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Mittwoch, 27. Mai 2015

Von Tigern und Transformationen


Das Antje Öklesund und der neugebaute Weg in die Zukunft

Zuerst mal musst du die Rigaer runter laufen. Wenn du vom Bersarinplatz kommst, ziemlich weit runter. Über die Liebigstraße drüber und über die Samariterstraße auch. Dann ist da auf der rechten Seite der LIDL und gegenüber musst du in diesen grob gepflasterten Hinterhof rein. Ist alles nicht gut beleuchtet, aber das geht schon. Quer über den Hof zu diesem alten verfallenen Backsteingebäude mit den kaputten Fenstern. Und dann einfach rein da.

Zu der Zeit, als ich das Antje Öklesund recht regelmäßig besucht, wohnte ich im Friedrichshainer Nordkiez. Da war es naheliegend, mal einen Blick auf diesen Freiraum für Musik und Kunst zu werfen. War ja auch super. Lag nur eine Querstraße entfernt, der Eintritt zu den Konzerten war umsonst, das ehemalige Fabrikgelände war angenehm runtergekommen, schlecht beleuchtet und nicht leicht zu finden. Auch der etwas sperrige Name tat auch sein Übriges, damit das Ganze nicht zu schnell von den Massen heimgesucht wurde. Man musste sich also etwas auskennen.

Das Spannende am Antje Öklesund war eigentlich immer die Bereitschaft zum Experiment. Alle paar Monate wurden neue Konzepte der Raumgestaltung so ausprobiert, dass eigentlich nichts beim Alten blieb.Mmal baute man einen original Friedrichshainer Straßenzug nach, dann wurde die Bar zum Späti umgebaut, diverse begehbare Türme aus Holz in den Veranstaltungsraum gesetzt oder ein ganzer Song von Blumfeld als Raumkonstrukt dargestellt.
Wer wieder ein paar Monate später da war, konnte sich wundern, dass das Bier nun quasi durch eine winzige Luke in der neugezogenen Wand verkauft wurde. Kunst, Musik und Architektur waren die Felder, auf denen immer neue Ideen ausprobiert wurden. Das alles war aber für den Besucher des Antje Ö. nie stressig, sondern immer wunderbar aufregend und interessant.

Damit ist es erst mal vorbei. Denn das Gelände vom Antje Öklesund wird sich komplett verändern. 2012 wurde es von einer Investorengruppe gekauft, die vom Sommer 2015 an dort einen Block von Mietwohnungen bauen wird. Das Antje Ö. wird es dann in seiner bisherigen Form nicht mehr geben. Ganz verschwinden wird es allerdings nicht, sondern in neuen Räumlichkeiten am gleichen Ort nach zwei Jahren baubedingter Pause wiederbelebt. Zumindest, wenn man den Plänen und Absprachen zwischen dem Verein Stadtraumnutzung e.V., der das Antje Ö. in seiner bisherigen Form betreibt, und den Bauherren von der CG-Gruppe, glaubt. Aber wie weit kann man solchen Absprachen trauen?

Bebauungsplan, Nutzungskonzept, Projektentwicklung, Stadtumbau – in Verbindung mit einem kulturellen Freiraum klingen diese Begriffe wenig spannend. Unterhält man sich mit Hajo vom Verein Stadtraumnutzung e.V., der das Antje Öklesund seit Jahren als kulturelle Institution im Friedrichshainer Nordkiez etabliert hat, fallen diese Begriffe derzeit sehr häufig. Zwei Monate, bevor die ersten Bauarbeiten beginnen und das Antje Ö. auf die andere Seite des Areals ziehen wird, sitzen wir im Vereinsbüro auf der anderen Seite der Rigaer Straße.
Hajo sieht aus wie viele der Berliner Off-Kulturtypen. Trainingsjacke, Bart, kurze Haare. Ein bisschen sehe ich mittlerweile auch so aus. Dass man das Gelände nicht sang- und klanglos räumen würde, ist seit einiger Zeit klar. Ganz einig war man sich darüber anfangs auch vereinsintern nicht.
„Im Umfeld gab es ein ganz klares Statement, dass man sich nicht zu einem Gehilfen eines Stadtumbaus macht, den man nicht haben will. Was faktisch der Fall ist.“ erzählt Hajo. „Auf der anderen Seite wäre die Idee gewesen, dass wir nach Lichtenberg gehen, und denen das Feld überlassen, die das schnell durchboxen.“

