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Donnerstag, 3. April 2025
Schön, was uns die Alten singen Pt. I
Ancestor Sounds from Africatown, Alabama
Diesmal eine akustische Spurensuche in Mobile, Alabama, in Form eines klingenden Tagebuchs oder einer impressionistischen Skizzensammlung. Alles field-recordings, im Freien aufgenommen als ungeprobte one- takes. Die beiden O-Tonsammler sind gleichfalls interessante Leute, Ian Brennan produzierte das Grammy- gekrönte Album „Tassili“ von Tinariwen, des Touareg-Blueskollektivs aus Nordmali, und Marilena Umuhoza Delli ist eine italienisch-ruandische Fotografin & Filmemacherin.
Brennan ist auch Antieskalations-Coach, was er sich während langjähriger Arbeit in Psychatrien antrainierte, und für seine „fly-on-the-wall“ Aufnahmetechnik bekannt, sprich so wenig in den Aufnahmeprozess einzugreifen wie möglich sowie over-dubs strikt zu meiden. Musik ist für ihn gelebte Emotion, nicht Technik. Aber layering + mixing scheinen okay, denn das ist ja auch der Witz dieser Collage aus Oral- History und Umgebungsgeräuschen. Man hört dort bspw. die Stimme eines älteren Herren, dessen Großeltern noch mit dem letzten Sklavenschiff aus Westafrika gekommen seien. Er bedauert, dass er zwar in Vietnam war (als Soldat), aber nie je in Afrika. Allerdings wurde dieses Schiff, die Clotilda, 1860 versenkt und erst 2018 im Schlick des Mobile River wiederentdeckt, somit kann das mit den Großelten nicht hinhauen. Wahrscheinlich meint er seine Ururgroßeltern, aber geschenkt. 1860 war die Einfuhr von Sklaven bereits seit 52 Jahren verboten, doch die Südstaaten hatten bekanntlich andere Interessen, weshalb ein Jahr später der Sezessionskrieg ausbrach.
Im Fall der Clotilda war der Auslöser perfider Weise eine Wette, die ein Südstaaten-Plantagenbesitzer mit Nordstaaten-Geschäftsfreunden abschloss, dass ihm die Einfuhr trotz Verbot gelingen würde. Der Kapitän verhandelte mit dem damaligen König von Dahomey (heute Benin), der ihn in ein Lager vollgestopft mit 4000, übrigens durch Amazonenkriegerinnen Gefangene führen ließ, wo er seine Auswahl treffen sollte. Die traditionelle Brandmarkung der für jeweils 100 Golddollar Gekauften lehnte der Kapitän indes ab – immerhin.
Über 100 Personen wurden erworben, mussten sich nach Ankunft aber noch längere Zeit in Alabamas Sümpfen verstecken, wie sich Cudjoe Lewis erinnerte – dem wir übrigens den Bestseller Barracoon verdanken, ein Lieblingsbuch von Obama. Das erschien erst 2018 anhand 1927/28 geführter Interviews durch keine Geringere als Zora Neale Hurston, eine Ikone der Harlem Renaissance. Sie hatte das Buch bereits 1931 fertig, aber kein Verlag wollte es – sie selbst verstarb verarmt im Fürsorgeheim. Als nach dem Sieg der Nordstaaten die Sklaverei endgültig abgeschafft wurde, gründeten die bei Mobile Verbliebenen (u.a. Cudjoe Lewis) Africatown. Zur Blütezeit (in den 1960ern) hatte Africatown über 12.000 Einwohner, aber danach ging es bergab. Heutzutage leben nur noch 2000 Menschen dort, knapp 100 sind Nachfahren von der Clotilda.
Gleich zu Beginn bemerkt ein Herr, dass eigentlich nie groß über Afrika geredet wurde, es war ein „hidden secret“, und ihre Kirche beschränkte sich eher auf den Leidensaspekt – sowohl auf dem Herkunftskontinent vor etlichen Generationen, wie in der Diaspora. Ein anderer Herr singt zur Klavierbegleitung, dass keiner zuhöre, strugglin`(or straddlin`) all alone (under a) jealous God. Danach folgt „Lead me home“ in einer Micky-Maus-artigen Verzerrung, und eine Dame singt emphatisch „kept me“ - gemeint sind der Herr und Jesus - from all evil. Eine jüngere Dame berichtet, dass es in den alten Geschichten oft um Gehorchen ging (den Eltern, Gott), und eine Großmutter bei ihr anmerkte, sie habe gar nicht mehr die Kopfform, um einen Kartoffelsack zu tragen (auf dem Kopf).
Eine weitere Stimme erzählt: Das erste, was er tat, nach dem Bürgerkrieg, war eine Trommel zu bauen. Trommeln verwoben einst die Gemeinschaft, und er wollte so seine Stimme wiederfinden. Das wurde zum Fest, während Weiße sich argwöhnisch wunderten, wie gut Schwarze oft kooperierten, obwohl sie völlig verschiedene Muttersprachen hatten.
Diesen verbindenden Background bilden heute indes eher Industrie- und Werksgeräusche, die Signalhörner von Zügen und Schiffen. Oder das generelle Rumoren im graveyard- shift (der Nachtschicht), die im „odd job“ ein karges Auskommen sichert, aber zugleich die Umwelt zerstört. Alles in Africatown zu hören.
Den Rahmen bilden zwei Swamp-Bluesimpressionen, beeindruckend ob ihrer Melancholie und Intimität. Das Wort „Africa“ darin als industrielles Hecheln, wie eine stotternde Maschine gesprochen – mindestens so eindringlich wie John Lee Hooker. Einer der aufgenommen Anwohner brachte sogar seine Kologo mit, zu hören in „reconstructed memory“, die er allerdings anders bezeichnete, weil er deren ghanaischen Namen und Ursprung nicht kannte. Die jüngere Generation kommt mit einem Rap zu Wort, und ein Anwohner erinnert, dass Cudjoe Lewis ein kleines Standbild hatte, das in einen Graben geworfen wurde. Denn Rassismus und Disrespekt leben in stets neuer Form fort - oder wie der Eingangssong bemerkt: Misery down the road, I ain‘t goin` back down that road…
Bit Father Out
Das komplette Ancestor Sounds-Album gibt's auf der Bandcamp-Seite des Africatown-Projekts
Labels:
Alabama,
Ancestor Sounds from Africatown,
field recordings,
Ian Brennan,
Marilena Umuhoza Delli,
Mobile/Alabama,
oral history,
Sklaverei,
USA
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