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Donnerstag, 10. Oktober 2024

Schön, wenn junge Leute Musik machen Pt.LXL

Manchmal langweile ich mich fürchterlich, wenn ich mich mit aktueller deutschsprachiger Musik beschäftige. Klingt alles nach dem gleichen Scheiß, nichts dabei, was die Wurst vom Teller zieht. Ist vielleicht auch das Ältere-Mann-Syndrom. Scheiß Punk. Viel gehört, viel gesehen, auf so einem snobby Kissen der Erwartungshaltungen ist es gar nicht so leicht, aus der dunklen Zelle der gepflegten Tristesse in den Palast der Euphorie getragen zu werden. Auf einer Sänfte, geschnitzt aus wohlriechenden Intarsien aus Aufregung und Neugier. Getragen von wohlgelaunten Einhörnern mit Regenbögen an den Hufen.

Aber diesmal ist es so. Gleich zwei Bands, die mindestens einen guten Song auf deutsch rausgepumpt haben. Ob das reicht, die ganze Platte zu kaufen? Ich weiß es nicht. Aber zwei gute Songs sind eine Menge wert, in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit.

Da wären zunächst mal BASSED mit "Deutsche Praktiken". Geiles Intro mit hübscher Nikel-Pallat-Hommage, Song danach auch super. Haben die viel "Die Sterne" und anderes Hamburger-Schule-Zeug in Augsburg konsumiert? Klingt jedenfalls so. Guter Text, sehr tagesaktuell in Bezug auf den Rechtsruck und dazu gibt es ein schickes Video und ein cheesy Gitarrensolo am Ende. Wenn damit genug Leute erreicht werden, sehr gerne mehr davon.



Wir erinnern uns: Ich schrub von zwei Bands. Bevor ich mich wieder dorthin zurückziehe, wo den ganzen Tag aus Nostalgiegründen der Bro-Hymn-Remix von BASSNECTAR läuft, also hier das nächste Überraschungs-Ei.

Der Bandname ist nicht so ein Catcher, aber die Musik ist es: Die Rede ist von THE BACKYARD BAND. Das klingt wenig einfallreich oder gar experimentell, aber - solide. Scheinen diese Jungs (alles Jungs, auch im Video) auch zu sein. Erdige Typen, die völlig altmodischen Boogie-Garage-Punk-RocknRoll spielen. So Zeug, was komplett aus der Zeit gefallen ist. Dazu manchmal auch, und das ist das Schöne, Texte auf Deutsch. Kerniger Rock'n'Roll mit deutschsprachigen Texten, die Kombi ist schon wieder so alt, dass man sie für innovativ halten könnte. Ist sie natürlich nicht. Hol das Ouija-Board raus und frag Opa.

Hörbeispiel 1: Der sehr gute Song "Haltet einfach mal die Fresse". Und ja, wir bewegen uns hier in einem homosozialen Raum, also nur junge Männer, die auch sehr maskulin auftreten. Eine Truppe, die nur aus Jungsfreunden besteht, gemeinsam imm Proberaum abhängt und dort eben jungsmäßigen, angeprollten Quatsch macht. Klischee, Klischee, I know.
Aber ich denke, das sind welche von den Guten. Und "Haltet einfach mal die Fresse" singe ich schnell mit, weil auch hier gerade aktuelle Konflikte auf sehr alltagsnahe Weise thematisiert werden. Ist außerdem so eloquent, dass ich manchmal an den guten alten Dendemann denken muss. Ganz andere Mucke, ich weiß, aber so vom Gefühl under Rotzigkeit, die drin steckt,sehe ich Parallelen.

Die ganzen hard facts um das Album, welche Prominenz da wie und wann im Studio mitgeholfen hat - fuck it, diese Infos kriegt ihr auch so schnell raus.



Gary Flanell

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Die Magie des Weges (eine Überschrift wie aus einem schäbigen Wartezimmerheftchen)

TRAIL MAGIC - Zine Nr. 3

Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.

So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.

Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.

Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.

Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.

Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.

Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.

Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx

Gary Flanell

Donnerstag, 12. September 2024

Renfield. urlaub. trallala

Wenn ihr das hier lest, ist in Renfieldhausen keine*r da. Sondern der Setzer im Urlaub.

Kein Content für den Container, kein Gedanken, die geäußert, keine Rezensionen, die geschrieben werden, keine Links, keine Mails. Nix.

Einfach mal Pause.

Schön so.



Hier hätte jetzt so ein Urlaubssymbol-Bild von Strand stehen können, aber das mit dem halben Sofa und dem Kabel war schöner.

Donnerstag, 5. September 2024

Schön, wenn junge Menschen Musik machen Pt.IIXMLIX


BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule

„Zehn Minuten“, sagt Gary, „Zehn Minuten, stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt, ists fertig.“ Nun denn also, was Gary sagt, ist wahrscheinlich kein Gesetz, aber sicherlich ein prima Ratschlag, den man beherzigen und es einfach mal ausprobieren kann.

Unpacking the Wundertüte. Es grüßt zunächst Golden Press aus Bremen und wirbt ins Frühjahr 2024 vorschauend für einen neugierig machenden Katalog namens „Was soll das Ganze?“, in dem anscheinend u. a. der Druck „Kunst bleibt beschissen“ zu finden ist. Paradestart.

Dann erst einmal die Rückseite der Platte erwischt, mit ISBN-Nummer, dem Hinweis, dass die Stadt Würzburg das Teil nicht gefördert hat und einer Liste von zehn kryptischen Liedtiteln, die mal so wunderbar gar nix besagen. Mitgemacht und umgedreht.

Abrissszenenbildchen, Bandname, Titel und ein Als-ob-Aufkleber als Als-ob-Reklame oder vielleicht auch nur, weil er gelb und auch ein krakeliger Fußball drauf ist. Und nun? Zunächst mal auf den Moment warten, weiter müßiggehen und sich dabei nicht davon beeindrucken lassen, dass auf der einen Seite Kati und Steffi per Alexa mit Udo Jürgens den Sommer beschallen und auf der anderen Seite Achim nach vorherigem Dauerbetrieb von Kärcher, Rasenmäher, Vertikutirer, Fön (?) und Knattermann 5000 nun die heimlich besorgte, dann grinsend verlegte Russischweißeichenterrasse dauer- und dauer- und dauer- und dauer- und dauerelektroschmirgelt, während vorne jemand unendlich baggert, weiter hinten ein anderer seinen kläffenden Miniköter anschreit und oben drüber heulend ein Bummsurlaubsbomber fliegt. (Anm. d. Setzers: Glaube, dass man Bumsurlaubsbomber nur mit einem M schreibt, bin aber nicht ganz sicher, also lass ich das so stehen.)


BURNOUT, meintwegen sogar OSTWEST, so geht das auch, nicht mehr als nur kurz um sich herumgehorcht und dabei noch nicht einmal weiter hochgerechnet, dass das alles allenfalls ein klitzekleiner Ausschnitt von allem anderen heutigen Unglaublichen und Nichtwahrseindürfenden ist.

„Heutzutage! Heutzutage!“ Widerstand! Nämlich die eigene Lautstärke über den letzten Widerstand hinaus gedreht und dann im Sinne von „Haltet doch alle mal bitte kurz eure Schnauze!“ zurückgedröht. Geht per Bremer Schule prima! Allenfalls zwei Instrumente, eins davon ein Keyboard mit enervierendem NDW- oder Schülerbandsound, eine zeternölige Stimme und textlich ohne Punkt und Komma Feststellungen zur heutigen Innen- und Außenwelt, bei denen eine Entscheidung, ob man über sie lachen oder weinen oder sich empören soll, irgendwie nicht möglich ist – die nämliche Voraortskakophonie wird plattgemacht. Kati brüllt irgendwann, ob das denn wohl sein müsste. Achim keckert und will wissen, „watt datt dann is“. Und sogar der Flieger ist weg! Ich bin entzückt.


Nach Runde #4 der Scheibe gelingt es problemlos, in die sinnfreien Grölrefrains einzustimmen. „Kein Gott, kein Staat, nur Hildegard!“ lasse ich die Nachbarschaft wissen, die sich überwiegend nun jedoch in die abgedunkelten Wohnzimmer zurückgezogen hat und dort lieber im Schatten verdörrt, als sich dieses unvermittelte, schnörkellose und unglaublich eingängige musikalische Anmeckern und Aufbegehren weiter zu geben. Müssen sie selber wissen, ich wäre jetzt in guter Laune durchaus gesprächsbereit und gar gäbe ein Bier aus.

Kati, Steffi, Achim und die anderen sind austauschbar, ich bin es ebenfalls, Musiktherapie à la BURNOUT OSTWEST ist heuer aber alternativlos.

Die zehn Minuten sind rum. Ok, sogar ein paar mehr, weil ich zu zwanghaft bin, die Vertipper und in der Unendlichkeit verglühende Schachtelsätze so usselig stehen zu lassen. Egal.

Kurzfazit: feine Platte, grob, ungeschliffen, nervend, aber dann doch wieder nicht nervend, tatsächlich jeder Hit ein Treffer, wie auf dem Cover versprochen. Und ob das Ganze was mit Team Scheiße zu tun hat, weiß ich tatsächlich nicht, weil ich die nach wie vor nicht kenne.

Felipe Nogal

BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule ist jetzt raus und gibt es online hier. und auf Vinyl hier.

Donnerstag, 29. August 2024

Schön, wenn Finnen Musik machen Pt. YXI


GOBLIN SHARK - RAT BONE

Menschen, die massenweise Videos über die seltsamsten Tiere des Planeten schauen, wissen natürlich, dass es den Koboldhai, auf englisch Goblin shark, wirklich gibt. Allerdings nicht in finnischen Gewässern. Die Referenz zu Mitsukurina owstoni passt bei den drei lustig schaurigen Finnen aber trotzdem, denn wenn es um kauzig-schrullige Rock'n'Roll-Versionen geht, hat Finnland nunja, die Nase vorn. Was wieder zur Nase des Goblin Shark passt.

Also: Der Nasenhai sieht lustig, aber auch ein ein wenig unheimlich aus. Wenn man ihn sieht, weiß man, dass er sicher gefährlich ist, aber so ganz abnehmen kann man ihm das nicht. So in etwa läuft's auch bei diesem Trio. Um das Obskure, das etwas drollig-Schaurige, versetzt mit schroffem Humor und dem Grusel mit Augenzwinkern geht es auch bei den drei lustigen Rock'nRoll-Predigern. Das Bild von drei Typen, die tief im Sumpf in einer Hütte seltsamen Dingen und Rock'n'Roll-Ritualen nachgehen, läuft mir durch den Kopf, während RAT BONE im CD-Player seine Kreise zieht. Um sich in den Bann von Trash-Voodoo ziehen zu lassen, musst du nicht bis nach New Orleans fliegen, ein Ticket mit dem Billigflieger nach Tampere dürfte auch reichen.


