, als ich ihn sah, wie er im Biergarten ums Eck sah einem japanischen Journalisten ein Interview gab. Und durch vielstimmige orale Überlieferung erfuhr ich nach und nach, in was für Sachen er so vor den Waldemar-Jahren verstrickt war, z.B: frühes SO36, ein Trio namens GAM (Günther Axel Michael) und Tontechnik für Klaus Schulze.


Ich hab Krautrock in meiner Leihbibliotheken-Phase gestreift und dann bis ins hohe Alter ignoriert, weil ich Drum’n’Bass wichtiger fand. Tatsächlich hab ich mir immer gesagt, dass ich mir die Musik alter Männer, Can, Kraftwerk, Tangerine Dream und Günther aufheben kann für wenn ich selber alt bin. Tja, jetzt ist es so weit, und ich kann mich an plötzlich an so was wie Harald Grosskopfs Solo-LP von 1981 erfreuen, oder eben Günthers „Samtvogel“.

Das kam aber auch nicht von ganz alleine. Vor ein paar Jahren habe ich Günther mal zusammen mit Gary für die Printausgabe vom Renfield-Magazin interviewt, natürlich in dem bewussten Keller. Dabei gab er uns eine aktuelle Doppel-CD von ihm namens „Pharoah Chromium“. Irre! Supergutes, irgendwie nicht endenwollendes Doom-Ambient-Geschwobber mit durch den Raum kollernden Gitarrenlinien, die offenbar immer noch aus einer hochkomplexen Anordnung von Effektpedalen kamen.

Seitdem weiß ich auch, dass sein erstes Album „Samtvogel“ im selbstverlegten Original auf Discogs von ganz besonders hingebungsvollen Fans (z.B. Japanern) für 800,- € gehandelt wird. Nachpressungen waren immer schnell weg, und Youtube zählt nicht. In der EU gibt’s das Teil jetzt also wieder für mehr oder weniger erschwingliche Ladenpreise.


Und ich bin schwer versucht! Das digitale Promo hat die Angewohnheit, immer weder von vorne zu beginnen, und ehe ich so ganz wusste, wie mir geschah, war ein halber Bürotag rum, und ich hatte das Album vier oder fünf mal durchgehört. Die Musik passt also einfach so in die Landschaft, taugt aber auch zum Reinfallenlassen.

Dann entfalten sich seine drei damals noch mit relativ minimalen Mitteln aufgenommenen 4-Spur-Studien aus Gitarre und Echo-Loops zur Mandala-artigen Handarbeit mit fortlaufender Entwicklung, ohne Pomp oder Blendwerk. Die sympathisch subjektiven Titel geben einen schönen Querschnitt davon, was den jungen Westberliner damals so umtrieb: Hedonismus („Apricot Brandy“), Pazifismus („Kriegsmaschinen, fahrt zur Hölle“) und Wald („Wald“).

Der erste Song ist ein bisschen anders, weil kürzer und mit Stimme: Der junge Günther klingt, wenn er singt, ein bisschen wie Arto Lindsay, nur was er singt, verstehe ich nie so richtig. Oder ich vergesse es, während die anderen, längeren Stücke reinkicken – entweder hypnotisch und wirklich die Aufmerksamkeit fesselnd, oder auch so ganz nebenbei, als Teil der Umwelt.


Auch wenn dieses Album nur ein ganz kleines Mosaikteil aus dieser mythischen Zeit darstellt, als Westberlin ein kachelofenbeheiztes Feuchtbiotop für Freaks mit Gitarreneffektpedalen war, steckt genau darin seine ganze Schönheit, die mich glatt mit dem Altwerden versöhnt … so lange es noch neue Musik gibt, die genau so alt ist du selbst.

Wolfgang Noise

Das Album Samtvogel von Günther Schickert ist als Neuauflage auf Bureau B erschienen.

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Schön, wenn junge Menschen Musik (in München!) machen Pt. XIXIXMX


SINEM - Köşk

Bands, die türkische Psychedelica und sogenannten Anadolu Rock spielen, gibt es mittlerweile eine ganze Reihe, und so unterschiedlich wie ihre Herkünfte sind auch die musikalischen Schwerpunkte, den diese Retro-Kapellen dabei setzen.

Die wohl erfolgreichsten, Altin Gün aus Amsterdam, konzentriert sich auf die Funk- und Disco-Aspekte der türkischen 70er, die Berliner Band Cherry Bandora erforscht die Verwandtschaft zwischen türkischer und griechischer Musik, die Sattelites aus Haifa heben die psychedelischen Pop-Aspekte hervor, und bei den Replikas, die tatsächlich aus der Türkei kommen und mit dem ganzen Retro-Trend möglicherweise angefangen haben, steht der Rock im Mittelpunkt.

In diesem Sinne nähern sich Sinem aus München dem türkischen Schlaghosen-Rock noch mal von einer anderen Seite, vielleicht der rumpeligsten von allen: Post Punk.
Ihr Sound besteht aus minimaler Instrumentation, stacheliger Gitarre und schroffem Gesang ohne Weichzeichner. Manchmal klingen die ersten paar Takte wie Television oder ESG, bevor sich das anatolisches Killer-Riff reinschraubt und Sinem Arslan Ströbel zu singen beginnt, wobei ihr unbefangener Umgang mit Tonhöhen an die schwer vermisste Ari Up erinnert.


So weit ich sehen kann, sind auch auf ihrem Album die meisten Songs Coverversionen. Keine Schande, es gibt so viele irre gute Songs aus dieser Periode, dass es schwer ist, in dem Stil auch noch eigene Stücke zu komponieren. Kann ja noch kommen.

Die A-Seite ist makellos. Die Eröffnungstitel „Dem Dem“ und „Gurbet“ rocken überzeugend auf, und mit den folgenden zwei Nummern erweitert sich das Soundspektrum ohne Druckverlust. Nur der Versuch, Selda Bağcans „Yaz Gazeteci Yaz übertreffen zu wollen, erweist sich als aussichtslos. So wie das heimwehgetränkte „Gurbet“, im Original von Özdemir Erdoğan verweist auch dieser Song aufs kalte Almanya. Der Titel lautet übersetzt interessanterweise (ungefähr) „Schreib, Journalist, schreib“, was ich immer persönlich genommen habe.


Die von der Westpresse jahrzehntelang verschlafenen musikalischen Verschlaufungen zwischen Türkei und BRD, z. B durch das erfolgreiche Kölner Cassetten-Label Türkyola, sind übrigens Thema des empfehlenswerten Films „Liebe, D-Mark und Tod“ (Ask, Mark ve Ölüm) von Cem Kaya. Der Rest der B-Seite geht ohne weitere Schwächen vonstatten und gipfelt in einer ekstatischen Version von Bariş Manços „Lambaya Püf De“.

Sieben Treffer von Acht, das ergibt immer noch ein cooles Album.

Wolfgang Noise

Das Album "Köşk" von Sinem ist auf Vinyl und digital auf Fun in the church erschienen.

