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Donnerstag, 7. November 2024
Schön, wenn in Australien noch Musik gemacht wird Pt. IXU
AMYL & THE SNIFFERS - CARTON DARKNESS
"Zehn Minuten", sagt Gary. "Stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt..." Was einmal klappt, klappt sicherlich auch ein zweites Mal. Und vielleicht dann nochmal und nochmal, bis einigermaßen sicher ist, dass es wohl immer klappt. Sicherheit rules. Sehr erleichternd.
Denn: ich bin belastet. Habe Fragen und brauche Beruhigung. Was ist passiert?!
Rückblende.
"Kylie kommt!" Yeah, nix wie hin! Ach verdammt, das dauert ja noch eine Ewigkeit. Egal, die Vorfreude ist auch schon prima. Huch! Wasn das derweil? Andere weiblich-dominierte Musik, zwar nur aus der Konserve, aber warum auch nicht. Mal höan. Und seit dem dritten Durchlauf war sie dann da, die Belastung.
Hype. Hyper! Amy!!!
Gefühlt (oder tatsächlich?) selbst die Hörzu huldigt von jetzt auf gleich Amyl. Jeder mit so was wie Augen dürfte inzwischen eine ziemlich konkrete Ahnung von der Zunge der blonden Frau und eine etwas weniger konkrete von ihren mal gepixelten, mal mit Sternchen oder Smilies kaschierten Brüsten haben und glauben, genau so lustig gehts in Trailerparks downunder zu.
MTV 2.0, Bild mit/ statt Ton. Allein das genug Grund für Skepsis und Abwehr. Alle sind sich einig?! Das ist doch ein Trick, da will irgendwer reinlegen und fuschen! Oder sind das gar nicht Mark T. und sein Kumpel Mark E. Ting? Oder aber alles völlig zurecht geilomatisiert und wieder einmal nur von mir verpasst und durch Angst vor Auflauf und Uniform versäumt? Es ist alles verwirrend und irgendwie dadurch unangenehm.
Überhaupt - Australien. Australien! Wieso ist Australien plötzlich relevant? Crocodile Dundee, Aborigines, giftige Tiere, Hautkrebsgefahr, und weiter? Die meisten wollen mal hin, und niemand war je da, kennt aber dennoch den Refrain von Beds are burning und kann tanzen wie Peter Garrett. Und weiter?
Midtemporotzrock also mit teilweise motorschmierefettiger Nervgitarre und schön rummsiger Rhythmusabteilung, alles in plattformfähiger, gebügelter und gefalteter Soundqualität. Und eben die Zungenbrustdame, die annähernd akzentfrei schnörkelfreie Texte von Wichsen, Szenen einer Ehe, erzürnendem oder ängstigendem Weltgeschehen und einigem möglichen anderen singt und sich dabei stimmlich an allem bedient, was Frontfrau in den letzten drei Jahrzehnten schon mal angeboten hat.
Ab besagtem Durchlauf #3 wirds tatsächlich schön eingängig und nahezu super zum Fahrradfahren, beim Schwitzen und Posieren im Fitnessstudio oder ebendabei auf einem via Eventim völlig ausverkauften Konzert. Und weiter?!
Die zehn Minuten sind annähernd vorbei, und ich weiß nicht weiter. Vielleicht es einfach als ein Phänomen nehmen, Kommen und wieder Gehen oder nötigenfalls auch Bleiben, Eiffel65, Helene Fischer oder Courtney Love halt, nur in einer anderen kulturellen Nische oder eben Nicht-Nische, sondern größer und überaller.
Oder aber:
Vorblende. "Kylie kommt!" Die ist auch Australierin, wohl eher noch MTV 1.0, und die funktioniert nach den knapp hundert Jahren Anwesenheit in diesem irritierenden Showgedöns so ziemlich von selbst und ohne inszenierte Massenhysterie. Ich froi mich! Und fühle mich gerade richtig frei und runtergeatmet.
Philipp Nussbaum Amyl & The Sniffers Album "Cartoon Darkness" ist am 25.10.2024 auf Rough Trade Records erschienen
Donnerstag, 31. Oktober 2024
Schön, wenn Detroiter Undergroundlegenden noch den Space rocken Pt. MCDLDS
TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7"
Spacerock. Wer hats erfunden? Vermutlich Hawkwind. Timmy Vulgar jedenfalls scheint eindeutig Spacerock zu lieben. Laut Info ist er eine Detroiter Underground Legende. Das schöne am Undergroundlegenden-Status ist ja, das ihn jeder für sich beanspruchen kann.
Jeder sein eigener Underground.
Diese Single möchte man zum Pilzesammeln mit seinen Freunden in der Mark Brandenburg mit dabei haben. Naja, vielleicht lassen wir das mit dem Pilzesammeln und bestellen uns gleich etwas Acid im Internet. Geht schneller. Und daheim steht ja auch der Plattenspieler.
Allein um an dieser Stelle auch mal Erik Burdon zu zitieren bringen wir LSD ins Spiel: "When the acid trip is over, you gotta comeback to mother booze". So ist die B-Seite dieser Single ein noch am Montagmorgen noch Schnaps riechender Folk-Booze-Blues: "When the booze is gone, the sorrow is still there....".
Tja, um Sorgen braucht man sich in diesen Zeiten wirklich überhaupt keine Sorgen zu machen. Die legalen und illegalen Apotheken haben darum mal wieder Hochkonjunktur.
Spacerock bald wohlmöglich auch wieder, nach dem endlosen Krautrock-Revival der letzten Jahre. Solange finden wir Timmy im Detroiter Underground mit Internetanschluss und Bandcamp-Account.
Die Single ist auf 300 Stück limitiert. Für den erhöhte Legendenstatus im eigenen Plattenregal. Ride on!
Bruce Bachmann
TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7" ist erschienen auf Goodbye Boozy Records
Apocalype Meow
CATNADO
Die Anwesenden: Drei Herren mittleren Alters sowie zwei männlich gelesene Katzen, auch mittleren Alters. Die anwesenden Menschen haben ein gewisses Faible für guten Trash und ein Vorwissen was abseitige Filmprojekte angeht. Man könnte alle drei als cinephil bezeichnen. Aus diesem Grund sind sie zusammengekommen, um per Stream einen Film zu begutachten, der vor einigen Wochen über diverse soziale Medien in ihre Aufmerksamkeit gekommen ist.
Der Film: CATNADO.
Ursprünglich 2022 erschienen, nun auch auf DVD und als Stream erhältlich. Allerdings nur in den USA. Den Stream haben wir freundlicherweise vom Vertrieb gestellt bekommen. Der Titel allein gibt den Menschen, die sich mit Filmtrash beschäftigen, eine Idee, um was es geht. Denn vor einigen Jahren erhielt die SHARKNADO-Reihe einiges an Fame, allein wegen der darin vorkommenden Novelty-Idee: Durch einen TorNADO werden Haie (SHARKS) in die Luft geschleudert, somit aus dem Wasser, rein ins US-amerikanische Binnenland, wo sie dann, keiner weiß genau wie, Menschen anfallen und fressen. Das an sich war schon eine sehr bescheuerte Idee, aber irgendjemand hat etwas Geld dafür hergegeben und dann wurde gedreht. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, nicht viermal, nicht fünfmal, sondern sechsmal insgesamt. Sechsmal Sharknado bitte. Ja, immer ohne Sinn und Hirn, bitte.
Nun ist es ja nicht so außergewöhnlich, wenn man sich an eine erfolgreiche Idee dranhängt, und die Vorraussetzungen im Sinne einer Satire etwas ändert. So auch hier, et voilá: Das Ergebnis heißt CATNADO! Die Prämisse ist ähnlich, nur statt Haien regnet's Katzen vom Himmel und auch diese sind aggro und wollen den Menschen ans Eingeweide. Oder an den Hals. Oder sonst wo hin. Eigentlich konnte bei so einer hünsch absurden Idee nur guter Quatsch rauskommen. Eigentlich.
Nun liegen die Dinge hier etwas anders. Bei CATNADO handelt es sich nicht um einen zusammenhängenden Film mit einem Plot und einer Gruppe von Darsteller*innen. Es ist vielmehr ein Episodenfilm, bei dem sich sechs Regisseur*innen an der felin-klimatischen Ausgangssituation versuchen. Im Ergebnis ist das Ganze leider weniger lustig geworden als erwartet. Auch nicht trash-lustig, leider. CATNADO ist eher eine Compilation von No-Budget-Kurzfilmen, die zwar das Thema "Katzen im Sturm suchen die Menschheit heim" aufgreifen, aber trotz der wunderbar dämlichen Ausgangslage nur mässig bescheuert und ideenreich sind. Und "mässig bescheuert" als Qualitätsmerkmal anzuwenden ist schon, naja, auch seltsam. Sagen wir es mal so: Dieser Film hat viel Schönes.
Es scheint so, als hätte jede*r Director* seine besten Freunde rangeholt, eine (genau eine) Kamera benutzt, dazu ein paar Videotricks bei einem Umsonst-Film-Edit-Programm der VHS reingequetscht und ein paar found-footage-Aufnahmen von Katzen drübergestreuselt. Zum Trost: Es werden keine echten Katzen gequält oder wirbelwindartig durch die Luft geschleudert. Dafür werden sichtbarerweise ein paar (wenige) Stofftiere den Akteur*innen an den Hals geworfen. Aber selbst in den wenigen Szenen, wo eine echte Katze Sinn (naja, Sinn...) gemacht hätte, so als stimmungsvolles Szenenbild..., gibt es keine.
Achja, Handlungen, die gab es ja auch. Was haben wir da? Den Anfang macht ein Bonny-und-Clyde-artiges Gangsterpärchen, das wirkt, als wären es gerade vom Parkplatz eines Schnellimbiss weggecastet worden. Die beiden brechen irgendwo ein, dann kommt der Catnado und der Angriff der Killerkatzen. Aus dem Bauch des Typen springt hernach noch Alien-mäßig eine Muschi. Wie sie da reingekommen ist, keiner weiß es.
Weiter geht es mit einem kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Klaustro-Ailuro-Phobiker in der Besenkammerkammer, zwei Typen, die nach einem Auffahrunfall in den Catnado geraten, einem Trio, das sich vor dem Sturm in einer Hütte verschanzt - und dort von Katzen (Stofftieren, ich erwähnte es bereits, auch hier nur wenige, ein oder zwei, glaube ich) angefallen wird, zwei Piloten auf Nachtflug, die es mit einem Mensch-Katze-Hybrid zu tun bekommen, der bestenfalls beim Cats-Musical aussortiert wurde (hier aber den Preis fürs beste Kostüm bekommt) und nun in 10000 Meter Höhe versucht, die fliegende Konservendose mit den beiden leckeren Menschen darin vom Dach aus zu öffnen.
Am Ende, quasi als Bonus nach dem Orkan, wird es in "Cosmic Catnado" noch einmal psychedelisch, mit allerlei Phantasiewesen und das ist noch der beste Teil dieser seltsamen Katzen-im-Sturm-Compilation. Wäre der ganze Film derart gestaltet, es wäre mir ein Fest gewesen.
Was die einzelnen Handlungsstränge angeht: Vielleicht habe ich nicht alles verstanden, weil einiges lost in translation war, Untertitel gab es keine. Möglicherweise waren auch hier und da einfach keine schlüssigen Handlungen existent, sondern irgendwelche Leute haben halt irgendwas mit Stofftieren gemacht, um die Zeit zu überbrücken, bis der Catnado auftaucht und alle umbringt.
Ok, es war klar: Trash war angekündigt. Trash wurde auch geboten. Ich finde aber, es gibt Trash und Trash. Guten, liebevoll gemachten, ideenreichen Trash und irgendwelchen Quatsch, bei dem mal zufällig jemand die Kamera draufgehalten hat. Quatsch, bei dem von vornherein klar war: Huch, wir haben ja gar kein Geld für irgendwas. Nicht mal für Katzenfutter. Die Idee von CATNADO mag zu einem gewissen Grad reizvoll sein, allerdings ist der Ideenreichtum und die Umsetzung arg limitiert. Und sechs einzelne Episoden unter diesem einen Titel zu verkaufen, ist auch so eine Mogelpackung.
Aber wer weiß, vielleicht verstehe ich das alles falsch. Vielleicht gibt es eine Gruppe von Menschen, die das hier voll abfeiert. Ed Wood hat ja früher auch keiner verstanden. Obwohl... Ed Wood war Filmemacher. Hat sich als solcher verstanden und war irgendwie als solcher auch Teil des Betriebs. Das scheint mir hier nicht der Fall zu sein. Nachdem alles abgedreht war, die DVD veröffentlicht und wieder Ruhe einkehrte, haben sich alle Beteiligten sicher wieder ihren normalen Jobs gewidmet. Was gut ist. Schade ist es eigentlich nur um die Rohstoffe, die bei der DVD-Produktion verwendet worden sind. Streamen reicht.
CATNADO ist am 22. Oktober auf DVD und VOD über Wild Eye Releasing erschienen (eigentlich aber schon 2022). Scheint im übrigen eine ganz hervorragende Adresse für Trash-Horror-Fans zu sein.
Donnerstag, 24. Oktober 2024
Supergroup statt Vorruhestand
THE HARD QUARTET - s/t
Noch ganz frisch: „The Hard Quartet“. Das nach der Band benannte Debüt-Album ist ein stilistisch vielfältiger Indie-Alternativ-Rock-Pop-Mix. Spielfreudig und virtuos eingespielt, arrangiert und produziert. Was nicht wundert bei diesen „Debütanten“ und ihren Bandgeschichten: Stephen Malkmus (Pavement), Matt Sweeney (Chavez, Cat Power, Superwolves), Emmett Kelly (Bonnie Prince Billy, Ty Segall) und Jim White (Dirty Three, PJ Harvey) sind die „Traveling Wilburys“ der Indie-Szene. Supergroup statt Vorruhestand.
Musikfans mit entsprechendem Geschmack (inklusive der Top-Checker:innen) werden sich an der musikalischen Qualität erfreuen. Auch für Nebenbei-Hörende halten die Songs genug Parts zum Mitsummen, Kopfnicken, Aufstampfen oder Abrocken parat.
