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Donnerstag, 27. Februar 2025

Schön, wenn ich zu Musik tanze Pt. I


FOTOKILLER - Eeri Nostalgia

Ich tanze. Oh Universum, wie ich tanze! Es zuckt überall, jede Faser des Körpes will sich bewegen. Naja, fast. Aber ich tanze. Von der Küche ins Wohnzimmer ins Schlafzimmer. In die Küche. Mit links einen Schluck Kaffee aus der Tasse gesippt. Ich tanze immer noch. Der wievielte Song? Egal. Ich tanze.

Ich tanze, wie ich früher getanzt habe. Etwas ungelenk, die Arme ausgebreitet, etwas nach vorne gebeugt, zwei Schritte vor, zwei zurück (vgl. RobertA Blanca "Tanze Dark Wave mit mir"). Ich tanze wie früher.
Als uns der kleine orangefarbene Polo meiner Mutter (der mit dem Putzlappen im Tankloch, weil der Deckel irgendwie weg war) mich und einige Freund*innen ins Silmarillion nach Werne brachte. Silmarillion war so eine kleine, aber irgendwie alternativ gestaltete Kneipe in der nächstgelegenen westfälischen Kleinstadt. Die Besitzer offensichtlich Tolkienfans. Da war einmal in der Woche Wave-Abend. Und da wurde getanzt zu allerlei: JOY DIVISION, PINK TURNS BLUE, NEW MODEL ARMY, SISTERS OF MERCY. Sowas halt.

An diese Wave-Abende im Simarillion denke ich, als hier in meinem Ostberliner Plattenbau die FOTOKILLER-Platte läuft. Mich befällt dabei die Erinnerung an etwas unbeschwertere Zeiten. Ich nenne es Nostalgie. Nostalgie finde ich immer ein bißchen unheimlich und mag sie wegen der darin enthalteten Abkehr vor der Lebensrealität nicht. Man flüchtet ja in Nostalgie. So wird es gesagt. Flucht davor, sich aktuellen Problemlagen zu stellen, find ich nicht so geil. Das ist mir unheimlich, schaurig, finde ich mindestens doof. So gesehen hat diese Berliner Band mit dem Titel ihres neuen Albums zumindest bei mir den richtigen Nerv getroffen.

Dabei kann man schon sagen, dass FOTOKILLER mit ihrer Musik schon Sounds nutzen, die eine gewisse Nostalgie fördern. Erinnerungen an eine Zeit, in der die gesellschaftliche Lage eher trist und langweilig war und man gut auf einer mit Kunstnebel bedeckten Tanzfläche verträumt davon schweben konnte.

Es ist also anzunehmen, dass FOTOKILLER recht genau wissen, dass vieles an ihrem Sound sehr an die subjektiv selig wahrgenommenen Goldenen Tage des New bis Dark Wave anknüpft, diese eventuell auch miterlebt haben und diese Nostalgie - weil "eerie" im Album Titel - zuweilen auch als beunruhigend erleben. Davon ab gesehen, haben sie auf "Eerie Nostaglia" einige Hits für die nie endende Discotheque mélancholique. "Stop the world" ist so toll, da möchte man in den Armen eines Seelenpartners sterben


Nun schauen wir wissend drein und können einordnen: Dieses Post-Punk-Wave-Neblige auf "Eerie Nostalgia" passt sehr gut in jede Indie/Wave-Disco. Auf Berlin bezogen, wohl sehr gut in den Duncker. Das klingt jetzt so, als wäre diese Musik hoffnungslos in den 80ern klebengeblieben. So ist es aber nicht. Eher so, als hätten FOTOKILLER die Einflüße der 80er in die 2020er hinüber geholt. Es gibt hier einige Referenzen zu so called Indie-Ikonen. THE CURE, die frühen, fallen mir da als erstes ein, JOY DIVISION auch. Dann THE CHAMELEONS oder auch seltsamerweise EA80, so manche einfache Gitarrenfigur (Control) hätte auch von denen sein können. Der Bass, so dünn und schlicht wie eine zweite Gitarre, treibt alles sehr klar nach vorn, die Rhythmen mit dieser hektischen Hihats haben auch so einen fiebrigen 80er-Post-Punk-Sound.
Darüber mändert dann geisterhaft die Stimmme der Sängerin/Gitarristin Sofy, oft verträumt, fast schon abwesend. Also schon wie im Kunstnebel verschwindend. Solche Sounds kommen mir nicht allzuoft unter, vielleicht gefällt mir dieser gespentische Widerhall an Zeiten, in denen das spannend war, ganz gut.

Andererseits gibt es genug aktuelle Bands, die ich mir gemeinsam mit FOTOKILLER auf einem Gig oder in einer Playlist vorstellen kann. Manche wie z.B. LEBANON HANOVER reisen damit ziemlich gut durch die Welt. Oder PLOHO aus Sibirien, die vor gar nicht langer Zeit die Neue Zukunft vollgemacht haben. Wobei FOTOKILLER im direkten Vergleich etwas gitarrenlastiger sind, die Synthies nicht ganz so präsent, somit einen fast schon Garage-artigen Touch haben. Garage-Wave? Gibt's das eigentlich? Dann wohl jetzt. Am ehesten fallen mir BELGRADO aus Spanien als direkte Nebelnachbarn ein, wobei die etwas mehr zum Experiment neigen.


Soviel zu Referenzen und Soundverwandtschaften, ihr wisst, wie dieses Album einzuordnen ist. Das kann man retro nennen und einen verschmitzten Retro-Hang würden FOTOKILLER auf Anfrage wohl nicht verleugnen. Das erkennt man auch gut an dem kleinen "Stereo"-Zeichen auf dem Frontcover der Platte. Den Hinweis braucht heute kein Mensch mehr, ist aber charmant. Als wäre die Platte nur auf Omas Phonoschrank optimal abspielbar, großartig. Jetzt müsste man noch eine Oma haben, die noch einen Phonoschrank hat und nicht nur einen seelenlosen Spotify-Premium-Account.

Überraschend ist "Eerie Nostalgia" nicht, dafür wohltuend wiedererkennbar und in seiner Entrücktheit tröstend. Aber das ist ja die Haupteigenschaft von Nostalgie und in diesem Kontext gefällt sie mir gut. Gäbe es eine Silmarillion-Revival-Party, ich würde hinfahren, und hoffen, dass der/die DJ* was von FOTOKILLER spielt. Und tanzen.

Gary Flanell

"Eerie Nostalgia" von FOTOKILLER ist auf It's Eleven Records erschienen.

Noch was zum Cover: Das sieht hübsch abstrakt aus, und ich freue mich, dass dabei alle DarkWave-Grafik-Klischees gekonnt vermieden wurden. Verrät nicht zviel über den Sound oder das Genre und ist allein deshalb schon super. Was dort genau zu sehen ist - ich habe keine Ahnung.

Und noch was: Ich habe versucht, mir vorzustellen, was ein Fotokiller ist. Habe keine zufriedenstellende Erklärung gefunden. Wer die schönste und fantasievollste Erklärung für den Namen hat, schicke sie ausreichend frankiert per E-Mail an renfield-fanzine@hotmail.de.
Vielleicht gibt es einen Preis.
Wer weiß...

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