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Donnerstag, 19. Dezember 2024
Schön, wenn der Samtvogel wieder fliegt Pt. XXIV
GÜNTHER SCHICKERT - SAMTVOGEL
Dieses Album wollte ich schon ganz lange mal gehört haben. Es ist fast genau so alt wie ich, so dass Bureau B das Dings jetzt mit einer Jubiläumsausgabe (50!) ehrt.
Aber vor allem ist es bisher ein immer besonders geheimnisvolles Teilchen der Vergangenheit von Günther Schickert gewesen, den ich vor ungefähr 25 Jahren das erste Mal kennengelernt habe, weil wir uns einen Proberaum in der Waldemarstraße geteilt haben.
Er war eine tiefenentspannt wirkende Erscheinung mit Hut, von dem ich nicht viel wusste, außer dass er einen empfindlichen permanenten Aufbau kompliziert verschalteter Effektpedale pflegte, von dem wir (unbeholfen jazzrockende Postpunk-Opfer) gefälligst die Finger zu lassen hatten. Ich hab seine Effekte oder auch nur ihn damals nie in Aktion gesehen, aber ich wusste, dass er African Headcharge kannte und mochte, was ich bemerkenswert fand, denn mit dieser Leidenschaft war ich bisher allein geblieben.
Wir verloren uns aus den Augen, aber Jahre später sollte ich, interessanten Bassvibrationen folgend, in eine Stahltür in einem Kreuzberger Hof stolpern, und hinterm Tisch am Einlass saß niemand anders als der Günther aus der Waldemar und zeigte wortlos auf die Treppe abwärts. Das kann man wohl als lebensverändernden Moment bezeichnen, denn seitdem bin ich aus dem Loch, in das er mich damals lotste, nie so ganz wieder herausgekrochen. Das macht ihn noch ein bisschen mysteriöser.
Die Ahnung, dass Günther nicht irgendwer war, erhärtete sich kurz darauf, als ich ihn sah, wie er im Biergarten ums Eck sah einem japanischen Journalisten ein Interview gab. Und durch vielstimmige orale Überlieferung erfuhr ich nach und nach, in was für Sachen er so vor den Waldemar-Jahren verstrickt war, z.B: frühes SO36, ein Trio namens GAM (Günther Axel Michael) und Tontechnik für Klaus Schulze.
Ich hab Krautrock in meiner Leihbibliotheken-Phase gestreift und dann bis ins hohe Alter ignoriert, weil ich Drum’n’Bass wichtiger fand. Tatsächlich hab ich mir immer gesagt, dass ich mir die Musik alter Männer, Can, Kraftwerk, Tangerine Dream und Günther aufheben kann für wenn ich selber alt bin. Tja, jetzt ist es so weit, und ich kann mich an plötzlich an so was wie Harald Grosskopfs Solo-LP von 1981 erfreuen, oder eben Günthers „Samtvogel“.
Das kam aber auch nicht von ganz alleine. Vor ein paar Jahren habe ich Günther mal zusammen mit Gary für die Printausgabe vom Renfield-Magazin interviewt, natürlich in dem bewussten Keller. Dabei gab er uns eine aktuelle Doppel-CD von ihm namens „Pharoah Chromium“. Irre! Supergutes, irgendwie nicht endenwollendes Doom-Ambient-Geschwobber mit durch den Raum kollernden Gitarrenlinien, die offenbar immer noch aus einer hochkomplexen Anordnung von Effektpedalen kamen.
Seitdem weiß ich auch, dass sein erstes Album „Samtvogel“ im selbstverlegten Original auf Discogs von ganz besonders hingebungsvollen Fans (z.B. Japanern) für 800,- € gehandelt wird. Nachpressungen waren immer schnell weg, und Youtube zählt nicht. In der EU gibt’s das Teil jetzt also wieder für mehr oder weniger erschwingliche Ladenpreise.
Und ich bin schwer versucht! Das digitale Promo hat die Angewohnheit, immer weder von vorne zu beginnen, und ehe ich so ganz wusste, wie mir geschah, war ein halber Bürotag rum, und ich hatte das Album vier oder fünf mal durchgehört. Die Musik passt also einfach so in die Landschaft, taugt aber auch zum Reinfallenlassen.
Dann entfalten sich seine drei damals noch mit relativ minimalen Mitteln aufgenommenen 4-Spur-Studien aus Gitarre und Echo-Loops zur Mandala-artigen Handarbeit mit fortlaufender Entwicklung, ohne Pomp oder Blendwerk. Die sympathisch subjektiven Titel geben einen schönen Querschnitt davon, was den jungen Westberliner damals so umtrieb: Hedonismus („Apricot Brandy“), Pazifismus („Kriegsmaschinen, fahrt zur Hölle“) und Wald („Wald“).
Der erste Song ist ein bisschen anders, weil kürzer und mit Stimme: Der junge Günther klingt, wenn er singt, ein bisschen wie Arto Lindsay, nur was er singt, verstehe ich nie so richtig. Oder ich vergesse es, während die anderen, längeren Stücke reinkicken – entweder hypnotisch und wirklich die Aufmerksamkeit fesselnd, oder auch so ganz nebenbei, als Teil der Umwelt.
Auch wenn dieses Album nur ein ganz kleines Mosaikteil aus dieser mythischen Zeit darstellt, als Westberlin ein kachelofenbeheiztes Feuchtbiotop für Freaks mit Gitarreneffektpedalen war, steckt genau darin seine ganze Schönheit, die mich glatt mit dem Altwerden versöhnt … so lange es noch neue Musik gibt, die genau so alt ist du selbst.
Wolfgang Noise
Das Album Samtvogel von Günther Schickert ist als Neuauflage auf Bureau B erschienen.
Donnerstag, 12. Dezember 2024
Schön, wenn junge Menschen Musik (in München!) machen Pt. XIXIXMX
SINEM - Köşk
Bands, die türkische Psychedelica und sogenannten Anadolu Rock spielen, gibt es mittlerweile eine ganze Reihe, und so unterschiedlich wie ihre Herkünfte sind auch die musikalischen Schwerpunkte, den diese Retro-Kapellen dabei setzen.
Die wohl erfolgreichsten, Altin Gün aus Amsterdam, konzentriert sich auf die Funk- und Disco-Aspekte der türkischen 70er, die Berliner Band Cherry Bandora erforscht die Verwandtschaft zwischen türkischer und griechischer Musik, die Sattelites aus Haifa heben die psychedelischen Pop-Aspekte hervor, und bei den Replikas, die tatsächlich aus der Türkei kommen und mit dem ganzen Retro-Trend möglicherweise angefangen haben, steht der Rock im Mittelpunkt.
In diesem Sinne nähern sich Sinem aus München dem türkischen Schlaghosen-Rock noch mal von einer anderen Seite, vielleicht der rumpeligsten von allen: Post Punk.
Ihr Sound besteht aus minimaler Instrumentation, stacheliger Gitarre und schroffem Gesang ohne Weichzeichner. Manchmal klingen die ersten paar Takte wie Television oder ESG, bevor sich das anatolisches Killer-Riff reinschraubt und Sinem Arslan Ströbel zu singen beginnt, wobei ihr unbefangener Umgang mit Tonhöhen an die schwer vermisste Ari Up erinnert.
So weit ich sehen kann, sind auch auf ihrem Album die meisten Songs Coverversionen. Keine Schande, es gibt so viele irre gute Songs aus dieser Periode, dass es schwer ist, in dem Stil auch noch eigene Stücke zu komponieren. Kann ja noch kommen.