Screamin'Jay Hawins hatte diesen augenzwinkernden Rock'n'Roll-HokusPokus genauso gut drauf wie Dr. John oder Tito & Tarantula und davon haben sich die drei finnischen Jünger wahrscheinlich viel ins Ohr geträufelt. Manchmal gesellen sich beim Hören auch gewisse Psychobilly-Assoziationen dazu, nicht dieses schnelle hektische Zeug, eher der brütende, fiebrige Stoff, den THE CRAMPS oder DEADBOLT so gut beherrschten. Das ganze Album könnte gut den Soundtrack zu einem Tim-Burton-Film liefern. Zu irgendwelchen Horror-B-Movies sowieso.

Wenn diese Musik nun ein Topf voll mit heißem Gumbo ist, in dem allerlei Getier verkocht wird, dann sind Pharao Pirttinkangas (auch so ein Name, den du nur einmal in einer Rezension schreiben willst), Taskinen und Neuvonen die Hexenmeister, die tief in den Wäldern eine große Portion Boogie, Garagerock, Gruseltrash, Voodoo Blues und ureigenen finnischen Humor mit einem guten Schluck Swamprock zusammenbrauen.


Das klingt wie ein typischer Halloween-Cocktail. Kann sein, dass manche Menschen nur zu Allerheiligen darauf Bock haben, aber eigentlich ist die Jahreszeit egal, in der man sich diese Platte gönen kann. Denn Spaß machen diese angenehm durchgeknallten Typen immer. Würde ich gern live sehen, aber das kann bestimmt dauern, bis diese Hexenmeister mal auf dem Besen nach Berlin kommen. Wäre jedenfalls dabei.

Anspieltipps: 1. Genghis Khan 2. Serial Eater 3. Root Canal Surgery (Denn wieviele Songs gibt es, die eine Zahnwurzelbehandlung metaphorisch aufgreifen? I love it!)

Gary Flanell

GOBLIN SHARK - RAT BONE ist auf VOODOO RHYTHM Records erschienen.

Donnerstag, 22. August 2024

Schön, wenn Rüttenscheid Musik macht Pt. I

INTERNATIONAL MUSIC - ENDLESS RÜTTENSCHEID

International Music ist so international wie ein Amboss im freien Fall flexibel ist, oder Hamburg eine Metropole.

Im Spiel mit ironischer Provinzialität bewegt sich die Indie Konsensband des Prenzlauer Berges und allen anderen sein-wollen-wie-Stadtvierteln dieser Republik souverän zwischen schön und schaurig.

Angesagte Musik zum wohlfühlen, ausprobieren und abgehen.

Nach ihren ersten beiden Alben auf dem Berliner STAATSAKT Label, erscheint Endless Rüttenscheid nun auf dem bandeigenen Label TIMELESS MELANCHOLIC MUSIC als Katalognummer eins.

Inhaltlich bleibt es zumeist im privaten, ohne Übergriffigkeiten oder Erwartungen – warm und kuschelig wie ein Frühlingssonnenstrahl. Es treten auf :
Kirmesschenkelklopfer (International heat), Marius Müller Westernhagen Anleihen (Kraut), einnehmende Melancholie (Endless Rüttenscheid, Mont St. Michel, Im Sommer bin ich dein König) und vieles, was schön anfängt [ESSEN – der Harmoniegesang sitzt..], bevor sich International Music etwas zu oft in den Rock mit großem R verabschieden, um sich dort zu verlieren.

Kommt auf Festivals wahrscheinlich gut, ist aber halt auch nur eine Option...

Einfach mal öfter im zweiten Gang nach Hause fahren....
[und jetzt einen kleinen Cappuccino mit Hafermilch und Schuss].

Hörrissey

Essen Rüttenscheid – Angesagter Stadtteil zum Wohnen, Arbeiten und Ausgehen [Eigenwerbung]

Geriatrie und Subkultur (Opa erzählt vom Konzert)

Vielleicht war es das Interview mit Martin Seliger von den Shitlers auf der Seite des KAPUT-Magazins, das mich darüber nachdenken ließ, eventuell mal wieder eine Printausgabe des Renfield-Zines in Angriff zu nehmen. Oder gar ein Buch? Man wird sehen.

Allrdings weiß ich nicht genau, wohin das hier führt. Das Interview handelt von der neuen Shitlers-EP und einem Song, der "Wolfgang Wendland" heißt. Darin geht es, wenig überraschend, um den Sänger der Kassierer, der sich in den letzten Jahren immer mehr zum grumpy old Punk-Dude entwickelt hat. Die Kassierer werde ich hier nicht weiter vorstellen, Wikipedia hilft im Notfall. Ich fand diesen Artikel deshalb interessant, weil er mich auf ein Thema zurückführte, dass mich schon öfter in den letzten Jahren durch den Kopf gegangen ist: Das Älterwerden in subkulturellen Kontexten.


Ganz klar liegt aus meiner Perspektive das Altwerden als Punk/Punkrocker*in und angrenzenden Szenen im Fokus. Es stellt sich ja die Frage: Wie wird man da alt, ohne sich lächerlich zu machen? Wie kann man als Punk/Punkrocker*in (ob diese Unterscheidung notwendig ist, wäre auch noch zu diskutieren) altern, wenn man diese beiden Aspekte - unvermeidliche körperliche Verschleißerscheinungen und eigenes subkulturelles Selbstbild - miteinander vereinbaren will und mit sich selbst im Reinen sein möchte?

Ich selber würde mich nicht mehr als Punk bezeichnen. Dafür bin ich mittlerweile von Szeneaktivitäten zu weit weg und ich finde auch diese Beschränkung auf bestimmte Codes, Outfits, Musik und Menschen, mit denen man Zeit verbringt, eher einengend. Sympathisant aber sicher noch. Und naja, vielleicht ist es mittlerweile die Einstellung, als das Outfit.

Allerdings gibt es sicher einige Ü50er, die lange in der Szene aktiv und unterwegs sind und sich selber immer noch als Punk bezeichnen würden. Aber wie kann man die unvermeidbaren körperlichen Veränderungen mit einer doch eher auf einen jungen Metabolismus (Lange feiern, laute Konzerte, Festivals, Drogen, Fokus eher nicht so auf regelmäßigen Lohnjob, kein Gedanke an Altersvorsorge, offensive Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen) zugeschnittenen Lebensstil vereinbaren? Wie geht man damit um, wenn man erlebt, dass diese rebellische Bewegung, die zum eigenen Selbstverständnis gehört, eigentlich immer mehr an Relevanz verliert?


Gibt es ein Rezept, dass eine*n davor schützt, sich ab eine bestimmten Punkt nicht einzuigeln und zurückzuziehen, in Nostalgie zu verfallen und als Referenzen nur die eigene, vor 20 Jahren in ihren Grundfesten gebaute Plattensammlung zu sehen? UND sich eine Offenheit gegenüber neuen Strömungen in der Szene zu behalten? Neueinsteiger*innen nicht mit Platzhirschgehabe (das gender ich jetzt mal nicht) wegzutreten? Gibt es einen Weg auch mit Mitte 50 und Wampe im Youth-of-Today-Shirt nicht lächerlich auszusehen? Auch neue Aspekte der eigenen Persönlichkeit zuzulassen, dei eigentlich nicht zum Punkimage passen? Was machen eigentlich die 60-Jährigen Skinheadfrauen so? Die alten Metaller (wobei ich Metal eine der wenigen Szenen sehe, wo ältere Menschen recht gut integriert werden)? Und die Ü60-Gothics?

Nun ist es nicht so, dass Punk das Thema Alter beziehungsweise Älterwerden thematisch ausgespart hätte. Songs darüber gibt es einige und aus den meisten spricht die pure Angst:

"I don't wanna grow up" (RAMONES)

"Ich will nicht älter werden" (BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, oder auch gleich die ganze Platte "Jung kaputt spart Altersheim)

"GRUPPENSEX IM ALTERSHEIM" (Alter Deutschpunksampler, bezeichnenderweise auf einem Label namens "Live slow, die old" erschienen, und eigentlich der Titel eines Songs von den 3 Besoffskis. Keine Punkband.)

"Alt sein" (PISSE)

"What will it be like, when I get old?" (DESCENDENTS)

"Live fast, die young" (CIRLE JERKS)

"Jetzt kommen die Jahre" (DIE SCHWARZEN SCHAFE)

Alles Tracks, die bekannt sind, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Aber diese Songs sind alle entstanden, als die Bands noch voll im Saft und jung waren, und das Thema Alter eher negativ bis ironisch betrachtet wurde. Und sie sind alle schon mindestens schon 30 Jahre alt. Kam danach nie wieder was aus Punk-Hausen?

Was noch dazu kommt, irgendwann: Die Sache mit der Geriatrie. Wie willst du als Punk-Opa mal gepflegt werden, wenn's alleine nicht mehr geht? Oder als HipHop-Oma? Oder als Techno/Electro-Nerd, der sich an den sedierenden Schlagersoundtrack in der Altersresidenz nur schlecht gewöhnen kann? Was, wenn du dein Leben lang vegan gelebt hast und der Mobile Soziale Hilfsdienst bringt dir jetzt mindestens 1x die Woche Sauerbraten mit Klößen oder Tote Oma? Oder schütteln wir alle unsere über Jahrzehnte geformte Szene-Identität einfach am Eingang vom Pfegeheim ab und lassen uns widerstandslos in beigefarbene Übergangskamotten und Gesundheitsschuhe stecken?

Wahrscheinlich wird eh alles nicht so schlimm. Möglicherweise schleicht sich eine gewisse Gelassenheit und Altersmilde ein, eine gewisse Freude an anderen Dingen als Lederjackendesign, Iropflege und Abkotzen über Dinge, die man eh nicht ändern kann, Schweinesystem und so. Aber ihr merkt: Die durch Punk lange mittransportierte Angst vor dem Altern, dem damit einhergehenden körperlichen Verfall und Identitätsverlust schwingt immer noch in diesen Zeilen mit.


Können die subkulturelle Identität und damit verbundene Lebensweisen, die du dein Leben lang entwickelt hast, komplett über Bord geworfen werden, weil in den vorgesehehen Pflegestrukturen diese Gewohnheiten gar nicht eingeplant sind? Kann darauf in einer Pflegeeinrichtung Rücksicht genommen werden? Ist dort überhaupt ein Verständnis für alternative Lebensstile vorhanden? Oder, und das wäre ja vielleicht das schönste: Gibt es schon subkulturelle, selbstverwaltete Altersheime, Mehrgenerationenhäuser oder ähnliches? Früher wurden AJZs und das Leben in Hausprojekten am laufenden Band organisiert, warum sollte das nicht möglich sein, Wohnformen für Greis*innen zu entwickeln, die auf eine subkulturell geprägte Biografie Rücksicht nehmen? Ein subkulturelles Avalon oder Shangri-La, wo die Punks alt werden dürfen, wie sie möchten.