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Schön, wenn Lobotomie liebevoll ist Pt. I


LAO DAN, GREG KELLEY, GLYNIS LOMON - BALLOON FLOWER

Onomatopoetischer Free Jazz at it‘s best

Musik wird oft nicht schön empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden, heißt es längst bei Wilhelm Busch. Schöne Musik können viele. Ist üblich. Konsumerabel. Masse. Ja, regelrecht mondän! Avantgarde widerstrebt den üblichen Hörgewohnheiten, doch kann darob dennoch schön sein.

Gut, ein bisschen Mühe muss man sich schon geben. Tun wir dies! Hören wir Balloon Flower, the latest crazy of Lao Dan, Greg Kelley und Glynis Lomon: Vier Titel, alle ähnlich, alle anders – verrückter Free Jazz – wohlgemerkt, man muss schon genau hinhören!

Jade Shadow eröffnet schrill und schön, hier ist gleich viel los, doch lärmt es nicht. Gläserne Sounds, Saitenfetzen und Asien-Assoziationen. Klar, denn Lao Dan kommt aus China. Weit weg und nach sechs Jahren Unterbrechung ist er wieder mal in den Staaten und spielt in diesem infernalen Trio die chinesische Bambusflöte.

Apropos Assoziationen: In diesem wilden Tongeklapper und Getute muss ich unweigerlich an Rhasaan Roland Kirk denken. Der Mann mit den drei Saxophonen im Mund (nur die Mundstücke, versteht sich). Meister atonischer Harmonie - total verrückt und schmelzend sanft! Und auch bei Balloon Flower: Man hört, dass alle drei sogleich in Action sind – jeder bei sich, aber jeder bei allen.


Musketiergleich fitzelt die quietsch-trockene Trompete (Greg Kelly) und gurgelt das virtuose Stimmgemurmel (Glynis Lomon) dazu. Weise, lebensstark und spirituell zusammen. Ist übrigens auch gut aufgenommen worden. Ausgewogener Sound, der zwischen Nähe und Distanz im Raum unterscheiden lässt, was besonders bei den vielen leisen Passagen wichtig ist, wenn Klangfenster mit gut geölten Scharnieren geöffnet werden.

Dann ist da dieser gitterartige Wellensound. Den macht Glynis Lomon, wenn sie nicht gerade kehlkopfsingt oder des Wahnsinns grölt. Sie spielt nämlich Wasser-Telefon (erinnert Ihr Euch noch an Frank Zappa bei Steve Allen? „I play the bicycle.“)

Klickt beides ggf. nach! Sehens- und wissenswert, was und wie alles Instrument sein…, doch zurück zum Titel, der ist eigentlich irgendwie ruhig und fast schon traurig am Ende. Kurz davor das Hauptthema geblähter Luftballon und wie der so klingt. Alles zwischen albern und ernst. Verrückend! Trompete mit Dämpfer, nervöse Flöte und ich erwische mich sogar wie ich mitwippe! Was wie irrige Fetzen an- und zumutet, ist wohldosierter Rhythmus! Aber wie gesagt: Schaurig traurig mit erratischem Ende. Dieses war der erste Streich und zweite folgt sogleich:

Drama führt das Ballon-Thema fort und führt an, was niemand leiden kann, wenn einer mit einem gefüllten Luftballon am Zippel ziehend auf einen losgeht (Globophobie ist die Angst vor Ballons. Der Setzer). Und es wirkt todernst. Nomen est omen – besorgniserregend kreischt es in einem fort, als würde jemand erwürgt. Ein Glück ist es hier nur ein enervierendes Blasinstrument.

Das Ballon-Thema indessen bietet das Sujet „Vergewaltigung“ an. Mit Unterbrechungen. In Drama ist es, als wenn das Opfer noch mit dem Täter zu verhandeln versucht und dieser alle Vorbringungen mit „Bla bla“ abtut. Technisch enorm! Kelly züngelt neurotisch in seine Trompete, Dan tutet wie von der Tarantel gestochen, irr-schlenderndes bogen und biegen am Cello durch Lomon. Täter und Opfer derweil – scheinen sich nicht einig zu werden. Gehen ab. Dieses war der zweite Streich und Balloon Flower zerrt an der Luftballonhaut wie gehabt. Es ist und bleibt irre, aber Krach ist es nicht.


Im dritten Live-Titel des dämonischen Triotreffens meint man im Hauptsaal einer Anstalt zu sein.
Manisches Lachweinen, Ticks allerorten, es zuckt und gluckt und auch der Exorzismus lässt grüßen. Aber es bläht und wächst auch scheinbar etwas wie märchenhaft. Ist es Hans und die Bohnenranke? Ein dickes Stangengewächs hoch hinein ins Wolkenkuckucksheim? Oder bin ich jetzt schon meschugge? Goldmünzen! Goldeier! Goldharfe! Ich dreh durch!

…denn ich werde in den Bann geschlagen von der Genialität der Musiker. Man muss wirklich genau hinhören! Was hier ineinander übergeht und dynamisch erzählt wird, ist technisch meisterhaft vollbracht! Es sind nur drei Instrumentalisten und man weiß es irgendwie auch, doch trotzdem ist man mitten in einem Bühnenstück, das uns unsere Habgier aufzeigt, immer wieder Übliches zu konsumieren bis wir uns selbst auskotzen und stumpfsinnig vor uns hinsiechen. Dieses war der dritte Streich und Worcester ist der finale Saft, der dem musikantischen Beisammensein entströmt.


Nicht gerade englisch und auch nicht Dresdener Art, aber wenn man sich die Zutaten von Worcester Sauce einmal durchließt, muss man sich doch wundern, warum das Zeug so gut schmeckt und der Laib nicht kapituliert. In diesem letzten Stück wurde jedoch nicht so homöoptisch dosiert. Wie passend: viel geisteskrankes Kehlkopfgegurgel, nimmer enden wollendes Gequietsche und stotterndes Dröhntrötentrampeln – willkommen im dreisttollen Narrenkabinett! Es klingt wie vergiftet. Wenn da mal nicht der Teufel seine Hand im Spiel hat… Todestaumelnd dem Ende entgegen. Klingt so Gedärm, wenn es stirbt?

Wie der Narr mit seiner Kappe dem König als einzig Dürfender den Spiegel vorhält, so dürfen Lao Dan, Greg Kelly und Glynis Loman uns zum Narren halten und uns nichts weniger zeigen, als was wir dabei in unserem Alltagsspiegel sehen. Wir, die wir uns nur allzu oft für die Könige des Lebens halten und uns entsprechend benehmen – wir sind um keinen Deut besser und wir quietschen und wir platzen oder schrumpeln und pfeifen aus dem (letzten) Loch.

Free Jazz - Wir brauchen das! Liebevolle Lobotomie…
Lao Dan, Greg Kelly, Glyniy Lemon: BALLOON FLOWER

Lao Dan (Hangzhou/ China; Bambusflöte u.a. Blasinstrumente) Greg Kelly (Boston/USA; Trompete) Glynis Lomon (Newton/USA; Stimme, Wassertelefon, Cello)

4 Titel, 39 Minuten

erhältlich als Tape und digital über die Bandcamp-Seite von Lao Dan

Gustav Roland Reudengeutz

Donnerstag, 28. November 2024

Schön, wenn Fanzine noch von Fansein kommt Pt. I


TRUST ISSUES - TOO WHITE TO BE REAL

Hachja, manchmal passiert's doch. Dann weicht die Übersättigung und Unübersichtlichkeit noch einmal dem sonnigen Gefühl von Enthusiasmus.
Apropo sonniges Gefühl: Habe heute einen Streifen blauen Himmel über Friedrichshain getroffen - der bommelte wie ich am Boxi an ein paar Touristen mit französischen Bulldoggen und Pfandflaschensuchpunks vorbei. Wir grüßten uns kurz und dann verschwand wieder jeder in seinem gelebten Bewölktsein.
Hallo blauer Himmel, tschüss blauer Himmel, hallo Gary, tschüss Gary - bis nächstes Jahr.