Die A-Seite ist makellos. Die Eröffnungstitel „Dem Dem“ und „Gurbet“ rocken überzeugend auf, und mit den folgenden zwei Nummern erweitert sich das Soundspektrum ohne Druckverlust. Nur der Versuch, Selda Bağcans „Yaz Gazeteci Yaz“ übertreffen zu wollen, erweist sich als aussichtslos. So wie das heimwehgetränkte „Gurbet“, im Original von Özdemir Erdoğan verweist auch dieser Song aufs kalte Almanya. Der Titel lautet übersetzt interessanterweise (ungefähr) „Schreib, Journalist, schreib“, was ich immer persönlich genommen habe.
Die von der Westpresse jahrzehntelang verschlafenen musikalischen Verschlaufungen zwischen Türkei und BRD, z. B durch das erfolgreiche Kölner Cassetten-Label Türkyola, sind übrigens Thema des empfehlenswerten Films „Liebe, D-Mark und Tod“ (Ask, Mark ve Ölüm) von Cem Kaya. Der Rest der B-Seite geht ohne weitere Schwächen vonstatten und gipfelt in einer ekstatischen Version von Bariş Manços „Lambaya Püf De“.
Sieben Treffer von Acht, das ergibt immer noch ein cooles Album.
Wolfgang Noise
Das Album "Köşk" von Sinem ist auf Vinyl und digital auf Fun in the church erschienen.
Donnerstag, 5. Dezember 2024
Schön, wenn Lobotomie liebevoll ist Pt. I
LAO DAN, GREG KELLEY, GLYNIS LOMON - BALLOON FLOWER
Onomatopoetischer Free Jazz at it‘s best
Musik wird oft nicht schön empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden, heißt es längst bei Wilhelm Busch. Schöne Musik können viele. Ist üblich. Konsumerabel. Masse. Ja, regelrecht mondän! Avantgarde widerstrebt den üblichen Hörgewohnheiten, doch kann darob dennoch schön sein.
Gut, ein bisschen Mühe muss man sich schon geben. Tun wir dies! Hören wir Balloon Flower, the latest crazy of Lao Dan, Greg Kelley und Glynis Lomon: Vier Titel, alle ähnlich, alle anders – verrückter Free Jazz – wohlgemerkt, man muss schon genau hinhören!
Jade Shadow eröffnet schrill und schön, hier ist gleich viel los, doch lärmt es nicht. Gläserne Sounds, Saitenfetzen und Asien-Assoziationen. Klar, denn Lao Dan kommt aus China. Weit weg und nach sechs Jahren Unterbrechung ist er wieder mal in den Staaten und spielt in diesem infernalen Trio die chinesische Bambusflöte.
Apropos Assoziationen: In diesem wilden Tongeklapper und Getute muss ich unweigerlich an Rhasaan Roland Kirk denken. Der Mann mit den drei Saxophonen im Mund (nur die Mundstücke, versteht sich). Meister atonischer Harmonie - total verrückt und schmelzend sanft! Und auch bei Balloon Flower: Man hört, dass alle drei sogleich in Action sind – jeder bei sich, aber jeder bei allen.
Musketiergleich fitzelt die quietsch-trockene Trompete (Greg Kelly) und gurgelt das virtuose Stimmgemurmel (Glynis Lomon) dazu. Weise, lebensstark und spirituell zusammen. Ist übrigens auch gut aufgenommen worden. Ausgewogener Sound, der zwischen Nähe und Distanz im Raum unterscheiden lässt, was besonders bei den vielen leisen Passagen wichtig ist, wenn Klangfenster mit gut geölten Scharnieren geöffnet werden.
Dann ist da dieser gitterartige Wellensound. Den macht Glynis Lomon, wenn sie nicht gerade kehlkopfsingt oder des Wahnsinns grölt. Sie spielt nämlich Wasser-Telefon (erinnert Ihr Euch noch an Frank Zappa bei Steve Allen? „I play the bicycle.“)
Klickt beides ggf. nach! Sehens- und wissenswert, was und wie alles Instrument sein…, doch zurück zum Titel, der ist eigentlich irgendwie ruhig und fast schon traurig am Ende. Kurz davor das Hauptthema geblähter Luftballon und wie der so klingt. Alles zwischen albern und ernst. Verrückend! Trompete mit Dämpfer, nervöse Flöte und ich erwische mich sogar wie ich mitwippe! Was wie irrige Fetzen an- und zumutet, ist wohldosierter Rhythmus! Aber wie gesagt: Schaurig traurig mit erratischem Ende. Dieses war der erste Streich und zweite folgt sogleich:
Drama führt das Ballon-Thema fort und führt an, was niemand leiden kann, wenn einer mit einem gefüllten Luftballon am Zippel ziehend auf einen losgeht (Globophobie ist die Angst vor Ballons. Der Setzer). Und es wirkt todernst. Nomen est omen – besorgniserregend kreischt es in einem fort, als würde jemand erwürgt. Ein Glück ist es hier nur ein enervierendes Blasinstrument.
Das Ballon-Thema indessen bietet das Sujet „Vergewaltigung“ an. Mit Unterbrechungen. In Drama ist es, als wenn das Opfer noch mit dem Täter zu verhandeln versucht und dieser alle Vorbringungen mit „Bla bla“ abtut. Technisch enorm! Kelly züngelt neurotisch in seine Trompete, Dan tutet wie von der Tarantel gestochen, irr-schlenderndes bogen und biegen am Cello durch Lomon. Täter und Opfer derweil – scheinen sich nicht einig zu werden. Gehen ab. Dieses war der zweite Streich und Balloon Flower zerrt an der Luftballonhaut wie gehabt. Es ist und bleibt irre, aber Krach ist es nicht.
Im dritten Live-Titel des dämonischen Triotreffens meint man im Hauptsaal einer Anstalt zu sein.
Manisches Lachweinen, Ticks allerorten, es zuckt und gluckt und auch der Exorzismus lässt grüßen. Aber es bläht und wächst auch scheinbar etwas wie märchenhaft. Ist es Hans und die Bohnenranke? Ein dickes Stangengewächs hoch hinein ins Wolkenkuckucksheim? Oder bin ich jetzt schon meschugge? Goldmünzen! Goldeier! Goldharfe! Ich dreh durch!
…denn ich werde in den Bann geschlagen von der Genialität der Musiker. Man muss wirklich genau hinhören! Was hier ineinander übergeht und dynamisch erzählt wird, ist technisch meisterhaft vollbracht! Es sind nur drei Instrumentalisten und man weiß es irgendwie auch, doch trotzdem ist man mitten in einem Bühnenstück, das uns unsere Habgier aufzeigt, immer wieder Übliches zu konsumieren bis wir uns selbst auskotzen und stumpfsinnig vor uns hinsiechen. Dieses war der dritte Streich und Worcester ist der finale Saft, der dem musikantischen Beisammensein entströmt.
Nicht gerade englisch und auch nicht Dresdener Art, aber wenn man sich die Zutaten von Worcester Sauce einmal durchließt, muss man sich doch wundern, warum das Zeug so gut schmeckt und der Laib nicht kapituliert. In diesem letzten Stück wurde jedoch nicht so homöoptisch dosiert. Wie passend: viel geisteskrankes Kehlkopfgegurgel, nimmer enden wollendes Gequietsche und stotterndes Dröhntrötentrampeln – willkommen im dreisttollen Narrenkabinett! Es klingt wie vergiftet. Wenn da mal nicht der Teufel seine Hand im Spiel hat… Todestaumelnd dem Ende entgegen. Klingt so Gedärm, wenn es stirbt?