Dass die Peitsche des Alters erbarmungslos knallt, habe ich selber vor ein paar Jahren erfahren. Wie es häufig so ist, durch eine Krankheit. Gicht war die Diagnose. Gichtanfälle sind große Scheiße. Aber die Krankheit ist gut behandelbar und wenn man sich nicht zu blöd anstellt, kann man damit gut leben. Aber: Alkohol ist halt nicht mehr drin, Fleischkonsum wird ebenfalls sehr eingeschränkt.

Ehrlich gesagt, finde ich das gar nicht so schlecht. Saufen wurde mit zunehmendem Alter eh immer anstrengender und spaßloser. Mittlerweile ist es zumindest in Berlin, auch akzeptiert, dass man keinen Alkohol trinkt. Ich merke allerdings auch, dass viele Anlässe, zu denen man sich früher getroffen hat, oft über Alkohol funktioniert haben und so manche durchzechte Nacht ins Mythische erhoben wurde, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Ewig lange Nächte in Punkrock-Kneipen und -Clubs von Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind für mich jetzt nicht mehr so spannend, deshalb hänge ich da auch eher selten herum. Ein gewisser Rückzug aus Szenetreffpunkten geht damit einher, aber ehrlich gesagt, gefällt mir das ganz gut. Und ich liebe es total, morgens wach zu werden und keinen Kater zu haben, der mich drei Tage begleitet. Vor 10-15 Jahren war das noch komplett anders.


Also: Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. Das ist natürlich alles sehr auf Punk/Indie-wasweißich bezogen. Interessant wäre es sicher auch, das ganze nochmal in Bezug auf Männer und Frauen zu betrachten. Altern Frauen in Subkulturen anders als Männer? Werden sie anders wahrgenommen? Und was noch gar nicht so gesehen wurde: Wie geht man als Punk-Opa denn mit Altersarmut um? Denn die ist ja auch mit dem Thema Arbeit und der punkimmanenten Verweigerung derselben verbunden. Bestimmt kein uwichtiges Thema für die alten Punks, die sich im Rentenalter immer noch prekär mit dem Jobcenter rumschlagen müssen, weil die Rente eben nicht reicht.

Soviele Fragen. Ich denke, es wird Zeit für eine Publikation.

Eigene Ideen und Gedanken zu dem Thema? Bock, mitzuschreiben? Einfach eine Mail an renfield-fanzine@hotmail.de schicken.

Gary Flanell

Donnerstag, 15. August 2024

Schön, wenn die Chemie stimmt Pt. I


MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES

Das österreichische Duo Claussen-Klement, auch bekannt als DUO 3-KANAL (zu zweit in Korrespondenz mit einer Lautsprecherbox) stilisiert mit Alchemical Allures eine wohlgeplante Klang-Collage bestehend aus dinglich-zithrig-vocaloiden Geräuschfetzen, flatternd in einem elektro-ätherischen Corpus. Durchdacht arrangiert, auch wenn sich der Sinn dessen nicht unmittelbar erschließt. Aber das ist womöglich schon die titulierte Alchemie, die ja auch undurchsichtig und umstritten ist.
Alchemie, das ist die mittelalterliche Stofflehre mit ihren unzähligen reaktiven Versuchen, ferner das Veredeln unedler Stoffe. Ob Claussen und Klement mit ihrem vierteiligen Album ein güldenes Erzeugnis vollbracht haben, soll im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein.

Alchemical Allures ist in vier Teile gliedert: Helium, Silver, Sodium und Neon, je sieben bis zehn Minuten lang. Unklar ist, ob diese chemischen Elemente bereits das Produkt sein oder als Reaktant herhalten sollen. Helium beispielsweise ist zwar kein Gold, aber immerhin ein edler Stoff, nämlich ein Edelgas.

Helium, altgriechisch für Sonne, eröffnet den Ohren einen tatsächlich hörbar hell beschienen Wiesengrund mit Grillengezirpe und Wind im Hintergrund. Die Stimmung indessen wird schnell düster-schaurig, ob der claussen’schen Lippenbekundungen: Hauchen, pressiertes Gluckern, Piep und Plopp, Hecheln und flinke Zungenakrobatik. Eine schizoide Mischung aus Erotik und Horror, aus indigenem Kauderwelsch und Würgereiz. Derweil klackert Klement grazilen Schrittes auf kühlem Grund durch einen fernhallenden Korridor und ergänzt die Naturelle mit maschineller Kulturstruktur.


Silver, das argentische Übergangselement, erklingt sofort als das, was es ist, als Metall, hier spiraliert und verschieden dick aufgetragen. Man kann sich gar einen silbernen Vogel vorstellen, der routiniert durch seine Metallfedern schnäbelt. Dabei schrammelt und döngelt es anmutig, das Federvieh bürstet dabei schwingelnd über den Boden, stößt mit seinem Bürzel hin und wieder an einen Becher oder an eine Klangschale, aber viel mehr passiert eigentlich nicht.

Sodium brummt. Sodium knistert. Dies reine Element, auch Natrium genannt und auch ein Metall, scheint sich dick- und dünnflüssig durch etwas zu winden. Hier dominieren die elektrischen Frequenzen, viel Strom, sowohl solo also auch angenehm resonant in verschiedenen Tempi. Überraschend ineinander fallend in die sämig-wogenden Elektronenteppiche wispert erneut die bereits bekannte Stimme hie und da, von links nach rechts, von hinten nach vorne, ähnlich schizo-schrill wie in Helium, doch diesmal inmitten eines großvolumigen Rauschens, das wie Sodbrennen durch die Röhren der Mensch-Maschine blubbert.
Eine Reise durch das Innere, achtsam aufgebaut, füllig verwoben und am Ende fummelt ein blonder Barde auf seiner Laute zum Geleit durchs Gedärm Groß aufgebaut, ganz seicht ausgeblendet mit pfiffelndem Tön und in Folge dessen doch nur ein feuchter Furz.

Neon schließlich ist die vierte Komponente und wiederum ein edle, ein Edelgas und insofern im gleichen Aggregat wie der alchemistische Auftakt. Zurückhaltend und argwöhnisch begegnen sich Metallquellen und perkussive Rascheleien. Ein bisschen Stimme, ein bisschen No-Input-Mixing, ein bisschen Rausch, ein bisschen Plastik, ein Gong, der nicht gongt, überspannte Saiten und Kling und Klang. Eher abwechselnd und tatenlos, so wie das reaktionsträge Neon in seinem ureigensten Element. Der Schluss geriert zaghaft zur geigenhaften Horrorfilmbegleitung, aber finalisiert das Album mit offenem Ende und erschöpftem Fragezeichen.


Ist die Transmutation gelungen? Das Opus magnum, der Stein der Weisen, ist dies wohl nicht. Alchemical Allures hört sich weniger wie Musik und mehr wie eine Performance an.
Als Sound-Installation für eine Kunstausstellung, wo in einem weißen Raum Grasbüschel, Federn und Zweige an einer Schnur von einem Motor im Kreis gezogen werden und eine groteske Puppe dazu tanzt und launenhafte Phrasen tönt, ist dieses Klangerlebnis besser verortet. Eine Mixtur aus artifizieller Inszenierung und Kontemplation bis hin zum Allerlei, denn nur allzu oft und besonders in Silver werden an sich schöne Sounds weitestgehend brav aneinandergereiht wie in einem Hexenkessel, in den Elemente geworfen werden, die sich schlechterdings kaum verbinden lassen.
Das großräumliche der elektronischen Komponenten und die zumeist effektlosen perkussiven und vokalen Elementen stehen sich zu singulär gegenüber und lediglich in Sodium bricht die Membran auf und breitere Teppiche entrollen sich zu einer verwobenen Melange. Alles andere klingt gekünstelt und ist darob Kunst, aber es hat gleichsam einen unauthentischen Beiklang, der zuweilen vorführend und gar besserwisserisch rüberkommt.

Ist das Wiener Schmäh oder arrangierte Scharlatanerie? So allüresk die Kompositionen auch sein mögen, sie fügen sich ein in ein versuchungsreiches Konzeptalbum ritueller Elektrokunst: Alchemical Allures ist ein fundiertes Klangexperiment von Martina Claussen und Katharina Klement, eine intellektuelle Akustik-Performance zweier Künstlerinnen aus Österreich.

Gustav Roland Reudengeutz

MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES ist auf Ventil Records erschienen.

Donnerstag, 8. August 2024

Schön, wenn Psycho Analyse noch Musik macht Pt. II


Brezel Göring & Psychoanalyse -
Friedhof der Moral

Er hat es wieder getan.

Trug sein erstes Solo-Album noch den Namen „Psychoanalyse (Volume 2)“, so hört nun beim Nachfolger gleich mal Brezel Görings Begleitband auf selbigen.
Ok, ohne „Volume 2“, das wäre aber auch ein wenig zu absurd. Hinter der Band verbirgt sich eine illustre Truppe durchgeknallter Untergrund-Musiker, die Kreuzbergs Punkprinzessin zielsicher um sich geschart hat.
Die bringen sich da alle mehr oder weniger mit ein und sorgen somit für einen kongenialen Stilmix, den man so in dieser Form ein zweites Mal vergeblich suchen muss.

Auf „Friedhof der Moral“ trifft Punk auf Pop, Disko auf Polka, Trash auf Blues. Brezel hat außerdem ein Faible für klassische Musik und natürlich und vor allem für den französischen Chanson.

Hat der Tod von Françoise Cactus und damit das Ende von Stereo Total eine riesige Lücke in die Berliner Musiklandschaft gerissen, so darf man doch ausgesprochen froh sein, dass Brezel nicht aufgegeben hat und weiter musiziert. Dass er an diesem Verlust allerdings fast zerbrochen wäre, kann man seinen Texten doch gelegentlich anhören. Normal ist hier gar nichts, abgründig eigentlich alles. Immer wieder gewährt Brezel Einblicke in die Tiefen seiner Seele, die Perversionen seiner Sexualität (wenn es so etwas überhaupt gibt) oder seine Vorliebe für berauschende Substanzen.


„Tilidin“ könnte auch fast eine Liebeserklärung an die Angebetete sein. Aber nein, es geht nicht um eine Frau oder einen Mann, sondern um das Mittelchen. Darüber hinaus laufen einem auf diesem Album „Feuerlöscher“ über den Weg, führt einen die Reise nach „Tschernobyl“ oder lässt es den Hörer auf dem „Friedhof der Moral“ erwachen. Eine Tour de Force in die Niederungen des menschlichen Seins. Und das macht dabei stets unheimlich viel Spaß.

Denn eines ist und bleibt Brezel Göring in erster Linie: Ein begnadeter Entertainer, der sein Publikum einfängt, mitnimmt und dann irritiert zurücklässt. So auch auf diesem grandiosen Meisterwerk mit dem formvollendeten Titel „Friedhof der Moral“.

Abel Gebhardt

BREZEL GÖRING & PSYCHO ANALYSEs Album "Friedhof der Moral" erscheint am 20.09. als Vinylchen, Silberling und Kassettchen auf Stereo Total Records/Flirt 99 erschienen.