Im Fanzine-Kontext hatte ich vor einigen Tagen meinen persönlichen Blauer-Himmel-Moment in diesem Jahr, als ich das Päckchen mit der neuen TRUST ISSUES-Platte bei meinen Nachbar*innen abholte.
TRUST ISSUES, für die, denen der Name nichts sagt, besteht zu einem guten Teil aus Leuten, die früher bei CROWD OF ISOLATED (C.O.I.), BUSHFIRE und STICKBOY gespielt haben - eine Saarbrücker Connecte. Und C.O.I. - für die, die es nicht wissen und die es auch gar nicht so sehr interessiert, aber da müsst ihr jetzt durch - das war mal eine meiner absoluten Lieblingsbands!


Es gibt wenige Bands, von denen ich alle Platten habe, hier ist das so. Ok, der Output ist angenehm überschaubar, aber es war einfach eine geile Band. Demzufolge auch mal mit einem Interview mit Sänger Gurke in einer Renfield-Printausgabe vertreten gewesen, allerdings lange nach der Auflösung.
Als sie so richtig aktiv waren, war ich zu jung und auch zu weit weg von der legendären süddeutschen HC-Brutzelle in Nagold, zu der C.O.I. und soviele andere gute Bands bezug hatten. Aber irgendwann gab's nix neues mehr von CROWD OF IOLATED - und ich hatte andere Dinge zu tun, als das zu betrauern.

Seit einiger Zeit ist also TRUST ISSUES am Start, zum einen mit den Isolated-Herren Gurke am Mikro und Guschtel an der Gitarre, dazu noch zwei Kollegen von STICK BOY und BUSHFIRE. Was ich aus der Ferne mitbekam und was mich sehr gefreut hat.
Jetzt also das zweite Album, das Debut "Timekeeping Starts Right Now" kam 2022 raus.
Kurz gesagt: "Too white to be real" ist für mich die beste Punkplatte des Jahres 2024. Mit so einer Anlage wird die Latte natürlich hochgelegt, aber wenn es doch stimmt?! Und, oh Boy, hier stimmt wirklich alles! Muss ich das jetzt argumentativ untermauern oder reicht einfach die Behauptung? Reicht eigentlich, denn das hier ist ja das 21. Jahrhundert, da kann man ja einfach alles behaupten. Also: Das ist die geilste Pukplatte 2024. Sag ich jetzt so. Denn hier ist alles so...


Mitreißend! Vielfältig! Kraftvoll! Diese Platte hat alles, also A.L.L.E.S., was eine Punk-Scheibe braucht, um den älter gewordenen bärtigen DIY-Punk-Rezensenten aus seiner Lethargie zu reißen. Der Gesang von Gurke wie in alten C.O.I.-Zeiten, vielleicht etwas nöliger, die Gitarre schnurrt soundmäßig wie eine Maschine, die Rhythmus-Gang rührt ein vertrauensvolles Fundament an, egal, ob schnell durchtreibend (Failospophy) oder eher in wippenden Mid-Tempo-Bereichen.

Dazu setzt die Band immer wieder kleine hübsche Ideen und Abwechslungen ein:
Ob es eine fast schon FUGAZI-funky Gitarre bei "Smash & Grab it" ist oder gut und passend eingesetzte Chöre sind, die irgendwie an STEAKKNIFE erinnern - oder die wirklich geile Orgel auf "Nutshell", die den Song sehr tanzbar macht. Und ja, natürlich vergleiche ich zwischendurch im Geiste immer mit den C.O.I.-Platten, wenn ich dieses Album höre. Und so gerne wie ich deren Platten noch auflege, fällt mir im Nachhinein auf, dass es dort doch manchmal Längen bei irgendwelchen Intros und Songteilen gab und die Platten an sich etwas melancholischer waren. Passte damals aber.


Die Songs von TRUST ISSUES wirken dagegen viel kompakter, lebensbejahender, auch wütender, sind viel mehr im Hier und Jetzt. Alle Beteiligten wissen, dass keine Zeit für Mätzchen und lange Einleitungen ist. Deshalb wurde überflüssiger Ballast gar nicht erst an Bord genommen, die Songs sind knackig und geradlinig, da ist keine Überlänge dran, es ist aber auch nicht stumpf und im Gesamtbild erinnert diese rockige Version von Hardcore-Punk an Bands wie SCREAM, eben STEAKKNIFE, die DOUGHBOYS oder manchmal, wie erwähnt auch an FUGAZI.

Wie gesagt, ich bin hin und weg, da gibt es wenig mehr zu schreiben, als das ich das Ding vor Enthusiasmus immer wieder auflege und damit den Plattenbau beschalle. Es wird aber noch besser, denn über die liebevolle Aufmachung wurde ja noch gar kein Wort verloren: Es gibt durchsichtiges Vinyl, ein schönes stilvolles Layout und eine wirklich, wirklich, wirklich tolle Hommage an Armin von X-Mist Records auf dem Beiblatt - Texte sind natürlich auch mit dabei.


Hach, ich brauche Luft. Denn die Luft, die Spucke, die Sprache bleiben mir weg, so anrührend ist das, mehr kann ich zu diesem Meisterwerk gar nicht sagen. Ich hoffe, es kommt rüber, was mir diese Platte bedeutet und wie gesagt, es passiert nicht oft heutzutage, dass mich ein Scheibchen so mitreißt.

Wenn ich mal Bock auf eine perfekte zeitgenössische Punkplatte habe - dann muss ich dieses Album hören. Und ihr kleinen süßen Drecksvögel da draußen, die ihr immer nach geilem Stoff lechzt: Ihr solltet das auch tun.

Gary Flanell

TRUST ISSUES - TOO WHITE TO BE REAL ist als LP auf BREAK THE SILENCE RECORDS erschienen.

Donnerstag, 21. November 2024

Schön, wenn aus Magdeburg noch Musik kommt Pt. I & II

PEPPONE - GENUG GESEHEN

BEN RACKEN - V

Zwei mal Post-Punk, zwei mal German Lyrics, zwei mal Magdeburg, zwei mal Major Label, zwei mal von Gary Vinyl in die Hand gedrückt bekommen. Also noch mehr Parallelen gehen ja kaum noch wie bei den beiden sachsen-anhaltinischen Bands BEN RACKEN und PEPPONE.
Und musikalisch liegen diese beiden Bands nun auch wirklich nicht weit auseinander. Wir können eigentlich die Referenz EA80, DACKELBLUT und BOXHAMSTERS als Blaupause über beide Bands legen. Nun haben sie auch noch fast zeitgleich ein jeweils neues Album rausgehauen und beide wissen durchweg zu gefallen. Doch eins nach dem anderen.