Wie der Narr mit seiner Kappe dem König als einzig Dürfender den Spiegel vorhält, so dürfen Lao Dan, Greg Kelly und Glynis Loman uns zum Narren halten und uns nichts weniger zeigen, als was wir dabei in unserem Alltagsspiegel sehen. Wir, die wir uns nur allzu oft für die Könige des Lebens halten und uns entsprechend benehmen – wir sind um keinen Deut besser und wir quietschen und wir platzen oder schrumpeln und pfeifen aus dem (letzten) Loch.
Free Jazz - Wir brauchen das! Liebevolle Lobotomie…
Lao Dan, Greg Kelly, Glyniy Lemon: BALLOON FLOWER
Lao Dan (Hangzhou/ China; Bambusflöte u.a. Blasinstrumente) Greg Kelly (Boston/USA; Trompete) Glynis Lomon (Newton/USA; Stimme, Wassertelefon, Cello)
4 Titel, 39 Minuten
erhältlich als Tape und digital über die Bandcamp-Seite von Lao Dan
Gustav Roland Reudengeutz
Donnerstag, 28. November 2024
Schön, wenn Fanzine noch von Fansein kommt Pt. I
TRUST ISSUES - TOO WHITE TO BE REAL
Hachja, manchmal passiert's doch. Dann weicht die Übersättigung und Unübersichtlichkeit noch einmal dem sonnigen Gefühl von Enthusiasmus.
Apropo sonniges Gefühl: Habe heute einen Streifen blauen Himmel über Friedrichshain getroffen - der bommelte wie ich am Boxi an ein paar Touristen mit französischen Bulldoggen und Pfandflaschensuchpunks vorbei. Wir grüßten uns kurz und dann verschwand wieder jeder in seinem gelebten Bewölktsein.
Hallo blauer Himmel, tschüss blauer Himmel, hallo Gary, tschüss Gary - bis nächstes Jahr.
Im Fanzine-Kontext hatte ich vor einigen Tagen meinen persönlichen Blauer-Himmel-Moment in diesem Jahr, als ich das Päckchen mit der neuen TRUST ISSUES-Platte bei meinen Nachbar*innen abholte.
TRUST ISSUES, für die, denen der Name nichts sagt, besteht zu einem guten Teil aus Leuten, die früher bei CROWD OF ISOLATED (C.O.I.), BUSHFIRE und STICKBOY gespielt haben - eine Saarbrücker Connecte. Und C.O.I. - für die, die es nicht wissen und die es auch gar nicht so sehr interessiert, aber da müsst ihr jetzt durch - das war mal eine meiner absoluten Lieblingsbands!
Es gibt wenige Bands, von denen ich alle Platten habe, hier ist das so. Ok, der Output ist angenehm überschaubar, aber es war einfach eine geile Band. Demzufolge auch mal mit einem Interview mit Sänger Gurke in einer Renfield-Printausgabe vertreten gewesen, allerdings lange nach der Auflösung.
Als sie so richtig aktiv waren, war ich zu jung und auch zu weit weg von der legendären süddeutschen HC-Brutzelle in Nagold, zu der C.O.I. und soviele andere gute Bands bezug hatten. Aber irgendwann gab's nix neues mehr von CROWD OF IOLATED - und ich hatte andere Dinge zu tun, als das zu betrauern.
Seit einiger Zeit ist also TRUST ISSUES am Start, zum einen mit den Isolated-Herren Gurke am Mikro und Guschtel an der Gitarre, dazu noch zwei Kollegen von STICK BOY und BUSHFIRE. Was ich aus der Ferne mitbekam und was mich sehr gefreut hat.
Jetzt also das zweite Album, das Debut "Timekeeping Starts Right Now" kam 2022 raus.
Kurz gesagt: "Too white to be real" ist für mich die beste Punkplatte des Jahres 2024. Mit so einer Anlage wird die Latte natürlich hochgelegt, aber wenn es doch stimmt?! Und, oh Boy, hier stimmt wirklich alles! Muss ich das jetzt argumentativ untermauern oder reicht einfach die Behauptung? Reicht eigentlich, denn das hier ist ja das 21. Jahrhundert, da kann man ja einfach alles behaupten. Also: Das ist die geilste Pukplatte 2024. Sag ich jetzt so. Denn hier ist alles so...
Mitreißend! Vielfältig! Kraftvoll! Diese Platte hat alles, also A.L.L.E.S., was eine Punk-Scheibe braucht, um den älter gewordenen bärtigen DIY-Punk-Rezensenten aus seiner Lethargie zu reißen. Der Gesang von Gurke wie in alten C.O.I.-Zeiten, vielleicht etwas nöliger, die Gitarre schnurrt soundmäßig wie eine Maschine, die Rhythmus-Gang rührt ein vertrauensvolles Fundament an, egal, ob schnell durchtreibend (Failospophy) oder eher in wippenden Mid-Tempo-Bereichen.
Dazu setzt die Band immer wieder kleine hübsche Ideen und Abwechslungen ein:
Ob es eine fast schon FUGAZI-funky Gitarre bei "Smash & Grab it" ist oder gut und passend eingesetzte Chöre sind, die irgendwie an STEAKKNIFE erinnern - oder die wirklich geile Orgel auf "Nutshell", die den Song sehr tanzbar macht. Und ja, natürlich vergleiche ich zwischendurch im Geiste immer mit den C.O.I.-Platten, wenn ich dieses Album höre. Und so gerne wie ich deren Platten noch auflege, fällt mir im Nachhinein auf, dass es dort doch manchmal Längen bei irgendwelchen Intros und Songteilen gab und die Platten an sich etwas melancholischer waren. Passte damals aber.
Die Songs von TRUST ISSUES wirken dagegen viel kompakter, lebensbejahender, auch wütender, sind viel mehr im Hier und Jetzt. Alle Beteiligten wissen, dass keine Zeit für Mätzchen und lange Einleitungen ist. Deshalb wurde überflüssiger Ballast gar nicht erst an Bord genommen, die Songs sind knackig und geradlinig, da ist keine Überlänge dran, es ist aber auch nicht stumpf und im Gesamtbild erinnert diese rockige Version von Hardcore-Punk an Bands wie SCREAM, eben STEAKKNIFE, die DOUGHBOYS oder manchmal, wie erwähnt auch an FUGAZI.
Wie gesagt, ich bin hin und weg, da gibt es wenig mehr zu schreiben, als das ich das Ding vor Enthusiasmus immer wieder auflege und damit den Plattenbau beschalle. Es wird aber noch besser, denn über die liebevolle Aufmachung wurde ja noch gar kein Wort verloren: Es gibt durchsichtiges Vinyl, ein schönes stilvolles Layout und eine wirklich, wirklich, wirklich tolle Hommage an Armin von X-Mist Records auf dem Beiblatt - Texte sind natürlich auch mit dabei.
Hach, ich brauche Luft. Denn die Luft, die Spucke, die Sprache bleiben mir weg, so anrührend ist das, mehr kann ich zu diesem Meisterwerk gar nicht sagen. Ich hoffe, es kommt rüber, was mir diese Platte bedeutet und wie gesagt, es passiert nicht oft heutzutage, dass mich ein Scheibchen so mitreißt.
Wenn ich mal Bock auf eine perfekte zeitgenössische Punkplatte habe - dann muss ich dieses Album hören. Und ihr kleinen süßen Drecksvögel da draußen, die ihr immer nach geilem Stoff lechzt: Ihr solltet das auch tun.
Gary Flanell
TRUST ISSUES - TOO WHITE TO BE REAL ist als LP auf BREAK THE SILENCE RECORDS erschienen.