Zum energetischen Auftakt wirbelt der Opener „Chrome Mess“ viel Staub auf: Ein Motorrad-Lift jagt Benzin in die Luft, und rollt auf dem Highway zu einem finsteren Rockschuppen mit brettharten Gitarrenwänden im tiefsten Westen der USA. Der Text offenbart psychedelisches Potenzial, wenn „Sister Sludge“ mit den „ampelgrünen Augen“ angesungen wird und das Leben mit ihr ein „heißes Chromchaos“ verspricht. Auch in „Renegade“ drückt die Viererbande das Rockn' Roll-Gaspedal amtlich durch.
Andernsongs mögen es die Haudegen softer: ob mit entspanntem Country-Feeling am Lagerfeuer („Heel Highway“) oder Britpop-balladig wie in „Rio's Song“ oder in „Six Deaf Rats“, wo Malkmus' Gesang Lou Reed wiederaufersingen lässt. „Earth Hater“ wiederum klingt verspielt zappaesk.
Abwechslung ist also Programm - auch innerhalb der Songs, wenn etwa „Action For Military Boys“ mit doomigem Hardrock startet und über poppigen Chorgesang in gitarrengetriebene, diverse Parts und Indie-Sphären mündet. Das alles gelingt „The Hard Quartet“ in einem organischen Spielfluss, oft hymnisch und mit den letzten Stücken des Albums ruhiger werdend.
Das organische Zusammenspiel kommt nicht von ungefähr: Im GQ-Interview erzählte die Band, dass bereits in der ersten Woche ihrer Zusammenarbeit beinahe so viele Songs entstanden sind, um ein Album damit füllen zu können. Sie seien sich zuvor immer wieder zufällig begegnet, ehe Sweeney Malkmus zur Beginn der Corona-Pandemie vorschlug, „The Hard Quartet“ zu gründen. Eine gute Idee!
Live sind sie im kommenden Jahr möglicherweise auch in Europa am Start. Ihr Live-Debüt gab die Band am 10.10. in Los Angeles, am 17.10. gng's dann in New York weiter, am 22.10. in London und im Januar 2025 spielen sie einige Konzerte in Australien. We'll see..
Stonebridge
"The Hard Quartet" ist im Oktober 2024 auf Matador Records / Beggars Group (Indigo) erschienen.
thehardquartet.com
facebook.com/thehardquartet
Donnerstag, 17. Oktober 2024
Air Raid Siren Is Over
BOHDAN STUPAK AIR RAID SIREN IS OVER - FIELD RECORDINGS ON AIR
Live! Wie fühlt es sich an, on air zu sein? Wenn man es nicht sollte. Weil Flugzeuge Bomben abwerfen. In einem Krieg, unter dem die Bevölkerung leidet. Unschuldige Menschen, die ihrem Alltag nachgingen. Den es jetzt nicht mehr gibt. Wie erklärt man das?
Vielleicht kann man das gar nicht erklären. Darum begreifen zu wenige. Erleben ist anders. Tief gehender. Unter die Haut. Wenn wir hören. Als wären wir da. Ohrenzeugen.
Bohdan Stupak erlebt dies in der Ukraine und setzt sich damit auseinander. Muss das tun. Auf der Compilation STOP ALL WARS, die seit Februar 2022 Künstler Musik mit dem Titel stop all wars veröffentlichen lässt, solange, bis alle Kriege auf der Erde enden, hebt er mit seinem knapp zehnminütigen Noisetrack Field Recordings auf ein unheimliches Niveau.
AIR RAID SIREN IS OVER (08/2024) ist ein beklemmendes akustisches Artefakt diskurrierend inmitten menschlicher Dummheit. Dabei ist die Dummheit weniger die Dissoziation des sirenierenden Luftalarms, um Tonaufnahmen für einen geräuschvollen Musikbeitrag zu erstellen. Die Dummheit, die menschliche, ist der Umstand, der dazu führt, sich um das Menschliche zu stellen und sein eigenes Sein und das seiner eigenen Spezies in Frage zu stellen. Leider gehört auch das zum menschlich Allzumenschlichen. Dass nichts ehern und nichts notwendig ist, gleichwohl Gut und Böse sich ein wechselseitig interpretiertes Stelldichein geben. Mit Kultur können wir diese letztliche Sinnlosigkeit nicht aus den Angeln heben, wohl aber sie besser aushalten und Keimlinge für künftige Früchte auf verbrannter Erde setzen.
AIR RAID SIREN IS OVER nimmt sich Zeit, um zu beginnen. Das Warten. Fiepen. Weit im Hintergrund erhaschen die Ohren eine unheilvolle Sinuskurve. Hin und wieder und hierauf immer öfter in skalierter Tonlage. Im Vordergrund Geklapper. Wie nervös bediente Kippschalter und Tasten in einer Schaltzentrale. Aggregate. Dann Räuspern. Alles etwas dünn bis hierhin.
Ab drei Minuten bekommt die Aufzeichnung Körper. Ein resonanter Oszillator summt. 200 Hertz? Eine tagträumerisch gedrückte Klaviertaste kultiviert das Szenario und erinnert an den Trott des Damals. Kurz darauf gesellen sich vokale Schnipsel hinzu. Eine wirr abgehakte Konversation ist zu erahnen. Es tönt wie ein Fehler einer chaotisch widergegebenen Aufnahme, wie ein missglücktes Stück. On air! Aber das ist Absicht. Das ist Chaos. In einem Krieg. …jetzt eine Blockflöte oktroyierter musikalischer Früherziehung. Einstige Kakophonie wider den Hausfrieden, nun so lieblich wie die Nachtigall.
Minute sechs: Ja, es ist ein Dialog. Zwischen einem Mann und einem Kind. Zwischen Bohdan und seinem Sohn. Immer noch zerfledderndes Tremolo und Beatshift, doch die Intervalle verkürzen sich zu ganzen Sätzen. Abermals die Blockflöte. In der letzten Minute erklingen die Sätze in Reinform. Der Vater spricht mit seinem verängstigten Sohn, der etwa drei Jahre alt sein mag. Wie erklärt man das? Kann man nicht. Aber man hört Liebe. Mutige, ja fast gleichmütige Hinwendung in einer Ausnahmesituation. Eines Vaters zu dem Keim, den er in die Zukunft gesetzt hat. Ein Keim, der in Kultur aufgehen soll. Life!
Gustav Roland Reudengeutz
Den Track AIR RAID SIREN IS OVER von Bohdan Stupak findet sich hier.
Die Compilation Стоп! (STOP) hier.
Donnerstag, 10. Oktober 2024
Schön, wenn junge Leute Musik machen Pt.LXL
Manchmal langweile ich mich fürchterlich, wenn ich mich mit aktueller deutschsprachiger Musik beschäftige. Klingt alles nach dem gleichen Scheiß, nichts dabei, was die Wurst vom Teller zieht. Ist vielleicht auch das Ältere-Mann-Syndrom. Scheiß Punk.
Viel gehört, viel gesehen, auf so einem snobby Kissen der Erwartungshaltungen ist es gar nicht so leicht, aus der dunklen Zelle der gepflegten Tristesse in den Palast der Euphorie getragen zu werden. Auf einer Sänfte, geschnitzt aus wohlriechenden Intarsien aus Aufregung und Neugier. Getragen von wohlgelaunten Einhörnern mit Regenbögen an den Hufen.
Aber diesmal ist es so. Gleich zwei Bands, die mindestens einen guten Song auf deutsch rausgepumpt haben. Ob das reicht, die ganze Platte zu kaufen? Ich weiß es nicht. Aber zwei gute Songs sind eine Menge wert, in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit.
Da wären zunächst mal BASSED mit "Deutsche Praktiken". Geiles Intro mit hübscher Nikel-Pallat-Hommage, Song danach auch super. Haben die viel "Die Sterne" und anderes Hamburger-Schule-Zeug in Augsburg konsumiert? Klingt jedenfalls so. Guter Text, sehr tagesaktuell in Bezug auf den Rechtsruck und dazu gibt es ein schickes Video und ein cheesy Gitarrensolo am Ende. Wenn damit genug Leute erreicht werden, sehr gerne mehr davon.
Wir erinnern uns: Ich schrub von zwei Bands. Bevor ich mich wieder dorthin zurückziehe, wo den ganzen Tag aus Nostalgiegründen der Bro-Hymn-Remix von BASSNECTAR läuft, also hier das nächste Überraschungs-Ei.
Der Bandname ist nicht so ein Catcher, aber die Musik ist es: Die Rede ist von THE BACKYARD BAND. Das klingt wenig einfallreich oder gar experimentell, aber - solide. Scheinen diese Jungs (alles Jungs, auch im Video) auch zu sein. Erdige Typen, die völlig altmodischen Boogie-Garage-Punk-RocknRoll spielen. So Zeug, was komplett aus der Zeit gefallen ist. Dazu manchmal auch, und das ist das Schöne, Texte auf Deutsch. Kerniger Rock'n'Roll mit deutschsprachigen Texten, die Kombi ist schon wieder so alt, dass man sie für innovativ halten könnte. Ist sie natürlich nicht. Hol das Ouija-Board raus und frag Opa.
Hörbeispiel 1: Der sehr gute Song "Haltet einfach mal die Fresse". Und ja, wir bewegen uns hier in einem homosozialen Raum, also nur junge Männer, die auch sehr maskulin auftreten. Eine Truppe, die nur aus Jungsfreunden besteht, gemeinsam imm Proberaum abhängt und dort eben jungsmäßigen, angeprollten Quatsch macht. Klischee, Klischee, I know.
Aber ich denke, das sind welche von den Guten. Und "Haltet einfach mal die Fresse" singe ich schnell mit, weil auch hier gerade aktuelle Konflikte auf sehr alltagsnahe Weise thematisiert werden. Ist außerdem so eloquent, dass ich manchmal an den guten alten Dendemann denken muss. Ganz andere Mucke, ich weiß, aber so vom Gefühl under Rotzigkeit, die drin steckt,sehe ich Parallelen.
Die ganzen hard facts um das Album, welche Prominenz da wie und wann im Studio mitgeholfen hat - fuck it, diese Infos kriegt ihr auch so schnell raus.
Gary Flanell
Aber diesmal ist es so. Gleich zwei Bands, die mindestens einen guten Song auf deutsch rausgepumpt haben. Ob das reicht, die ganze Platte zu kaufen? Ich weiß es nicht. Aber zwei gute Songs sind eine Menge wert, in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit.
Da wären zunächst mal BASSED mit "Deutsche Praktiken". Geiles Intro mit hübscher Nikel-Pallat-Hommage, Song danach auch super. Haben die viel "Die Sterne" und anderes Hamburger-Schule-Zeug in Augsburg konsumiert? Klingt jedenfalls so. Guter Text, sehr tagesaktuell in Bezug auf den Rechtsruck und dazu gibt es ein schickes Video und ein cheesy Gitarrensolo am Ende. Wenn damit genug Leute erreicht werden, sehr gerne mehr davon.
Wir erinnern uns: Ich schrub von zwei Bands. Bevor ich mich wieder dorthin zurückziehe, wo den ganzen Tag aus Nostalgiegründen der Bro-Hymn-Remix von BASSNECTAR läuft, also hier das nächste Überraschungs-Ei.
Der Bandname ist nicht so ein Catcher, aber die Musik ist es: Die Rede ist von THE BACKYARD BAND. Das klingt wenig einfallreich oder gar experimentell, aber - solide. Scheinen diese Jungs (alles Jungs, auch im Video) auch zu sein. Erdige Typen, die völlig altmodischen Boogie-Garage-Punk-RocknRoll spielen. So Zeug, was komplett aus der Zeit gefallen ist. Dazu manchmal auch, und das ist das Schöne, Texte auf Deutsch. Kerniger Rock'n'Roll mit deutschsprachigen Texten, die Kombi ist schon wieder so alt, dass man sie für innovativ halten könnte. Ist sie natürlich nicht. Hol das Ouija-Board raus und frag Opa.
Hörbeispiel 1: Der sehr gute Song "Haltet einfach mal die Fresse". Und ja, wir bewegen uns hier in einem homosozialen Raum, also nur junge Männer, die auch sehr maskulin auftreten. Eine Truppe, die nur aus Jungsfreunden besteht, gemeinsam imm Proberaum abhängt und dort eben jungsmäßigen, angeprollten Quatsch macht. Klischee, Klischee, I know.
Aber ich denke, das sind welche von den Guten. Und "Haltet einfach mal die Fresse" singe ich schnell mit, weil auch hier gerade aktuelle Konflikte auf sehr alltagsnahe Weise thematisiert werden. Ist außerdem so eloquent, dass ich manchmal an den guten alten Dendemann denken muss. Ganz andere Mucke, ich weiß, aber so vom Gefühl under Rotzigkeit, die drin steckt,sehe ich Parallelen.
Die ganzen hard facts um das Album, welche Prominenz da wie und wann im Studio mitgeholfen hat - fuck it, diese Infos kriegt ihr auch so schnell raus.
Gary Flanell
Donnerstag, 3. Oktober 2024
Die Magie des Weges (eine Überschrift wie aus einem schäbigen Wartezimmerheftchen)
TRAIL MAGIC - Zine Nr. 3
Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.
So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.
Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.
Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.
Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.
Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.
Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.
Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx
Gary Flanell
Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.
So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.
Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.
Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.
Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.
Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.
Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.
Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx
Gary Flanell
Donnerstag, 12. September 2024
Renfield. urlaub. trallala
Wenn ihr das hier lest, ist in Renfieldhausen keine*r da. Sondern der Setzer im Urlaub.
Kein Content für den Container, kein Gedanken, die geäußert, keine Rezensionen, die geschrieben werden, keine Links, keine Mails. Nix.
Einfach mal Pause.
Schön so.
Hier hätte jetzt so ein Urlaubssymbol-Bild von Strand stehen können, aber das mit dem halben Sofa und dem Kabel war schöner.
Kein Content für den Container, kein Gedanken, die geäußert, keine Rezensionen, die geschrieben werden, keine Links, keine Mails. Nix.
Einfach mal Pause.
Schön so.
Hier hätte jetzt so ein Urlaubssymbol-Bild von Strand stehen können, aber das mit dem halben Sofa und dem Kabel war schöner.