Mittwoch, 7. August 2024

Sex-positive alien amoeba entity


CUMGIRL8 - KARMA POLICE (Single release)

Die Überschrift mag verwirrend sein, aber so bezeichnet sich das Kollektiv (um mal den Begriff Band auszutauschen) cumgirl8 aus New York selber - wenn man Wikipedia glauben möchte. Ich möchte Wikipedia jetzt mal glauben und bin gespannt wie sich das erste cumgirl8-Album auf 4AD in gänze anhört.

Morgen gibt es schon einmal die erste Single "Karma Police", ist kein Radiohead-Gedöns, was ein Glück. Sondern eher ein interessantes feministisches Post-Punk-Wave-irgendwas-Projekt. Multimedia muss noch erwähnt werden, denn cumgirl8 machen nicht nur Musik, sondern sind auch im Bereich Film, Publishing und Fashion unterwegs. Alle machen alles, also. Ich hoffe, ihr verzettelt euch dabei nicht.


Was bisher auf Youtube rumschwirrt klingt schicko! Viel 80ies-Wave klingt hier durch, hier etwas Siouxsie da etwas Delta 5 und ein bissl von dem Mo-Dettes. Bald kommt also das Debut-Album "the 8th cumming"auf 4AD. Da geht's dann um das Konzept Cyberfeminismus, das die Beziehung zwischen Mensch, Maschine, Natur und Technologie im Blick hat. Klingt irgendwie spannend nach Utopie, sowas kann die Welt ja derzeit ja ganz gut gebrauchen. In so eine Musik verpackt, erst recht.

Wie gesagt, morgen 08.08., ab 16 Uhr hochoffizielle Videopremiere von cumgirl8s Video-Single Karma Police hier.

Donnerstag, 1. August 2024

Schön, wie vor 10 Jahren Musik gemacht wurde Pt. I2XU


SLEAFORD MODS - DIVIDE AND EXIT 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks)

2014 war ich in Berlin unterwegs. Die Dinge liefen mal so, mal so. Meist eher so. Die Sleaford Mods wären ein guter Soundtrack für eine leicht prekäre Berliner Existenz gewesen. Ich war dafür allerdings nicht so wirklich offen. Natürlich habe ich damals irgendwas von diesen beiden mitbekommen, die wurden damals ja sehr abgefeiert, auch und viel von diversen Punkpublikationen, obwohl das musikalisch kein herkömmlicher Punkrock war.

Die Anschlußfähigkeit an unsere liebste Motz-Rum-Subkultur kam bei Jason Williamson und Andrew Fearn wohl eher vom Auftreten und der Einstellung, die sie an den Tag legten. Die beiden Typen sahen aus wie leicht angegangene, mürrische Clubgänger, damit hätten sie auch gut in die Fortsetzung von Trainspotting gepasst. Dazu kam dieser Minimalismus, der fast schon dreist oder auch provokant zu nennen wäre. Nicht zu vergessen: Die recht gute Vernetzung im DIY-Punk-Kontext, die Sleaford-Mods-Single "Bambi" erschien 2013 auf X-Mist Records, Armin Hoffmann wusste es halt schon immer.


Was da passierte, war in seiner Dreistigkeit schon sehr Punk: Einer von den beiden schießt am Rechner die Elektrotracks ab, der andere nölt dazu in breitestem britischem Slang über alles und jeden rum. Über die Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation an sich. Britisches Englisch hat eh launenunabhängig eine charmante Melodie und nun flucht da einer rum, eben zu Billo-Beats und einfachen Basslinien, die am Rechner zusammengebastelt wurden. Dazu wird ungelenk über die Bühne gehupft. Das haben auch die verstanden, die nicht jede Zeile verstanden haben.

Die Musik ist das Vehikel, möglicherweise kein besonders luxuriöses. Aber eins, das funktioniert. Eins, mit dem hervorragend die frustigen Lyrics über alles, was damals in GB im alltäglichen Leben der nicht ganz so Privilegierten schieflief, transportiert werden. Da Punkrock seine Relevanz und Schärfe als Mecker-Medium im Laufe der Jahrzehnte verloren hat, brauchte es eben eine neue Herangehensweise. Denn zum Motzen gibt es immer noch genug, also warum nicht mal neue Methoden ausprobieren? Auf musikalische Filigranität wurde geschissen, auch auf eine Besetzung im herkömmlichen Rock-Sinn und das ist ja schon mal sehr Punk. Scheiß auf Gitarren, scheiß auf Instrumente, scheiß auf Songschema oder tricky Strukturen. Aber live auch sehr unterhaltsam. Also Haken dran.


Weil soviel textreich rumgemeckert wurde und die Songs dann auch einfach nach einer bis drei Minuten einfach aufhörten, sind SLEAFODS MODS sowas wie eine Konsensband, auf die sich verschiedenste Gruppen einigen konnten: Punks und Indieloddels, die diese trashige, schlecht gelaunte und somit sehr nachvollziehbare Rangehensweise eben deshalb schätzten. Dazu Elektroconnaisseure, weil es nun mal eine erfrischend andere Art von Elektro war. Vielleicht auch ein paar versprengte Britcore-Überlebende, die ebenfalls die rohe, ungeschminkten Texte schätzten, weil es authentischer klang, näher dran war an der eigenen Lebensrealität und so gar nichts von gekünsteltem DickeHose-Gangster-Werdereichoderstirbdabei-HipHop hatte. Denn straßencredibel wirken die Mods auf alle Fälle. Eine Band, die Fans von The Fall und The Streets gleichermaßen abfeiern, kann nur interessant sein.

Davon ab krachen die Hits auf DIVIDE AND EXIT auch nach 10 Jahren wie eine Röhre Mentos in der Cola-Flasche: "Git some balls", "Tied up in Nottz", "Tweet Tweet Tweet", "Tiswas" oder "The Corgi" - alles Kracher, die sich schon jetzt schon ins Alzheimer-immune Gedächtnis der Popkultur eingeschrieben haben. Tanzte zu letzterem übrigens gerade nur im Bademantel durch die Plattenbauwohnung und hoffte, dass es laut genug war, damit die Nachbarn mitfeiern können.

Das hat natürlich alles seine Geschichte. DIVIDE AND EXIT war nicht das erste Album der Band, sondern schon das siebte. Sieben Alben von 2007 bis 2014, eine fast serielle Produktionsweise, alle DIY-mäßig rausgebracht, das zeugt von Hartnäckigkeit, jeder Menge Ideen und dem ziemlich tief sitzenden Glauben an das, was man tut. Man kann es ihnen gönnen, dass sie mit ihrem Scheiß abgefeiert worden sind. Eine Schritt zurückgetreten ist die Geschichte dieses Duos somit auch eine, die sehr gut in die mythenhafte Geschichtenbuch der Popkultur passt. Die Geschichte von den beiden Underdogs, die es mit dem, was sie kompromisslos tun, selber ikonisch geworden sind.


Das schöne an den Sleaford Mods ist natürlich, dass es einfach zwei Kerls in Freizeitsportkleidung (oder Campingplatz-Outfit) sind, die so auch seit 20 Jahren am Tresen in der Perspektivlos-Kneipe eines Berliner Vororts neben dir sitzen könnten.
Dabei sollten immer die gesellschaftlichen Umstände in Großbritannien mit in die Betrachtung der Band einbezogen werden. Thatcherism und die troslosen Folgen, die gerade abseits der Metropole London, wahrscheinlich auch in Nottingham, wo die Sleafords Mods herkommen, so richtig für sozialen Kahlschlag und Tristesse gesorgt haben. Es ist leicht zu sehen, dass damals nicht alles erstes Sahne war, und dass nicht wirklich was besser geworden ist - eh klar. Gründe zum Abkotzen gab es vor 10 Jahren genug und heute wahrscheinlich auch noch.

Dass es schon wieder 10 Jahre her ist, seit "Divide and Exit" erstmals erschienen ist, verwundert ein bißchen. Denn so einfach und billig das erscheint, was Williamson und Fearn machen, so zeitlos klingt es auch. Zumindest wenn man es in der Distanz von 10 Jahren sieht. Wer weiß, mit welchen Ohren das in 20 Jahren gehört wird.

Was irgendwie vorhersehbar war: Auch die Sleaford Mods sind nicht gegen die Strategien der popkulturellen Wiederverwertungsmühle gefeit. Zum 10. Jahrestag wird "Divide and Exit" also nochmal rausgebracht, auf Doppel-Vinyl, mit Bonustracks und Flexi-Disc (legt sowas eigentlich irgendwer wirklich auf den Plattenteller?). So werden die Plattensüchtigen geködert, damit die Zweitverwertung funktioniert.

Es sollen mit dieser Neuauflage wohl die damals Zuspätgekommen (das wären dann so Typen wie ich) oder Nochgarnichtgeborenen unter den Vinyljunkies von der Bushaltestelle am Plattenmarkt abgeholt werden. Für alle anderen, die Spotify-Zombies und Youtube-Nuckler, ist das eh alles immer und überall verfügbar und Menschen, die Musik meistens auf diese Art konsumieren, ist es wahrscheinlich auch egal, ob dieser Bonustrack jetzt verfügbar ist oder jener Track neu abgemischt wurde oder der Doppelvinylversion eine Flexidisc beiliegt.
Mir tendenziell auch, trotzdem freue ich mich, dass dieses Album nun wieder für einige Zeit als Vinylversion erhältlich sein sollte und das nicht zu Mondpreisen, die die Erstveröffentlichung wohl mittlerweile erzielt.

Gary Flanell

Sleaford Mods - Divide and Exit 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks) ist am 26.Juni auf Beggars Banquet erschienen.

Schön, wenn Melancholie zart dröhnt Pt. XXXVI


JOANNA GEMMA AUGURI - HIRAETH

Tastende Töne, zartes Dröhnen - behutsam baut sich die Musik auf, über die Joanna Gemma Auguri ihre Stimme schweben lässt.
Wehmut, Melancholie und tröstliche Vibrationen machen sich breit, während die Arrangements mit jedem Stück mehr Kontur annehmen.

Auf einen nebulösen Auftakt folgt lupenreines Songwriting im Schneckentempo – erst mal ganz ruhig hingetupft mit Bass, Drums und Slide-Gitarre. Unterschwellig omnipräsent und mitunter nur schattenhaft wahrnehmbar ist ihr Akkordeon. Wenn dann noch Piano und später gar Streicher und Bläser hinzukommen, hinterlassen sie minimale Fußabdrücke bei maximaler Wirkung (z.B. Gänsehaut).
In „Little Bird“ bäumt sich alles dramatisch zu orchestraler Drone-Kulisse auf, doch zumeist herrscht eine Stimmung der inneren Einkehr und Selbstbefragung.