Donnerstag, 21. November 2024
Schön, wenn aus Magdeburg noch Musik kommt Pt. I & II
PEPPONE - GENUG GESEHEN
BEN RACKEN - V
Zwei mal Post-Punk, zwei mal German Lyrics, zwei mal Magdeburg, zwei mal Major Label, zwei mal von Gary Vinyl in die Hand gedrückt bekommen. Also noch mehr Parallelen gehen ja kaum noch wie bei den beiden sachsen-anhaltinischen Bands BEN RACKEN und PEPPONE.
Und musikalisch liegen diese beiden Bands nun auch wirklich nicht weit auseinander. Wir können eigentlich die Referenz EA80, DACKELBLUT und BOXHAMSTERS als Blaupause über beide Bands legen. Nun haben sie auch noch fast zeitgleich ein jeweils neues Album rausgehauen und beide wissen durchweg zu gefallen. Doch eins nach dem anderen.
BEN RACKEN gehen sehr hymnisch ans Werk. EA80 mit eingängigen Chören und einer Portion TURBOSTAAT kommt mir da in den Sinn. Treibende Rythmen, flirrende Gitarren, überraschende Momente - das macht den Sound des Trios aus. Das macht auf "V" summa summarum zwölf Songs, die sich direkt in die Seele fressen und da auch bleiben wollen.
Alleine der Opener "Freunde bleiben" will mir trotz intensiver Gegenarbeit nicht aus dem Ohr gehen. Und das, ohne anbiedernden Singsang und 08/15-Melodien. Außerdem können sie über Liebe und Beziehungen singen, ohne dass es abgedroschen oder kitschig klingt. Das schafft ja auch nicht jeder. Genau wie über eine Albumlänge keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Gleiches gilt auch für die Kollegen von PEPPONE auf ihrem inzwischen vierten Album "Genug gesehen". Wie bereits oben angedeutet beschreiten diese ganz ganz ähnlich Wege wie BEN RACKEN, allerdings geht das hier mehr in Richtung BOXHAMSTERS und LOVE A. Aber wir verlieren uns im Detail.
Denn eigentlich das mal einfach auch guter Punk Rock mit toller Gitarrenarbeit und guten Texten. Was mich hier sofort abholt, ist die unprätentiöse Art, kein Macker-Gehabe und trotzdem keine Anbiederung. Und so braucht das Magdeburger Quartett auch keine internatinale Vergleiche scheuen. Was ich wirklich mag, sind die immer wieder überraschenden Momente im Songwriting. Da wird deutlich differenzierter als nach Punk-Schema-F gearbeitet. Toll.
Ich bin immer noch ganz angetan, dass mich hier mit BEN RACKEN und PEPPONE gleich zwei Magdeburger Bands durchweg begeistern, die bislang an mir vorbeigegangen sind. Nun nicht mehr, nun behalte ich euch im Auge, Jungs.
Also dran bleiben!
Abel Gebhardt
Die Alben "genug gesehen" von PEPPONE und "V" von BEN RACKEN sind beide auf Major Label erschienen.
BEN RACKEN - V
Zwei mal Post-Punk, zwei mal German Lyrics, zwei mal Magdeburg, zwei mal Major Label, zwei mal von Gary Vinyl in die Hand gedrückt bekommen. Also noch mehr Parallelen gehen ja kaum noch wie bei den beiden sachsen-anhaltinischen Bands BEN RACKEN und PEPPONE.
Und musikalisch liegen diese beiden Bands nun auch wirklich nicht weit auseinander. Wir können eigentlich die Referenz EA80, DACKELBLUT und BOXHAMSTERS als Blaupause über beide Bands legen. Nun haben sie auch noch fast zeitgleich ein jeweils neues Album rausgehauen und beide wissen durchweg zu gefallen. Doch eins nach dem anderen.
BEN RACKEN gehen sehr hymnisch ans Werk. EA80 mit eingängigen Chören und einer Portion TURBOSTAAT kommt mir da in den Sinn. Treibende Rythmen, flirrende Gitarren, überraschende Momente - das macht den Sound des Trios aus. Das macht auf "V" summa summarum zwölf Songs, die sich direkt in die Seele fressen und da auch bleiben wollen.
Alleine der Opener "Freunde bleiben" will mir trotz intensiver Gegenarbeit nicht aus dem Ohr gehen. Und das, ohne anbiedernden Singsang und 08/15-Melodien. Außerdem können sie über Liebe und Beziehungen singen, ohne dass es abgedroschen oder kitschig klingt. Das schafft ja auch nicht jeder. Genau wie über eine Albumlänge keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Gleiches gilt auch für die Kollegen von PEPPONE auf ihrem inzwischen vierten Album "Genug gesehen". Wie bereits oben angedeutet beschreiten diese ganz ganz ähnlich Wege wie BEN RACKEN, allerdings geht das hier mehr in Richtung BOXHAMSTERS und LOVE A. Aber wir verlieren uns im Detail.
Denn eigentlich das mal einfach auch guter Punk Rock mit toller Gitarrenarbeit und guten Texten. Was mich hier sofort abholt, ist die unprätentiöse Art, kein Macker-Gehabe und trotzdem keine Anbiederung. Und so braucht das Magdeburger Quartett auch keine internatinale Vergleiche scheuen. Was ich wirklich mag, sind die immer wieder überraschenden Momente im Songwriting. Da wird deutlich differenzierter als nach Punk-Schema-F gearbeitet. Toll.
Ich bin immer noch ganz angetan, dass mich hier mit BEN RACKEN und PEPPONE gleich zwei Magdeburger Bands durchweg begeistern, die bislang an mir vorbeigegangen sind. Nun nicht mehr, nun behalte ich euch im Auge, Jungs.
Also dran bleiben!
Abel Gebhardt
Die Alben "genug gesehen" von PEPPONE und "V" von BEN RACKEN sind beide auf Major Label erschienen.
Donnerstag, 7. November 2024
Schön, wenn in Australien noch Musik gemacht wird Pt. IXU
AMYL & THE SNIFFERS - CARTON DARKNESS
"Zehn Minuten", sagt Gary. "Stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt..." Was einmal klappt, klappt sicherlich auch ein zweites Mal. Und vielleicht dann nochmal und nochmal, bis einigermaßen sicher ist, dass es wohl immer klappt. Sicherheit rules. Sehr erleichternd.
Denn: ich bin belastet. Habe Fragen und brauche Beruhigung. Was ist passiert?!
Rückblende.
"Kylie kommt!" Yeah, nix wie hin! Ach verdammt, das dauert ja noch eine Ewigkeit. Egal, die Vorfreude ist auch schon prima. Huch! Wasn das derweil? Andere weiblich-dominierte Musik, zwar nur aus der Konserve, aber warum auch nicht. Mal höan. Und seit dem dritten Durchlauf war sie dann da, die Belastung.
Hype. Hyper! Amy!!!
Gefühlt (oder tatsächlich?) selbst die Hörzu huldigt von jetzt auf gleich Amyl. Jeder mit so was wie Augen dürfte inzwischen eine ziemlich konkrete Ahnung von der Zunge der blonden Frau und eine etwas weniger konkrete von ihren mal gepixelten, mal mit Sternchen oder Smilies kaschierten Brüsten haben und glauben, genau so lustig gehts in Trailerparks downunder zu.
MTV 2.0, Bild mit/ statt Ton. Allein das genug Grund für Skepsis und Abwehr. Alle sind sich einig?! Das ist doch ein Trick, da will irgendwer reinlegen und fuschen! Oder sind das gar nicht Mark T. und sein Kumpel Mark E. Ting? Oder aber alles völlig zurecht geilomatisiert und wieder einmal nur von mir verpasst und durch Angst vor Auflauf und Uniform versäumt? Es ist alles verwirrend und irgendwie dadurch unangenehm.