Donnerstag, 5. September 2024
Schön, wenn junge Menschen Musik machen Pt.IIXMLIX
BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule
„Zehn Minuten“, sagt Gary, „Zehn Minuten, stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt, ists fertig.“ Nun denn also, was Gary sagt, ist wahrscheinlich kein Gesetz, aber sicherlich ein prima Ratschlag, den man beherzigen und es einfach mal ausprobieren kann.
Unpacking the Wundertüte. Es grüßt zunächst Golden Press aus Bremen und wirbt ins Frühjahr 2024 vorschauend für einen neugierig machenden Katalog namens „Was soll das Ganze?“, in dem anscheinend u. a. der Druck „Kunst bleibt beschissen“ zu finden ist. Paradestart.
Dann erst einmal die Rückseite der Platte erwischt, mit ISBN-Nummer, dem Hinweis, dass die Stadt Würzburg das Teil nicht gefördert hat und einer Liste von zehn kryptischen Liedtiteln, die mal so wunderbar gar nix besagen. Mitgemacht und umgedreht.
Abrissszenenbildchen, Bandname, Titel und ein Als-ob-Aufkleber als Als-ob-Reklame oder vielleicht auch nur, weil er gelb und auch ein krakeliger Fußball drauf ist. Und nun? Zunächst mal auf den Moment warten, weiter müßiggehen und sich dabei nicht davon beeindrucken lassen, dass auf der einen Seite Kati und Steffi per Alexa mit Udo Jürgens den Sommer beschallen und auf der anderen Seite Achim nach vorherigem Dauerbetrieb von Kärcher, Rasenmäher, Vertikutirer, Fön (?) und Knattermann 5000 nun die heimlich besorgte, dann grinsend verlegte Russischweißeichenterrasse dauer- und dauer- und dauer- und dauer- und dauerelektroschmirgelt, während vorne jemand unendlich baggert, weiter hinten ein anderer seinen kläffenden Miniköter anschreit und oben drüber heulend ein Bummsurlaubsbomber fliegt. (Anm. d. Setzers: Glaube, dass man Bumsurlaubsbomber nur mit einem M schreibt, bin aber nicht ganz sicher, also lass ich das so stehen.)
BURNOUT, meintwegen sogar OSTWEST, so geht das auch, nicht mehr als nur kurz um sich herumgehorcht und dabei noch nicht einmal weiter hochgerechnet, dass das alles allenfalls ein klitzekleiner Ausschnitt von allem anderen heutigen Unglaublichen und Nichtwahrseindürfenden ist.
„Heutzutage! Heutzutage!“ Widerstand! Nämlich die eigene Lautstärke über den letzten Widerstand hinaus gedreht und dann im Sinne von „Haltet doch alle mal bitte kurz eure Schnauze!“ zurückgedröht. Geht per Bremer Schule prima! Allenfalls zwei Instrumente, eins davon ein Keyboard mit enervierendem NDW- oder Schülerbandsound, eine zeternölige Stimme und textlich ohne Punkt und Komma Feststellungen zur heutigen Innen- und Außenwelt, bei denen eine Entscheidung, ob man über sie lachen oder weinen oder sich empören soll, irgendwie nicht möglich ist – die nämliche Voraortskakophonie wird plattgemacht. Kati brüllt irgendwann, ob das denn wohl sein müsste. Achim keckert und will wissen, „watt datt dann is“. Und sogar der Flieger ist weg! Ich bin entzückt.
Nach Runde #4 der Scheibe gelingt es problemlos, in die sinnfreien Grölrefrains einzustimmen. „Kein Gott, kein Staat, nur Hildegard!“ lasse ich die Nachbarschaft wissen, die sich überwiegend nun jedoch in die abgedunkelten Wohnzimmer zurückgezogen hat und dort lieber im Schatten verdörrt, als sich dieses unvermittelte, schnörkellose und unglaublich eingängige musikalische Anmeckern und Aufbegehren weiter zu geben. Müssen sie selber wissen, ich wäre jetzt in guter Laune durchaus gesprächsbereit und gar gäbe ein Bier aus.
Kati, Steffi, Achim und die anderen sind austauschbar, ich bin es ebenfalls, Musiktherapie à la BURNOUT OSTWEST ist heuer aber alternativlos.
Die zehn Minuten sind rum. Ok, sogar ein paar mehr, weil ich zu zwanghaft bin, die Vertipper und in der Unendlichkeit verglühende Schachtelsätze so usselig stehen zu lassen. Egal.
Kurzfazit: feine Platte, grob, ungeschliffen, nervend, aber dann doch wieder nicht nervend, tatsächlich jeder Hit ein Treffer, wie auf dem Cover versprochen. Und ob das Ganze was mit Team Scheiße zu tun hat, weiß ich tatsächlich nicht, weil ich die nach wie vor nicht kenne.
Felipe Nogal
BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule ist jetzt raus und gibt es online hier. und auf Vinyl hier.
„Zehn Minuten“, sagt Gary, „Zehn Minuten, stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt, ists fertig.“ Nun denn also, was Gary sagt, ist wahrscheinlich kein Gesetz, aber sicherlich ein prima Ratschlag, den man beherzigen und es einfach mal ausprobieren kann.
Unpacking the Wundertüte. Es grüßt zunächst Golden Press aus Bremen und wirbt ins Frühjahr 2024 vorschauend für einen neugierig machenden Katalog namens „Was soll das Ganze?“, in dem anscheinend u. a. der Druck „Kunst bleibt beschissen“ zu finden ist. Paradestart.
Dann erst einmal die Rückseite der Platte erwischt, mit ISBN-Nummer, dem Hinweis, dass die Stadt Würzburg das Teil nicht gefördert hat und einer Liste von zehn kryptischen Liedtiteln, die mal so wunderbar gar nix besagen. Mitgemacht und umgedreht.
Abrissszenenbildchen, Bandname, Titel und ein Als-ob-Aufkleber als Als-ob-Reklame oder vielleicht auch nur, weil er gelb und auch ein krakeliger Fußball drauf ist. Und nun? Zunächst mal auf den Moment warten, weiter müßiggehen und sich dabei nicht davon beeindrucken lassen, dass auf der einen Seite Kati und Steffi per Alexa mit Udo Jürgens den Sommer beschallen und auf der anderen Seite Achim nach vorherigem Dauerbetrieb von Kärcher, Rasenmäher, Vertikutirer, Fön (?) und Knattermann 5000 nun die heimlich besorgte, dann grinsend verlegte Russischweißeichenterrasse dauer- und dauer- und dauer- und dauer- und dauerelektroschmirgelt, während vorne jemand unendlich baggert, weiter hinten ein anderer seinen kläffenden Miniköter anschreit und oben drüber heulend ein Bummsurlaubsbomber fliegt. (Anm. d. Setzers: Glaube, dass man Bumsurlaubsbomber nur mit einem M schreibt, bin aber nicht ganz sicher, also lass ich das so stehen.)
BURNOUT, meintwegen sogar OSTWEST, so geht das auch, nicht mehr als nur kurz um sich herumgehorcht und dabei noch nicht einmal weiter hochgerechnet, dass das alles allenfalls ein klitzekleiner Ausschnitt von allem anderen heutigen Unglaublichen und Nichtwahrseindürfenden ist.
„Heutzutage! Heutzutage!“ Widerstand! Nämlich die eigene Lautstärke über den letzten Widerstand hinaus gedreht und dann im Sinne von „Haltet doch alle mal bitte kurz eure Schnauze!“ zurückgedröht. Geht per Bremer Schule prima! Allenfalls zwei Instrumente, eins davon ein Keyboard mit enervierendem NDW- oder Schülerbandsound, eine zeternölige Stimme und textlich ohne Punkt und Komma Feststellungen zur heutigen Innen- und Außenwelt, bei denen eine Entscheidung, ob man über sie lachen oder weinen oder sich empören soll, irgendwie nicht möglich ist – die nämliche Voraortskakophonie wird plattgemacht. Kati brüllt irgendwann, ob das denn wohl sein müsste. Achim keckert und will wissen, „watt datt dann is“. Und sogar der Flieger ist weg! Ich bin entzückt.
Nach Runde #4 der Scheibe gelingt es problemlos, in die sinnfreien Grölrefrains einzustimmen. „Kein Gott, kein Staat, nur Hildegard!“ lasse ich die Nachbarschaft wissen, die sich überwiegend nun jedoch in die abgedunkelten Wohnzimmer zurückgezogen hat und dort lieber im Schatten verdörrt, als sich dieses unvermittelte, schnörkellose und unglaublich eingängige musikalische Anmeckern und Aufbegehren weiter zu geben. Müssen sie selber wissen, ich wäre jetzt in guter Laune durchaus gesprächsbereit und gar gäbe ein Bier aus.
Kati, Steffi, Achim und die anderen sind austauschbar, ich bin es ebenfalls, Musiktherapie à la BURNOUT OSTWEST ist heuer aber alternativlos.
Die zehn Minuten sind rum. Ok, sogar ein paar mehr, weil ich zu zwanghaft bin, die Vertipper und in der Unendlichkeit verglühende Schachtelsätze so usselig stehen zu lassen. Egal.
Kurzfazit: feine Platte, grob, ungeschliffen, nervend, aber dann doch wieder nicht nervend, tatsächlich jeder Hit ein Treffer, wie auf dem Cover versprochen. Und ob das Ganze was mit Team Scheiße zu tun hat, weiß ich tatsächlich nicht, weil ich die nach wie vor nicht kenne.
Felipe Nogal
BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule ist jetzt raus und gibt es online hier. und auf Vinyl hier.
Donnerstag, 29. August 2024
Schön, wenn Finnen Musik machen Pt. YXI
GOBLIN SHARK - RAT BONE
Menschen, die massenweise Videos über die seltsamsten Tiere des Planeten schauen, wissen natürlich, dass es den Koboldhai, auf englisch Goblin shark, wirklich gibt. Allerdings nicht in finnischen Gewässern. Die Referenz zu Mitsukurina owstoni passt bei den drei lustig schaurigen Finnen aber trotzdem, denn wenn es um kauzig-schrullige Rock'n'Roll-Versionen geht, hat Finnland nunja, die Nase vorn. Was wieder zur Nase des Goblin Shark passt.
Also: Der Nasenhai sieht lustig, aber auch ein ein wenig unheimlich aus. Wenn man ihn sieht, weiß man, dass er sicher gefährlich ist, aber so ganz abnehmen kann man ihm das nicht. So in etwa läuft's auch bei diesem Trio. Um das Obskure, das etwas drollig-Schaurige, versetzt mit schroffem Humor und dem Grusel mit Augenzwinkern geht es auch bei den drei lustigen Rock'nRoll-Predigern. Das Bild von drei Typen, die tief im Sumpf in einer Hütte seltsamen Dingen und Rock'n'Roll-Ritualen nachgehen, läuft mir durch den Kopf, während RAT BONE im CD-Player seine Kreise zieht. Um sich in den Bann von Trash-Voodoo ziehen zu lassen, musst du nicht bis nach New Orleans fliegen, ein Ticket mit dem Billigflieger nach Tampere dürfte auch reichen.
Screamin'Jay Hawins hatte diesen augenzwinkernden Rock'n'Roll-HokusPokus genauso gut drauf wie Dr. John oder Tito & Tarantula und davon haben sich die drei finnischen Jünger wahrscheinlich viel ins Ohr geträufelt. Manchmal gesellen sich beim Hören auch gewisse Psychobilly-Assoziationen dazu, nicht dieses schnelle hektische Zeug, eher der brütende, fiebrige Stoff, den THE CRAMPS oder DEADBOLT so gut beherrschten. Das ganze Album könnte gut den Soundtrack zu einem Tim-Burton-Film liefern. Zu irgendwelchen Horror-B-Movies sowieso.
Wenn diese Musik nun ein Topf voll mit heißem Gumbo ist, in dem allerlei Getier verkocht wird, dann sind Pharao Pirttinkangas (auch so ein Name, den du nur einmal in einer Rezension schreiben willst), Taskinen und Neuvonen die Hexenmeister, die tief in den Wäldern eine große Portion Boogie, Garagerock, Gruseltrash, Voodoo Blues und ureigenen finnischen Humor mit einem guten Schluck Swamprock zusammenbrauen.
Das klingt wie ein typischer Halloween-Cocktail. Kann sein, dass manche Menschen nur zu Allerheiligen darauf Bock haben, aber eigentlich ist die Jahreszeit egal, in der man sich diese Platte gönen kann. Denn Spaß machen diese angenehm durchgeknallten Typen immer. Würde ich gern live sehen, aber das kann bestimmt dauern, bis diese Hexenmeister mal auf dem Besen nach Berlin kommen. Wäre jedenfalls dabei.
Anspieltipps: 1. Genghis Khan 2. Serial Eater 3. Root Canal Surgery (Denn wieviele Songs gibt es, die eine Zahnwurzelbehandlung metaphorisch aufgreifen? I love it!)
Gary Flanell
GOBLIN SHARK - RAT BONE ist auf VOODOO RHYTHM Records erschienen.
Donnerstag, 22. August 2024
Schön, wenn Rüttenscheid Musik macht Pt. I
INTERNATIONAL MUSIC - ENDLESS RÜTTENSCHEID
International Music ist so international wie ein Amboss im freien Fall flexibel ist, oder Hamburg eine Metropole.
Im Spiel mit ironischer Provinzialität bewegt sich die Indie Konsensband des Prenzlauer Berges und allen anderen sein-wollen-wie-Stadtvierteln dieser Republik souverän zwischen schön und schaurig.
Angesagte Musik zum wohlfühlen, ausprobieren und abgehen.
Nach ihren ersten beiden Alben auf dem Berliner STAATSAKT Label, erscheint Endless Rüttenscheid nun auf dem bandeigenen Label TIMELESS MELANCHOLIC MUSIC als Katalognummer eins.