Dieses wohltemperierte Album lässt sich prima zwischen Mazzy Star, Chelsea Wolfes stilleren Arbeiten und Beth Gibbons & Rustin Man einsortieren.

Sun Ra Bullock

Joanna Gemma Auguri – Hiraeth

Donnerstag, 25. Juli 2024

Schön wenn junge Menschen Musik machen Pt. XIXXDIX

Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1

Der kanadische Produzent Scott Monteith, a.k.a. Deadbeat, war investigativ im Urlaub und vertonte diesen geräuschvoll in seinem neusten Album The Lichen Diaries Vol 1.
Nebulöse Schleier, durchschnitten von wirren Lichtsäbeln vor einem seichten Regenbogen über der Gischt karibischen Gewässers, gerahmt von mattgrünen Palmen zieren das Cover: Die Dominikanische Republik. Inmitten dieses Arrangements erkennt man bei näherem Hinschauen den Fuß eines Bürostuhls nebst lässig schlängelnden Kabeln, eine mögliche Andeutung auf Reminiszenzen in Monteith’s Tonstudio.
Hier zeigt sich bereits das Spannungsfeld, das in The Lichen Diaries auch akustisch aufgemacht wird, nämlich eine sehnsüchtige Robinsonade inmitten palmenverklärter Herausforderung menschlicher Existenz, die ihre räsonable Verhaftung im artifiziellen Kulturbombast funktionaler Differenzierungen nimmer leugnen kann.

Das Album beginnt mit Grillen und Dschungelgezwitscher, vermischt mit desinteressierter Anthropo-Akustik. Hie und da eine Klangschale auf einem ätherischen Synthteppich angeschlagen. Es könnte mondäner Ashram-Ambient werden, doch dafür fehlt die Geduld. Brutzeln und Gluckern flankieren die Drive-Thru-Meditation und in den Teppich werden mit heißer Nadel Orgelmuster in Overdrive-Optik gestrickt. Rhythmisch gekämmtes White-Noise trachtet hintergründig danach, wellenwogengleich einzulullen, doch plötzlich stöbert eine 303-Bassmelodie unentschlossen durchs Dickicht und dann ist es auch schon vorbei.


Im zweiten Track, der sich wie alle anderen Titel nahtlos einreiht, nimmt die Reise Fahrt auf. Four on the floor, aber mit Barfußschuhen! Lieblich-hüpfend breit-verhallte Dub-Kicks, auf der sich unisono eine kurz angeschlagene Hammond dazu gesellt. Hier fühlt sich Monteith sicher, der als Deadbeat Einiges im Dub-Genre veröffentlicht hat. Die dubbigen Fußstapfen hinterlassen ihre forsche Spur aber immer noch inmitten des krissligen Dschungelambientes, über dem sich gewitterwolkig und Blitze zuckend Turbulenzen ankündigen, von denen der Hörer jedoch unerwartet filterout verschont bleibt.

Nun wird es noisy und alles geriert zu einem großen, sämigen Flatsch; als wenn sich ein erhabener Geist aus der grünen Hölle erhebt und Petrus die Stirn hinbietet, unterstützt von ein paar Tropenholz schlägelnden Jüngern. Wer will da schon noch regnen? Leider sind die anheimgestellten Synthieklänge, dröhnend geboostet, etwas ungestüm gelevelt und holpern eher in die sonst spannende Melange aus Ambient-Flow und metallisch-zirrender Äther-Elektrik.


Der Drone-Sound tönt weiter, jetzt versöhnlerisch mit dem Wettergott, besänftigend, träumerisch, mit friedlich-indigener Resonanz. Ab der Mitte des jetzigen Tracks werden die Felle von Big-Toms zum Zittern gebracht und verleihen der Zeremonie eine Prise Weisheit, die schließlich sanft und mit weniger Delay im Synth tippelnd ausklingt.
Es klärt auf. Das Gewitter war nur eine Drohgebärde. Der Dschungel brüllt sein üblich schrilles Fundament. Eine dünne Melodie tanzt zitternd mit verstörtem Orientierungssinn um eine sich in Trance befindende Bassline – quo vadis? Ein Dialog zwischen Timbre und Shape mit einem Quäntchen Acid.

Das Ende naht und endlich: Ein Sonnenstrahl durchsticht das firmamentale Dickicht und ein jungfräulicher Wind durchstiebt die Wogen vor der atemberaubenden Küste karibischer Jahresurlaubs-Silhouette. Leise Zweifel strömen kristallin-sphärisch präfrontal, ergießen sich im Lappen der Erkenntnis erratisch – wie lange wird man hier noch stranden können? Aeroplane Strings in stereo-strato-cirrus. Soundtechnisch der schönste Teil im Album, das aus- wie einklingt, mit egalitärem Personen-Polter.


The Lichen Diaries ist eine knappe Dreiviertelstunde Field Recordings eingekleidet mit allerlei Synthesizer-Gewändern. Hin und wieder rhythmisch untersetzt, meistenteils aber befreit von Beats. Eine geräuschvolle, zweifelsschwere und gleichsam zweifelsleichte Kulisse, vor der man sich gern, doch stets argwöhnisch durch das Noisy-Nature-Ambient-Theater treiben lässt, veröffentlicht im April 2024 auf BLKRTZ.
Bar der üppigen phonetischen Andeutungen in The Lichen Diaries, die so viele namensgebende Assoziationen zulassen, benennt Monteih die Tracks übrigens lediglich im akademischen Duktus von 1.1 bis 1.6 und macht somit abermals einen Fingerzeig auf den Habitus der technokratischen Welt, aus der er kommt und mit deren Maschinen er hiesiges Album kreiert hat, das dessen zum Trotz ein Echo eines ehemals unbefleckten Naturparadieses erklingen lässt.

The Lichen Diaries – Die verflochtenen Tagebücher. Vol 1 – das lässt hoffen auf weitere Reisen von Scott Monteith, an denen er uns teilhaben lässt, den Hörer dabei aber immer auch zu sich selbst führt.

Gustav Roland Reudengeutz

Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1 ist im April 2024 auf BLKRTZ erschienen. Alles weitere von Scott Monteith hier.

Donnerstag, 18. Juli 2024

Schön, wenn es noch einfarbige Alben gibt Pt. MLX


EASTIE RO!S - Das Braune Album

Die geistern ja auch schon länger durch die Berliner Konzerträume. Habe sie aber zwischendurch immer mal wieder aus den Augen verloren. Wobei ich auch sagen muß, dass mich die EASTIE RO!S mich bisher nie so ganz gepackt haben.
Das war halt okayer Punkrock mit ziemlich deutlichem 77er-Einschlag. Die ganze Combo hatte äußerlich so eine sehr typische Punkrock-Optik. Glaube, das hat mich damals eher abgetörnt, weil's so was uniformes hatte. Mittlerweile bin ich schon froh, wenn es so ein Outfit noch gibt.

Dann gibt's noch den Kalauer-Namen, und das fand ich leider damals schon fad, weil es ja doch immer wieder Combos gab, die das gemacht haben: Beck's Street Boys, Vier Blonde Nonnen, Thrashing Pumpguns, sowas halt. Diese nahe am Original bleibenden Wortwitzbandnamen finde ich bis heute eher abtörnend, weil das auf dem Dorf echt jede zweite Trottelkapelle gemacht hat. Das sind natürlich alles sehr oberflächliche Einschätzungen, aber sowas kann einem schon das Bild von einer Band verhageln.

Aber die EASTIES, wie ich sie hier mal zärtlich nenne, stehen anscheinend auf tricky Referenzen. Das war schon bei ihren Peel Sessions so, ist beim Bandnamen so und nun eben Das Braune Album, allein vom Titel her. Ich sage nur Weißes Album, da ist das Braune natürlich ein wunderbarer Kommentar, ein schön gehässiger, die Kacke-Assoziation ist schon lustig. So sollte Punk öfter sein.


Dieses Braune Album hat mich dann doch etwas neugierig gemacht, vielleicht auch wegen der Tatsache, dass Jacke Schwarz (früher bei Corna Kruswa, hat auch eine spitzen Soloplatte gemacht) da jetzt mittut. Tut er das schon länger? Ich weiß es nicht. Passt aber gut.

Was zu sagen ist: Die EASTIE RO!S machen auf ihrer dritten Platte bei Tomaten Records (auch dazu findet sich ein lustiger Hinweis auf der Vinylversion. Auf die Beatles-Plattenfirma. Guckt nach.) immer noch Punkrock. Vom Beat her, von den Akkorden, den Strukturen der Songs, da geht nun gar nichts dran vorbei. Smells and sounds aber immer noch fresh. A bissl like RATTLESNAKE MEN, SHOCKS, BOTTROPS und auch so Früh-80er-Berlin-Punk wie z.B. ELEGANT. Diese geografische Verortung ist wahrscheinlich nur Assoziation, die mir hier die objektive Einordnung trübt. Ich komme nicht allerdings drumherum, es klingt schon sehr nach dieser Stadt.


Bei dem Punkrock-Rahmen, der hier gesetzt wird, ist zu sagen, dass das BRAUNE ALBUM schön abwechslungsreich geworden ist. Bei "Ignoriert und Isoliert" klingt die Gitarre erstmal glatt nach TURBOSTAAT oder einem alten Track der vielen Rachhut-Bands, bei "Abhäng im Weddding" gibt's einen unerwarteten Mundharmonika-Einsatz, der Lo-Fi-Take "George H." hat einen schönen Anti-Folk-Charakter und ganz am Ende das hübsche Piano-Snippet "Kleben geblieben" is auh super. Mit diesen kleinen hübschen Ideen und den Hits auf dem Braunen Album gefallen mir die EASTIE RO!S 2024 ziemlich gut.


Vielleicht auch, weil sie textlich sehr treffend zwischen eloquentem Rotz, einer gewissen melancholischen Grundstimmung und der Auseinandersetzung mit der Orientierungslosigkeit und Oberflächlickeit, die diese Stadt manchmal mit sich bringt, mäandrieren.
Das ist mir früher nicht so aufgefallen und reibt sich gut mit dem musikalisch nach vorne drängenden Gesamtsound. Wahrscheinlich ist es diese Mischung, die das BRAUNE ALBUM (kommt hübsch mit Prägung auf dem Frontcover) für mich derzeit sehr interessant macht. Ich wünsche mir jedenfalls, dass die EASTIE RO!S dafür mal eine Goldene Schallplatte kriegen. Irgendwann einmal.
Eilt ja nicht.

Bester Song: "Menschen aus Glas"

Beste Songzeile übrigens "Warum ist es so schwer, ein Arschloch zu sein?"

Gute Nacht.

Gary Flanell

Das Braune Album der EASTIE RO!S erscheint am 19.07.2024 auf Tomatenplatten. Releaseparty ist am 20.07. im Schokoladen. Wahrscheinlich schon ausverkauft, wenn ich das hier schreibe.

