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Donnerstag, 17. April 2025

Schön, wenn der Dosendeckel scheppert Pt. 0


Müllmusik: FULU MISIKI - MOKANO

Jetzt geht es zurück an die Ursprünge, ans Ein- und Selbstgemachte, an DIY ohne Hornbach (oder sonstige Baumärkte), from rags to riddim. Musik aus Müll, in Lingala (eine Sprache aus der Bantu-Familie mit über 20 Millionen Muttersprachlern) Fulu Misiki!

Milchpulverdosen, Ölkanister und Regenrohre. Leben ist Kreislauf, alles Neue entsteht aus den Resten des Alten, alles erhält eine neue Chance. So lautet das Credo dieses sechsköpfigen Kollektivs, das bereits seit 1999 an seiner perkussiven Vision arbeitet. Für die Aufnahmen zur Mokano EP haben sie sich indes in Kampala, Uganda, eingefunden, vermutlich wegen besserer oder stabilerer Studiomöglichkeiten (weniger Stromausfälle). Denn sie kommen aus der Demokratischen Republik Kongo, wuchsen im selben Viertel in Kinshasa auf.


In der EP-Welt ist dies ihr Zweitwerk, aber es gab natürlich davor schon Kassetten. Sie spielten bereits auf dem einst von Peter Gabriel ins Leben gerufenem WOMAD Festival in England, tourten durch Europa und trumpften letztes Jahr im Humboldtforum auf.

Genauso multiinvasiv gehen sie an ihre Outfits heran, erzeugen Masken aus Müll und full body armour aus Armaturen, jetzt mal alliterarisch gesagt. Deutlich anders als die klassischen Sapeurs von Kinshasa, die auf ein Ziel absoluter Dandy-Noblesse hinarbeiteten, sozusagen aus dem Slum zum Ascot Race Course, wofür sie sich allerdings ebenfalls sehr kreativer Mittel bedienten. Zugleich war dies teilweise als Kritik an Mobutus (der Kleptodiktator des Kongo, nicht umsonst bedeutet sein voller Name „der Krieger der von Sieg zu Sieg schreitet, ohne dass ihn jemand aufhalten kann und der nichts als Feuer hinterlässt“) Abacost-Dogma gedacht, also sein Verbot Anzüge und Krawatten zu tragen, weil dies unafrikanisch und neokolonialistisch sei. Nur der Form nach, denn er wurde von westlichen Geheimdiensten als „Bollwerk gegen den Kommunismus“ installiert und hofiert. Abacost steht für à bas le costume - nieder mit dem Anzug, das galt von 1972 bis 1990! Kim Jong Un hält auf seine Art bis heute daran fest.


Fulu Miziki indes erinnerten sich der jährlichen Überschwemmungen in den Straßen von Kinshasa, wo aller Müll nochmal an einem vorüber floatet. Also fischten sie anfangs einiges davon heraus, um es auf seine Klangqualitäten zu untersuchen. Beim Spielen lösten sich viele Instrumente aber auch wieder auf, was zu ständig neuen Improvisationen führte. Allerdings benutzt die Gruppe heutzutage auch handelsübliche Gitarren, was ihren Sound zugänglicher und melodisch umfangreicher macht. Zugleich näher an rumba congolaise Vorbildern. Gern mit Gruppengesang. Jedenfalls eine hoch energetische Angelegenheit.

„Mbanga Pasi“ von ihrer aktuellen EP inkorporiert nach ihren Angaben Reggaetón, es gibt manchmal Hip- Hop-Anflüge und musique concrète Kadenzen, aber generell ist dies Afrobeat mit der Betonung auf Beat. Nicht unbedingt mit maximaler Virtuosität, dafür mit voller Verve und äußerst sympathischer space-punk Guardians of the Galaxy-Herangehensweise.

Vor Jahren saß ich auf dem Hof, als mich ein Herr auf meine Zigaretten ansprach. Es waren Ernte 23 und die weckten nostalgische Gefühle bei ihm. Es stellte sich heraus, dass er in der kongolesischen Botschaft in Bonn geboren war (damals noch als Zaire firmierend). Übrigens die Botschaft, die am allerlängsten in Bonn verblieb, einfach weil nie genug Geld oder eine genügend stabile Regierung da war (die einen Sinn in Umzügen sah).


Er hatte das Heimatland seiner Eltern auch noch nie gesehen, und von Verwandten und Bekannten wurde ihm zudem stets von einem Besuch abgeraten. Was mich an einen guten Bekannten erinnerte, der für seine erste Reise nach Afrika sofort Kinshasa und die Demokratische Republik Kongo als Ziel wählte. Direkt in Conrads behauptetes „Herz der Finsternis“. Eine charmante Entscheidung. Für Leute, die noch nie in Europa waren, würde ich evtl. auch zu Wien oder Budapest raten (sofern wir Orban und die FPÖ mal ausblenden). Nur mit einem ganz anderen Schmäh.

Denn „Kin la poubelle“ ist einer der Spitznamen von Kinshasa, sprich Kin der Mülleimer (und zugleich Anspielung auf la plus belle – die Allerschönste). Heutzutage ist sie die größte Metropole der Francophonie der Erde. Beileibe nicht jeder der rund 20 Millionen Einwohner mag fließend im Idiom Victor Hugos parlieren, aber ein gewisser Prozentsatz genügt, um Paris rein massenmäßig in den Schatten zu stellen. C‘est dingue quoi!

Also schaut mal rein, zum Beispiel bei „Tikanga“ auf Youtube - sogar mit energiegebündelter Dame (Lady Aicha) und musikalischem Kettenzug!

Bit Father Out

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