Inhaltlich bleibt es zumeist im privaten, ohne Übergriffigkeiten oder Erwartungen – warm und kuschelig wie ein Frühlingssonnenstrahl. Es treten auf :
Kirmesschenkelklopfer (International heat), Marius Müller Westernhagen Anleihen (Kraut), einnehmende Melancholie (Endless Rüttenscheid, Mont St. Michel, Im Sommer bin ich dein König) und vieles, was schön anfängt [ESSEN – der Harmoniegesang sitzt..], bevor sich International Music etwas zu oft in den Rock mit großem R verabschieden, um sich dort zu verlieren.
Kommt auf Festivals wahrscheinlich gut, ist aber halt auch nur eine Option...
Einfach mal öfter im zweiten Gang nach Hause fahren....
[und jetzt einen kleinen Cappuccino mit Hafermilch und Schuss].
Hörrissey
Essen Rüttenscheid – Angesagter Stadtteil zum Wohnen, Arbeiten und Ausgehen [Eigenwerbung]
International Music ist so international wie ein Amboss im freien Fall flexibel ist, oder Hamburg eine Metropole.
Im Spiel mit ironischer Provinzialität bewegt sich die Indie Konsensband des Prenzlauer Berges und allen anderen sein-wollen-wie-Stadtvierteln dieser Republik souverän zwischen schön und schaurig.
Angesagte Musik zum wohlfühlen, ausprobieren und abgehen.
Nach ihren ersten beiden Alben auf dem Berliner STAATSAKT Label, erscheint Endless Rüttenscheid nun auf dem bandeigenen Label TIMELESS MELANCHOLIC MUSIC als Katalognummer eins.
Inhaltlich bleibt es zumeist im privaten, ohne Übergriffigkeiten oder Erwartungen – warm und kuschelig wie ein Frühlingssonnenstrahl. Es treten auf :
Kirmesschenkelklopfer (International heat), Marius Müller Westernhagen Anleihen (Kraut), einnehmende Melancholie (Endless Rüttenscheid, Mont St. Michel, Im Sommer bin ich dein König) und vieles, was schön anfängt [ESSEN – der Harmoniegesang sitzt..], bevor sich International Music etwas zu oft in den Rock mit großem R verabschieden, um sich dort zu verlieren.
Kommt auf Festivals wahrscheinlich gut, ist aber halt auch nur eine Option...
Einfach mal öfter im zweiten Gang nach Hause fahren....
[und jetzt einen kleinen Cappuccino mit Hafermilch und Schuss].
Hörrissey
Essen Rüttenscheid – Angesagter Stadtteil zum Wohnen, Arbeiten und Ausgehen [Eigenwerbung]
Geriatrie und Subkultur (Opa erzählt vom Konzert)
Vielleicht war es das Interview mit Martin Seliger von den Shitlers auf der Seite des KAPUT-Magazins, das mich darüber nachdenken ließ, eventuell mal wieder eine Printausgabe des Renfield-Zines in Angriff zu nehmen. Oder gar ein Buch? Man wird sehen.
Allrdings weiß ich nicht genau, wohin das hier führt. Das Interview handelt von der neuen Shitlers-EP und einem Song, der "Wolfgang Wendland" heißt. Darin geht es, wenig überraschend, um den Sänger der Kassierer, der sich in den letzten Jahren immer mehr zum grumpy old Punk-Dude entwickelt hat. Die Kassierer werde ich hier nicht weiter vorstellen, Wikipedia hilft im Notfall. Ich fand diesen Artikel deshalb interessant, weil er mich auf ein Thema zurückführte, dass mich schon öfter in den letzten Jahren durch den Kopf gegangen ist: Das Älterwerden in subkulturellen Kontexten.
Ganz klar liegt aus meiner Perspektive das Altwerden als Punk/Punkrocker*in und angrenzenden Szenen im Fokus. Es stellt sich ja die Frage: Wie wird man da alt, ohne sich lächerlich zu machen? Wie kann man als Punk/Punkrocker*in (ob diese Unterscheidung notwendig ist, wäre auch noch zu diskutieren) altern, wenn man diese beiden Aspekte - unvermeidliche körperliche Verschleißerscheinungen und eigenes subkulturelles Selbstbild - miteinander vereinbaren will und mit sich selbst im Reinen sein möchte?
Ich selber würde mich nicht mehr als Punk bezeichnen. Dafür bin ich mittlerweile von Szeneaktivitäten zu weit weg und ich finde auch diese Beschränkung auf bestimmte Codes, Outfits, Musik und Menschen, mit denen man Zeit verbringt, eher einengend. Sympathisant aber sicher noch. Und naja, vielleicht ist es mittlerweile die Einstellung, als das Outfit.
Allerdings gibt es sicher einige Ü50er, die lange in der Szene aktiv und unterwegs sind und sich selber immer noch als Punk bezeichnen würden. Aber wie kann man die unvermeidbaren körperlichen Veränderungen mit einer doch eher auf einen jungen Metabolismus (Lange feiern, laute Konzerte, Festivals, Drogen, Fokus eher nicht so auf regelmäßigen Lohnjob, kein Gedanke an Altersvorsorge, offensive Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen) zugeschnittenen Lebensstil vereinbaren? Wie geht man damit um, wenn man erlebt, dass diese rebellische Bewegung, die zum eigenen Selbstverständnis gehört, eigentlich immer mehr an Relevanz verliert?
Gibt es ein Rezept, dass eine*n davor schützt, sich ab eine bestimmten Punkt nicht einzuigeln und zurückzuziehen, in Nostalgie zu verfallen und als Referenzen nur die eigene, vor 20 Jahren in ihren Grundfesten gebaute Plattensammlung zu sehen? UND sich eine Offenheit gegenüber neuen Strömungen in der Szene zu behalten? Neueinsteiger*innen nicht mit Platzhirschgehabe (das gender ich jetzt mal nicht) wegzutreten? Gibt es einen Weg auch mit Mitte 50 und Wampe im Youth-of-Today-Shirt nicht lächerlich auszusehen? Auch neue Aspekte der eigenen Persönlichkeit zuzulassen, dei eigentlich nicht zum Punkimage passen? Was machen eigentlich die 60-Jährigen Skinheadfrauen so? Die alten Metaller (wobei ich Metal eine der wenigen Szenen sehe, wo ältere Menschen recht gut integriert werden)? Und die Ü60-Gothics?
Nun ist es nicht so, dass Punk das Thema Alter beziehungsweise Älterwerden thematisch ausgespart hätte. Songs darüber gibt es einige und aus den meisten spricht die pure Angst:
"I don't wanna grow up" (RAMONES)
"Ich will nicht älter werden" (BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, oder auch gleich die ganze Platte "Jung kaputt spart Altersheim)
"GRUPPENSEX IM ALTERSHEIM" (Alter Deutschpunksampler, bezeichnenderweise auf einem Label namens "Live slow, die old" erschienen, und eigentlich der Titel eines Songs von den 3 Besoffskis. Keine Punkband.)
"Alt sein" (PISSE)
"What will it be like, when I get old?" (DESCENDENTS)
"Live fast, die young" (CIRLE JERKS)
"Jetzt kommen die Jahre" (DIE SCHWARZEN SCHAFE)
Alles Tracks, die bekannt sind, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Aber diese Songs sind alle entstanden, als die Bands noch voll im Saft und jung waren, und das Thema Alter eher negativ bis ironisch betrachtet wurde. Und sie sind alle schon mindestens schon 30 Jahre alt. Kam danach nie wieder was aus Punk-Hausen?
Was noch dazu kommt, irgendwann: Die Sache mit der Geriatrie. Wie willst du als Punk-Opa mal gepflegt werden, wenn's alleine nicht mehr geht? Oder als HipHop-Oma? Oder als Techno/Electro-Nerd, der sich an den sedierenden Schlagersoundtrack in der Altersresidenz nur schlecht gewöhnen kann? Was, wenn du dein Leben lang vegan gelebt hast und der Mobile Soziale Hilfsdienst bringt dir jetzt mindestens 1x die Woche Sauerbraten mit Klößen oder Tote Oma? Oder schütteln wir alle unsere über Jahrzehnte geformte Szene-Identität einfach am Eingang vom Pfegeheim ab und lassen uns widerstandslos in beigefarbene Übergangskamotten und Gesundheitsschuhe stecken?
Wahrscheinlich wird eh alles nicht so schlimm. Möglicherweise schleicht sich eine gewisse Gelassenheit und Altersmilde ein, eine gewisse Freude an anderen Dingen als Lederjackendesign, Iropflege und Abkotzen über Dinge, die man eh nicht ändern kann, Schweinesystem und so. Aber ihr merkt: Die durch Punk lange mittransportierte Angst vor dem Altern, dem damit einhergehenden körperlichen Verfall und Identitätsverlust schwingt immer noch in diesen Zeilen mit.
Können die subkulturelle Identität und damit verbundene Lebensweisen, die du dein Leben lang entwickelt hast, komplett über Bord geworfen werden, weil in den vorgesehehen Pflegestrukturen diese Gewohnheiten gar nicht eingeplant sind? Kann darauf in einer Pflegeeinrichtung Rücksicht genommen werden? Ist dort überhaupt ein Verständnis für alternative Lebensstile vorhanden? Oder, und das wäre ja vielleicht das schönste: Gibt es schon subkulturelle, selbstverwaltete Altersheime, Mehrgenerationenhäuser oder ähnliches? Früher wurden AJZs und das Leben in Hausprojekten am laufenden Band organisiert, warum sollte das nicht möglich sein, Wohnformen für Greis*innen zu entwickeln, die auf eine subkulturell geprägte Biografie Rücksicht nehmen? Ein subkulturelles Avalon oder Shangri-La, wo die Punks alt werden dürfen, wie sie möchten.
Dass die Peitsche des Alters erbarmungslos knallt, habe ich selber vor ein paar Jahren erfahren. Wie es häufig so ist, durch eine Krankheit. Gicht war die Diagnose. Gichtanfälle sind große Scheiße. Aber die Krankheit ist gut behandelbar und wenn man sich nicht zu blöd anstellt, kann man damit gut leben. Aber: Alkohol ist halt nicht mehr drin, Fleischkonsum wird ebenfalls sehr eingeschränkt.
Ehrlich gesagt, finde ich das gar nicht so schlecht. Saufen wurde mit zunehmendem Alter eh immer anstrengender und spaßloser. Mittlerweile ist es zumindest in Berlin, auch akzeptiert, dass man keinen Alkohol trinkt. Ich merke allerdings auch, dass viele Anlässe, zu denen man sich früher getroffen hat, oft über Alkohol funktioniert haben und so manche durchzechte Nacht ins Mythische erhoben wurde, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Ewig lange Nächte in Punkrock-Kneipen und -Clubs von Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind für mich jetzt nicht mehr so spannend, deshalb hänge ich da auch eher selten herum. Ein gewisser Rückzug aus Szenetreffpunkten geht damit einher, aber ehrlich gesagt, gefällt mir das ganz gut. Und ich liebe es total, morgens wach zu werden und keinen Kater zu haben, der mich drei Tage begleitet. Vor 10-15 Jahren war das noch komplett anders.
Also: Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. Das ist natürlich alles sehr auf Punk/Indie-wasweißich bezogen. Interessant wäre es sicher auch, das ganze nochmal in Bezug auf Männer und Frauen zu betrachten. Altern Frauen in Subkulturen anders als Männer? Werden sie anders wahrgenommen? Und was noch gar nicht so gesehen wurde: Wie geht man als Punk-Opa denn mit Altersarmut um? Denn die ist ja auch mit dem Thema Arbeit und der punkimmanenten Verweigerung derselben verbunden. Bestimmt kein uwichtiges Thema für die alten Punks, die sich im Rentenalter immer noch prekär mit dem Jobcenter rumschlagen müssen, weil die Rente eben nicht reicht.
Soviele Fragen. Ich denke, es wird Zeit für eine Publikation.
Eigene Ideen und Gedanken zu dem Thema? Bock, mitzuschreiben? Einfach eine Mail an renfield-fanzine@hotmail.de schicken.
Gary Flanell
Allrdings weiß ich nicht genau, wohin das hier führt. Das Interview handelt von der neuen Shitlers-EP und einem Song, der "Wolfgang Wendland" heißt. Darin geht es, wenig überraschend, um den Sänger der Kassierer, der sich in den letzten Jahren immer mehr zum grumpy old Punk-Dude entwickelt hat. Die Kassierer werde ich hier nicht weiter vorstellen, Wikipedia hilft im Notfall. Ich fand diesen Artikel deshalb interessant, weil er mich auf ein Thema zurückführte, dass mich schon öfter in den letzten Jahren durch den Kopf gegangen ist: Das Älterwerden in subkulturellen Kontexten.
Ganz klar liegt aus meiner Perspektive das Altwerden als Punk/Punkrocker*in und angrenzenden Szenen im Fokus. Es stellt sich ja die Frage: Wie wird man da alt, ohne sich lächerlich zu machen? Wie kann man als Punk/Punkrocker*in (ob diese Unterscheidung notwendig ist, wäre auch noch zu diskutieren) altern, wenn man diese beiden Aspekte - unvermeidliche körperliche Verschleißerscheinungen und eigenes subkulturelles Selbstbild - miteinander vereinbaren will und mit sich selbst im Reinen sein möchte?
Ich selber würde mich nicht mehr als Punk bezeichnen. Dafür bin ich mittlerweile von Szeneaktivitäten zu weit weg und ich finde auch diese Beschränkung auf bestimmte Codes, Outfits, Musik und Menschen, mit denen man Zeit verbringt, eher einengend. Sympathisant aber sicher noch. Und naja, vielleicht ist es mittlerweile die Einstellung, als das Outfit.
Allerdings gibt es sicher einige Ü50er, die lange in der Szene aktiv und unterwegs sind und sich selber immer noch als Punk bezeichnen würden. Aber wie kann man die unvermeidbaren körperlichen Veränderungen mit einer doch eher auf einen jungen Metabolismus (Lange feiern, laute Konzerte, Festivals, Drogen, Fokus eher nicht so auf regelmäßigen Lohnjob, kein Gedanke an Altersvorsorge, offensive Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen) zugeschnittenen Lebensstil vereinbaren? Wie geht man damit um, wenn man erlebt, dass diese rebellische Bewegung, die zum eigenen Selbstverständnis gehört, eigentlich immer mehr an Relevanz verliert?
