PISSE - DUBAI
Pisse find ich schon länger gut. Haben ja mal auf einer Releaseparty zu einer Renfield-Ausgabe gespielt. Ich fand sie damals so gut, dass ich mit ihnen ein Interview machen wollte. Das hat nicht geklappt, denn die Menschen in dieser Band waren so nett, mir den dezenten Hinweis zu geben, dass sie in Interviews nicht so gut wären. Dann hab ich das gelassen. Ich habe eigentlich auch keine Fragen gehhabt, die ein Interview wert gewesen wären.
Wie ein Pisse Interview mit totaler Verweigerungshaltung komplett in die Hose gehen kann, hat Linus Volkmann mal berichtet. Als er für ein Musikmagazin ein konventionelles Interview mit der Band machen wollte, ist die Sache total kollabiert und ein wunderbares Nicht-Gespräch entstand. Weil PISSE keinen Bock auf den Medienquatsch hatten und besser als die SEX PISTOLS das Spielchen sabotiert haben. Könnt ihr irgendwo nachlesen.
Nun also neue PISSE-Albm. Titel schon sehr gut, soviele Assoziationen schießen mir durch den Kopf. Die bescheuert-überteuerte Hype-Schokolade? Das Scheichtum, das Menschenrechte mit Füßen tritt und Menschen komplett ausbeutet. Sowas. Fest steht, der Begriff Dubai ist mittlerweile ziemlich negativ belegt. Also springt sofort die punk-kritische Assoziationsmaschine an. Gut, um allein damit schon Aufmerksamkeit zu generieren.
Das zeigt immerhin, dass PISSE immer noch einen guten Riecher dafür haben, was Aufsehen erregen kann. Das funktionierte schon mit den frühen Releases. Die halbe Welt hat den Fahrradsattel-Song zwar nicht so echt verstanden, aber trotzdem geliebt, geteilt und geliket, und bei Work-Life-Balance haben alle gleichzeitig höhnisch gelacht und gekotzt, weil soviel Wahres in dem treffend kurzen Text stand. Sowas konnten Pisse immer gut. Assoziationen wecken, indem man groteske Bilder über schnelle rumpelige Punksongs schreit. Konnte sich jeder sein Stück Hass auf das Leben im 21. Jahhundert abholen. Ich auch.
So richtig hatte ich noch nicht mitbekommen, wie die neue Platte klingen würde. Also aufgelegt. Komisch, denke ich erstmal. PISSE klingen jetzt wie eine sehr ruhige, lahme Post-Rock-Indie-Kapelle? Ist das diese Weiterentwicklung einer Band, vor der alle gewarnt haben? Falscher Alarm, das Album läuft auf 45 statt 33. Also nochmal. Jetzt klingt es schon eher nach... Punk. Ein wenig nach PISSE, aber anders als bisher. Ist alles nicht so wirr, kurz und wütend, wie auf "Hornhaut ist der beste Handschuh", beispielsweise. So rumpelig ist das auch gar nicht mehr, simpel auch nicht. Das war ja mal ein Vorwurf: Dass die Band so tut, als könnten sie nix außer rudimentärem Deutschpunk, obwohl sie ziemlich passable Musiker sind. Mir war das egal. Die Songs waren knackig und kurz und haben dem ganzen Punk-Stuss mal etwas neues Leben eingehaucht.
Die Songs auf DUBAI sind, das fällt erstmal auf, etwas langsamer. Nicht Mid-Tempo (auf 33 Umdrehungen alerdings schon), aber doch schon etwas gemächlicher, dazu auch länger. Man ballert also nicht mehr durch, lässt sich Zeit, lässt Sounds mal stehen und wagt gern mal ausgefalleneres, wenn man jetzt simplen durchgepeitschten Deutschpunk als Referenz nimmt. Sory, Freunde des hektischen good old PISSE-Sounds, da müsst ihr jetzt durch: Eure Lieblingsband entwickkelt sich.
Fest steht, der Begriff Dubai ist mittlerweile ziemlich negativ belegt.
Eine Orgel schleicht sich durch einige Songs, und passt da auch gut hin. Aber auch kein ganz neues Phänomen, die hätte so auch auf einem FEELING B-Album drauf sein können. Mittendrin gbt's sogar ein barock anmutendes Orgelstück, damit können sie in der Kirche in Göritz sicher die Messe füllen. Es werden also Dinge ausprobiert. Frage mich, ob da alle Fans mitgehen. Glaube schon.
Ich bin mir nicht sicher: Wenn mir jemand die Platte mit verbundenen Augen vorgespielt hätte, also ich mit verbundenen Augen, nicht der Vorspieler, ob ich sie als das neue PISSE-Album identifiziert hätte. Hätte mir trotzdem gefallen, ich wäre sicher neugierig gewesen. Es changiert alles zwischen frühem Punk der 80er, egal ob Ost oder West, an der Schwelle zu NDW. Meist dazu mit einem etwas melancholischen, desparaten Touch. Seltsamerweise fühle ich mich das eine oder andere Mal beim Gesang an die erste Platte von ZSD erinnert, dann auch mal an den Minimalismus von CHAOS Z oder an die Meckerigkeit von ELEGANT. Ich würde beim Blind Date auch nicht mal sagen können, ob das eine Band wäre, die aus dem Osten, Westen, Norden oder Süden kommt. Die Verortung läuft so nicht mehr und das finde ich wirklich mal schön, dass diese Einteilung in "typische" Ost-Punkband hier eben nicht funktioniert.
Alles andere auf diesem Album - wenn eine Platte und eine Band sich überhaupt daran messen lassen sollte, ob sie funktioniert - dagegen schon.
Gary Flanell
DUBAI von PISSE ist wie immer auf Phantom Records erschienen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen