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Donnerstag, 13. März 2025
Die Renfield-Musiklehre Pt. I: Schön, wenn 200 Tonnen Eisen singen
Das Telharmonium
Hier ist noch einmal der steinalte Azubi. Diesmal erzähl ich Euch einen Schwank aus meiner Jugend, als sintemalen der erste elektrische Synthesizer gebaut wurde. Ein titanisches Unterfangen eines gewissen Thaddeus Cahill am Ende des vorvorigen Jahrhunderts. Mittels additiver Klangsynthese, die ein 200 Tonnen wiegender Apparillo bewerkstelligte: voilà das Telharmonium!
Und das keineswegs wegen Wilhelm Tell und seiner Harmonika, sondern weil dieser Visionär aus Iowa von Anbeginn vernetzt dachte. Nämlich neuartige Klänge an zahlende Abonnenten via Telefon zu versenden - sozusagen ein Prequel zu Spotify.
Doch schalten wir etwas zurück: 1895 reichte besagter Herr ein Patent ein, auf dem man vor allem zahnradartige Wellen und sogenannte Rheostat-Bürsten sieht. Das war dem Patentamt zu wenig, aber Cahill war zugleich Anwalt und klagte sich sozusagen ein. Sein Claim lautete: „Das Telharmonium erlaubt es dem Spieler den Nachklang einer Orgel mit der Ausdrucksstärke eines Pianos zu kombinieren, die musikalische Intensität einer Violine mit der Polyphonie einer Streichergruppe und das Timbre und die Kraft der Bläser mit dem tonalen Spektrum einer Orgel. Indem es die „Defekte“ dieser traditionellen Instrumente korrigiert, wird das überlegene Telharmonium diese obsolet machen.“
Gut gebrüllt, protoelektronischer Tonerzeugungstiger, er hatte nämlich Hermann Helmholtz‘ „Die Lehre von den Tonempfindungen“ gelesen, der 1862 publikumswirksam postulierte, dass alle Klänge der Welt aus einer Mischung aus (Sinus)-Grundschwingungen und Obertönen bestehen. Und so kam dann der kernige Cahill ins Spiel. Dank einer Fabrik in Hollyoke, Massachusetts, wo 50 Ingenieure, Mechaniker und Helfer eine ganz dickes Gespann diverser Dynamos zusammenschraubten zum Listenpreis von 200.000 Dollar.
Da sieht man dann einen jungen Stift neben einer enormen Walze mit jeweils in Dreier- bzw. Fünferschritten enger stehenden Zahnkränzen stehen, die mittels gewaltiger Motoren via Transmissionsriemen in Rotation versetzt wurden und dann an besagten Rheostat-Bürstchen vorbei sausten und somit anfangs recht „drahtige“ bzw. kratzige Klänge erzeugten. Sprich zu viel Rauschen, weswegen Cahill alsbald auf modulierbare magnetische Induktion umstieg. Um diese vor Erfindung von Röhren und Verstärkern hörbar zu machen, jagte er sagenhafte 15.000 Watt und bis zu 1 Ampere hindurch, während handelsübliche Telefone eher mit Nanoampere arbeiteten.
Denn verblüffender Weise machte er sich zu Lautsprechern wenig eigene Gedanken. Stattdessen montierte er riesige Schalltrichter vor herkömmliche Telefonhörer jener Zeit und kaschierte das Ganze gern mit Blumengestecken (das Auge hört mit). Die Dinger tröteten somit am Rand ihrer Belastungsgrenze, was dann auch AT&T dazu bewog, Dr, Cahill die weitere Telefonnetznutzung zu untersagen.
Aus Furcht sonst ganze Fernmeldeämter zum Glühen zu bringen. Und gewisse frühe Telefonkunden hatten sich bereits über irritierende Klangkaskaden beim Verbindungsaufbau beschwert, bzw. erlebten ihre akustische Begegnung der dritten Art. Daher ließ er nun einen verbesserten „Mk II“ über x-Waggons und zahllose Droschken an den Broadway in New York karren, in die sogenannte „Telharmonic Hall“. Dort bewundeten ergriffene Zuhörer zudem eine gewisse Lightshow dank Kohlebogenlampen, weil William Duddell zuvor entdeckt hatte, dass diese Lampen ein je nach Stromstärke variierendes Zischen oder Fauchen von sich gaben.
Durch bis zu vier Tastaturen, diverse Register, Fußpedale sowie einer Kupplung-ähnlichen Vorrichtung konnten ein bis zwei musikalische Operateure eine Vielzahl von Klängen generieren, indem das Signal von zwölf Tonhöhen-Wellen mit diversen Oberton-Wellen addiert wurde für ein Klangerlebnis über sechs Oktaven. Die Maschinerie musste natürlich durch schwere Zementdecken vom Auditorium getrennt sein, denn sie hatte die Anmutung einer Umspannstation, die Nebengeräusche eines Walzwerks und die Kraftaufnahme einer Aluminiumschmelze. Darum hat sich das auch nie wirklich durchgesetzt, und Dr. Cahill ging bankrott.
Doch die Hammond-Orgel ist die niedliche Minischwester des Telharmonium-Titanen. „Die jetzige Maschine passt am besten zu höheren Formen von Musik. Sie tut sich eher schwer mit dem Razzmatazz des rag-time, was vielleicht ein Vorteil ist.“, so schrieb ein gewisser Ray Baker 1903, aber da sollte er sich gewaltig irren! Der selbe weitschauender Journalist verkündete zudem, dass wahre Demokratie erst erreicht wäre durch erstklassige Kunst und Musik für Jedermann (das Patriarchat winkt, fürs Frauenwahlrecht musste die US-Damenwelt noch siebzehn weitere Jahre kämpfen).
Aber auch damit sollte er sich irren. Doch immerhin inspirierte das italienische Futuristen und Komponisten wie Edgar Varèse, der 1915 klägliche Überreste des Telharmoniums eher enttäuscht vorfand. Und was wünschte sich Frank Zappa von seinen Eltern zum 15. Geburtstag? Einen Anruf bei Edgar Varèse (was sie ihm gewährten)!
Bit Father Out
(Bild Wikipedia: Von User Chris 73 on en.wikipedia - [1], Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1347777)
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