Überhaupt - Australien. Australien! Wieso ist Australien plötzlich relevant? Crocodile Dundee, Aborigines, giftige Tiere, Hautkrebsgefahr, und weiter? Die meisten wollen mal hin, und niemand war je da, kennt aber dennoch den Refrain von Beds are burning und kann tanzen wie Peter Garrett. Und weiter?
Midtemporotzrock also mit teilweise motorschmierefettiger Nervgitarre und schön rummsiger Rhythmusabteilung, alles in plattformfähiger, gebügelter und gefalteter Soundqualität. Und eben die Zungenbrustdame, die annähernd akzentfrei schnörkelfreie Texte von Wichsen, Szenen einer Ehe, erzürnendem oder ängstigendem Weltgeschehen und einigem möglichen anderen singt und sich dabei stimmlich an allem bedient, was Frontfrau in den letzten drei Jahrzehnten schon mal angeboten hat.
Ab besagtem Durchlauf #3 wirds tatsächlich schön eingängig und nahezu super zum Fahrradfahren, beim Schwitzen und Posieren im Fitnessstudio oder ebendabei auf einem via Eventim völlig ausverkauften Konzert. Und weiter?!
Die zehn Minuten sind annähernd vorbei, und ich weiß nicht weiter. Vielleicht es einfach als ein Phänomen nehmen, Kommen und wieder Gehen oder nötigenfalls auch Bleiben, Eiffel65, Helene Fischer oder Courtney Love halt, nur in einer anderen kulturellen Nische oder eben Nicht-Nische, sondern größer und überaller.
Oder aber:
Vorblende. "Kylie kommt!" Die ist auch Australierin, wohl eher noch MTV 1.0, und die funktioniert nach den knapp hundert Jahren Anwesenheit in diesem irritierenden Showgedöns so ziemlich von selbst und ohne inszenierte Massenhysterie. Ich froi mich! Und fühle mich gerade richtig frei und runtergeatmet.
Philipp Nussbaum Amyl & The Sniffers Album "Cartoon Darkness" ist am 25.10.2024 auf Rough Trade Records erschienen
Donnerstag, 31. Oktober 2024
Schön, wenn Detroiter Undergroundlegenden noch den Space rocken Pt. MCDLDS
TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7"
Spacerock. Wer hats erfunden? Vermutlich Hawkwind. Timmy Vulgar jedenfalls scheint eindeutig Spacerock zu lieben. Laut Info ist er eine Detroiter Underground Legende. Das schöne am Undergroundlegenden-Status ist ja, das ihn jeder für sich beanspruchen kann.
Jeder sein eigener Underground.
Diese Single möchte man zum Pilzesammeln mit seinen Freunden in der Mark Brandenburg mit dabei haben. Naja, vielleicht lassen wir das mit dem Pilzesammeln und bestellen uns gleich etwas Acid im Internet. Geht schneller. Und daheim steht ja auch der Plattenspieler.
Allein um an dieser Stelle auch mal Erik Burdon zu zitieren bringen wir LSD ins Spiel: "When the acid trip is over, you gotta comeback to mother booze". So ist die B-Seite dieser Single ein noch am Montagmorgen noch Schnaps riechender Folk-Booze-Blues: "When the booze is gone, the sorrow is still there....".
Tja, um Sorgen braucht man sich in diesen Zeiten wirklich überhaupt keine Sorgen zu machen. Die legalen und illegalen Apotheken haben darum mal wieder Hochkonjunktur.
Spacerock bald wohlmöglich auch wieder, nach dem endlosen Krautrock-Revival der letzten Jahre. Solange finden wir Timmy im Detroiter Underground mit Internetanschluss und Bandcamp-Account.
Die Single ist auf 300 Stück limitiert. Für den erhöhte Legendenstatus im eigenen Plattenregal. Ride on!
Bruce Bachmann
TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7" ist erschienen auf Goodbye Boozy Records
Apocalypse Meow
CATNADO
Die Anwesenden: Drei Herren mittleren Alters sowie zwei männlich gelesene Katzen, auch mittleren Alters. Die anwesenden Menschen haben ein gewisses Faible für guten Trash und ein Vorwissen was abseitige Filmprojekte angeht. Man könnte alle drei als cinephil bezeichnen. Aus diesem Grund sind sie zusammengekommen, um per Stream einen Film zu begutachten, der vor einigen Wochen über diverse soziale Medien in ihre Aufmerksamkeit gekommen ist.
Der Film: CATNADO.
Ursprünglich 2022 erschienen, nun auch auf DVD und als Stream erhältlich. Allerdings nur in den USA. Den Stream haben wir freundlicherweise vom Vertrieb gestellt bekommen. Der Titel allein gibt den Menschen, die sich mit Filmtrash beschäftigen, eine Idee, um was es geht. Denn vor einigen Jahren erhielt die SHARKNADO-Reihe einiges an Fame, allein wegen der darin vorkommenden Novelty-Idee: Durch einen TorNADO werden Haie (SHARKS) in die Luft geschleudert, somit aus dem Wasser, rein ins US-amerikanische Binnenland, wo sie dann, keiner weiß genau wie, Menschen anfallen und fressen. Das an sich war schon eine sehr bescheuerte Idee, aber irgendjemand hat etwas Geld dafür hergegeben und dann wurde gedreht. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, nicht viermal, nicht fünfmal, sondern sechsmal insgesamt. Sechsmal Sharknado bitte. Ja, immer ohne Sinn und Hirn, bitte.
Nun ist es ja nicht so außergewöhnlich, wenn man sich an eine erfolgreiche Idee dranhängt, und die Vorraussetzungen im Sinne einer Satire etwas ändert. So auch hier, et voilá: Das Ergebnis heißt CATNADO! Die Prämisse ist ähnlich, nur statt Haien regnet's Katzen vom Himmel und auch diese sind aggro und wollen den Menschen ans Eingeweide. Oder an den Hals. Oder sonst wo hin. Eigentlich konnte bei so einer hübsch absurden Idee nur guter Quatsch rauskommen. Eigentlich.
Nun liegen die Dinge hier etwas anders. Bei CATNADO handelt es sich nicht um einen zusammenhängenden Film mit einem Plot und einer Gruppe von Darsteller*innen. Es ist vielmehr ein Episodenfilm, bei dem sich sechs Regisseur*innen an der felin-klimatischen Ausgangssituation versuchen. Im Ergebnis ist das Ganze leider weniger lustig geworden als erwartet. Auch nicht trash-lustig, leider. CATNADO ist eher eine Compilation von No-Budget-Kurzfilmen, die zwar das Thema "Katzen im Sturm suchen die Menschheit heim" aufgreifen, aber trotz der wunderbar dämlichen Ausgangslage nur mässig bescheuert und ideenreich sind. Und "mässig bescheuert" als Qualitätsmerkmal anzuwenden ist schon, naja, auch seltsam. Sagen wir es mal so: Dieser Film hat viel Schönes.
Es scheint so, als hätte jede*r Director* seine besten Freunde rangeholt, eine (genau eine) Kamera benutzt, dazu ein paar Videotricks bei einem Umsonst-Film-Edit-Programm der VHS reingequetscht und ein paar found-footage-Aufnahmen von Katzen drübergestreuselt. Zum Trost: Es werden keine echten Katzen gequält oder wirbelwindartig durch die Luft geschleudert. Dafür werden sichtbarerweise ein paar (wenige) Stofftiere den Akteur*innen an den Hals geworfen. Aber selbst in den wenigen Szenen, wo eine echte Katze Sinn (naja, Sinn...) gemacht hätte, so als stimmungsvolles Szenenbild..., gibt es keine.