BEN RACKEN gehen sehr hymnisch ans Werk. EA80 mit eingängigen Chören und einer Portion TURBOSTAAT kommt mir da in den Sinn. Treibende Rythmen, flirrende Gitarren, überraschende Momente - das macht den Sound des Trios aus. Das macht auf "V" summa summarum zwölf Songs, die sich direkt in die Seele fressen und da auch bleiben wollen.

Alleine der Opener "Freunde bleiben" will mir trotz intensiver Gegenarbeit nicht aus dem Ohr gehen. Und das, ohne anbiedernden Singsang und 08/15-Melodien. Außerdem können sie über Liebe und Beziehungen singen, ohne dass es abgedroschen oder kitschig klingt. Das schafft ja auch nicht jeder. Genau wie über eine Albumlänge keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Gleiches gilt auch für die Kollegen von PEPPONE auf ihrem inzwischen vierten Album "Genug gesehen". Wie bereits oben angedeutet beschreiten diese ganz ganz ähnlich Wege wie BEN RACKEN, allerdings geht das hier mehr in Richtung BOXHAMSTERS und LOVE A. Aber wir verlieren uns im Detail.
Denn eigentlich das mal einfach auch guter Punk Rock mit toller Gitarrenarbeit und guten Texten. Was mich hier sofort abholt, ist die unprätentiöse Art, kein Macker-Gehabe und trotzdem keine Anbiederung. Und so braucht das Magdeburger Quartett auch keine internatinale Vergleiche scheuen. Was ich wirklich mag, sind die immer wieder überraschenden Momente im Songwriting. Da wird deutlich differenzierter als nach Punk-Schema-F gearbeitet. Toll.

Ich bin immer noch ganz angetan, dass mich hier mit BEN RACKEN und PEPPONE gleich zwei Magdeburger Bands durchweg begeistern, die bislang an mir vorbeigegangen sind. Nun nicht mehr, nun behalte ich euch im Auge, Jungs.

Also dran bleiben!

Abel Gebhardt

Die Alben "genug gesehen" von PEPPONE und "V" von BEN RACKEN sind beide auf Major Label erschienen.

Donnerstag, 7. November 2024

Schön, wenn in Australien noch Musik gemacht wird Pt. IXU


AMYL & THE SNIFFERS - CARTON DARKNESS

"Zehn Minuten", sagt Gary. "Stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt..." Was einmal klappt, klappt sicherlich auch ein zweites Mal. Und vielleicht dann nochmal und nochmal, bis einigermaßen sicher ist, dass es wohl immer klappt. Sicherheit rules. Sehr erleichternd.

Denn: ich bin belastet. Habe Fragen und brauche Beruhigung. Was ist passiert?!

Rückblende.
"Kylie kommt!" Yeah, nix wie hin! Ach verdammt, das dauert ja noch eine Ewigkeit. Egal, die Vorfreude ist auch schon prima. Huch! Wasn das derweil? Andere weiblich-dominierte Musik, zwar nur aus der Konserve, aber warum auch nicht. Mal höan. Und seit dem dritten Durchlauf war sie dann da, die Belastung.

Hype. Hyper! Amy!!!
Gefühlt (oder tatsächlich?) selbst die Hörzu huldigt von jetzt auf gleich Amyl. Jeder mit so was wie Augen dürfte inzwischen eine ziemlich konkrete Ahnung von der Zunge der blonden Frau und eine etwas weniger konkrete von ihren mal gepixelten, mal mit Sternchen oder Smilies kaschierten Brüsten haben und glauben, genau so lustig gehts in Trailerparks downunder zu.

MTV 2.0, Bild mit/ statt Ton. Allein das genug Grund für Skepsis und Abwehr. Alle sind sich einig?! Das ist doch ein Trick, da will irgendwer reinlegen und fuschen! Oder sind das gar nicht Mark T. und sein Kumpel Mark E. Ting? Oder aber alles völlig zurecht geilomatisiert und wieder einmal nur von mir verpasst und durch Angst vor Auflauf und Uniform versäumt? Es ist alles verwirrend und irgendwie dadurch unangenehm.

Überhaupt - Australien. Australien! Wieso ist Australien plötzlich relevant? Crocodile Dundee, Aborigines, giftige Tiere, Hautkrebsgefahr, und weiter? Die meisten wollen mal hin, und niemand war je da, kennt aber dennoch den Refrain von Beds are burning und kann tanzen wie Peter Garrett. Und weiter?

Midtemporotzrock also mit teilweise motorschmierefettiger Nervgitarre und schön rummsiger Rhythmusabteilung, alles in plattformfähiger, gebügelter und gefalteter Soundqualität. Und eben die Zungenbrustdame, die annähernd akzentfrei schnörkelfreie Texte von Wichsen, Szenen einer Ehe, erzürnendem oder ängstigendem Weltgeschehen und einigem möglichen anderen singt und sich dabei stimmlich an allem bedient, was Frontfrau in den letzten drei Jahrzehnten schon mal angeboten hat.
Ab besagtem Durchlauf #3 wirds tatsächlich schön eingängig und nahezu super zum Fahrradfahren, beim Schwitzen und Posieren im Fitnessstudio oder ebendabei auf einem via Eventim völlig ausverkauften Konzert. Und weiter?!

Die zehn Minuten sind annähernd vorbei, und ich weiß nicht weiter. Vielleicht es einfach als ein Phänomen nehmen, Kommen und wieder Gehen oder nötigenfalls auch Bleiben, Eiffel65, Helene Fischer oder Courtney Love halt, nur in einer anderen kulturellen Nische oder eben Nicht-Nische, sondern größer und überaller.

Oder aber:

Vorblende. "Kylie kommt!" Die ist auch Australierin, wohl eher noch MTV 1.0, und die funktioniert nach den knapp hundert Jahren Anwesenheit in diesem irritierenden Showgedöns so ziemlich von selbst und ohne inszenierte Massenhysterie. Ich froi mich! Und fühle mich gerade richtig frei und runtergeatmet.

Philipp Nussbaum Amyl & The Sniffers Album "Cartoon Darkness" ist am 25.10.2024 auf Rough Trade Records erschienen

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Schön, wenn Detroiter Undergroundlegenden noch den Space rocken Pt. MCDLDS


TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7"

Spacerock. Wer hats erfunden? Vermutlich Hawkwind. Timmy Vulgar jedenfalls scheint eindeutig Spacerock zu lieben. Laut Info ist er eine Detroiter Underground Legende. Das schöne am Undergroundlegenden-Status ist ja, das ihn jeder für sich beanspruchen kann.

Jeder sein eigener Underground.
Diese Single möchte man zum Pilzesammeln mit seinen Freunden in der Mark Brandenburg mit dabei haben. Naja, vielleicht lassen wir das mit dem Pilzesammeln und bestellen uns gleich etwas Acid im Internet. Geht schneller. Und daheim steht ja auch der Plattenspieler.


