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Donnerstag, 15. Mai 2025
Schön, wenn der Tamburinmann klingelt Pt. TBX
JOEL GION - IN THE JINGLE JANGLE JUNGLE - KEEPING TIME WITH THE BRIAN JONESTOWN MASSACRE
Es ist erst mal nicht schlimm, wenn ihr nicht wisst, wer Joel Gion ist. Vielleicht erinnert ihr euch an die lehrreiche Musik-Doku „Dig!“ von 2004, ein sich über sieben Jahre erstreckendes Doppelporträt zweier Bands von der amerikanischen Westküste: der relativ erfolgreichen Dandy Warhols und des im Vergleich dazu völlig dysfunktionalen Brian Jonestown Massacre.
Während der Film die beiden Sänger und Bandleader Courtney Taylor-Taylor und Anton Newcombe in den Vordergrund stellte und die restlichen Musiker*innen sich darauf beschränkten, indifferent, indigniert aber auf jeden Fall verkatert durch die Bilder zu schlurfen, fiel eine Figur auf, schon weil sie offenbar den besten Job von allen hatte: Joel Gion war der Tamburin-Spieler des Brian Jonestown Massacre, eine Funktion, die damals ihresgleichen nur im Tänzer Bez von den Happy Mondays hatte. Außerdem war er der treueste Begleiter des instabilen Genies Anton, dessen Aggressionen an ihm abperlten wie an Teflon. Vor allem aber schien er sich als einziger bewusst zu sein, dass er Teil eines Dokumentarfilms ist, und von Beruf Entertainer: Als gelehriger Schüler der Beatles blieb er der einzige, der immer wieder für die Kamera spielte und damit auch das Publikum um den Finger wickelte.
Von ihm kamen die Einzeiler, die die oftmals verfahrene Situation treffsicher in ein größeres Bild einordneten, darunter auch der Titel des Films: „Dig!“. Schüler der Semiotik und der African American Studies würden ihn wohl als den Signifying Monkey der Story identifizieren. Insofern löste die Nachricht, der Mann mit dem Tamburin und dem entwaffnenden Lächeln habe seine Memoiren veröffentlicht, bei mir eine klare Bauchreaktion aus: Das muss ich lesen.
Dank des Films, Youtube und Vinyl-Re-Issues bin ich mittlerweile selbst zum Fan des Brian Jonestown Massacre geworden, schätze das erste halbe Dutzend Platten hoch und verfolge das sich bis in die Gegenwart ziehende Spätwerk mit Wohlwollen. Die Dandy Warhols sind mir so egal geblieben wie am ersten Tag. Anton Newcombe ist mittlerweile in Berlin gelandet, betreibt mit einer Hand die 8mm-Bar und nimmt wie gewohnt mit der anderen Platten auf. Joel ist bis heute Tamburinmann for hire geblieben, hatte dazwischen aber auch genug Zeit, seine Erinnerungen zu Papier zu bringen, und ohne zu viel verraten wollen, muss ich sie empfehlen. Wer den Film kennt, wird mit einem guten Maß Wissen von hinter den Kulissen versorgt, da Joel einordnet, wie es zu bestimmten Einstellungen der Doku kam.
Und er füllt die Leerstellen dazwischen aus … soweit er kann, denn sein damaliger Lebenswandel brachte auch ein paar komplette Filmrisse mit sich. Wenn er sich aber erinnert, dann erstaunlich präzise. Dazu kommen wissenswerte Exkurse über die Underground-Kultur in San Francisco und L.A., Schnurrbärte und was sie aus Menschen machen, sowie eine Geschichte des Tamburins in der Pop-Musik. Gion schweift dabei ab, wie’s ihm passt und hält dabei einen angenehm alliterationsreichen Hipster-Stil durch, der in der Gegenkultur der amerikanischen 60er-wurzelt (die er im Kino und über Platten studiert hat), angereichert durch angelernte Britizsmen – er trifft im Buch u.a. auf The Jesus and Mary Chain und Oasis, die er bei ihren Westküsten-Gigs mit Speed versorgte.
Speed ist die Droge seiner Wahl („my spirit drug“), und wir können von Glück sagen, dass es nicht Koks, Crack, Acid, Heroin oder Schnaps war, denn so ist uns ein amüsanter, selbstironischer Erzähler mit bewundernswertem Wortschatz erhalten geblieben. Hier nur eine dieser Stellen, in der eine halbnüchterne Alltagsbeobachtung mit nonchalantem Namedropping in eine für die Band ganz normale Kernschmelze auf offener Bühne mündet:
„Later outside of Johnny Depp’s Viper Room, the sun from the Los Angeles heats sticks on like a napalm-esque physical trait, causing multiple strains of sweat: the alcohol infused, the new impending-doom-kind, and the regular sort sucked up to the skin surface by the sun with its countless invisible tentacles. I’m in a dark room. My head is spinning but in the way a hubcap rolls away from a car crash, then falls over into a wobbling spin that increases in speed until the entire band flatlines onstage in a brawl while the packed house watches in shocked amusement.”
Klar, dass solche psychedelischen Wurmsätze schwer zu übersetzen sind, so dass wir die Memoiren bis auf weiteres in der Originalfassung lesen müssen. Sollte sich aber ein entsprechender Verlag dafür interessieren, wäre ich bereit, die Sache ins Deutsche zu übertragen.
Abgesehen von seiner bis zum Ende durchgezogenen Westküsten-Prosa, bleibt Joel ein so sympathischer Erzähler, weil ihm jeder Narzissmus abgeht. Es gibt nicht viele, die sich mit ihrer Rolle als Accessoire zufriedengeben, und kaum einen, der derart darin aufging. Dahinter steckt eine bedingungslosen Hingabe zum Lumpenbohème-Lifestyle, den er und Anton im Buch „the old way“ oder auch „The Llife“ nennen und damit wohl ungefähr das meinen, was Sailor aus „Wild At Heart“ mit seiner Schlangenlederjacke ausdrücken wollte: den Glauben an ihre Individualität und persönliche Freiheit, der sich mit den Vorstellungen von Schallplattenfirmen (oder Polizei) nicht gut verträgt.
So ist Gions Buch auch ein Wegweiser für aufstrebende Musiker*innen, die keinen Bock haben, sich mit dem ersten Deal einem kapitalistischen System zu unterwerfen. Gion macht keinen Hehl daraus, dass dieser Weg nicht ohne Gefahren ist – was dazu führte, das er sich mitunter in ein paar selten dämlichen Situationen wiederfand (die im letzten Drittel für ein paar Längen sorgen, für die die Schlussstrecke jedoch entschädigt). Aber außer wenn er andere geschädigt hat zeigt er im Rückblick kein Bedauern. Und wenn ihr auch mal wieder einen dieser Abende habt, an denen ihr nicht schlafen könnt, und es keinen Platz zum Hingehen gibt, dann folgt für ein paar Seiten diesem Tamburinmann.
Eric Mandel
Joel Gion - In the Jingle Jangle Jungle - Keeping Time with the Brian Jonestown Massacre White Rabbit, 356 S., 28,50 €
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