Achja, Handlungen, die gab es ja auch. Was haben wir da? Den Anfang macht ein Bonny-und-Clyde-artiges Gangsterpärchen, das wirkt, als wären es gerade vom Parkplatz eines Schnellimbiss weggecastet worden. Die beiden brechen irgendwo ein, dann kommt der Catnado und der Angriff der Killerkatzen. Aus dem Bauch des Typen springt hernach noch Alien-mäßig eine Muschi. Wie sie da reingekommen ist, keiner weiß es.
Weiter geht es mit einem kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Klaustro-Ailuro-Phobiker in der Besenkammerkammer, zwei Typen, die nach einem Auffahrunfall in den Catnado geraten, einem Trio, das sich vor dem Sturm in einer Hütte verschanzt - und dort von Katzen (Stofftieren, ich erwähnte es bereits, auch hier nur wenige, ein oder zwei, glaube ich) angefallen wird, zwei Piloten auf Nachtflug, die es mit einem Mensch-Katze-Hybrid zu tun bekommen, der bestenfalls beim Cats-Musical aussortiert wurde (hier aber den Preis fürs beste Kostüm bekommt) und nun in 10000 Meter Höhe versucht, die fliegende Konservendose mit den beiden leckeren Menschen darin vom Dach aus zu öffnen.
Am Ende, quasi als Bonus nach dem Orkan, wird es in "Cosmic Catnado" noch einmal psychedelisch, mit allerlei Phantasiewesen und das ist noch der beste Teil dieser seltsamen Katzen-im-Sturm-Compilation. Wäre der ganze Film derart gestaltet, es wäre mir ein Fest gewesen.
Was die einzelnen Handlungsstränge angeht: Vielleicht habe ich nicht alles verstanden, weil einiges lost in translation war, Untertitel gab es keine. Möglicherweise waren auch hier und da einfach keine schlüssigen Handlungen existent, sondern irgendwelche Leute haben halt irgendwas mit Stofftieren gemacht, um die Zeit zu überbrücken, bis der Catnado auftaucht und alle umbringt.
Ok, es war klar: Trash war angekündigt. Trash wurde auch geboten. Ich finde aber, es gibt Trash und Trash. Guten, liebevoll gemachten, ideenreichen Trash und irgendwelchen Quatsch, bei dem mal zufällig jemand die Kamera draufgehalten hat. Quatsch, bei dem von vornherein klar war: Huch, wir haben ja gar kein Geld für irgendwas. Nicht mal für Katzenfutter. Die Idee von CATNADO mag zu einem gewissen Grad reizvoll sein, allerdings ist der Ideenreichtum und die Umsetzung arg limitiert. Und sechs einzelne Episoden unter diesem einen Titel zu verkaufen, ist auch so eine Mogelpackung.
Aber wer weiß, vielleicht verstehe ich das alles falsch. Vielleicht gibt es eine Gruppe von Menschen, die das hier voll abfeiert. Ed Wood hat ja früher auch keiner verstanden. Obwohl... Ed Wood war Filmemacher. Hat sich als solcher verstanden und war irgendwie als solcher auch Teil des Betriebs. Das scheint mir hier nicht der Fall zu sein. Nachdem alles abgedreht war, die DVD veröffentlicht und wieder Ruhe einkehrte, haben sich alle Beteiligten sicher wieder ihren normalen Jobs gewidmet. Was gut ist. Schade ist es eigentlich nur um die Rohstoffe, die bei der DVD-Produktion verwendet worden sind. Streamen reicht.
CATNADO ist am 22. Oktober auf DVD und VOD über Wild Eye Releasing erschienen (eigentlich aber schon 2022). Scheint im übrigen eine ganz hervorragende Adresse für Trash-Horror-Fans zu sein.
Donnerstag, 24. Oktober 2024
Supergroup statt Vorruhestand
THE HARD QUARTET - s/t
Noch ganz frisch: „The Hard Quartet“. Das nach der Band benannte Debüt-Album ist ein stilistisch vielfältiger Indie-Alternativ-Rock-Pop-Mix. Spielfreudig und virtuos eingespielt, arrangiert und produziert. Was nicht wundert bei diesen „Debütanten“ und ihren Bandgeschichten: Stephen Malkmus (Pavement), Matt Sweeney (Chavez, Cat Power, Superwolves), Emmett Kelly (Bonnie Prince Billy, Ty Segall) und Jim White (Dirty Three, PJ Harvey) sind die „Traveling Wilburys“ der Indie-Szene. Supergroup statt Vorruhestand.
Musikfans mit entsprechendem Geschmack (inklusive der Top-Checker:innen) werden sich an der musikalischen Qualität erfreuen. Auch für Nebenbei-Hörende halten die Songs genug Parts zum Mitsummen, Kopfnicken, Aufstampfen oder Abrocken parat.
Zum energetischen Auftakt wirbelt der Opener „Chrome Mess“ viel Staub auf: Ein Motorrad-Lift jagt Benzin in die Luft, und rollt auf dem Highway zu einem finsteren Rockschuppen mit brettharten Gitarrenwänden im tiefsten Westen der USA. Der Text offenbart psychedelisches Potenzial, wenn „Sister Sludge“ mit den „ampelgrünen Augen“ angesungen wird und das Leben mit ihr ein „heißes Chromchaos“ verspricht. Auch in „Renegade“ drückt die Viererbande das Rockn' Roll-Gaspedal amtlich durch.
Andernsongs mögen es die Haudegen softer: ob mit entspanntem Country-Feeling am Lagerfeuer („Heel Highway“) oder Britpop-balladig wie in „Rio's Song“ oder in „Six Deaf Rats“, wo Malkmus' Gesang Lou Reed wiederaufersingen lässt. „Earth Hater“ wiederum klingt verspielt zappaesk.
Abwechslung ist also Programm - auch innerhalb der Songs, wenn etwa „Action For Military Boys“ mit doomigem Hardrock startet und über poppigen Chorgesang in gitarrengetriebene, diverse Parts und Indie-Sphären mündet. Das alles gelingt „The Hard Quartet“ in einem organischen Spielfluss, oft hymnisch und mit den letzten Stücken des Albums ruhiger werdend.
Das organische Zusammenspiel kommt nicht von ungefähr: Im GQ-Interview erzählte die Band, dass bereits in der ersten Woche ihrer Zusammenarbeit beinahe so viele Songs entstanden sind, um ein Album damit füllen zu können. Sie seien sich zuvor immer wieder zufällig begegnet, ehe Sweeney Malkmus zur Beginn der Corona-Pandemie vorschlug, „The Hard Quartet“ zu gründen. Eine gute Idee!
Live sind sie im kommenden Jahr möglicherweise auch in Europa am Start. Ihr Live-Debüt gab die Band am 10.10. in Los Angeles, am 17.10. gng's dann in New York weiter, am 22.10. in London und im Januar 2025 spielen sie einige Konzerte in Australien. We'll see..
Stonebridge
"The Hard Quartet" ist im Oktober 2024 auf Matador Records / Beggars Group (Indigo) erschienen.
thehardquartet.com
facebook.com/thehardquartet
Donnerstag, 17. Oktober 2024
Air Raid Siren Is Over
BOHDAN STUPAK AIR RAID SIREN IS OVER - FIELD RECORDINGS ON AIR
Live! Wie fühlt es sich an, on air zu sein? Wenn man es nicht sollte. Weil Flugzeuge Bomben abwerfen. In einem Krieg, unter dem die Bevölkerung leidet. Unschuldige Menschen, die ihrem Alltag nachgingen. Den es jetzt nicht mehr gibt. Wie erklärt man das?