Donnerstag, 11. Juli 2024

Schön, wenn die Straße noch nach nirgendwo führt Pt. XIXIOXL


Let's talk about Sommerhits, oder überhaupt jahreszeitenbezogene Songkategorien:

Macht diese Einteilung im Angesicht des fühlbaren Klimawandels überhaupt noch Sinn? Oder könnte ich jetzt schon mal William Shattners Weihnachtsalbum in Schleife laufen lassen, weil egal, ob Dezember oder Juli, es ist ja eh bald immer und überall gleich warm.

Möglicherweise sind diese Bezeichnungen in ihrer Gesamtheit nur billige Tricks, um den Verkauf anzukurbeln Na, wer hätte das gedacht? Ich hab ehrlich gesagt, keine Ahnung, was in diesem Jahr ein großflächiger Sommerhit sein könnte, befürchte aber bei weiten Teilen der Bevölkerung könnte es ein neu vertexteter Hit von Gigi D'Agostino sein.
Für Menschen mit Geschmack und Stil, und an diese wendet sich der Renfield-Blog ja in seiner Gesamtheit, sei an dieser Stelle die neue Single "Road to nowhere" von den Amsterdamer Rhythm'n'Blues-Gangstern DOCTOR VELVET empfohlen.


Da finden sich knackige 50er-R'n'B-Latino-Swing-Anleihen mit halbstarkem Gangster-Touch, sehr präzisen Bläsersätzen, alles sehr retro gestaltet, aber so gut gespielt, dass es für einen Soundtrack eines Irgendwas-mit-Gangstern-Films von Tarantino reichen könnte. Ein Film, in dem zwei nicht sonderlich erfolgreiche Gangster durch L.A. fahren (oder auf den Grachten von Amsterdam) und irgendwas fieses für ihren Boss erledigen müssen. Vielleicht Vampire jagen oder Sklaven befreien.
Ein Film, den wir uns im Open-Air-Kino anschauen, dabei einen Aperol-Spritz oder ähnliches sommerliche Mixgetränk süppelnd, so süß und kühlend, dass wir gar nicht merken, wie besoffen wir sind, wenn der Abspann läuft. Für so einen Film würde "Road to nowhere", bzw. noch besser die spanische B-Seite "Camina hacia ningun lugar" spitze passen.

Spontan fallen mir noch Rolando Bruno und Nestter Donuts als Nachbarn in einer Playlist der "Road to nowhere" ein. Oder diverse latino-Garage/Vintage-Compilations von Munster bzw. Vampispl records. Da erscheint Docot Velvet übrigens nicht, sondern auf einem Label mit dem wunderbaren Namen Wap Shoo Wap Records.

Jetzt könnten hier noch Infos zu Tito Ramirez kommen, dem 'Prince of Spanish Soul,' 'The Kink of Mambo,' oder dem 'Ambassador of Boogaloo, naja wie auch immer (kurzer Check bei Youtube: schon ein cooler Typ) oder wie der Film, zu dem "Road to nowhere" den Soundtrack liefern könnte, sich in die derzeitige Fußball-EM-Atmo einfügt. Geschenkt.

Das könnt ihr Medienkompetenten entweder selber recherchieren oder mal selber in euch hineinfühlen, ob und wie dieser Hüftschieber zur Europameisterschaft passt. Auch wenn dieses Jahr kein Fußballgroßereignis wäre, könnte ich mir jedenfalls den neuesten Doc Velvet-Song bei einem kühlen Cocktail in der "heißen Jahreszeit" (Theodor Adorno) vor einer gemütlichen Bar in Kreuzberg sehr gut geben.

Doctor Velvet ( Featuring Tito Ramirez ) "Road To Nowhere" ist als 7" auf Wap Shoo Wap Records erschienen.

Gary Flanell

Donnerstag, 4. Juli 2024

Schöne alte Kürbiswelt Pt. I: Herr Nussbaum bei den Smashing Pumpkins


Kommen Sie, staunen Sie!

Aber seien Sie auf der Hut! Oder dem Schlapphut.

In einer entgeisterten Stadt, die noch weniger eine solche ist, als es angeblich Bielefeld nie war. Wo die unheimlichen Besessenen Geschäftetetris in einem Minto spielen.
Deren Altstadt so alt aussieht und kopfsteingepflastert immer bergab geht. Die zwei altertümliche Hauptbahnhöfe hat. Eine Honnschaft namens Kothausen und da in steinwurfweiter Nähe auch gleich Stadien, in deren einem aufgeblasene Ledersäcke mit Füßen getreten und in deren anderem kleine Kugeln mit Holzstöcken geschlagen werden.

Stadien des Grauens. Offene Riesengruselkabinette, in denen Teilnehmerurkunden vergeben, Ehrenurkunden jedoch stets verpasst werden. Es immer im Kreis oder Oval geht, Hindernisse hindern, Sand in den Turnschuhen, zwischen den Zehen und im Bauchnabel klebt. Dann wann anders überall Bratwürste, Bratwürste, Bratwürste und die Knautschplastikbierbecher sparsam gefüllt sind. All diese schlimmen Dinge, die passieren.

Gerne hätte ich Herrn Corgan gefragt, was seine Meinung dazu sei, nämlich zu Auftritten kurz vor dem Sommer und dem Vollmond auf einer Bühne in einer Hockeyarena in Mönchengladbach, aber fürs Renfield gab's leider Platzkarte statt Access All Areas, so dass ein klärender Austausch ausbleiben musste.

(DitisnatürlichnichinMönchengladbachaberinBerlinwasjasoziemlichdasgleicheis - der Setzer)

Mit Sicherheit wären die Anmerkungen des glatzköpfigen Vampirsängers bemerkenswert gewesen, jedenfalls verwunderte er sich seinerseits im Verlauf des Abends auch ohne Nachfragen zu Ort und Zeit über andere lokale Besonderheiten wie den Abriss der Berliner Mauer, zu Techno fickende Menschen und Fußball. Wenigstens bis sein Gitarrist ihm den Mund verbat und darauf hinwies, dass es hässlich sei, wenn er rede.

Lieber dann doch Singen und Musizieren. Und sogar Tanzen! Nicht ausdauernd, aber doch ein bisschen. Und durchaus ein wenig unheimlich, schließlich wars ja auch ein Vampirzirkus, der da gastierte.

Nachdem Interpol recht blass, vielleicht tatsächlich blutleer, abgeliefert hatten, wurden sie zügig wieder eingesargt und im Nightliner verstaut, und die Kürbisse kamen über Gladbach wie ein nostalgischer Schattenwurf.

Erst etwas knarzig, leicht steif in den Gelenken, dann aber mit gebleckten Zähnen und wehendem Umhang, deutlich mehr Lautstärke als Vorband und sich dauerunterhaltende Zuschauer, zu nicht unerheblichen Anteilen in frisch gekauften 90er-Jahre oder DFB-Shirts, und Jahrmarktsmengen an Licht.
Gegen den dann knapp zweistündigen Großangriff aus Oper, Stadionrock und Musikgeschichte halfen kein Kraut, keine Brezel und keine Klamottenverfehlungen.
Souverän bis bissig bis verquast saiten- oder trommelverliebt abgespacet ballerten SM in Nachfolge von unter anderem Olé Party, Roland Kaiser und Rod Stewart Ladung um Ladung Vergangenheit in das mit Mut zur Lücke gefüllte Arenchen, so dass im letzten Viertel der Heimsuchung immerhin die Ü50er ihre Sozialarbeiterfox aufführten.

Vielen anderen genügte dann aber wohl auch nur der Blick durchs Handy auf die veitstanzenden Bühnenlichter. Statt geballt zu werden, umklammerten Fäuste da lieber tsatsikitropfende Haufen Raspelfleisch, die es auf der kleinen Kirmes oberhalb neben Weißweinschorle, Sitzkissen und Merch zu kaufen gab. So gesehen alles sehr 2024.
Best of-Shows haben stets etwas von Raclette zu Silvester und Blättern im hinteren Teil der Sonntagszeitung, aber an diesem Abend unter der Woche unterhielt die in den letzten Jahrzehnten bestimmt schon hundertfach gespielte Horrorshow mehr als das Meiste in dieser Nichtsstadt das komplette Jahr über.

Insofern – besten Dank, Herr Vlad Corgan und auf Wiederhören, unerwartet in irgendeiner anderen Nacht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit andernorts.

Philipp Nussbaum

Donnerstag, 27. Juni 2024

Schön, wenn Leverkusen Hardcore dokumentiert wird Pt. IVX



...Like this! (Beyond Music: Lars, Nils, Axel, Jan, Volker, PQ" Part 1.)

Das Schöne am Schreiben für einen Zine-Blog wie diesen hier, ist, dass einem Aktualität komplett egal sein kann.
Klar ist es schön, neue, gerade erschienenen Platten zu besprechen, um ganz vorne dabei zu sein.
Aber mal ehrlich, notwendig ist das nicht.

Hier geht es nicht um Musikjournalismus, der eine gewisse Tagesaktualität als Anspruch hat, denn
1.) sollte Fanzine machen meiner Meinung nach nie einem Zeitdruck oder Aktualitätszwang unterliegen (wenigstens ein Medium sollte dem den Akteuren innewohnenden Slackertum gerecht werden) und
2.) verdient hier ja keiner Geld, ergo gibt es auch keinen Druck von irgendwelchen Werbekunden, dass man die oder jene gerade erschienene Scheibe besprechen müsste. Zeitnah am besten. Zeitnah. Ein ebenso schönes wie beschissenes Wort.

Was mich zu der vor mir liegenden Doppel-CD bringt. Die liegt hier schon länger rum, genauer gesagt, hat sie mir Jan vom TRUST 2020 zur Rezension zukommen lassen . Nun komme ich mal dazu, so kann's gehen. Geht es dann ja auch.
Also, was haben wir hier? Ein Zeitdokument könnte man es nennen, denn hier wird eine - oder vielleicht auch die? Keine Ahnung, ob es mehrere Szeneblasen da gab - Hardcore-Szene aus Leverkusen Mitte der 90er Jahre mit diversen Aufnahmen nachgewiesen.

Auf zwei CDs bekommt man einen ganzen Sack voll Aufnahmen von Bands wie John Hillerman (noch nie gehört), Beyond a Minority (kenn ich nicht), Leviathan (Noch nie gehört), Infamous Minds (kenn ich nicht), Melodic Coeroperation (noch nie gehört), Don't call me Nilsi (kenn ich nicht), The Optimist Club (noch nie gehört) La Pistola (kenn ich nicht), The Pomplautzki Expierence (???), U-Boot (noch nie gehört), Betty (kenn ich nicht), New Punkrock Elite (noch nie gehört), Die Pastellbrüder (Kenn ich nicht) geliefert.
CD 1 ist dabei ein Konvolut von Live-Aufnahmen, während CD 2 die Aufnahmen eines Tapesamplers namens "FVS goes Heavy" und eine Single namens "Fuck Music for Fuck people" zusammenfasst.

