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Samstag, 29. Dezember 2018

Death of a genre - Pt.II

Ausgehend vom letzten Eintrag hier sind mir in den vergangenen Tagen einige Gedanken zu dem Thema durch den Kopf gegangen. Nach wie vor finde ich, dass Plattenrezensionen, abgesehen von den hard facts (Band, Titel, Label, Erscheinungsjahr, LP/CD/digital, Verfügbarkeit), eigentlich nur mehr wenig Relevanz haben. Wenn das, wie ich vermute, mit der fehlenden Zeit zu tun hat, die zum Schreiben infolge der Geschwindigkeit, mit der sich Informationen mittlerweile verbreiten, fehlt, dann müsste man vielleicht andere Wege des Rezensionsschreibens finden. Ein weiterer Aspekt ist auch die schiere Menge an Musik, die veröffentlicht wird und die Menge an Texten die zu Platten im Netz verfasst werden. Geht man von der Menge an verfügbarer Musik aus und der wenigen Zeit, die zum Schreiben bleibt, hilft vielleicht am besten: Entschleunigung. Die wird hier beim Renfield ja seit einiger Zeit erfolgreich praktiziert. Was Plattenkritiken angeht, ist dieser Blog in den letzten Monaten nicht besonders aktiv gewesen. Was ok ist.

Ein weiterer Punkt hat nur in zweiter Linie etwas mit Menge und Zeit zu tun: Es geht um Relevanz. Wenn ich auf eine sehr große Menge von Veröffentlichter Musik zugreifen kann, mir an jeder Ecke was von Labelmachern angeboten wird und ich mir die zeit nehme, vieles davon zu hören und zu rezensieren, dann wird es um so schwieriger, sich nicht zu wiederholen, nicht wiederzukäuen, was im Infoschrieb steht. Leider sind noch nicht viele Wege gefunden, um aus dem notorisch öden Rezensions-Sprech mit Namedropping, Rock'n'Roll-Floskeln, Nacherzählung der Bandhistorie und pseudo-objektiver Notenvergabe rauszukommen. Vieles bleibt Mittelmaß, denn der Großteil der veröffentlichten Musik ist ja nicht mal richtig schlecht, sondern eben irgendwie gut gemacht, aber nichts besonderes. Für das wirklich grottige Zeug will man seine Zeit und Energie auch nicht verschwenden und die richtig guten Platten - sie sind selten und das ist irgendwie auch gut so.

Wenn ich weiter darüber nachdenke, merke ich, was mir bei vielen Kritiken fehlt. Eine gewisse Subjektivität des/der Autor*in. Wie schon oben gesagt. Die normalen Infos plus Verweis auf Klingt-wie-so-und-so-in-ihrer-Post-80s-90s-Depro-NYC-Phase, das ist schnell gemacht. Für eine formale Beschreibung einer Platte kann man auch auf diverse Algorithmen im Netz zurückgreifen, um herauszufinden, ob es einem/einer taugt. Interessanter wäre es zu lesen, was in dem/der Schreiber*in so vorgeht, wenn sie die Platte hört. Kann von cool inszenierter Langeweile bis zu totaler Euphorie ja alles sein. Vielleicht sollte man in Rezension mehr Bilder, mehr Vergleiche nutzen, um die Stimmung nachzuvollziehen, die eine Platte auslöst. Und vielleicht geht es dann auch weniger darum, die Platte mit einer Bewertung in Form von Noten, Sternchen oder Klötzchen zu versehen. Damit, so finde ich, bietet man dem Leser eine schön rationale Einschätzung, nimmt ihm aber auch die Möglichkeit, mal etwas auszuprobieren. Ich glaube, wenn all diese Bewertungssysteme weg fielen, wären viele Hörer ziemlich irritiert. Denn der erste Blick geht ja mal auf die Zahl der Punkte. Was einem/einer ja schon mal eine erste Einschätzung vorwegnimmt.

Wie könnte man aber an dieses Subjektive, Nicht-Formale herankommen, um eine Kritik interessanter zu machen? Vielleicht macht es Sinn, sich dabei des "Free Writing" zu bedienen, eine Methode, um in einen Schreibfluß zu kommen. Es ist eigentlich ganz einfach. Und macht Spaß.
Es ist sogar so einfach, dass ich sage, wenn es in Zukunft Rezensionen auf dem Renfield-Blog gibt, dann werden die nur noch nach Art des Free Writings verfasst.

Spielen wir das doch mal durch:
Du willst eine Rezension über das neue Album von Band XYZ schreiben.