Vielleicht kann man das gar nicht erklären. Darum begreifen zu wenige. Erleben ist anders. Tief gehender. Unter die Haut. Wenn wir hören. Als wären wir da. Ohrenzeugen.
Bohdan Stupak erlebt dies in der Ukraine und setzt sich damit auseinander. Muss das tun. Auf der Compilation STOP ALL WARS, die seit Februar 2022 Künstler Musik mit dem Titel stop all wars veröffentlichen lässt, solange, bis alle Kriege auf der Erde enden, hebt er mit seinem knapp zehnminütigen Noisetrack Field Recordings auf ein unheimliches Niveau.
AIR RAID SIREN IS OVER (08/2024) ist ein beklemmendes akustisches Artefakt diskurrierend inmitten menschlicher Dummheit. Dabei ist die Dummheit weniger die Dissoziation des sirenierenden Luftalarms, um Tonaufnahmen für einen geräuschvollen Musikbeitrag zu erstellen. Die Dummheit, die menschliche, ist der Umstand, der dazu führt, sich um das Menschliche zu stellen und sein eigenes Sein und das seiner eigenen Spezies in Frage zu stellen. Leider gehört auch das zum menschlich Allzumenschlichen. Dass nichts ehern und nichts notwendig ist, gleichwohl Gut und Böse sich ein wechselseitig interpretiertes Stelldichein geben. Mit Kultur können wir diese letztliche Sinnlosigkeit nicht aus den Angeln heben, wohl aber sie besser aushalten und Keimlinge für künftige Früchte auf verbrannter Erde setzen.
AIR RAID SIREN IS OVER nimmt sich Zeit, um zu beginnen. Das Warten. Fiepen. Weit im Hintergrund erhaschen die Ohren eine unheilvolle Sinuskurve. Hin und wieder und hierauf immer öfter in skalierter Tonlage. Im Vordergrund Geklapper. Wie nervös bediente Kippschalter und Tasten in einer Schaltzentrale. Aggregate. Dann Räuspern. Alles etwas dünn bis hierhin.
Ab drei Minuten bekommt die Aufzeichnung Körper. Ein resonanter Oszillator summt. 200 Hertz? Eine tagträumerisch gedrückte Klaviertaste kultiviert das Szenario und erinnert an den Trott des Damals. Kurz darauf gesellen sich vokale Schnipsel hinzu. Eine wirr abgehakte Konversation ist zu erahnen. Es tönt wie ein Fehler einer chaotisch widergegebenen Aufnahme, wie ein missglücktes Stück. On air! Aber das ist Absicht. Das ist Chaos. In einem Krieg. …jetzt eine Blockflöte oktroyierter musikalischer Früherziehung. Einstige Kakophonie wider den Hausfrieden, nun so lieblich wie die Nachtigall.
Minute sechs: Ja, es ist ein Dialog. Zwischen einem Mann und einem Kind. Zwischen Bohdan und seinem Sohn. Immer noch zerfledderndes Tremolo und Beatshift, doch die Intervalle verkürzen sich zu ganzen Sätzen. Abermals die Blockflöte. In der letzten Minute erklingen die Sätze in Reinform. Der Vater spricht mit seinem verängstigten Sohn, der etwa drei Jahre alt sein mag. Wie erklärt man das? Kann man nicht. Aber man hört Liebe. Mutige, ja fast gleichmütige Hinwendung in einer Ausnahmesituation. Eines Vaters zu dem Keim, den er in die Zukunft gesetzt hat. Ein Keim, der in Kultur aufgehen soll. Life!
Gustav Roland Reudengeutz
Den Track AIR RAID SIREN IS OVER von Bohdan Stupak findet sich hier.
Die Compilation Стоп! (STOP) hier.
Donnerstag, 10. Oktober 2024
Schön, wenn junge Leute Musik machen Pt.LXL
Manchmal langweile ich mich fürchterlich, wenn ich mich mit aktueller deutschsprachiger Musik beschäftige. Klingt alles nach dem gleichen Scheiß, nichts dabei, was die Wurst vom Teller zieht. Ist vielleicht auch das Ältere-Mann-Syndrom. Scheiß Punk.
Viel gehört, viel gesehen, auf so einem snobby Kissen der Erwartungshaltungen ist es gar nicht so leicht, aus der dunklen Zelle der gepflegten Tristesse in den Palast der Euphorie getragen zu werden. Auf einer Sänfte, geschnitzt aus wohlriechenden Intarsien aus Aufregung und Neugier. Getragen von wohlgelaunten Einhörnern mit Regenbögen an den Hufen.
Aber diesmal ist es so. Gleich zwei Bands, die mindestens einen guten Song auf deutsch rausgepumpt haben. Ob das reicht, die ganze Platte zu kaufen? Ich weiß es nicht. Aber zwei gute Songs sind eine Menge wert, in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit.
Da wären zunächst mal BASSED mit "Deutsche Praktiken". Geiles Intro mit hübscher Nikel-Pallat-Hommage, Song danach auch super. Haben die viel "Die Sterne" und anderes Hamburger-Schule-Zeug in Augsburg konsumiert? Klingt jedenfalls so. Guter Text, sehr tagesaktuell in Bezug auf den Rechtsruck und dazu gibt es ein schickes Video und ein cheesy Gitarrensolo am Ende. Wenn damit genug Leute erreicht werden, sehr gerne mehr davon.
Wir erinnern uns: Ich schrub von zwei Bands. Bevor ich mich wieder dorthin zurückziehe, wo den ganzen Tag aus Nostalgiegründen der Bro-Hymn-Remix von BASSNECTAR läuft, also hier das nächste Überraschungs-Ei.
Der Bandname ist nicht so ein Catcher, aber die Musik ist es: Die Rede ist von THE BACKYARD BAND. Das klingt wenig einfallreich oder gar experimentell, aber - solide. Scheinen diese Jungs (alles Jungs, auch im Video) auch zu sein. Erdige Typen, die völlig altmodischen Boogie-Garage-Punk-RocknRoll spielen. So Zeug, was komplett aus der Zeit gefallen ist. Dazu manchmal auch, und das ist das Schöne, Texte auf Deutsch. Kerniger Rock'n'Roll mit deutschsprachigen Texten, die Kombi ist schon wieder so alt, dass man sie für innovativ halten könnte. Ist sie natürlich nicht. Hol das Ouija-Board raus und frag Opa.
Hörbeispiel 1: Der sehr gute Song "Haltet einfach mal die Fresse". Und ja, wir bewegen uns hier in einem homosozialen Raum, also nur junge Männer, die auch sehr maskulin auftreten. Eine Truppe, die nur aus Jungsfreunden besteht, gemeinsam imm Proberaum abhängt und dort eben jungsmäßigen, angeprollten Quatsch macht. Klischee, Klischee, I know.
Aber ich denke, das sind welche von den Guten. Und "Haltet einfach mal die Fresse" singe ich schnell mit, weil auch hier gerade aktuelle Konflikte auf sehr alltagsnahe Weise thematisiert werden. Ist außerdem so eloquent, dass ich manchmal an den guten alten Dendemann denken muss. Ganz andere Mucke, ich weiß, aber so vom Gefühl under Rotzigkeit, die drin steckt,sehe ich Parallelen.
Die ganzen hard facts um das Album, welche Prominenz da wie und wann im Studio mitgeholfen hat - fuck it, diese Infos kriegt ihr auch so schnell raus.