Allein um an dieser Stelle auch mal Erik Burdon zu zitieren bringen wir LSD ins Spiel: "When the acid trip is over, you gotta comeback to mother booze". So ist die B-Seite dieser Single ein noch am Montagmorgen noch Schnaps riechender Folk-Booze-Blues: "When the booze is gone, the sorrow is still there....".
Tja, um Sorgen braucht man sich in diesen Zeiten wirklich überhaupt keine Sorgen zu machen. Die legalen und illegalen Apotheken haben darum mal wieder Hochkonjunktur.
Spacerock bald wohlmöglich auch wieder, nach dem endlosen Krautrock-Revival der letzten Jahre. Solange finden wir Timmy im Detroiter Underground mit Internetanschluss und Bandcamp-Account.
Die Single ist auf 300 Stück limitiert. Für den erhöhte Legendenstatus im eigenen Plattenregal. Ride on!

Bruce Bachmann

TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7" ist erschienen auf Goodbye Boozy Records

Apocalypse Meow


CATNADO

Die Anwesenden: Drei Herren mittleren Alters sowie zwei männlich gelesene Katzen, auch mittleren Alters. Die anwesenden Menschen haben ein gewisses Faible für guten Trash und ein Vorwissen was abseitige Filmprojekte angeht. Man könnte alle drei als cinephil bezeichnen. Aus diesem Grund sind sie zusammengekommen, um per Stream einen Film zu begutachten, der vor einigen Wochen über diverse soziale Medien in ihre Aufmerksamkeit gekommen ist.

Der Film: CATNADO.
Ursprünglich 2022 erschienen, nun auch auf DVD und als Stream erhältlich. Allerdings nur in den USA. Den Stream haben wir freundlicherweise vom Vertrieb gestellt bekommen. Der Titel allein gibt den Menschen, die sich mit Filmtrash beschäftigen, eine Idee, um was es geht. Denn vor einigen Jahren erhielt die SHARKNADO-Reihe einiges an Fame, allein wegen der darin vorkommenden Novelty-Idee: Durch einen TorNADO werden Haie (SHARKS) in die Luft geschleudert, somit aus dem Wasser, rein ins US-amerikanische Binnenland, wo sie dann, keiner weiß genau wie, Menschen anfallen und fressen. Das an sich war schon eine sehr bescheuerte Idee, aber irgendjemand hat etwas Geld dafür hergegeben und dann wurde gedreht. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, nicht viermal, nicht fünfmal, sondern sechsmal insgesamt. Sechsmal Sharknado bitte. Ja, immer ohne Sinn und Hirn, bitte.

Nun ist es ja nicht so außergewöhnlich, wenn man sich an eine erfolgreiche Idee dranhängt, und die Vorraussetzungen im Sinne einer Satire etwas ändert. So auch hier, et voilá: Das Ergebnis heißt CATNADO! Die Prämisse ist ähnlich, nur statt Haien regnet's Katzen vom Himmel und auch diese sind aggro und wollen den Menschen ans Eingeweide. Oder an den Hals. Oder sonst wo hin. Eigentlich konnte bei so einer hübsch absurden Idee nur guter Quatsch rauskommen. Eigentlich.

Nun liegen die Dinge hier etwas anders. Bei CATNADO handelt es sich nicht um einen zusammenhängenden Film mit einem Plot und einer Gruppe von Darsteller*innen. Es ist vielmehr ein Episodenfilm, bei dem sich sechs Regisseur*innen an der felin-klimatischen Ausgangssituation versuchen. Im Ergebnis ist das Ganze leider weniger lustig geworden als erwartet. Auch nicht trash-lustig, leider. CATNADO ist eher eine Compilation von No-Budget-Kurzfilmen, die zwar das Thema "Katzen im Sturm suchen die Menschheit heim" aufgreifen, aber trotz der wunderbar dämlichen Ausgangslage nur mässig bescheuert und ideenreich sind. Und "mässig bescheuert" als Qualitätsmerkmal anzuwenden ist schon, naja, auch seltsam. Sagen wir es mal so: Dieser Film hat viel Schönes.


Es scheint so, als hätte jede*r Director* seine besten Freunde rangeholt, eine (genau eine) Kamera benutzt, dazu ein paar Videotricks bei einem Umsonst-Film-Edit-Programm der VHS reingequetscht und ein paar found-footage-Aufnahmen von Katzen drübergestreuselt. Zum Trost: Es werden keine echten Katzen gequält oder wirbelwindartig durch die Luft geschleudert. Dafür werden sichtbarerweise ein paar (wenige) Stofftiere den Akteur*innen an den Hals geworfen. Aber selbst in den wenigen Szenen, wo eine echte Katze Sinn (naja, Sinn...) gemacht hätte, so als stimmungsvolles Szenenbild..., gibt es keine.

Achja, Handlungen, die gab es ja auch. Was haben wir da? Den Anfang macht ein Bonny-und-Clyde-artiges Gangsterpärchen, das wirkt, als wären es gerade vom Parkplatz eines Schnellimbiss weggecastet worden. Die beiden brechen irgendwo ein, dann kommt der Catnado und der Angriff der Killerkatzen. Aus dem Bauch des Typen springt hernach noch Alien-mäßig eine Muschi. Wie sie da reingekommen ist, keiner weiß es.

Weiter geht es mit einem kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Klaustro-Ailuro-Phobiker in der Besenkammerkammer, zwei Typen, die nach einem Auffahrunfall in den Catnado geraten, einem Trio, das sich vor dem Sturm in einer Hütte verschanzt - und dort von Katzen (Stofftieren, ich erwähnte es bereits, auch hier nur wenige, ein oder zwei, glaube ich) angefallen wird, zwei Piloten auf Nachtflug, die es mit einem Mensch-Katze-Hybrid zu tun bekommen, der bestenfalls beim Cats-Musical aussortiert wurde (hier aber den Preis fürs beste Kostüm bekommt) und nun in 10000 Meter Höhe versucht, die fliegende Konservendose mit den beiden leckeren Menschen darin vom Dach aus zu öffnen.

Am Ende, quasi als Bonus nach dem Orkan, wird es in "Cosmic Catnado" noch einmal psychedelisch, mit allerlei Phantasiewesen und das ist noch der beste Teil dieser seltsamen Katzen-im-Sturm-Compilation. Wäre der ganze Film derart gestaltet, es wäre mir ein Fest gewesen.

Was die einzelnen Handlungsstränge angeht: Vielleicht habe ich nicht alles verstanden, weil einiges lost in translation war, Untertitel gab es keine. Möglicherweise waren auch hier und da einfach keine schlüssigen Handlungen existent, sondern irgendwelche Leute haben halt irgendwas mit Stofftieren gemacht, um die Zeit zu überbrücken, bis der Catnado auftaucht und alle umbringt.

Ok, es war klar: Trash war angekündigt. Trash wurde auch geboten. Ich finde aber, es gibt Trash und Trash. Guten, liebevoll gemachten, ideenreichen Trash und irgendwelchen Quatsch, bei dem mal zufällig jemand die Kamera draufgehalten hat. Quatsch, bei dem von vornherein klar war: Huch, wir haben ja gar kein Geld für irgendwas. Nicht mal für Katzenfutter. Die Idee von CATNADO mag zu einem gewissen Grad reizvoll sein, allerdings ist der Ideenreichtum und die Umsetzung arg limitiert. Und sechs einzelne Episoden unter diesem einen Titel zu verkaufen, ist auch so eine Mogelpackung.