Musikalisch erinnert mich das schon an das, was Mitte der 90er oft in NRW, in den Vororten, den Reihenhaussiedlungen zu hören war. Wütender HC, der Art, wie man ihn auf Festivals wie dem Dynamo oder ähnlichem zu hören bekam, melodischer Punkrock, weil alle gerade voll auf Bad Religion (das Cover ist eh eine Referenz an deren erstes Album) abfuhren, Schlager-Indie-Dada, weil alle Helge Schneider und das 70er-Schlager-Revival gerade toll fanden. Grindcore auch. Vieles mit einer irgendwie metallischen Gitarre versehen, die im Nachhinein echt dünne klingt.

Ich kann es mir richtig vorstellen, was für Klamotten dazu getragen wurden: Kapus und Shirts von Sick Of it All, Nirvana, Biohazard oder NOFX. Baggy Pants. Dazu grungy lange Haare und irgendwer hat immer sein Skateboard dabei gehabt.
Gesoffen und gekifft wurde wahrscheinlich auch und somit unterschied sich die John-Hillermann-Clique wohl nicht allzusehr von den 90er-Punkblasen in anderen nordwestdeutschen Mittelzentren.
Diese Compilation erinnert mich an den ersten Tapesampler, den ich je rausgebracht habe. Hieß "Hamm is just a 4-letter word" und sollte einen Blick auf die Indie/Punkbands, die eben aus Hamm/Westfalen, also meinem unmittelbaren Sozialraum, kamen. Da es dort keine einheitliche Szene gab, wurde es ein bunter Teppich aus Bands, die Metal, Punk, Indie, Fun-Punk spielten. Ähnlich wie auf dieser Compilation.

Wählerisch konnte man nicht sein und auch auf dem "..Like This"-Sampler ist es ähnlich. Teilweise sehr unterschiedliche Bands, die den oben genannten Genres entsprechen. Es ging mehr darum, den geographischen Raum musikalisch abzubilden, anstatt unterschiedliche Facetten einer Musikkategorie darzustellen. Was auch nicht möglich gewesen wäre, in Hamm genausowenig wie in Leverkusen, weil es eben zuwenig Bands von einer Gattung gab. Da wäre schnell Schluß gewesen mit Sampler machen. Aber so schöne Terence Hill/Bud Spencer-Intros hatten wir damals nicht.

Diese "Like This"-Doppel_CD ist in erster Linie eine nettes Nostalgie-Zuckerbrot für alle Beteiligten - augenscheinlich nur Typen, oder sehr wenige Frauen - ob sie einen größeren Wissensgewinn für die Darstellung von Punk in Deutschland in den 90ern darstellt, müsste man diskutieren. Ich nehme die Position "Wohl eher nicht" ein.

Aber vielleicht ist dies nur ein Teil eines größeren Panoramas, wenn der die deutschsprachige Indie/Punk-Musiklandschaft vor 25-30 Jahren dargestellt werden soll.
Ich versteige mich wohl nicht, wenn ich zumindest behaupte, dass es sich dabei nicht gerade um revolutionäre Klein-Szenen handelte, die musikalisch einzigartiges geschaffen haben. Wir waren halt pickelige weiße Mittelschichtskids, die ihren Spaß haben wollten. Das hat jeden ganz woanders hingeführt. So kann's gehen.

Gary Flanell

Donnerstag, 20. Juni 2024

Da kann aber die Band jetzt nichts für Pt. XXI

Meine Schulter riecht nach Teer. Zugsalbe. Hab da ein Pickel. Das riecht auch die Frau, die neben mir steht, denn sie schaut skeptisch zu mir rüber. Man riecht sich hier sehr schnell, weil der Frannz Club, in dem wir uns gerade befinden, ausverkauft ist.

400 Leute sind hier, und alle wollen NICHTSEATTLE bei letzten Konzert ihrer "Haus"-Tour sehen. Die Platte ist cool, ich hör mir das zuhause gern mal an, wenn ich was ruhiges haben will. Über die sehr gute "Fleißig"-Single habe ich mich ja schon vor einiger Zeit hier ausgelassen.


Ich bin hier allerdings eher zufällig, denn JENS AUSDERWÄSCHE von BAUMARKT spielt vor NICHTSEATTLE und hat mich auf die Gästeliste gesetzt. Der Frannzclub macht schon am Eingang nicht den sympathischsten Eindruck. Halbvolle Wasserflaschen müssen abgegeben werden, Kollege Huber wird es verweigert, ein paar Flyer seiner Bookingagentur an der Garderobe auszulegen. Die stellen sich ganz schön an hier.

Drinnen dann erster Halt bei der Frau, die meine Schulter riecht. Ich mag den Geruch von Teer und auch wenn der streng ist. Es ist ein geiler Gestank. Werde mich demnächst mal komplett mit Zugsalbe einreiben und dann auf einen Keller-Rave gehen.
Ich schiebe mich weiter nach vorne, um zu sehen, was JENS AUSDERWÄSCHE so auf der Bühne macht. Nur mit einer Akustik-Gitarre sitzt sie barfuß auf einem Hocker. Bringt ihre leicht verträumten, man könnte sagen, angenehm versponnenen Songs in den unsympathischen Club. Das Publikum klatscht nach jedem Song höflich bis zurückhaltend. Zugabe wird nicht gefordert.


Als NICHSTEATTLE anfangen, bin ich irgendwie rechts neben der Bühne an der Bar gelandet. Treffe dort YXILONIA, eine alte Freundin, bei der ich mich sehr lange nicht gemeldet habe. Dafür gibt's Gründe, aber die gehören nicht hierher. Wir kommen ins Reden, auch als NICHTSEATTLE den zweiten, dritten Song spielen. Wir reden über das Hamburger Internat und die dazugehörige Doku, über die gerade alle diskutieren. Über die Schluffiklamotten der Musiker*innen auf der Bühne, die so grunge-slacker-mäßig aussehen, wie ein Hamburger-Schule-Reenactement. Über die Tatsache, dass die Band recht jung ist, der Großteil des Publikums, aber recht alt. Wir ja auch. Warum die Band keine jüngeren Leute im größeren Maß anspricht. Warum wir nicht mehr in so komischen Tocotronic-Oma-Klamotten rumlaufen würden. Wir lachen recht viel.

Dann neben uns ein empörter Einwurf von links. Unsere Gespräch sei doch eher kontraproduktiv für die Atmosphäre. Wir sollen doch gefälligst mal ruhig sein.
Das kommt von irgend so einem Pferdegesicht in Adidasjacke mit Goldstreifen. Steht da mit seinem versträhnten Freund in Trainingsjacke rum.
Oha. Wir quasseln also zuviel und zu laut. Na sowas. Wir sind ziemlich baff, wegen der rüden Ansprache und der Tatsache, dass wir ja hier auf einem ausverkauften Clubkonzert sind, wo mit ein paar Hintergrundgeräuschen zu rechnen ist.

Ganz Sozialarbeiter versuche ich mich rasch an einem Perspektivwechsel. Wie wäre das, wenn ich auf einem Konzert wäre, und neben mir quatschen zwei Leute für mich zu laut? Wie ich reagieren würde, weiß ich nicht genau. Ich weiß aber, dass ich andere Leute nicht zurechtweisen würde wie eine doofe Deutschlehrerin. Wahrscheinlich würde ich entweder woanders hingehen oder das einfach akzeptieren.
Gehört zum Konzert mit 400 Leuten nun mal dazu, dass sich Leute unterhalten. Die Adidas-Jacke schaut uns nochmal böse an und gibt sich dann mit ihrem fransenhaarigen Boyfriend wieder der Atmosphäre hin. Wir wispern noch ein wenig, bis YXILONIA sich eine Sitzgelegenheit sucht.

Dieses Gemecker hängt mir nach. Meine Fresse, "Kontraproduktiv für die Atmosphäre". Ich war vorher schon genervt von einem langen Arbeitstag. Dann vom scheiß Prenzlauer Berg, der mir bei der Fahrt durch Husemann- und Sredzkistraße und seinen Edel-Restaurant-Altbaufassaden immer abgehobener und arroganter erscheint. Einem Stadtteil, der sich echt zum Schlechten entwickelt hat. Vom Frannzclub. Vielleicht bin ich auch einfach müde und deshalb schlecht gelaunt.

Und dann stehe ich auf einem Konzert, voll mit Leuten, die ich allein vor ihrer Art ebenso schnöselig und doof finde wie diesen Kiez und deswegen allesamt in diesem Reichenghetto Prenzlauer Berg wohnhaft verorte. Alle zusammen hier im Laden kriegen wir sicher 1000 Menschenjahre zusammen, ich nehme schon mal 50 davon. Trotzdem ist mir der Großteil dieser Menschen fremd und eigentlich finde ich 395 von den 400 Leuten in diesem Laden scheiße. Grundlos. Andererseits: Eigentlich mal wieder ganz geil, wegen nix Scheißlaune zu haben.

NICHTSEATTLE spielen derweil ihren zart-melancholischen Indie-Rock/Pop mit PJ Harvey-Versatz souverän runter. Da sitzt alles perfekt, kein schiefer Ton, kein versauter Einsatz, alles gut, aber eben auch keine Unberechenbarkeit. Sie sind so gut eingespielt, wie es am Ende einer Tour sein sollte. Eigentlich genau wie auf Platte. Tja.



Der Band ist kein Vorwurf zu machen, dass ich mich hier nicht wohlfühle. Eher dem Publikum. Ich finde die Pärchen scheiße, die bei den romantischen Klimpersongs nicht gestört werden wollen und damit eine angestrengte Atmosphäre kreieren, die nach Stock im Arsch riecht.
Ich finde aber auch die rücksichtslosen Typen scheiße, die sich wie selbstverständlich an allen anderen vorbei immer weiter Richtung Bühne bohren, OBWOHL offensichtlich kein Platz mehr ist und damit kleineren Menschen auch den letzten Blick auf die Bühne nehmen.
Wie gesagt, alles meine Alterskohorte, daran liegt es nicht. Ich befürchte, hier drückt mich eher der Klassismus, denn wir sehen hier ein eher gutbürgerliches Publikum. Gut gekleidet und frisiert, bissl alternativ, aber stilvoll, nicht zu schick, aber man kann das Geld schon erkennen.

PrenzlBergbewohner*innen halt. Leute, die in den Wohnungen sitzen, die NICHTSEATTLE meinen, wenn sie von "arschhohen Decken singen". Und die nicht verstehen, dass genau sie angesprochen sind. Leute, die auch "Bodentiefe Fenster" nicht verstehen würden. Keine Alkis, keine Kern-Assis im äußerlichen Sinn. Die wahrscheinlich auch Max Giesinger und den ganzen Deutschpop-Poetenscheiß gut finden. Und früher mal "die Tocos" (lach!). Und deshalb eben auch NICHTSEATTLE. Wegen der Musik, nicht wegen der Texte.