Gibt es ein Rezept, dass eine*n davor schützt, sich ab eine bestimmten Punkt nicht einzuigeln und zurückzuziehen, in Nostalgie zu verfallen und als Referenzen nur die eigene, vor 20 Jahren in ihren Grundfesten gebaute Plattensammlung zu sehen? UND sich eine Offenheit gegenüber neuen Strömungen in der Szene zu behalten? Neueinsteiger*innen nicht mit Platzhirschgehabe (das gender ich jetzt mal nicht) wegzutreten? Gibt es einen Weg auch mit Mitte 50 und Wampe im Youth-of-Today-Shirt nicht lächerlich auszusehen? Auch neue Aspekte der eigenen Persönlichkeit zuzulassen, dei eigentlich nicht zum Punkimage passen? Was machen eigentlich die 60-Jährigen Skinheadfrauen so? Die alten Metaller (wobei ich Metal eine der wenigen Szenen sehe, wo ältere Menschen recht gut integriert werden)? Und die Ü60-Gothics?
Nun ist es nicht so, dass Punk das Thema Alter beziehungsweise Älterwerden thematisch ausgespart hätte. Songs darüber gibt es einige und aus den meisten spricht die pure Angst:
"I don't wanna grow up" (RAMONES)
"Ich will nicht älter werden" (BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, oder auch gleich die ganze Platte "Jung kaputt spart Altersheim)
"GRUPPENSEX IM ALTERSHEIM" (Alter Deutschpunksampler, bezeichnenderweise auf einem Label namens "Live slow, die old" erschienen, und eigentlich der Titel eines Songs von den 3 Besoffskis. Keine Punkband.)
"Alt sein" (PISSE)
"What will it be like, when I get old?" (DESCENDENTS)
"Live fast, die young" (CIRLE JERKS)
"Jetzt kommen die Jahre" (DIE SCHWARZEN SCHAFE)
Alles Tracks, die bekannt sind, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Aber diese Songs sind alle entstanden, als die Bands noch voll im Saft und jung waren, und das Thema Alter eher negativ bis ironisch betrachtet wurde. Und sie sind alle schon mindestens schon 30 Jahre alt. Kam danach nie wieder was aus Punk-Hausen?
Was noch dazu kommt, irgendwann: Die Sache mit der Geriatrie. Wie willst du als Punk-Opa mal gepflegt werden, wenn's alleine nicht mehr geht? Oder als HipHop-Oma? Oder als Techno/Electro-Nerd, der sich an den sedierenden Schlagersoundtrack in der Altersresidenz nur schlecht gewöhnen kann? Was, wenn du dein Leben lang vegan gelebt hast und der Mobile Soziale Hilfsdienst bringt dir jetzt mindestens 1x die Woche Sauerbraten mit Klößen oder Tote Oma? Oder schütteln wir alle unsere über Jahrzehnte geformte Szene-Identität einfach am Eingang vom Pfegeheim ab und lassen uns widerstandslos in beigefarbene Übergangskamotten und Gesundheitsschuhe stecken?
Wahrscheinlich wird eh alles nicht so schlimm. Möglicherweise schleicht sich eine gewisse Gelassenheit und Altersmilde ein, eine gewisse Freude an anderen Dingen als Lederjackendesign, Iropflege und Abkotzen über Dinge, die man eh nicht ändern kann, Schweinesystem und so. Aber ihr merkt: Die durch Punk lange mittransportierte Angst vor dem Altern, dem damit einhergehenden körperlichen Verfall und Identitätsverlust schwingt immer noch in diesen Zeilen mit.
Können die subkulturelle Identität und damit verbundene Lebensweisen, die du dein Leben lang entwickelt hast, komplett über Bord geworfen werden, weil in den vorgesehehen Pflegestrukturen diese Gewohnheiten gar nicht eingeplant sind? Kann darauf in einer Pflegeeinrichtung Rücksicht genommen werden? Ist dort überhaupt ein Verständnis für alternative Lebensstile vorhanden? Oder, und das wäre ja vielleicht das schönste: Gibt es schon subkulturelle, selbstverwaltete Altersheime, Mehrgenerationenhäuser oder ähnliches? Früher wurden AJZs und das Leben in Hausprojekten am laufenden Band organisiert, warum sollte das nicht möglich sein, Wohnformen für Greis*innen zu entwickeln, die auf eine subkulturell geprägte Biografie Rücksicht nehmen? Ein subkulturelles Avalon oder Shangri-La, wo die Punks alt werden dürfen, wie sie möchten.
Dass die Peitsche des Alters erbarmungslos knallt, habe ich selber vor ein paar Jahren erfahren. Wie es häufig so ist, durch eine Krankheit. Gicht war die Diagnose. Gichtanfälle sind große Scheiße. Aber die Krankheit ist gut behandelbar und wenn man sich nicht zu blöd anstellt, kann man damit gut leben. Aber: Alkohol ist halt nicht mehr drin, Fleischkonsum wird ebenfalls sehr eingeschränkt.
Ehrlich gesagt, finde ich das gar nicht so schlecht. Saufen wurde mit zunehmendem Alter eh immer anstrengender und spaßloser. Mittlerweile ist es zumindest in Berlin, auch akzeptiert, dass man keinen Alkohol trinkt. Ich merke allerdings auch, dass viele Anlässe, zu denen man sich früher getroffen hat, oft über Alkohol funktioniert haben und so manche durchzechte Nacht ins Mythische erhoben wurde, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Ewig lange Nächte in Punkrock-Kneipen und -Clubs von Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind für mich jetzt nicht mehr so spannend, deshalb hänge ich da auch eher selten herum. Ein gewisser Rückzug aus Szenetreffpunkten geht damit einher, aber ehrlich gesagt, gefällt mir das ganz gut. Und ich liebe es total, morgens wach zu werden und keinen Kater zu haben, der mich drei Tage begleitet. Vor 10-15 Jahren war das noch komplett anders.
Also: Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. Das ist natürlich alles sehr auf Punk/Indie-wasweißich bezogen. Interessant wäre es sicher auch, das ganze nochmal in Bezug auf Männer und Frauen zu betrachten. Altern Frauen in Subkulturen anders als Männer? Werden sie anders wahrgenommen? Und was noch gar nicht so gesehen wurde: Wie geht man als Punk-Opa denn mit Altersarmut um? Denn die ist ja auch mit dem Thema Arbeit und der punkimmanenten Verweigerung derselben verbunden. Bestimmt kein uwichtiges Thema für die alten Punks, die sich im Rentenalter immer noch prekär mit dem Jobcenter rumschlagen müssen, weil die Rente eben nicht reicht.
Soviele Fragen. Ich denke, es wird Zeit für eine Publikation.
Eigene Ideen und Gedanken zu dem Thema? Bock, mitzuschreiben? Einfach eine Mail an renfield-fanzine@hotmail.de schicken.
Gary Flanell
Donnerstag, 15. August 2024
Schön, wenn die Chemie stimmt Pt. I
MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES
Das österreichische Duo Claussen-Klement, auch bekannt als DUO 3-KANAL (zu zweit in Korrespondenz mit einer Lautsprecherbox) stilisiert mit Alchemical Allures eine wohlgeplante Klang-Collage bestehend aus dinglich-zithrig-vocaloiden Geräuschfetzen, flatternd in einem elektro-ätherischen Corpus. Durchdacht arrangiert, auch wenn sich der Sinn dessen nicht unmittelbar erschließt. Aber das ist womöglich schon die titulierte Alchemie, die ja auch undurchsichtig und umstritten ist.
Alchemie, das ist die mittelalterliche Stofflehre mit ihren unzähligen reaktiven Versuchen, ferner das Veredeln unedler Stoffe. Ob Claussen und Klement mit ihrem vierteiligen Album ein güldenes Erzeugnis vollbracht haben, soll im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein.
Alchemical Allures ist in vier Teile gliedert: Helium, Silver, Sodium und Neon, je sieben bis zehn Minuten lang. Unklar ist, ob diese chemischen Elemente bereits das Produkt sein oder als Reaktant herhalten sollen. Helium beispielsweise ist zwar kein Gold, aber immerhin ein edler Stoff, nämlich ein Edelgas.
Helium, altgriechisch für Sonne, eröffnet den Ohren einen tatsächlich hörbar hell beschienen Wiesengrund mit Grillengezirpe und Wind im Hintergrund. Die Stimmung indessen wird schnell düster-schaurig, ob der claussen’schen Lippenbekundungen: Hauchen, pressiertes Gluckern, Piep und Plopp, Hecheln und flinke Zungenakrobatik. Eine schizoide Mischung aus Erotik und Horror, aus indigenem Kauderwelsch und Würgereiz. Derweil klackert Klement grazilen Schrittes auf kühlem Grund durch einen fernhallenden Korridor und ergänzt die Naturelle mit maschineller Kulturstruktur.
Silver, das argentische Übergangselement, erklingt sofort als das, was es ist, als Metall, hier spiraliert und verschieden dick aufgetragen. Man kann sich gar einen silbernen Vogel vorstellen, der routiniert durch seine Metallfedern schnäbelt. Dabei schrammelt und döngelt es anmutig, das Federvieh bürstet dabei schwingelnd über den Boden, stößt mit seinem Bürzel hin und wieder an einen Becher oder an eine Klangschale, aber viel mehr passiert eigentlich nicht.
Sodium brummt. Sodium knistert. Dies reine Element, auch Natrium genannt und auch ein Metall, scheint sich dick- und dünnflüssig durch etwas zu winden. Hier dominieren die elektrischen Frequenzen, viel Strom, sowohl solo also auch angenehm resonant in verschiedenen Tempi. Überraschend ineinander fallend in die sämig-wogenden Elektronenteppiche wispert erneut die bereits bekannte Stimme hie und da, von links nach rechts, von hinten nach vorne, ähnlich schizo-schrill wie in Helium, doch diesmal inmitten eines großvolumigen Rauschens, das wie Sodbrennen durch die Röhren der Mensch-Maschine blubbert.
Eine Reise durch das Innere, achtsam aufgebaut, füllig verwoben und am Ende fummelt ein blonder Barde auf seiner Laute zum Geleit durchs Gedärm Groß aufgebaut, ganz seicht ausgeblendet mit pfiffelndem Tön und in Folge dessen doch nur ein feuchter Furz.
Neon schließlich ist die vierte Komponente und wiederum ein edle, ein Edelgas und insofern im gleichen Aggregat wie der alchemistische Auftakt. Zurückhaltend und argwöhnisch begegnen sich Metallquellen und perkussive Rascheleien. Ein bisschen Stimme, ein bisschen No-Input-Mixing, ein bisschen Rausch, ein bisschen Plastik, ein Gong, der nicht gongt, überspannte Saiten und Kling und Klang. Eher abwechselnd und tatenlos, so wie das reaktionsträge Neon in seinem ureigensten Element. Der Schluss geriert zaghaft zur geigenhaften Horrorfilmbegleitung, aber finalisiert das Album mit offenem Ende und erschöpftem Fragezeichen.
Ist die Transmutation gelungen? Das Opus magnum, der Stein der Weisen, ist dies wohl nicht. Alchemical Allures hört sich weniger wie Musik und mehr wie eine Performance an.
Als Sound-Installation für eine Kunstausstellung, wo in einem weißen Raum Grasbüschel, Federn und Zweige an einer Schnur von einem Motor im Kreis gezogen werden und eine groteske Puppe dazu tanzt und launenhafte Phrasen tönt, ist dieses Klangerlebnis besser verortet. Eine Mixtur aus artifizieller Inszenierung und Kontemplation bis hin zum Allerlei, denn nur allzu oft und besonders in Silver werden an sich schöne Sounds weitestgehend brav aneinandergereiht wie in einem Hexenkessel, in den Elemente geworfen werden, die sich schlechterdings kaum verbinden lassen.
Das großräumliche der elektronischen Komponenten und die zumeist effektlosen perkussiven und vokalen Elementen stehen sich zu singulär gegenüber und lediglich in Sodium bricht die Membran auf und breitere Teppiche entrollen sich zu einer verwobenen Melange. Alles andere klingt gekünstelt und ist darob Kunst, aber es hat gleichsam einen unauthentischen Beiklang, der zuweilen vorführend und gar besserwisserisch rüberkommt.
Ist das Wiener Schmäh oder arrangierte Scharlatanerie? So allüresk die Kompositionen auch sein mögen, sie fügen sich ein in ein versuchungsreiches Konzeptalbum ritueller Elektrokunst: Alchemical Allures ist ein fundiertes Klangexperiment von Martina Claussen und Katharina Klement, eine intellektuelle Akustik-Performance zweier Künstlerinnen aus Österreich.
Gustav Roland Reudengeutz
MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES ist auf Ventil Records erschienen.
Donnerstag, 8. August 2024
Schön, wenn Psycho Analyse noch Musik macht Pt. II
Brezel Göring & Psychoanalyse -
Friedhof der Moral
Er hat es wieder getan.
Trug sein erstes Solo-Album noch den Namen „Psychoanalyse (Volume 2)“, so hört nun beim Nachfolger gleich mal Brezel Görings Begleitband auf selbigen.
Ok, ohne „Volume 2“, das wäre aber auch ein wenig zu absurd. Hinter der Band verbirgt sich eine illustre Truppe durchgeknallter Untergrund-Musiker, die Kreuzbergs Punkprinzessin zielsicher um sich geschart hat.
Die bringen sich da alle mehr oder weniger mit ein und sorgen somit für einen kongenialen Stilmix, den man so in dieser Form ein zweites Mal vergeblich suchen muss.
Auf „Friedhof der Moral“ trifft Punk auf Pop, Disko auf Polka, Trash auf Blues. Brezel hat außerdem ein Faible für klassische Musik und natürlich und vor allem für den französischen Chanson.
Hat der Tod von Françoise Cactus und damit das Ende von Stereo Total eine riesige Lücke in die Berliner Musiklandschaft gerissen, so darf man doch ausgesprochen froh sein, dass Brezel nicht aufgegeben hat und weiter musiziert. Dass er an diesem Verlust allerdings fast zerbrochen wäre, kann man seinen Texten doch gelegentlich anhören. Normal ist hier gar nichts, abgründig eigentlich alles. Immer wieder gewährt Brezel Einblicke in die Tiefen seiner Seele, die Perversionen seiner Sexualität (wenn es so etwas überhaupt gibt) oder seine Vorliebe für berauschende Substanzen.