Aber wer weiß, vielleicht verstehe ich das alles falsch. Vielleicht gibt es eine Gruppe von Menschen, die das hier voll abfeiert. Ed Wood hat ja früher auch keiner verstanden. Obwohl... Ed Wood war Filmemacher. Hat sich als solcher verstanden und war irgendwie als solcher auch Teil des Betriebs. Das scheint mir hier nicht der Fall zu sein. Nachdem alles abgedreht war, die DVD veröffentlicht und wieder Ruhe einkehrte, haben sich alle Beteiligten sicher wieder ihren normalen Jobs gewidmet. Was gut ist. Schade ist es eigentlich nur um die Rohstoffe, die bei der DVD-Produktion verwendet worden sind. Streamen reicht.

CATNADO ist am 22. Oktober auf DVD und VOD über Wild Eye Releasing erschienen (eigentlich aber schon 2022). Scheint im übrigen eine ganz hervorragende Adresse für Trash-Horror-Fans zu sein.

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Supergroup statt Vorruhestand


THE HARD QUARTET - s/t

Noch ganz frisch: „The Hard Quartet“. Das nach der Band benannte Debüt-Album ist ein stilistisch vielfältiger Indie-Alternativ-Rock-Pop-Mix. Spielfreudig und virtuos eingespielt, arrangiert und produziert. Was nicht wundert bei diesen „Debütanten“ und ihren Bandgeschichten: Stephen Malkmus (Pavement), Matt Sweeney (Chavez, Cat Power, Superwolves), Emmett Kelly (Bonnie Prince Billy, Ty Segall) und Jim White (Dirty Three, PJ Harvey) sind die „Traveling Wilburys“ der Indie-Szene. Supergroup statt Vorruhestand.

Musikfans mit entsprechendem Geschmack (inklusive der Top-Checker:innen) werden sich an der musikalischen Qualität erfreuen. Auch für Nebenbei-Hörende halten die Songs genug Parts zum Mitsummen, Kopfnicken, Aufstampfen oder Abrocken parat.

Zum energetischen Auftakt wirbelt der Opener „Chrome Mess“ viel Staub auf: Ein Motorrad-Lift jagt Benzin in die Luft, und rollt auf dem Highway zu einem finsteren Rockschuppen mit brettharten Gitarrenwänden im tiefsten Westen der USA. Der Text offenbart psychedelisches Potenzial, wenn „Sister Sludge“ mit den „ampelgrünen Augen“ angesungen wird und das Leben mit ihr ein „heißes Chromchaos“ verspricht. Auch in „Renegade“ drückt die Viererbande das Rockn' Roll-Gaspedal amtlich durch.

Andernsongs mögen es die Haudegen softer: ob mit entspanntem Country-Feeling am Lagerfeuer („Heel Highway“) oder Britpop-balladig wie in „Rio's Song“ oder in „Six Deaf Rats“, wo Malkmus' Gesang Lou Reed wiederaufersingen lässt. „Earth Hater“ wiederum klingt verspielt zappaesk.


Abwechslung ist also Programm - auch innerhalb der Songs, wenn etwa „Action For Military Boys“ mit doomigem Hardrock startet und über poppigen Chorgesang in gitarrengetriebene, diverse Parts und Indie-Sphären mündet. Das alles gelingt „The Hard Quartet“ in einem organischen Spielfluss, oft hymnisch und mit den letzten Stücken des Albums ruhiger werdend.

Das organische Zusammenspiel kommt nicht von ungefähr: Im GQ-Interview erzählte die Band, dass bereits in der ersten Woche ihrer Zusammenarbeit beinahe so viele Songs entstanden sind, um ein Album damit füllen zu können. Sie seien sich zuvor immer wieder zufällig begegnet, ehe Sweeney Malkmus zur Beginn der Corona-Pandemie vorschlug, „The Hard Quartet“ zu gründen. Eine gute Idee!

Live sind sie im kommenden Jahr möglicherweise auch in Europa am Start. Ihr Live-Debüt gab die Band am 10.10. in Los Angeles, am 17.10. gng's dann in New York weiter, am 22.10. in London und im Januar 2025 spielen sie einige Konzerte in Australien. We'll see..

Stonebridge

"The Hard Quartet" ist im Oktober 2024 auf Matador Records / Beggars Group (Indigo) erschienen.

thehardquartet.com

facebook.com/thehardquartet

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Air Raid Siren Is Over


BOHDAN STUPAK AIR RAID SIREN IS OVER - FIELD RECORDINGS ON AIR

Live! Wie fühlt es sich an, on air zu sein? Wenn man es nicht sollte. Weil Flugzeuge Bomben abwerfen. In einem Krieg, unter dem die Bevölkerung leidet. Unschuldige Menschen, die ihrem Alltag nachgingen. Den es jetzt nicht mehr gibt. Wie erklärt man das?

Vielleicht kann man das gar nicht erklären. Darum begreifen zu wenige. Erleben ist anders. Tief gehender. Unter die Haut. Wenn wir hören. Als wären wir da. Ohrenzeugen.

Bohdan Stupak erlebt dies in der Ukraine und setzt sich damit auseinander. Muss das tun. Auf der Compilation STOP ALL WARS, die seit Februar 2022 Künstler Musik mit dem Titel stop all wars veröffentlichen lässt, solange, bis alle Kriege auf der Erde enden, hebt er mit seinem knapp zehnminütigen Noisetrack Field Recordings auf ein unheimliches Niveau.

AIR RAID SIREN IS OVER (08/2024) ist ein beklemmendes akustisches Artefakt diskurrierend inmitten menschlicher Dummheit. Dabei ist die Dummheit weniger die Dissoziation des sirenierenden Luftalarms, um Tonaufnahmen für einen geräuschvollen Musikbeitrag zu erstellen. Die Dummheit, die menschliche, ist der Umstand, der dazu führt, sich um das Menschliche zu stellen und sein eigenes Sein und das seiner eigenen Spezies in Frage zu stellen. Leider gehört auch das zum menschlich Allzumenschlichen. Dass nichts ehern und nichts notwendig ist, gleichwohl Gut und Böse sich ein wechselseitig interpretiertes Stelldichein geben. Mit Kultur können wir diese letztliche Sinnlosigkeit nicht aus den Angeln heben, wohl aber sie besser aushalten und Keimlinge für künftige Früchte auf verbrannter Erde setzen.

AIR RAID SIREN IS OVER nimmt sich Zeit, um zu beginnen. Das Warten. Fiepen. Weit im Hintergrund erhaschen die Ohren eine unheilvolle Sinuskurve. Hin und wieder und hierauf immer öfter in skalierter Tonlage. Im Vordergrund Geklapper. Wie nervös bediente Kippschalter und Tasten in einer Schaltzentrale. Aggregate. Dann Räuspern. Alles etwas dünn bis hierhin.