1. Platte anhören. Dabei schon mal Artwork anschauen. Infozettel lesen. Letzteres nur eventuell. Kann man auch weglassen (großes Sorry an den/diejenige, die den Pressetext dann für Nüsse geschrieben hat. Wir schätzen deine Arbeit trotzdem.).

2. Wecker oder Timer auf 10 Minuten stellen.

3. 10 Minuten schreiben. Ununterbrochen schreiben. Egal ob langsam oder schnell, Hauptsache schreiben. Thema ist diese Platte, aber was du schreibst, ist erstmal vollkommen egal. Du kannst auch 10 Minuten lang schreiben "Mirfälltnichtsein, mirfälltnichtsein, mirfälltnichttseiin" usw. Egal. Hauptsache du schreibst. Es müssen keine Sätze sein. Hauptsache schreiben.

4. Nach 10 Minuten aufhören. Auf eventuelle Rechtschreibfehler checken. Vielleicht schauen, was man rausnehmen will.

5. Wenn es ein Verlangen nach Veröffentlichung auf diesem Blog gibt, den Text an renfield-fanzine@hotmail.de schicken. Es wird von dieser Seite nur zart redigiert. Das hier ist keine Journalistenschule, wir vergeben keine Preise und zahlen auch nix. Dafür wurden wir bisher auch noch nie von Claas Relotius verarscht.

Fertig. Das war es schon.

Ich wünsche allen Lesern dieser Zeilen einen kuschlig weichen Jahresendtransfer.

Gary Flanell

Mittwoch, 26. Dezember 2018

Death of a genre - die Plattenrezension

Kein Mensch braucht mehr Plattenrezensionen. Gut und schlecht geschriebene Kritiken sind mittlerweile total unbrauchbar für die Beschreibung von Musik geworden. Warum?

Die schlecht geschriebenen sind unnötig geworden, weil sie eigentlich nur Umformulierungen dessen sind, was die Labels mit dem Stream oder der Promo-CD schicken und den Redakteuren diverser Musikmedien auf den Zettel schreiben. Formale Informationen sind das. Infos, wer mit wem und wann mal ins Studio gegangen ist, wen man sich als Backgroundsänger für Track Null, acht und 15 dazugeholt hat, welche Techniken und Instrumente diesmal - total verrückt - zum Einsatz gekommen sind und ja außerdem, was noch total wichtig ist, wäre.... PFFFFT! Langweilig! Uninteressant!

Wenn man eh nur das, was auf dem Waschzettel zu Platte X steht, wiederholt, dann kann man es gleich sein lassen. Das passiert leider häufig genug bei schlechten Plattenrezensionen. Die oben genannten Infos kann sich jeder, der im 21. Jahrhundert einigermaßen medienkompetent ist, schnell selber aus dem Netz ziehen, mit freundlicher Unterstützung der Informationshausmeister Google und Discogs.
Ein netter Trick, der allerdings die eigene komplette Hilflosigkeit und Desinteresse gegenüber einer Veröffentlichung darzustellen, ist das Zitat einer älteren Rezension zum gleichen Künstler. Wenn mir nichts mehr einfällt, der Text aber doch noch viel zu kurz ist, dann schreib ich doch mal beim Banknachbarn ab: "Wie ich schon beim Debut schrieb..." oder "Wie XYX schon in seiner Rezension in Heft No. WRXL so treffend bemerkte..."
Auch das: PFFFFT! Langweilig! Uninteressant!

Diese schlechten Rezensionen sind ein Ärgernis, das Problem liegt allerdings woanders: Im Zeitdruck. Dank digitaler Verschiffung passiert alles im popkulturellen Kontext mittlerweile rasend schnell. Platte kommt raus, Info wird verschickt, in zwei Minuten hast du sie auf dem Rechner, kannst alles anhören und anschauen und dann.... muss was passieren. Dann musst du am besten sofort schon was Prägnantes schreiben. Denn die anderen sind genauso schnell und vielleicht sogar schneller. Wie auch immer die das hinbekommen. Aber unter Zeitdruck kommt selten etwas gut geschriebenes raus. War ja schon bei Klassenarbeiten so. Wenn du nach 30 Minuten noch vor dem leeren Blatt sitzt, dann hilft es eben nur beim Banknachbarn abzuschreiben (s.o.), oder den kompletten vorgegebenen Text aus dem Geschichtsbuch zu kopieren. Beides ist am Ende... PFFFFT! Langweilig! Uninteressant!
Genau so ist es mit den schlechten Plattenrezensionen. Und weil das Wiederkäuen der eh schon verfügbaren Information nichts bringt - nicht mal Geld, sind wir mal so ehrlich - können wir es auch einfach lassen und uns den schönen, entspannteren Textformen zuwenden.