„Tilidin“ könnte auch fast eine Liebeserklärung an die Angebetete sein. Aber nein, es geht nicht um eine Frau oder einen Mann, sondern um das Mittelchen. Darüber hinaus laufen einem auf diesem Album „Feuerlöscher“ über den Weg, führt einen die Reise nach „Tschernobyl“ oder lässt es den Hörer auf dem „Friedhof der Moral“ erwachen. Eine Tour de Force in die Niederungen des menschlichen Seins. Und das macht dabei stets unheimlich viel Spaß.
Denn eines ist und bleibt Brezel Göring in erster Linie: Ein begnadeter Entertainer, der sein Publikum einfängt, mitnimmt und dann irritiert zurücklässt. So auch auf diesem grandiosen Meisterwerk mit dem formvollendeten Titel „Friedhof der Moral“.
Abel Gebhardt
BREZEL GÖRING & PSYCHO ANALYSEs Album "Friedhof der Moral" erscheint am 20.09. als Vinylchen, Silberling und Kassettchen auf Stereo Total Records/Flirt 99 erschienen.
Mittwoch, 7. August 2024
Sex-positive alien amoeba entity
CUMGIRL8 - KARMA POLICE (Single release)
Die Überschrift mag verwirrend sein, aber so bezeichnet sich das Kollektiv (um mal den Begriff Band auszutauschen) cumgirl8 aus New York selber - wenn man Wikipedia glauben möchte. Ich möchte Wikipedia jetzt mal glauben und bin gespannt wie sich das erste cumgirl8-Album auf 4AD in gänze anhört.
Morgen gibt es schon einmal die erste Single "Karma Police", ist kein Radiohead-Gedöns, was ein Glück. Sondern eher ein interessantes feministisches Post-Punk-Wave-irgendwas-Projekt. Multimedia muss noch erwähnt werden, denn cumgirl8 machen nicht nur Musik, sondern sind auch im Bereich Film, Publishing und Fashion unterwegs. Alle machen alles, also. Ich hoffe, ihr verzettelt euch dabei nicht.
Was bisher auf Youtube rumschwirrt klingt schicko! Viel 80ies-Wave klingt hier durch, hier etwas Siouxsie da etwas Delta 5 und ein bissl von dem Mo-Dettes. Bald kommt also das Debut-Album "the 8th cumming"auf 4AD. Da geht's dann um das Konzept Cyberfeminismus, das die Beziehung zwischen Mensch, Maschine, Natur und Technologie im Blick hat. Klingt irgendwie spannend nach Utopie, sowas kann die Welt ja derzeit ja ganz gut gebrauchen. In so eine Musik verpackt, erst recht.
Wie gesagt, morgen 08.08., ab 16 Uhr hochoffizielle Videopremiere von cumgirl8s Video-Single Karma Police hier.
Donnerstag, 1. August 2024
Schön, wie vor 10 Jahren Musik gemacht wurde Pt. I2XU
SLEAFORD MODS - DIVIDE AND EXIT 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks)
2014 war ich in Berlin unterwegs. Die Dinge liefen mal so, mal so. Meist eher so. Die Sleaford Mods wären ein guter Soundtrack für eine leicht prekäre Berliner Existenz gewesen. Ich war dafür allerdings nicht so wirklich offen. Natürlich habe ich damals irgendwas von diesen beiden mitbekommen, die wurden damals ja sehr abgefeiert, auch und viel von diversen Punkpublikationen, obwohl das musikalisch kein herkömmlicher Punkrock war.
Die Anschlußfähigkeit an unsere liebste Motz-Rum-Subkultur kam bei Jason Williamson und Andrew Fearn wohl eher vom Auftreten und der Einstellung, die sie an den Tag legten. Die beiden Typen sahen aus wie leicht angegangene, mürrische Clubgänger, damit hätten sie auch gut in die Fortsetzung von Trainspotting gepasst. Dazu kam dieser Minimalismus, der fast schon dreist oder auch provokant zu nennen wäre. Nicht zu vergessen: Die recht gute Vernetzung im DIY-Punk-Kontext, die Sleaford-Mods-Single "Bambi" erschien 2013 auf X-Mist Records, Armin Hoffmann wusste es halt schon immer.
Was da passierte, war in seiner Dreistigkeit schon sehr Punk: Einer von den beiden schießt am Rechner die Elektrotracks ab, der andere nölt dazu in breitestem britischem Slang über alles und jeden rum. Über die Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation an sich. Britisches Englisch hat eh launenunabhängig eine charmante Melodie und nun flucht da einer rum, eben zu Billo-Beats und einfachen Basslinien, die am Rechner zusammengebastelt wurden. Dazu wird ungelenk über die Bühne gehupft. Das haben auch die verstanden, die nicht jede Zeile verstanden haben.
Die Musik ist das Vehikel, möglicherweise kein besonders luxuriöses. Aber eins, das funktioniert. Eins, mit dem hervorragend die frustigen Lyrics über alles, was damals in GB im alltäglichen Leben der nicht ganz so Privilegierten schieflief, transportiert werden. Da Punkrock seine Relevanz und Schärfe als Mecker-Medium im Laufe der Jahrzehnte verloren hat, brauchte es eben eine neue Herangehensweise. Denn zum Motzen gibt es immer noch genug, also warum nicht mal neue Methoden ausprobieren? Auf musikalische Filigranität wurde geschissen, auch auf eine Besetzung im herkömmlichen Rock-Sinn und das ist ja schon mal sehr Punk. Scheiß auf Gitarren, scheiß auf Instrumente, scheiß auf Songschema oder tricky Strukturen. Aber live auch sehr unterhaltsam. Also Haken dran.
Weil soviel textreich rumgemeckert wurde und die Songs dann auch einfach nach einer bis drei Minuten einfach aufhörten, sind SLEAFODS MODS sowas wie eine Konsensband, auf die sich verschiedenste Gruppen einigen konnten: Punks und Indieloddels, die diese trashige, schlecht gelaunte und somit sehr nachvollziehbare Rangehensweise eben deshalb schätzten. Dazu Elektroconnaisseure, weil es nun mal eine erfrischend andere Art von Elektro war. Vielleicht auch ein paar versprengte Britcore-Überlebende, die ebenfalls die rohe, ungeschminkten Texte schätzten, weil es authentischer klang, näher dran war an der eigenen Lebensrealität und so gar nichts von gekünsteltem DickeHose-Gangster-Werdereichoderstirbdabei-HipHop hatte. Denn straßencredibel wirken die Mods auf alle Fälle. Eine Band, die Fans von The Fall und The Streets gleichermaßen abfeiern, kann nur interessant sein.
Davon ab krachen die Hits auf DIVIDE AND EXIT auch nach 10 Jahren wie eine Röhre Mentos in der Cola-Flasche: "Git some balls", "Tied up in Nottz", "Tweet Tweet Tweet", "Tiswas" oder "The Corgi" - alles Kracher, die sich schon jetzt schon ins Alzheimer-immune Gedächtnis der Popkultur eingeschrieben haben. Tanzte zu letzterem übrigens gerade nur im Bademantel durch die Plattenbauwohnung und hoffte, dass es laut genug war, damit die Nachbarn mitfeiern können.
Das hat natürlich alles seine Geschichte. DIVIDE AND EXIT war nicht das erste Album der Band, sondern schon das siebte. Sieben Alben von 2007 bis 2014, eine fast serielle Produktionsweise, alle DIY-mäßig rausgebracht, das zeugt von Hartnäckigkeit, jeder Menge Ideen und dem ziemlich tief sitzenden Glauben an das, was man tut. Man kann es ihnen gönnen, dass sie mit ihrem Scheiß abgefeiert worden sind. Eine Schritt zurückgetreten ist die Geschichte dieses Duos somit auch eine, die sehr gut in die mythenhafte Geschichtenbuch der Popkultur passt. Die Geschichte von den beiden Underdogs, die es mit dem, was sie kompromisslos tun, selber ikonisch geworden sind.
Das schöne an den Sleaford Mods ist natürlich, dass es einfach zwei Kerls in Freizeitsportkleidung (oder Campingplatz-Outfit) sind, die so auch seit 20 Jahren am Tresen in der Perspektivlos-Kneipe eines Berliner Vororts neben dir sitzen könnten.
Dabei sollten immer die gesellschaftlichen Umstände in Großbritannien mit in die Betrachtung der Band einbezogen werden. Thatcherism und die troslosen Folgen, die gerade abseits der Metropole London, wahrscheinlich auch in Nottingham, wo die Sleafords Mods herkommen, so richtig für sozialen Kahlschlag und Tristesse gesorgt haben. Es ist leicht zu sehen, dass damals nicht alles erstes Sahne war, und dass nicht wirklich was besser geworden ist - eh klar. Gründe zum Abkotzen gab es vor 10 Jahren genug und heute wahrscheinlich auch noch.
Dass es schon wieder 10 Jahre her ist, seit "Divide and Exit" erstmals erschienen ist, verwundert ein bißchen. Denn so einfach und billig das erscheint, was Williamson und Fearn machen, so zeitlos klingt es auch. Zumindest wenn man es in der Distanz von 10 Jahren sieht. Wer weiß, mit welchen Ohren das in 20 Jahren gehört wird.
Was irgendwie vorhersehbar war: Auch die Sleaford Mods sind nicht gegen die Strategien der popkulturellen Wiederverwertungsmühle gefeit. Zum 10. Jahrestag wird "Divide and Exit" also nochmal rausgebracht, auf Doppel-Vinyl, mit Bonustracks und Flexi-Disc (legt sowas eigentlich irgendwer wirklich auf den Plattenteller?). So werden die Plattensüchtigen geködert, damit die Zweitverwertung funktioniert.
Es sollen mit dieser Neuauflage wohl die damals Zuspätgekommen (das wären dann so Typen wie ich) oder Nochgarnichtgeborenen unter den Vinyljunkies von der Bushaltestelle am Plattenmarkt abgeholt werden. Für alle anderen, die Spotify-Zombies und Youtube-Nuckler, ist das eh alles immer und überall verfügbar und Menschen, die Musik meistens auf diese Art konsumieren, ist es wahrscheinlich auch egal, ob dieser Bonustrack jetzt verfügbar ist oder jener Track neu abgemischt wurde oder der Doppelvinylversion eine Flexidisc beiliegt.
Mir tendenziell auch, trotzdem freue ich mich, dass dieses Album nun wieder für einige Zeit als Vinylversion erhältlich sein sollte und das nicht zu Mondpreisen, die die Erstveröffentlichung wohl mittlerweile erzielt.
Gary Flanell
Sleaford Mods - Divide and Exit 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks) ist am 26.Juni auf Beggars Banquet erschienen.
Schön, wenn Melancholie zart dröhnt Pt. XXXVI
JOANNA GEMMA AUGURI - HIRAETH
Tastende Töne, zartes Dröhnen - behutsam baut sich die Musik auf, über die Joanna Gemma Auguri ihre Stimme schweben lässt.
Wehmut, Melancholie und tröstliche Vibrationen machen sich breit, während die Arrangements mit jedem Stück mehr Kontur annehmen.
Auf einen nebulösen Auftakt folgt lupenreines Songwriting im Schneckentempo – erst mal ganz ruhig hingetupft mit Bass, Drums und Slide-Gitarre. Unterschwellig omnipräsent und mitunter nur schattenhaft wahrnehmbar ist ihr Akkordeon. Wenn dann noch Piano und später gar Streicher und Bläser hinzukommen, hinterlassen sie minimale Fußabdrücke bei maximaler Wirkung (z.B. Gänsehaut).
In „Little Bird“ bäumt sich alles dramatisch zu orchestraler Drone-Kulisse auf, doch zumeist herrscht eine Stimmung der inneren Einkehr und Selbstbefragung.
Dieses wohltemperierte Album lässt sich prima zwischen Mazzy Star, Chelsea Wolfes stilleren Arbeiten und Beth Gibbons & Rustin Man einsortieren.
Sun Ra Bullock
Joanna Gemma Auguri – Hiraeth
Donnerstag, 25. Juli 2024
Schön wenn junge Menschen Musik machen Pt. XIXXDIX
Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1
Der kanadische Produzent Scott Monteith, a.k.a. Deadbeat, war investigativ im Urlaub und vertonte diesen geräuschvoll in seinem neusten Album The Lichen Diaries Vol 1.
Nebulöse Schleier, durchschnitten von wirren Lichtsäbeln vor einem seichten Regenbogen über der Gischt karibischen Gewässers, gerahmt von mattgrünen Palmen zieren das Cover: Die Dominikanische Republik. Inmitten dieses Arrangements erkennt man bei näherem Hinschauen den Fuß eines Bürostuhls nebst lässig schlängelnden Kabeln, eine mögliche Andeutung auf Reminiszenzen in Monteith’s Tonstudio.
Hier zeigt sich bereits das Spannungsfeld, das in The Lichen Diaries auch akustisch aufgemacht wird, nämlich eine sehnsüchtige Robinsonade inmitten palmenverklärter Herausforderung menschlicher Existenz, die ihre räsonable Verhaftung im artifiziellen Kulturbombast funktionaler Differenzierungen nimmer leugnen kann.
Das Album beginnt mit Grillen und Dschungelgezwitscher, vermischt mit desinteressierter Anthropo-Akustik. Hie und da eine Klangschale auf einem ätherischen Synthteppich angeschlagen. Es könnte mondäner Ashram-Ambient werden, doch dafür fehlt die Geduld. Brutzeln und Gluckern flankieren die Drive-Thru-Meditation und in den Teppich werden mit heißer Nadel Orgelmuster in Overdrive-Optik gestrickt. Rhythmisch gekämmtes White-Noise trachtet hintergründig danach, wellenwogengleich einzulullen, doch plötzlich stöbert eine 303-Bassmelodie unentschlossen durchs Dickicht und dann ist es auch schon vorbei.