Ab drei Minuten bekommt die Aufzeichnung Körper. Ein resonanter Oszillator summt. 200 Hertz? Eine tagträumerisch gedrückte Klaviertaste kultiviert das Szenario und erinnert an den Trott des Damals. Kurz darauf gesellen sich vokale Schnipsel hinzu. Eine wirr abgehakte Konversation ist zu erahnen. Es tönt wie ein Fehler einer chaotisch widergegebenen Aufnahme, wie ein missglücktes Stück. On air! Aber das ist Absicht. Das ist Chaos. In einem Krieg. …jetzt eine Blockflöte oktroyierter musikalischer Früherziehung. Einstige Kakophonie wider den Hausfrieden, nun so lieblich wie die Nachtigall.

Minute sechs: Ja, es ist ein Dialog. Zwischen einem Mann und einem Kind. Zwischen Bohdan und seinem Sohn. Immer noch zerfledderndes Tremolo und Beatshift, doch die Intervalle verkürzen sich zu ganzen Sätzen. Abermals die Blockflöte. In der letzten Minute erklingen die Sätze in Reinform. Der Vater spricht mit seinem verängstigten Sohn, der etwa drei Jahre alt sein mag. Wie erklärt man das? Kann man nicht. Aber man hört Liebe. Mutige, ja fast gleichmütige Hinwendung in einer Ausnahmesituation. Eines Vaters zu dem Keim, den er in die Zukunft gesetzt hat. Ein Keim, der in Kultur aufgehen soll. Life!

Gustav Roland Reudengeutz

Den Track AIR RAID SIREN IS OVER von Bohdan Stupak findet sich hier.
Die Compilation С​т​о​п​! (STOP) hier.

Donnerstag, 10. Oktober 2024

Schön, wenn junge Leute Musik machen Pt.LXL

Manchmal langweile ich mich fürchterlich, wenn ich mich mit aktueller deutschsprachiger Musik beschäftige. Klingt alles nach dem gleichen Scheiß, nichts dabei, was die Wurst vom Teller zieht. Ist vielleicht auch das Ältere-Mann-Syndrom. Scheiß Punk. Viel gehört, viel gesehen, auf so einem snobby Kissen der Erwartungshaltungen ist es gar nicht so leicht, aus der dunklen Zelle der gepflegten Tristesse in den Palast der Euphorie getragen zu werden. Auf einer Sänfte, geschnitzt aus wohlriechenden Intarsien aus Aufregung und Neugier. Getragen von wohlgelaunten Einhörnern mit Regenbögen an den Hufen.

Aber diesmal ist es so. Gleich zwei Bands, die mindestens einen guten Song auf deutsch rausgepumpt haben. Ob das reicht, die ganze Platte zu kaufen? Ich weiß es nicht. Aber zwei gute Songs sind eine Menge wert, in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit.

Da wären zunächst mal BASSED mit "Deutsche Praktiken". Geiles Intro mit hübscher Nikel-Pallat-Hommage, Song danach auch super. Haben die viel "Die Sterne" und anderes Hamburger-Schule-Zeug in Augsburg konsumiert? Klingt jedenfalls so. Guter Text, sehr tagesaktuell in Bezug auf den Rechtsruck und dazu gibt es ein schickes Video und ein cheesy Gitarrensolo am Ende. Wenn damit genug Leute erreicht werden, sehr gerne mehr davon.



Wir erinnern uns: Ich schrub von zwei Bands. Bevor ich mich wieder dorthin zurückziehe, wo den ganzen Tag aus Nostalgiegründen der Bro-Hymn-Remix von BASSNECTAR läuft, also hier das nächste Überraschungs-Ei.

Der Bandname ist nicht so ein Catcher, aber die Musik ist es: Die Rede ist von THE BACKYARD BAND. Das klingt wenig einfallreich oder gar experimentell, aber - solide. Scheinen diese Jungs (alles Jungs, auch im Video) auch zu sein. Erdige Typen, die völlig altmodischen Boogie-Garage-Punk-RocknRoll spielen. So Zeug, was komplett aus der Zeit gefallen ist. Dazu manchmal auch, und das ist das Schöne, Texte auf Deutsch. Kerniger Rock'n'Roll mit deutschsprachigen Texten, die Kombi ist schon wieder so alt, dass man sie für innovativ halten könnte. Ist sie natürlich nicht. Hol das Ouija-Board raus und frag Opa.

Hörbeispiel 1: Der sehr gute Song "Haltet einfach mal die Fresse". Und ja, wir bewegen uns hier in einem homosozialen Raum, also nur junge Männer, die auch sehr maskulin auftreten. Eine Truppe, die nur aus Jungsfreunden besteht, gemeinsam imm Proberaum abhängt und dort eben jungsmäßigen, angeprollten Quatsch macht. Klischee, Klischee, I know.
Aber ich denke, das sind welche von den Guten. Und "Haltet einfach mal die Fresse" singe ich schnell mit, weil auch hier gerade aktuelle Konflikte auf sehr alltagsnahe Weise thematisiert werden. Ist außerdem so eloquent, dass ich manchmal an den guten alten Dendemann denken muss. Ganz andere Mucke, ich weiß, aber so vom Gefühl under Rotzigkeit, die drin steckt,sehe ich Parallelen.

Die ganzen hard facts um das Album, welche Prominenz da wie und wann im Studio mitgeholfen hat - fuck it, diese Infos kriegt ihr auch so schnell raus.



Gary Flanell

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Die Magie des Weges (eine Überschrift wie aus einem schäbigen Wartezimmerheftchen)

TRAIL MAGIC - Zine Nr. 3

Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.

So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.

Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.

Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.

Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.

Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.

Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.

Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx

Gary Flanell

Donnerstag, 12. September 2024

Renfield. urlaub. trallala

Wenn ihr das hier lest, ist in Renfieldhausen keine*r da. Sondern der Setzer im Urlaub.

Kein Content für den Container, kein Gedanken, die geäußert, keine Rezensionen, die geschrieben werden, keine Links, keine Mails. Nix.

Einfach mal Pause.

Schön so.



Hier hätte jetzt so ein Urlaubssymbol-Bild von Strand stehen können, aber das mit dem halben Sofa und dem Kabel war schöner.

Donnerstag, 5. September 2024

Schön, wenn junge Menschen Musik machen Pt.IIXMLIX


BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule

„Zehn Minuten“, sagt Gary, „Zehn Minuten, stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt, ists fertig.“ Nun denn also, was Gary sagt, ist wahrscheinlich kein Gesetz, aber sicherlich ein prima Ratschlag, den man beherzigen und es einfach mal ausprobieren kann.

Unpacking the Wundertüte. Es grüßt zunächst Golden Press aus Bremen und wirbt ins Frühjahr 2024 vorschauend für einen neugierig machenden Katalog namens „Was soll das Ganze?“, in dem anscheinend u. a. der Druck „Kunst bleibt beschissen“ zu finden ist. Paradestart.

Dann erst einmal die Rückseite der Platte erwischt, mit ISBN-Nummer, dem Hinweis, dass die Stadt Würzburg das Teil nicht gefördert hat und einer Liste von zehn kryptischen Liedtiteln, die mal so wunderbar gar nix besagen. Mitgemacht und umgedreht.