Das triggert was in mir. Eine große Abneigung gegen ähnliche Typen, gut gebildet, gut aussehend, gut verdienend. Meistens von Haus aus. Schick. Aber irgendwie auch unglaublich uncool. Langweilige Gestalten allesamt. Ich habe das Gefühl, der ganze Club ist voller Lehrer und Lehrerinnen. Sind im Frannz wahrscheinlich nur wenige, aber meine Knöpfe sind jetzt gedrückt: Ich find hier alle scheiße. Vielleicht finde ich deshalb auch den ganzen Prenzlauer Berg mittlerweile scheiße, und vielleicht ficken mich da meine Herkunft und meine Erfahrungen seit langer Zeit mal wieder ganz hart.

Irgendwann mache ich die Augen auf. NICHTSEATTLE bringen gerade den "Frau sein"-Song. Auch der voller Gefühl und zart gespielt, wie alles. Kennen hier auch alle und finden alle dufte. Die Sängerin hat schöne Hände, das sieht man beim Gitarre spielen deutlich. Die Musiker*innen alle nett und zurückhaltend, ganz ohne Posen. Ist das an sich schon eine Pose? Ich merke, dass mir jetzt schon zweimal im Stehen die Augen zugefallen sind. So spannend ist das hier. Wäre aber bei jedem anderen Konzert genauso. Also gehe ich, bevor ich komplett einschlafe. Zuhause lege ich eine Platte von LA TWAL auf. Das bringt Ruhe rein.



Wenn NICHTSEATTLE irgendwann wieder in kleineren Läden spielen, so mit 100 Leuten, alles ein bißchen stinkiger und kaputter, dann schau ich wieder mal rein. Aber sicher nie mehr im Frannz. Bis dahin reicht mir das auf Platte. Da kann aber die Band jetzt nichts für.

Gary Flanell

Donnerstag, 13. Juni 2024

Aus die Maus Pt. I


Ingo Scheel - Schlussakkord

Der Tod gehört zum Leben. Wissen wir alle.
Fun Fact: Der Tod gehört auch zur Popkultur. Beide gehen eigentlich schon seit den Anfängen in einer Beziehung durch die Zeit. Dabei ist natürlich das Tragödienhafte beim Tod eines Popstars das Wesentliche. Optimalerweise muss es ein Tod in jungen Jahren sein.

Klar, wenn der letzte Beatle an Alterschwäche stirbt, Keith Richards sein letztes Blues-Lick gespielt und Johnny Rotten zum letzten Mal rumkrakeelt hat, dann ist das auch tragisch. Aber anders. So tragisch, wie der Tag, an dem Oma und Opa stirbt. Irgendwann passiert es halt und damit müssen wir alle lernen, umzugehen. All die Musiker, die es über die Mitte 50 geschaft haben, sind halt nicht mehr so aufsehenerregend.

Es gibt Verschwörungstheorien, dass Elvis noch lebt und irgendwo in Texas als Tankwart arbeitet (naja, jetzt mit 89 Jahren wohl auch nicht mehr). Sowas gibt es beispielsweise von Tina Turner oder Johnny Cash nicht. Weil die halt alt und auf medizinisch nachweisbare Weise gestorben sind. Somit war damit zu rechnen.

Würde Taylor Swift in den nächsten zwei bis drei Jahren sterben - was nicht zu wünschen ist - will ich mir gar nicht ausmalen, was für absurde Theorien über ihren Tod oder dessen Vortäuschung ins Kraut schießen würden. Live fast, die young bleibt somit der beste Dünger für Pop-Mythen.


Also: Die Mythen und die Geschichten bilden sich um jene, die früh gestorben sind. Da das Leben als Pop/Rockstar immer eine ordentliche Dosis Exzess und Exzentrik beinhaltet, dazu oft eine grundlegende Unruhe, Weltschmerz, Depression und fiebrige Nervosität, inklusive der Neigung gute Ratschläge nicht anzunehmen UND der menschliche Körper für so einen Lebensentwurf eher schlecht gemacht ist, gibt eine Menge Künstler*innen, die schon früh und sicher oft unabsichtlich von der Bühne gegangen sind.

Hinzu kommt aus der Perspektive der Fans sicher die tragische Fallhöhe. Denn der/die Popstar hat aus dieser Sicht ja eigentlich alles: Aufmerksamkeit, Ruhm, Talent, meist jede Menge Geld und ein gutes Netzwerk, um bis in das Rentenalter weiter Musik zu machen. Dazu wird ihm/ihr oft die Freiheit zugeschrieben, ab einem gewissen Erfolgslevel, künstlerisch eh alles machen zu können, was man will, weil sich jeder Output sowieso millionenfach verkauft.

Und trotzdem: Wenn ein Popstar trotz all dieser Vorraussetzungen frühzeitig aus dem Leben gefetzt wird (Ich hörte Buddy Holly ist mit seiner Brille verwest, aber genau weiß ich das nicht), dann ist Tragik angesagt. Und die verkauft sich natürlich besonders gut.
Andererseits gehört auch dazu, dass ein Star, der früh gestorben ist, nunmal keinen Scheiß mehr produzieren kann. Ökonomisch zynisch und wunderbar zugleich. Die Hits werden in Erinnerung bleiben und mögliche experimentelle Peinlichkeiten sind nun ausgeschlossen. Ein Film, ein Biopic, eine Doku, ein Konzertmitschnitt, ja das geht natürlich nach einer gewissen Zeit auch immer.


Sagen wir mal 20 Jahre danach, das passt doch, da fangen wir jetzt mal langsam an zu planen, dann wird das spitze. Kunsthandwerklich topfitte Coverbands können dazu aus dem vorliegenden Werk ein auskömmliches Einkommen genenerieren. Des Popstars früher Tod ist also keine so schlechte Fügung, vom zynischen Hochstand der Marktwirtschaft betrachtet.

Wozu reflektiere ich das hier alles? Weil Ingo Scheel, umtriebiger Musikjournalist (u.a. Visions), mit "Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" eine unterhaltsame Sammlung von Episoden über tote Rockstars zusmmengetragen. Die Idee ist nicht ganz neu, aber genau deshalb ist es einen Blick wert, ob und was hier anders oder besser gemacht wurde.

Episodenhaft werden hier 30 popkulturelle Todesfälle dargestellt. Die Rahmendaten zu fast aller hier aufgeführten Personen kann man heutzutage bei Wikipedia abfragen. Ingo Scheel schafft es aber, die Lebens- und Todesumstände jedes Mal in kleinen Geschichten sehr unterhaltsam und bildlich darzustellen. Dass dabei die üblichen Verdächtigen (John Lennon, Janis Joplin, Jim Morrisson, Brian Jones, Whitney Houston) am Start sind, ist nicht verwunderlich.

Das schöne an diesem Buch ist, dass auch ein paar Menschen dabei sind, die halt nicht zum ewig gleichen Kanon der Jung-verstorbenen Popstars gehören: Mal Evans, Cathy Wayne oder Darrell Banks werden hier gebührend geehrt. Die sind eben oft nicht mit dabei, wenn man auf einer langen Autofahrt mal wieder das A-Z-Spiel der toten Rockstars spielt.


Auch schön die Tatsache, dass Scheel sich weder an ein Genre klammert, (von Metal über Rock/Pop, Soul bis zu Schlager ist alles dabei. HipHop allerdings gar nicht), noch eine zeitliche Einschränkung macht. Von den 50ern ins ins 21. Jahrhundert finden sich viel zu früh verstorbene Pop-Akteur*innen.

Was mich ein wenig irritiert, sind die Cliffhanger am Ende jedes Kapitels, die jeweils auf den nächsten Abschnitt im Buch hinweisen. Das ist sicher nett gemeint, allerdings bringt das manchmal auch einen gewissen "Geschichten aus der Gruft"-Trashfaktor mit rein. So nach dem Motto "Seltsam, aber so steht es geschrieben..."

"Schlussakkord" muss man nicht an einem Stück von vorne nach hinten lesen. Ich habe, wenig überraschend, mit dem Kapitel über G.G. Allin angefangen. Andererseits verführen diese Cliffhanger dazu, einfach weiterzulesen, obwohl man eigentlich nun mal was ganz anderes zu tun hätte. So lässt sich das Buch doch gut an einem Stück wegbingen. Es ist unterhaltsame, leicht morbide Lektüre, nicht zu verkopft und alles in schönen kleinen Häppchen verpackt. Dazu grafisch hübsch aufbereitet durch die stilvollen Schwarzweiß-Illustrationen von Oliver Schmitt. Quasi eine popliterarische Tüte Chips über den Tod. Hat man schnell weggemampft. Lecker it is.


Eine Sache, über die zu sprechen wäre, ist das Geschlechterverhältnis der Aufgeführten: 30 Texte sind drin, davon neun über Frauen. So richtig ausgeglichen ist das nicht, andererseits hätte das auch noch viel schlimmer aussehen können.
Ein Buch nur über tote Rockstar-Männer wäre aber heutzutage sicher nicht mehr zu vermitteln. Es ließe sich auch darüber nachdenken, ob und warum sich Männer im Pop-Business öfter ins Aus schießen. Wenn es dazu belastbare Zahlen gibt, würde ich vermuten, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Männer im Pop teilweise so hart sind, dass sie nur noch durch heftige Betäubung bis zum Tod auszuhalten sind. Was wiederum zeigt, dass das Patriarchat uns alle fickt. Frauen aber nochmal mehr als Männer, eh klar. Ok, vielleicht war es manchmal auch einfach unbedarftes Herumexperimentieren mit Drogen.

Noch was? Ja. Die Auswahlstrategie der Künstler*innen, die es ins Buch geschafft haben, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar: Ganz viele weltweit Bekannte aus dem anglo-amerikanischen Raum, klar. Aber eben auch Alexandra, die nun mal Schlager gemacht hat und nur hierzulande einen gewissen Status hatte. Aber wie passt sie in die Reihe der anderen? Wahrscheinlich geht es um das Mythenhafte, eben darum, welcher Frühtod eine gute Story hergibt. und das ist nunmal eine Kerneigenschaft von Pop - die gute und tragische Story hinter der Figur auf der Bühne. So gesehen war Ikarus wahrscheinlich der erste Popstar.

Natürlich ist so ein Buch nie komplett.
Wenn man ein wenig überlegt, gibt es noch zig Leute, deren Geschichte hier erzählt werden müsste: Mia Zapata, Ian Curtis, Hillel Slovak, Fela Kuti, 2Pac, Notorious B.I.G. fallen mir als erstes ein. Hinzu kommt, dass Scheel sich meist auf die historisch bekannten Popszenen des anglo-amerikanischen Raumes konzentriert. In Zeiten von globalisierter Popkultur wäre ein Blick auf die tragisch verstorbenen Popstars in Asien, Afrika, Südamerika oder auch Europa (Ost und West) sicher interessant. Aber das bleibt möglicherweise eine Option für eine Fortsetzung der Schussakkorde.

"Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" von Ingo Scheel ist im Ventil Verlag erschienen.

Gary Flanell