Also entschied man sich, dass man bei dem, was sich die Herren Projektentwickler für das Gelände an der Rigaer Straße ausgedacht haben, auch ein Wörtchen mitreden wollte. Die Einmischung in die Pläne der neuen Bauherren war und ist ein mühsames Geschäft.
„Man hat direkt beim Auftreten alle Stereotypen von Projektentwicklern entdeckt, wie sie im Film erscheinen. So wir wie allen Stereotypen von Alternativos entsprechen. Da prallten schon Welten aufeinander, als die zum ersten Mal auf den Hof gefahren kamen, zu sechst mit drei schwarzen Limousinen und schwarzen Anzügen.“

Trotz dieser Unterschiede verlief die Kommunikation erstaunlicherweise recht gut. Dass die Antje-Ö.-Crew ernst genommen wurde, lag auch daran, dass man mit dem ebenfalls auf dem Gelände ansässigen Berufsbildungswerk BUF kooperierte und viel Unterstützung von Seiten der Bezirksverwaltung erfuhr. Die Einmischung des Stadtraumvereins bedeutete in erster Linie, immer wieder konkrete Vorschläge für einen gemeinsamen Raum für Gewerbe, Kunst und Kultur zu machen und auf die Reaktionen der Gegenseite zu warten.
„Wir haben versucht ein Konzept zu stricken, wie wir gemeinsam einen Ort für Kunst und Kiezkultur zu gestalten. Mit Aufhängungsmöglichkeiten für Banner, Podeste für Installationen Wohnungen für Künstler, öffentlich zugängliches Dach, Verweistafel auf die Geschichte des Geländes. Darüber gemeinsam mit dem BUF ein Café, darüber Terrassen. Das war der Kern des ganzen Prozesses.“

Neben vielen aktuellen Bauzeichnungen des Areals findet man an der Wand des Vereinsbüros auch die Kopie eines alten, von Hand unterzeichneten Geschäftsbriefes. Die Geschichte des heutigen Gewerbegebietes ist eine wechselhafte. Als im heutigen Friedrichshainer Nordkiez nur Obstgärten existierten, baute der Landmaschinenfabrikant Eckart dort ein erstes Häuserensemble, von dem eines immer noch direkt an der Rigaer Straße steht und seinen Namen trägt. Später wurde auf dem Gelände eine Möbelfabrik aufgebaut, die in den 20ern an Shimon und Michel Baiser verkauft wurde. Unter Druck musste das jüdische Brüderpaar die Fabrik 1938 verkaufen. 1943 wurden sie in Auschwitz ermordet. Erworben hat das Gelände die Firma Max Schlüter. 1990 wurde das Areal an die Erben der Baisers zurückgegeben – die dann 20 Jahre lang versucht haben, es zu verkaufen. In diesem Gebiet wurde Anfang der 2000er das Antje Öklesund als selbstverwalteter Freiraum für Musik und Kunst aufgezogen.

Das Antje Öklesund ist ein gutes Beispiel für mehrere Dinge, die gerade in Berlin ablaufen. Zum einen kann es als Beispiel für einen dieser Kreativräume stehen, die den Ruf Berlins lange Zeit mitgeprägt haben. Die umfunktionierten alten Fabrik- und Industriegebiete, in denen Projektgruppen wunderbar Freiräume für Bands, Künstler und unkommerzielle Projekte geschaffen haben. Aber dieses Image verblasst langsam, eben weil diese runtergekommenen Fabrikflächen für Investoren aller Art immer interessanter werden. Viele dieser Freiräume gibt es in dieser Form nicht mehr.

Es ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Mechanismen der Gentrifizierung konkret funktionieren und wie man sich dagegen zumindest teilweise wehren und den Umbau des eigenen Kiezes mitgestalten kann. Allerdings eben auch nur EIN gutes Beispiel neben vielen anderen, wo Frei- und Kulturräume den Interessen der Bauherren weichen mussten. Denn die Gentrifizierung wütet schon lange in Friedrichshain und man müsste schon sehr verträumt sein, um zu glauben, dass das hübsche Möbelfabrik-Areal von Investoren verschont bleibt, die daraus einen sauberen, aber auch langweiligen Wohnblock machen wollen.