Im zweiten Track, der sich wie alle anderen Titel nahtlos einreiht, nimmt die Reise Fahrt auf. Four on the floor, aber mit Barfußschuhen! Lieblich-hüpfend breit-verhallte Dub-Kicks, auf der sich unisono eine kurz angeschlagene Hammond dazu gesellt. Hier fühlt sich Monteith sicher, der als Deadbeat Einiges im Dub-Genre veröffentlicht hat. Die dubbigen Fußstapfen hinterlassen ihre forsche Spur aber immer noch inmitten des krissligen Dschungelambientes, über dem sich gewitterwolkig und Blitze zuckend Turbulenzen ankündigen, von denen der Hörer jedoch unerwartet filterout verschont bleibt.
Nun wird es noisy und alles geriert zu einem großen, sämigen Flatsch; als wenn sich ein erhabener Geist aus der grünen Hölle erhebt und Petrus die Stirn hinbietet, unterstützt von ein paar Tropenholz schlägelnden Jüngern. Wer will da schon noch regnen? Leider sind die anheimgestellten Synthieklänge, dröhnend geboostet, etwas ungestüm gelevelt und holpern eher in die sonst spannende Melange aus Ambient-Flow und metallisch-zirrender Äther-Elektrik.
Der Drone-Sound tönt weiter, jetzt versöhnlerisch mit dem Wettergott, besänftigend, träumerisch, mit friedlich-indigener Resonanz. Ab der Mitte des jetzigen Tracks werden die Felle von Big-Toms zum Zittern gebracht und verleihen der Zeremonie eine Prise Weisheit, die schließlich sanft und mit weniger Delay im Synth tippelnd ausklingt.
Es klärt auf. Das Gewitter war nur eine Drohgebärde. Der Dschungel brüllt sein üblich schrilles Fundament. Eine dünne Melodie tanzt zitternd mit verstörtem Orientierungssinn um eine sich in Trance befindende Bassline – quo vadis? Ein Dialog zwischen Timbre und Shape mit einem Quäntchen Acid.
Das Ende naht und endlich: Ein Sonnenstrahl durchsticht das firmamentale Dickicht und ein jungfräulicher Wind durchstiebt die Wogen vor der atemberaubenden Küste karibischer Jahresurlaubs-Silhouette. Leise Zweifel strömen kristallin-sphärisch präfrontal, ergießen sich im Lappen der Erkenntnis erratisch – wie lange wird man hier noch stranden können? Aeroplane Strings in stereo-strato-cirrus. Soundtechnisch der schönste Teil im Album, das aus- wie einklingt, mit egalitärem Personen-Polter.
The Lichen Diaries ist eine knappe Dreiviertelstunde Field Recordings eingekleidet mit allerlei Synthesizer-Gewändern. Hin und wieder rhythmisch untersetzt, meistenteils aber befreit von Beats. Eine geräuschvolle, zweifelsschwere und gleichsam zweifelsleichte Kulisse, vor der man sich gern, doch stets argwöhnisch durch das Noisy-Nature-Ambient-Theater treiben lässt, veröffentlicht im April 2024 auf BLKRTZ.
Bar der üppigen phonetischen Andeutungen in The Lichen Diaries, die so viele namensgebende Assoziationen zulassen, benennt Monteih die Tracks übrigens lediglich im akademischen Duktus von 1.1 bis 1.6 und macht somit abermals einen Fingerzeig auf den Habitus der technokratischen Welt, aus der er kommt und mit deren Maschinen er hiesiges Album kreiert hat, das dessen zum Trotz ein Echo eines ehemals unbefleckten Naturparadieses erklingen lässt.
The Lichen Diaries – Die verflochtenen Tagebücher. Vol 1 – das lässt hoffen auf weitere Reisen von Scott Monteith, an denen er uns teilhaben lässt, den Hörer dabei aber immer auch zu sich selbst führt.
Gustav Roland Reudengeutz
Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1 ist im April 2024 auf BLKRTZ erschienen. Alles weitere von Scott Monteith hier.
Der kanadische Produzent Scott Monteith, a.k.a. Deadbeat, war investigativ im Urlaub und vertonte diesen geräuschvoll in seinem neusten Album The Lichen Diaries Vol 1.
Nebulöse Schleier, durchschnitten von wirren Lichtsäbeln vor einem seichten Regenbogen über der Gischt karibischen Gewässers, gerahmt von mattgrünen Palmen zieren das Cover: Die Dominikanische Republik. Inmitten dieses Arrangements erkennt man bei näherem Hinschauen den Fuß eines Bürostuhls nebst lässig schlängelnden Kabeln, eine mögliche Andeutung auf Reminiszenzen in Monteith’s Tonstudio.
Hier zeigt sich bereits das Spannungsfeld, das in The Lichen Diaries auch akustisch aufgemacht wird, nämlich eine sehnsüchtige Robinsonade inmitten palmenverklärter Herausforderung menschlicher Existenz, die ihre räsonable Verhaftung im artifiziellen Kulturbombast funktionaler Differenzierungen nimmer leugnen kann.
Das Album beginnt mit Grillen und Dschungelgezwitscher, vermischt mit desinteressierter Anthropo-Akustik. Hie und da eine Klangschale auf einem ätherischen Synthteppich angeschlagen. Es könnte mondäner Ashram-Ambient werden, doch dafür fehlt die Geduld. Brutzeln und Gluckern flankieren die Drive-Thru-Meditation und in den Teppich werden mit heißer Nadel Orgelmuster in Overdrive-Optik gestrickt. Rhythmisch gekämmtes White-Noise trachtet hintergründig danach, wellenwogengleich einzulullen, doch plötzlich stöbert eine 303-Bassmelodie unentschlossen durchs Dickicht und dann ist es auch schon vorbei.
Im zweiten Track, der sich wie alle anderen Titel nahtlos einreiht, nimmt die Reise Fahrt auf. Four on the floor, aber mit Barfußschuhen! Lieblich-hüpfend breit-verhallte Dub-Kicks, auf der sich unisono eine kurz angeschlagene Hammond dazu gesellt. Hier fühlt sich Monteith sicher, der als Deadbeat Einiges im Dub-Genre veröffentlicht hat. Die dubbigen Fußstapfen hinterlassen ihre forsche Spur aber immer noch inmitten des krissligen Dschungelambientes, über dem sich gewitterwolkig und Blitze zuckend Turbulenzen ankündigen, von denen der Hörer jedoch unerwartet filterout verschont bleibt.
Nun wird es noisy und alles geriert zu einem großen, sämigen Flatsch; als wenn sich ein erhabener Geist aus der grünen Hölle erhebt und Petrus die Stirn hinbietet, unterstützt von ein paar Tropenholz schlägelnden Jüngern. Wer will da schon noch regnen? Leider sind die anheimgestellten Synthieklänge, dröhnend geboostet, etwas ungestüm gelevelt und holpern eher in die sonst spannende Melange aus Ambient-Flow und metallisch-zirrender Äther-Elektrik.
Der Drone-Sound tönt weiter, jetzt versöhnlerisch mit dem Wettergott, besänftigend, träumerisch, mit friedlich-indigener Resonanz. Ab der Mitte des jetzigen Tracks werden die Felle von Big-Toms zum Zittern gebracht und verleihen der Zeremonie eine Prise Weisheit, die schließlich sanft und mit weniger Delay im Synth tippelnd ausklingt.
Es klärt auf. Das Gewitter war nur eine Drohgebärde. Der Dschungel brüllt sein üblich schrilles Fundament. Eine dünne Melodie tanzt zitternd mit verstörtem Orientierungssinn um eine sich in Trance befindende Bassline – quo vadis? Ein Dialog zwischen Timbre und Shape mit einem Quäntchen Acid.
Das Ende naht und endlich: Ein Sonnenstrahl durchsticht das firmamentale Dickicht und ein jungfräulicher Wind durchstiebt die Wogen vor der atemberaubenden Küste karibischer Jahresurlaubs-Silhouette. Leise Zweifel strömen kristallin-sphärisch präfrontal, ergießen sich im Lappen der Erkenntnis erratisch – wie lange wird man hier noch stranden können? Aeroplane Strings in stereo-strato-cirrus. Soundtechnisch der schönste Teil im Album, das aus- wie einklingt, mit egalitärem Personen-Polter.
The Lichen Diaries ist eine knappe Dreiviertelstunde Field Recordings eingekleidet mit allerlei Synthesizer-Gewändern. Hin und wieder rhythmisch untersetzt, meistenteils aber befreit von Beats. Eine geräuschvolle, zweifelsschwere und gleichsam zweifelsleichte Kulisse, vor der man sich gern, doch stets argwöhnisch durch das Noisy-Nature-Ambient-Theater treiben lässt, veröffentlicht im April 2024 auf BLKRTZ.
Bar der üppigen phonetischen Andeutungen in The Lichen Diaries, die so viele namensgebende Assoziationen zulassen, benennt Monteih die Tracks übrigens lediglich im akademischen Duktus von 1.1 bis 1.6 und macht somit abermals einen Fingerzeig auf den Habitus der technokratischen Welt, aus der er kommt und mit deren Maschinen er hiesiges Album kreiert hat, das dessen zum Trotz ein Echo eines ehemals unbefleckten Naturparadieses erklingen lässt.
The Lichen Diaries – Die verflochtenen Tagebücher. Vol 1 – das lässt hoffen auf weitere Reisen von Scott Monteith, an denen er uns teilhaben lässt, den Hörer dabei aber immer auch zu sich selbst führt.
Gustav Roland Reudengeutz
Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1 ist im April 2024 auf BLKRTZ erschienen. Alles weitere von Scott Monteith hier.
Donnerstag, 18. Juli 2024
Schön, wenn es noch einfarbige Alben gibt Pt. MLX
EASTIE RO!S - Das Braune Album
Die geistern ja auch schon länger durch die Berliner Konzerträume. Habe sie aber zwischendurch immer mal wieder aus den Augen verloren. Wobei ich auch sagen muß, dass mich die EASTIE RO!S mich bisher nie so ganz gepackt haben.
Das war halt okayer Punkrock mit ziemlich deutlichem 77er-Einschlag. Die ganze Combo hatte äußerlich so eine sehr typische Punkrock-Optik. Glaube, das hat mich damals eher abgetörnt, weil's so was uniformes hatte. Mittlerweile bin ich schon froh, wenn es so ein Outfit noch gibt.
Dann gibt's noch den Kalauer-Namen, und das fand ich leider damals schon fad, weil es ja doch immer wieder Combos gab, die das gemacht haben: Beck's Street Boys, Vier Blonde Nonnen, Thrashing Pumpguns, sowas halt. Diese nahe am Original bleibenden Wortwitzbandnamen finde ich bis heute eher abtörnend, weil das auf dem Dorf echt jede zweite Trottelkapelle gemacht hat. Das sind natürlich alles sehr oberflächliche Einschätzungen, aber sowas kann einem schon das Bild von einer Band verhageln.
Aber die EASTIES, wie ich sie hier mal zärtlich nenne, stehen anscheinend auf tricky Referenzen. Das war schon bei ihren Peel Sessions so, ist beim Bandnamen so und nun eben Das Braune Album, allein vom Titel her. Ich sage nur Weißes Album, da ist das Braune natürlich ein wunderbarer Kommentar, ein schön gehässiger, die Kacke-Assoziation ist schon lustig. So sollte Punk öfter sein.
Dieses Braune Album hat mich dann doch etwas neugierig gemacht, vielleicht auch wegen der Tatsache, dass Jacke Schwarz (früher bei Corna Kruswa, hat auch eine spitzen Soloplatte gemacht) da jetzt mittut. Tut er das schon länger? Ich weiß es nicht. Passt aber gut.
Was zu sagen ist: Die EASTIE RO!S machen auf ihrer dritten Platte bei Tomaten Records (auch dazu findet sich ein lustiger Hinweis auf der Vinylversion. Auf die Beatles-Plattenfirma. Guckt nach.) immer noch Punkrock. Vom Beat her, von den Akkorden, den Strukturen der Songs, da geht nun gar nichts dran vorbei. Smells and sounds aber immer noch fresh. A bissl like RATTLESNAKE MEN, SHOCKS, BOTTROPS und auch so Früh-80er-Berlin-Punk wie z.B. ELEGANT. Diese geografische Verortung ist wahrscheinlich nur Assoziation, die mir hier die objektive Einordnung trübt. Ich komme nicht allerdings drumherum, es klingt schon sehr nach dieser Stadt.
Bei dem Punkrock-Rahmen, der hier gesetzt wird, ist zu sagen, dass das BRAUNE ALBUM schön abwechslungsreich geworden ist. Bei "Ignoriert und Isoliert" klingt die Gitarre erstmal glatt nach TURBOSTAAT oder einem alten Track der vielen Rachhut-Bands, bei "Abhäng im Weddding" gibt's einen unerwarteten Mundharmonika-Einsatz, der Lo-Fi-Take "George H." hat einen schönen Anti-Folk-Charakter und ganz am Ende das hübsche Piano-Snippet "Kleben geblieben" is auh super. Mit diesen kleinen hübschen Ideen und den Hits auf dem Braunen Album gefallen mir die EASTIE RO!S 2024 ziemlich gut.
Vielleicht auch, weil sie textlich sehr treffend zwischen eloquentem Rotz, einer gewissen melancholischen Grundstimmung und der Auseinandersetzung mit der Orientierungslosigkeit und Oberflächlickeit, die diese Stadt manchmal mit sich bringt, mäandrieren.
Das ist mir früher nicht so aufgefallen und reibt sich gut mit dem musikalisch nach vorne drängenden Gesamtsound. Wahrscheinlich ist es diese Mischung, die das BRAUNE ALBUM (kommt hübsch mit Prägung auf dem Frontcover) für mich derzeit sehr interessant macht. Ich wünsche mir jedenfalls, dass die EASTIE RO!S dafür mal eine Goldene Schallplatte kriegen. Irgendwann einmal.
Eilt ja nicht.
Bester Song: "Menschen aus Glas"
Beste Songzeile übrigens "Warum ist es so schwer, ein Arschloch zu sein?"
Gute Nacht.
Gary Flanell
Das Braune Album der EASTIE RO!S erscheint am 19.07.2024 auf Tomatenplatten. Releaseparty ist am 20.07. im Schokoladen. Wahrscheinlich schon ausverkauft, wenn ich das hier schreibe.