Die gut geschriebenen Plattenrezensionen sind aber auch überflüssig. Und so selten geworden wie Einhörner im Hambacher Forst. Um eine gute Plattenkritik zu schreiben braucht es ausreichend Zeit. Und ausreichend Raum. Raum, in dem die Zeichen, Buchstaben und Gedanken so munter galoppieren können wie Wildpferde über eine baumlose Prärie (Nicht Einhörner. Die leben im Wald). Raum auf einem Blog, auf einer Homepage, in einem Magazin. An diesen Aspekten scheitert es. Zeit und Raum und Aufmerksamkeit - gibt's alles nicht mehr.

Vor wenigen Monaten konnte man mit Grausen erleben, wie die Spex untergangen ist (Die Spex! The unsinkable majesty of Diskurs-Bingo! Bitte fügen Sie hier wahlweise eine TITANIC- oder DINOSAURIER-Metapher ein), eben weil sich das Printgeschäft für Musikmagazine
einfach nicht mehr lohnt. Das Interesse an gut gemachten Artikeln und Rezensionen über Alben und Songs ist sicher da, aber es fehlt die Zeit, um sie anständig zu schreiben.
Auch die Aufmerksamkeitsspanne, um etwas konzentriert zu Ende zu lesen ist oft nicht mehr gegeben. Selbst dieser Text wird wahrscheinlich von 3/4 der Anklickenden nicht bis zum Ende gelesen. Das Problem ist das gleiche wie bei schlecht geschriebenen Kritiken: Alles muss sehr schnell gehen. Gerade gehört und während du bei Track 3 bist, am besten schon 4500 Zeichen in Typo3 reingehackt. Schön ist sowas nicht. Aber schnell und gut geschrieben, das schließt sich eigentlich aus.

Wie sähe aber eine gut geschriebene Plattenrezension aus? Wie stelle ich mir das vor?
Vielleicht so: Erstmal in Ruhe einmal die Platte hören. Eine Platte, an der ich wirklich Interesse habe. Nicht irgendwas, das mir der gestresste Redakteur hinknallt, weil es ins Heft muss (weil Plattenfirma Anzeige bezahlt) und für das ich dann eine Rechnung über 30 Euro ausstellen kann. Also anhören. Von vorn bis hinten. Nicht skippen müssen. Am besten zuhause, dann nochmal im Büro. Beim ersten Mal nicht über Kopfhörer, sondern im freien Raum. Später dann nochmal in verschiedenen Situationen: Unterwegs, zuhause, abends, morgens, allein, mit der/dem Freund*in, mit Kolleg*innen. Vielleicht bringst du die Leute in deiner Lieblingsbar dazu, sie mal aufzulegen. Eine Woche Zeit dafür haben. Nur zum Hören. Vielleicht schon mal ein bißchen Recherche betreiben.
Cover anschauen, Texte studieren, Info vom Waschzettel in Ruhe lesen. Dann noch eine Woche Zeit nehmen. Das ganze sacken lassen. Auf kleiner Bewusstseinsflamme köcheln. Dann noch eine Woche, wenn möglich zwei, zum Schreiben. Dann die Deadline reißen. Mit Absicht und Gelassenheit. Noch eine Woche später einen wirklich guten Text abgeben. Über Zeichenzahl können wir reden. Meinetwegen den etwas fahrig wirkenden Redakteur alles zerrupfen lassen. Aber das gute Gefühl haben, eine Platte mit Zeit und Muße einer Begutachtung unterzogen zu haben, die sie und auch der Schreibende verdient. Was der Redakteur mit den Augenringen damit nach der Abgabe macht, ist egal. Mein Baby bleibt bei mir, so wie ich es schuf.

Und jetzt die traurige Wahrheit: Für all das ist keine Zeit mehr. Deshalb sind Plattenkritiken, so wie es sie gibt und wie wir wie seit Jahrzehnten kennen, extrem unnötig geworden. Die eine Variante ist belanglos und die andere heutzutage nicht mehr realisierbar. Vielleicht müsste man sich neue Wege und Techniken zum Schreiben von Rezensionen überlegen. Die die Aspekte zeit und inhaltliche Tiefe gleichermaßen berücksichtigen. Denn die Information über neue Musik zu verbreiten, Künstler und Alben bekannter zu machen, das ist immer noch wichtig. Dazu reichen aber drei Zeilen und ein Link.