Wenn alles gut geht, entsteht am Ende ein neues Antje Öklesund am gleichen Platz in der Rigaer Straße. Eines, das mit geplanten 170 Quadratmeter größer ist als der Vorgänger. Für die nächsten zwei Jahre steht zunächst eine Zwischennutzung auf dem westlichen Teil des Geländes in Form einer kleinen Containersiedlung an. Danach soll wieder der Umzug an die Stelle des alten Clubs erfolgen. Dies ist zumindest ein kleiner Erfolg für das Antje Ö. Für die CG-Gruppe wäre es erheblich billiger gewesen, das gesamte Gelände sofort und komplett zu bebauen. Trotz weiterer kleiner Zugeständnisse seitens der CG-Gruppe ist der ganze Prozess von viel Misstrauen der Stadtraumnutzer begleitet. Denn um den Erhalt des Kulturraums Antje Öklesund zu sichern, musste man sich immer wieder neu einbringen. Mussten immer neue, manchmal auch bewusst provokante Forderungen gestellt werden, aber auch Kompromisse eingegangen werden. Erst die Zukunft wird allerdings zeigen, ob sich auch die andere Seite an die Abmachungen hält. Für Hajo gibt es aber keine Alternative.
„Man muss nicht versuchen, den Tiger zu töten, man muss versuchen ihn zu reiten,“ sagt er. “Damit kann man sich die Situation vielleicht schönreden, aber es ist einen Versuch wert. Wir gehen mit dieser Unbedarftheit ran, mit der wir alles gemacht haben und schauen wie weit, wir uns durchsetzen können. auf jeden Fall ist es erstaunlich, dass wir nun in einer Position sind, in der wir gehört werden, in der wir mit Architekten darüber reden wie das aussehen kann.“

Durch den Neubau des Geländes ist das Antje Öklesund auch an einem Punkt angelangt, an dem nach Hajos Meinung viele alternative Projekte früher oder später stehen und der derzeit im Verein mit großem Interesse untersucht wird.
„Wir haben festgestellt, dass es bei fast allen Projekten eine Schwelle gibt, die über das Weiterbestehen der Projekte entscheidet. Das sind manchmal städtebauliche Fragen z.B. Mietanstieg oder die Bebauung des Geländes. Oft sind das Kapazitätenfragen: die Vereine lösen sich auf, weil die Leute ausbrennen und das ehrenamtliche Arbeiten nur über einen bestimmten Zeitraum geht. Oder es läuft sich tot, die Leute keinen Bock mehr haben und andere Schwerpunkte im Leben haben. Wir wollten dabei untersuchen: Wie schaffen es alternative Projekte, über diese Schwellen hinauszukommen?“

Eine gute Frage, die sich auf die Entwicklung eines kreativen Freiraums ebenso anwenden lässt wie auf ein Fanzine, das es auf mittlerweile 30 Ausgaben gebracht hat. Wobei die Schwelle bei einem alternativen Printmagazin eher in anderen Bereichen liegt (z.B. Selbstverständnis, Inhalt, Gestaltung, Regelmäßigkeit, Finanzierung, Verbreitung). Bei einem Kulturraum wie dem Antje Ö. fließt ein großer Teil der Energie in den Kampf um die bloße Existenz. Die derzeit wichtigste Frage ist für aber, wie man die Haltung und die Atmosphäre der früheren Location hinüberretten kann. Das Experiment ist laut Hajo, trotz aller Unsicherheiten, die in den nächsten zwei Jahren auf den Verein zukommen, sehr spannend.

„Wenn es klappt, wäre das nur der erste Schritt. Dann kommt es darauf an, die neuen Räume mit Leben zu füllen. Von daher ist es spannend, zwei Jahre Zwischennutzung zu habe, die uns auch näher dahinbringen, wie das funktionieren kann. Wir sind ja auch an einem anderen Punkt als vor 10 Jahren.“

Ob sich die Tiger in den schwarzen Anzügen wirklich von einem engagierten Friedrichshainer Kulturverein reiten lassen, bleibt dabei erst mal abzuwarten. Aber zumindest den Versuch zu wagen, ist in jedem Fall besser, als vom selben Tiger gefressen zu werden. Als gutes Beispiel für Möglichkeiten der Einmischung in Gentrifizierungsprozesse kann das Antje Ö. und seine Geschichte schon jetzt gesehen werden.

Gary Flanell

Fotos: Frank Foge und Gary Flanell

antjeoeklesund.de

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