Abrissszenenbildchen, Bandname, Titel und ein Als-ob-Aufkleber als Als-ob-Reklame oder vielleicht auch nur, weil er gelb und auch ein krakeliger Fußball drauf ist. Und nun? Zunächst mal auf den Moment warten, weiter müßiggehen und sich dabei nicht davon beeindrucken lassen, dass auf der einen Seite Kati und Steffi per Alexa mit Udo Jürgens den Sommer beschallen und auf der anderen Seite Achim nach vorherigem Dauerbetrieb von Kärcher, Rasenmäher, Vertikutirer, Fön (?) und Knattermann 5000 nun die heimlich besorgte, dann grinsend verlegte Russischweißeichenterrasse dauer- und dauer- und dauer- und dauer- und dauerelektroschmirgelt, während vorne jemand unendlich baggert, weiter hinten ein anderer seinen kläffenden Miniköter anschreit und oben drüber heulend ein Bummsurlaubsbomber fliegt. (Anm. d. Setzers: Glaube, dass man Bumsurlaubsbomber nur mit einem M schreibt, bin aber nicht ganz sicher, also lass ich das so stehen.)


BURNOUT, meintwegen sogar OSTWEST, so geht das auch, nicht mehr als nur kurz um sich herumgehorcht und dabei noch nicht einmal weiter hochgerechnet, dass das alles allenfalls ein klitzekleiner Ausschnitt von allem anderen heutigen Unglaublichen und Nichtwahrseindürfenden ist.

„Heutzutage! Heutzutage!“ Widerstand! Nämlich die eigene Lautstärke über den letzten Widerstand hinaus gedreht und dann im Sinne von „Haltet doch alle mal bitte kurz eure Schnauze!“ zurückgedröht. Geht per Bremer Schule prima! Allenfalls zwei Instrumente, eins davon ein Keyboard mit enervierendem NDW- oder Schülerbandsound, eine zeternölige Stimme und textlich ohne Punkt und Komma Feststellungen zur heutigen Innen- und Außenwelt, bei denen eine Entscheidung, ob man über sie lachen oder weinen oder sich empören soll, irgendwie nicht möglich ist – die nämliche Voraortskakophonie wird plattgemacht. Kati brüllt irgendwann, ob das denn wohl sein müsste. Achim keckert und will wissen, „watt datt dann is“. Und sogar der Flieger ist weg! Ich bin entzückt.


Nach Runde #4 der Scheibe gelingt es problemlos, in die sinnfreien Grölrefrains einzustimmen. „Kein Gott, kein Staat, nur Hildegard!“ lasse ich die Nachbarschaft wissen, die sich überwiegend nun jedoch in die abgedunkelten Wohnzimmer zurückgezogen hat und dort lieber im Schatten verdörrt, als sich dieses unvermittelte, schnörkellose und unglaublich eingängige musikalische Anmeckern und Aufbegehren weiter zu geben. Müssen sie selber wissen, ich wäre jetzt in guter Laune durchaus gesprächsbereit und gar gäbe ein Bier aus.

Kati, Steffi, Achim und die anderen sind austauschbar, ich bin es ebenfalls, Musiktherapie à la BURNOUT OSTWEST ist heuer aber alternativlos.

Die zehn Minuten sind rum. Ok, sogar ein paar mehr, weil ich zu zwanghaft bin, die Vertipper und in der Unendlichkeit verglühende Schachtelsätze so usselig stehen zu lassen. Egal.

Kurzfazit: feine Platte, grob, ungeschliffen, nervend, aber dann doch wieder nicht nervend, tatsächlich jeder Hit ein Treffer, wie auf dem Cover versprochen. Und ob das Ganze was mit Team Scheiße zu tun hat, weiß ich tatsächlich nicht, weil ich die nach wie vor nicht kenne.

Felipe Nogal

BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule ist jetzt raus und gibt es online hier. und auf Vinyl hier.

Donnerstag, 29. August 2024

Schön, wenn Finnen Musik machen Pt. YXI


GOBLIN SHARK - RAT BONE

Menschen, die massenweise Videos über die seltsamsten Tiere des Planeten schauen, wissen natürlich, dass es den Koboldhai, auf englisch Goblin shark, wirklich gibt. Allerdings nicht in finnischen Gewässern. Die Referenz zu Mitsukurina owstoni passt bei den drei lustig schaurigen Finnen aber trotzdem, denn wenn es um kauzig-schrullige Rock'n'Roll-Versionen geht, hat Finnland nunja, die Nase vorn. Was wieder zur Nase des Goblin Shark passt.

Also: Der Nasenhai sieht lustig, aber auch ein ein wenig unheimlich aus. Wenn man ihn sieht, weiß man, dass er sicher gefährlich ist, aber so ganz abnehmen kann man ihm das nicht. So in etwa läuft's auch bei diesem Trio. Um das Obskure, das etwas drollig-Schaurige, versetzt mit schroffem Humor und dem Grusel mit Augenzwinkern geht es auch bei den drei lustigen Rock'nRoll-Predigern. Das Bild von drei Typen, die tief im Sumpf in einer Hütte seltsamen Dingen und Rock'n'Roll-Ritualen nachgehen, läuft mir durch den Kopf, während RAT BONE im CD-Player seine Kreise zieht. Um sich in den Bann von Trash-Voodoo ziehen zu lassen, musst du nicht bis nach New Orleans fliegen, ein Ticket mit dem Billigflieger nach Tampere dürfte auch reichen.


Screamin'Jay Hawins hatte diesen augenzwinkernden Rock'n'Roll-HokusPokus genauso gut drauf wie Dr. John oder Tito & Tarantula und davon haben sich die drei finnischen Jünger wahrscheinlich viel ins Ohr geträufelt. Manchmal gesellen sich beim Hören auch gewisse Psychobilly-Assoziationen dazu, nicht dieses schnelle hektische Zeug, eher der brütende, fiebrige Stoff, den THE CRAMPS oder DEADBOLT so gut beherrschten. Das ganze Album könnte gut den Soundtrack zu einem Tim-Burton-Film liefern. Zu irgendwelchen Horror-B-Movies sowieso.

Wenn diese Musik nun ein Topf voll mit heißem Gumbo ist, in dem allerlei Getier verkocht wird, dann sind Pharao Pirttinkangas (auch so ein Name, den du nur einmal in einer Rezension schreiben willst), Taskinen und Neuvonen die Hexenmeister, die tief in den Wäldern eine große Portion Boogie, Garagerock, Gruseltrash, Voodoo Blues und ureigenen finnischen Humor mit einem guten Schluck Swamprock zusammenbrauen.


Das klingt wie ein typischer Halloween-Cocktail. Kann sein, dass manche Menschen nur zu Allerheiligen darauf Bock haben, aber eigentlich ist die Jahreszeit egal, in der man sich diese Platte gönen kann. Denn Spaß machen diese angenehm durchgeknallten Typen immer. Würde ich gern live sehen, aber das kann bestimmt dauern, bis diese Hexenmeister mal auf dem Besen nach Berlin kommen. Wäre jedenfalls dabei.

Anspieltipps: 1. Genghis Khan 2. Serial Eater 3. Root Canal Surgery (Denn wieviele Songs gibt es, die eine Zahnwurzelbehandlung metaphorisch aufgreifen? I love it!)

Gary Flanell

GOBLIN SHARK - RAT BONE ist auf VOODOO RHYTHM Records erschienen.