Donnerstag, 11. Juli 2024
Schön, wenn die Straße noch nach nirgendwo führt Pt. XIXIOXL
Let's talk about Sommerhits, oder überhaupt jahreszeitenbezogene Songkategorien:
Macht diese Einteilung im Angesicht des fühlbaren Klimawandels überhaupt noch Sinn? Oder könnte ich jetzt schon mal William Shattners Weihnachtsalbum in Schleife laufen lassen, weil egal, ob Dezember oder Juli, es ist ja eh bald immer und überall gleich warm.
Möglicherweise sind diese Bezeichnungen in ihrer Gesamtheit nur billige Tricks, um den Verkauf anzukurbeln Na, wer hätte das gedacht? Ich hab ehrlich gesagt, keine Ahnung, was in diesem Jahr ein großflächiger Sommerhit sein könnte, befürchte aber bei weiten Teilen der Bevölkerung könnte es ein neu vertexteter Hit von Gigi D'Agostino sein.
Für Menschen mit Geschmack und Stil, und an diese wendet sich der Renfield-Blog ja in seiner Gesamtheit, sei an dieser Stelle die neue Single "Road to nowhere" von den Amsterdamer Rhythm'n'Blues-Gangstern DOCTOR VELVET empfohlen.
Da finden sich knackige 50er-R'n'B-Latino-Swing-Anleihen mit halbstarkem Gangster-Touch, sehr präzisen Bläsersätzen, alles sehr retro gestaltet, aber so gut gespielt, dass es für einen Soundtrack eines Irgendwas-mit-Gangstern-Films von Tarantino reichen könnte. Ein Film, in dem zwei nicht sonderlich erfolgreiche Gangster durch L.A. fahren (oder auf den Grachten von Amsterdam) und irgendwas fieses für ihren Boss erledigen müssen. Vielleicht Vampire jagen oder Sklaven befreien.
Ein Film, den wir uns im Open-Air-Kino anschauen, dabei einen Aperol-Spritz oder ähnliches sommerliche Mixgetränk süppelnd, so süß und kühlend, dass wir gar nicht merken, wie besoffen wir sind, wenn der Abspann läuft. Für so einen Film würde "Road to nowhere", bzw. noch besser die spanische B-Seite "Camina hacia ningun lugar" spitze passen.
Spontan fallen mir noch Rolando Bruno und Nestter Donuts als Nachbarn in einer Playlist der "Road to nowhere" ein. Oder diverse latino-Garage/Vintage-Compilations von Munster bzw. Vampispl records. Da erscheint Docot Velvet übrigens nicht, sondern auf einem Label mit dem wunderbaren Namen Wap Shoo Wap Records.
Jetzt könnten hier noch Infos zu Tito Ramirez kommen, dem 'Prince of Spanish Soul,' 'The Kink of Mambo,' oder dem 'Ambassador of Boogaloo, naja wie auch immer (kurzer Check bei Youtube: schon ein cooler Typ) oder wie der Film, zu dem "Road to nowhere" den Soundtrack liefern könnte, sich in die derzeitige Fußball-EM-Atmo einfügt. Geschenkt.
Das könnt ihr Medienkompetenten entweder selber recherchieren oder mal selber in euch hineinfühlen, ob und wie dieser Hüftschieber zur Europameisterschaft passt. Auch wenn dieses Jahr kein Fußballgroßereignis wäre, könnte ich mir jedenfalls den neuesten Doc Velvet-Song bei einem kühlen Cocktail in der "heißen Jahreszeit" (Theodor Adorno) vor einer gemütlichen Bar in Kreuzberg sehr gut geben.
Doctor Velvet ( Featuring Tito Ramirez ) "Road To Nowhere" ist als 7" auf Wap Shoo Wap Records erschienen.
Gary Flanell
Donnerstag, 4. Juli 2024
Schöne alte Kürbiswelt Pt. I: Herr Nussbaum bei den Smashing Pumpkins
Kommen Sie, staunen Sie!
Aber seien Sie auf der Hut! Oder dem Schlapphut.
In einer entgeisterten Stadt, die noch weniger eine solche ist, als es angeblich Bielefeld nie war. Wo die unheimlichen Besessenen Geschäftetetris in einem Minto spielen.
Deren Altstadt so alt aussieht und kopfsteingepflastert immer bergab geht. Die zwei altertümliche Hauptbahnhöfe hat. Eine Honnschaft namens Kothausen und da in steinwurfweiter Nähe auch gleich Stadien, in deren einem aufgeblasene Ledersäcke mit Füßen getreten und in deren anderem kleine Kugeln mit Holzstöcken geschlagen werden.
Stadien des Grauens. Offene Riesengruselkabinette, in denen Teilnehmerurkunden vergeben, Ehrenurkunden jedoch stets verpasst werden. Es immer im Kreis oder Oval geht, Hindernisse hindern, Sand in den Turnschuhen, zwischen den Zehen und im Bauchnabel klebt. Dann wann anders überall Bratwürste, Bratwürste, Bratwürste und die Knautschplastikbierbecher sparsam gefüllt sind. All diese schlimmen Dinge, die passieren.
Gerne hätte ich Herrn Corgan gefragt, was seine Meinung dazu sei, nämlich zu Auftritten kurz vor dem Sommer und dem Vollmond auf einer Bühne in einer Hockeyarena in Mönchengladbach, aber fürs Renfield gab's leider Platzkarte statt Access All Areas, so dass ein klärender Austausch ausbleiben musste.
(DitisnatürlichnichinMönchengladbachaberinBerlinwasjasoziemlichdasgleicheis - der Setzer)
Mit Sicherheit wären die Anmerkungen des glatzköpfigen Vampirsängers bemerkenswert gewesen, jedenfalls verwunderte er sich seinerseits im Verlauf des Abends auch ohne Nachfragen zu Ort und Zeit über andere lokale Besonderheiten wie den Abriss der Berliner Mauer, zu Techno fickende Menschen und Fußball. Wenigstens bis sein Gitarrist ihm den Mund verbat und darauf hinwies, dass es hässlich sei, wenn er rede.
Lieber dann doch Singen und Musizieren. Und sogar Tanzen! Nicht ausdauernd, aber doch ein bisschen. Und durchaus ein wenig unheimlich, schließlich wars ja auch ein Vampirzirkus, der da gastierte.
Nachdem Interpol recht blass, vielleicht tatsächlich blutleer, abgeliefert hatten, wurden sie zügig wieder eingesargt und im Nightliner verstaut, und die Kürbisse kamen über Gladbach wie ein nostalgischer Schattenwurf.
Erst etwas knarzig, leicht steif in den Gelenken, dann aber mit gebleckten Zähnen und wehendem Umhang, deutlich mehr Lautstärke als Vorband und sich dauerunterhaltende Zuschauer, zu nicht unerheblichen Anteilen in frisch gekauften 90er-Jahre oder DFB-Shirts, und Jahrmarktsmengen an Licht.
Gegen den dann knapp zweistündigen Großangriff aus Oper, Stadionrock und Musikgeschichte halfen kein Kraut, keine Brezel und keine Klamottenverfehlungen.
Souverän bis bissig bis verquast saiten- oder trommelverliebt abgespacet ballerten SM in Nachfolge von unter anderem Olé Party, Roland Kaiser und Rod Stewart Ladung um Ladung Vergangenheit in das mit Mut zur Lücke gefüllte Arenchen, so dass im letzten Viertel der Heimsuchung immerhin die Ü50er ihre Sozialarbeiterfox aufführten.
Vielen anderen genügte dann aber wohl auch nur der Blick durchs Handy auf die veitstanzenden Bühnenlichter. Statt geballt zu werden, umklammerten Fäuste da lieber tsatsikitropfende Haufen Raspelfleisch, die es auf der kleinen Kirmes oberhalb neben Weißweinschorle, Sitzkissen und Merch zu kaufen gab. So gesehen alles sehr 2024.
Best of-Shows haben stets etwas von Raclette zu Silvester und Blättern im hinteren Teil der Sonntagszeitung, aber an diesem Abend unter der Woche unterhielt die in den letzten Jahrzehnten bestimmt schon hundertfach gespielte Horrorshow mehr als das Meiste in dieser Nichtsstadt das komplette Jahr über.
Insofern – besten Dank, Herr Vlad Corgan und auf Wiederhören, unerwartet in irgendeiner anderen Nacht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit andernorts.
Philipp Nussbaum
Donnerstag, 27. Juni 2024
Schön, wenn Leverkusen Hardcore dokumentiert wird Pt. IVX
...Like this! (Beyond Music: Lars, Nils, Axel, Jan, Volker, PQ" Part 1.)
Das Schöne am Schreiben für einen Zine-Blog wie diesen hier, ist, dass einem Aktualität komplett egal sein kann.
Klar ist es schön, neue, gerade erschienenen Platten zu besprechen, um ganz vorne dabei zu sein.
Aber mal ehrlich, notwendig ist das nicht.
Hier geht es nicht um Musikjournalismus, der eine gewisse Tagesaktualität als Anspruch hat, denn
1.) sollte Fanzine machen meiner Meinung nach nie einem Zeitdruck oder Aktualitätszwang unterliegen (wenigstens ein Medium sollte dem den Akteuren innewohnenden Slackertum gerecht werden) und
2.) verdient hier ja keiner Geld, ergo gibt es auch keinen Druck von irgendwelchen Werbekunden, dass man die oder jene gerade erschienene Scheibe besprechen müsste. Zeitnah am besten. Zeitnah. Ein ebenso schönes wie beschissenes Wort.
Was mich zu der vor mir liegenden Doppel-CD bringt. Die liegt hier schon länger rum, genauer gesagt, hat sie mir Jan vom TRUST 2020 zur Rezension zukommen lassen . Nun komme ich mal dazu, so kann's gehen. Geht es dann ja auch.
Also, was haben wir hier? Ein Zeitdokument könnte man es nennen, denn hier wird eine - oder vielleicht auch die? Keine Ahnung, ob es mehrere Szeneblasen da gab - Hardcore-Szene aus Leverkusen Mitte der 90er Jahre mit diversen Aufnahmen nachgewiesen.
Auf zwei CDs bekommt man einen ganzen Sack voll Aufnahmen von Bands wie John Hillerman (noch nie gehört), Beyond a Minority (kenn ich nicht), Leviathan (Noch nie gehört), Infamous Minds (kenn ich nicht), Melodic Coeroperation (noch nie gehört), Don't call me Nilsi (kenn ich nicht), The Optimist Club (noch nie gehört) La Pistola (kenn ich nicht), The Pomplautzki Expierence (???), U-Boot (noch nie gehört), Betty (kenn ich nicht), New Punkrock Elite (noch nie gehört), Die Pastellbrüder (Kenn ich nicht) geliefert.
CD 1 ist dabei ein Konvolut von Live-Aufnahmen, während CD 2 die Aufnahmen eines Tapesamplers namens "FVS goes Heavy" und eine Single namens "Fuck Music for Fuck people" zusammenfasst.
Musikalisch erinnert mich das schon an das, was Mitte der 90er oft in NRW, in den Vororten, den Reihenhaussiedlungen zu hören war. Wütender HC, der Art, wie man ihn auf Festivals wie dem Dynamo oder ähnlichem zu hören bekam, melodischer Punkrock, weil alle gerade voll auf Bad Religion (das Cover ist eh eine Referenz an deren erstes Album) abfuhren, Schlager-Indie-Dada, weil alle Helge Schneider und das 70er-Schlager-Revival gerade toll fanden. Grindcore auch. Vieles mit einer irgendwie metallischen Gitarre versehen, die im Nachhinein echt dünne klingt.
Ich kann es mir richtig vorstellen, was für Klamotten dazu getragen wurden: Kapus und Shirts von Sick Of it All, Nirvana, Biohazard oder NOFX. Baggy Pants. Dazu grungy lange Haare und irgendwer hat immer sein Skateboard dabei gehabt.
Gesoffen und gekifft wurde wahrscheinlich auch und somit unterschied sich die John-Hillermann-Clique wohl nicht allzusehr von den 90er-Punkblasen in anderen nordwestdeutschen Mittelzentren.
Diese Compilation erinnert mich an den ersten Tapesampler, den ich je rausgebracht habe. Hieß "Hamm is just a 4-letter word" und sollte einen Blick auf die Indie/Punkbands, die eben aus Hamm/Westfalen, also meinem unmittelbaren Sozialraum, kamen. Da es dort keine einheitliche Szene gab, wurde es ein bunter Teppich aus Bands, die Metal, Punk, Indie, Fun-Punk spielten. Ähnlich wie auf dieser Compilation.
Wählerisch konnte man nicht sein und auch auf dem "..Like This"-Sampler ist es ähnlich. Teilweise sehr unterschiedliche Bands, die den oben genannten Genres entsprechen. Es ging mehr darum, den geographischen Raum musikalisch abzubilden, anstatt unterschiedliche Facetten einer Musikkategorie darzustellen. Was auch nicht möglich gewesen wäre, in Hamm genausowenig wie in Leverkusen, weil es eben zuwenig Bands von einer Gattung gab. Da wäre schnell Schluß gewesen mit Sampler machen. Aber so schöne Terence Hill/Bud Spencer-Intros hatten wir damals nicht.
Diese "Like This"-Doppel_CD ist in erster Linie eine nettes Nostalgie-Zuckerbrot für alle Beteiligten - augenscheinlich nur Typen, oder sehr wenige Frauen - ob sie einen größeren Wissensgewinn für die Darstellung von Punk in Deutschland in den 90ern darstellt, müsste man diskutieren. Ich nehme die Position "Wohl eher nicht" ein.
Aber vielleicht ist dies nur ein Teil eines größeren Panoramas, wenn der die deutschsprachige Indie/Punk-Musiklandschaft vor 25-30 Jahren dargestellt werden soll.
Ich versteige mich wohl nicht, wenn ich zumindest behaupte, dass es sich dabei nicht gerade um revolutionäre Klein-Szenen handelte, die musikalisch einzigartiges geschaffen haben. Wir waren halt pickelige weiße Mittelschichtskids, die ihren Spaß haben wollten. Das hat jeden ganz woanders hingeführt. So kann's gehen.
Gary Flanell
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