Gary Flanell
Aber diesmal ist es so. Gleich zwei Bands, die mindestens einen guten Song auf deutsch rausgepumpt haben. Ob das reicht, die ganze Platte zu kaufen? Ich weiß es nicht. Aber zwei gute Songs sind eine Menge wert, in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit.
Da wären zunächst mal BASSED mit "Deutsche Praktiken". Geiles Intro mit hübscher Nikel-Pallat-Hommage, Song danach auch super. Haben die viel "Die Sterne" und anderes Hamburger-Schule-Zeug in Augsburg konsumiert? Klingt jedenfalls so. Guter Text, sehr tagesaktuell in Bezug auf den Rechtsruck und dazu gibt es ein schickes Video und ein cheesy Gitarrensolo am Ende. Wenn damit genug Leute erreicht werden, sehr gerne mehr davon.
Wir erinnern uns: Ich schrub von zwei Bands. Bevor ich mich wieder dorthin zurückziehe, wo den ganzen Tag aus Nostalgiegründen der Bro-Hymn-Remix von BASSNECTAR läuft, also hier das nächste Überraschungs-Ei.
Der Bandname ist nicht so ein Catcher, aber die Musik ist es: Die Rede ist von THE BACKYARD BAND. Das klingt wenig einfallreich oder gar experimentell, aber - solide. Scheinen diese Jungs (alles Jungs, auch im Video) auch zu sein. Erdige Typen, die völlig altmodischen Boogie-Garage-Punk-RocknRoll spielen. So Zeug, was komplett aus der Zeit gefallen ist. Dazu manchmal auch, und das ist das Schöne, Texte auf Deutsch. Kerniger Rock'n'Roll mit deutschsprachigen Texten, die Kombi ist schon wieder so alt, dass man sie für innovativ halten könnte. Ist sie natürlich nicht. Hol das Ouija-Board raus und frag Opa.
Hörbeispiel 1: Der sehr gute Song "Haltet einfach mal die Fresse". Und ja, wir bewegen uns hier in einem homosozialen Raum, also nur junge Männer, die auch sehr maskulin auftreten. Eine Truppe, die nur aus Jungsfreunden besteht, gemeinsam imm Proberaum abhängt und dort eben jungsmäßigen, angeprollten Quatsch macht. Klischee, Klischee, I know.
Aber ich denke, das sind welche von den Guten. Und "Haltet einfach mal die Fresse" singe ich schnell mit, weil auch hier gerade aktuelle Konflikte auf sehr alltagsnahe Weise thematisiert werden. Ist außerdem so eloquent, dass ich manchmal an den guten alten Dendemann denken muss. Ganz andere Mucke, ich weiß, aber so vom Gefühl under Rotzigkeit, die drin steckt,sehe ich Parallelen.
Die ganzen hard facts um das Album, welche Prominenz da wie und wann im Studio mitgeholfen hat - fuck it, diese Infos kriegt ihr auch so schnell raus.
Gary Flanell
Donnerstag, 3. Oktober 2024
Die Magie des Weges (eine Überschrift wie aus einem schäbigen Wartezimmerheftchen)
TRAIL MAGIC - Zine Nr. 3
Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.
So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.
Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.
Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.
Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.
Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.
Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.
Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx
Gary Flanell
Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.
So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.
Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.
Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.
Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.
Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.
Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.
Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx
Gary Flanell
Donnerstag, 12. September 2024
Renfield. urlaub. trallala
Wenn ihr das hier lest, ist in Renfieldhausen keine*r da. Sondern der Setzer im Urlaub.
Kein Content für den Container, kein Gedanken, die geäußert, keine Rezensionen, die geschrieben werden, keine Links, keine Mails. Nix.
Einfach mal Pause.
Schön so.
Hier hätte jetzt so ein Urlaubssymbol-Bild von Strand stehen können, aber das mit dem halben Sofa und dem Kabel war schöner.
Kein Content für den Container, kein Gedanken, die geäußert, keine Rezensionen, die geschrieben werden, keine Links, keine Mails. Nix.
Einfach mal Pause.
Schön so.
Hier hätte jetzt so ein Urlaubssymbol-Bild von Strand stehen können, aber das mit dem halben Sofa und dem Kabel war schöner.
Donnerstag, 5. September 2024
Schön, wenn junge Menschen Musik machen Pt.IIXMLIX
BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule
„Zehn Minuten“, sagt Gary, „Zehn Minuten, stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt, ists fertig.“ Nun denn also, was Gary sagt, ist wahrscheinlich kein Gesetz, aber sicherlich ein prima Ratschlag, den man beherzigen und es einfach mal ausprobieren kann.
Unpacking the Wundertüte. Es grüßt zunächst Golden Press aus Bremen und wirbt ins Frühjahr 2024 vorschauend für einen neugierig machenden Katalog namens „Was soll das Ganze?“, in dem anscheinend u. a. der Druck „Kunst bleibt beschissen“ zu finden ist. Paradestart.
Dann erst einmal die Rückseite der Platte erwischt, mit ISBN-Nummer, dem Hinweis, dass die Stadt Würzburg das Teil nicht gefördert hat und einer Liste von zehn kryptischen Liedtiteln, die mal so wunderbar gar nix besagen. Mitgemacht und umgedreht.
Abrissszenenbildchen, Bandname, Titel und ein Als-ob-Aufkleber als Als-ob-Reklame oder vielleicht auch nur, weil er gelb und auch ein krakeliger Fußball drauf ist. Und nun? Zunächst mal auf den Moment warten, weiter müßiggehen und sich dabei nicht davon beeindrucken lassen, dass auf der einen Seite Kati und Steffi per Alexa mit Udo Jürgens den Sommer beschallen und auf der anderen Seite Achim nach vorherigem Dauerbetrieb von Kärcher, Rasenmäher, Vertikutirer, Fön (?) und Knattermann 5000 nun die heimlich besorgte, dann grinsend verlegte Russischweißeichenterrasse dauer- und dauer- und dauer- und dauer- und dauerelektroschmirgelt, während vorne jemand unendlich baggert, weiter hinten ein anderer seinen kläffenden Miniköter anschreit und oben drüber heulend ein Bummsurlaubsbomber fliegt. (Anm. d. Setzers: Glaube, dass man Bumsurlaubsbomber nur mit einem M schreibt, bin aber nicht ganz sicher, also lass ich das so stehen.)
BURNOUT, meintwegen sogar OSTWEST, so geht das auch, nicht mehr als nur kurz um sich herumgehorcht und dabei noch nicht einmal weiter hochgerechnet, dass das alles allenfalls ein klitzekleiner Ausschnitt von allem anderen heutigen Unglaublichen und Nichtwahrseindürfenden ist.
„Heutzutage! Heutzutage!“ Widerstand! Nämlich die eigene Lautstärke über den letzten Widerstand hinaus gedreht und dann im Sinne von „Haltet doch alle mal bitte kurz eure Schnauze!“ zurückgedröht. Geht per Bremer Schule prima! Allenfalls zwei Instrumente, eins davon ein Keyboard mit enervierendem NDW- oder Schülerbandsound, eine zeternölige Stimme und textlich ohne Punkt und Komma Feststellungen zur heutigen Innen- und Außenwelt, bei denen eine Entscheidung, ob man über sie lachen oder weinen oder sich empören soll, irgendwie nicht möglich ist – die nämliche Voraortskakophonie wird plattgemacht. Kati brüllt irgendwann, ob das denn wohl sein müsste. Achim keckert und will wissen, „watt datt dann is“. Und sogar der Flieger ist weg! Ich bin entzückt.
Nach Runde #4 der Scheibe gelingt es problemlos, in die sinnfreien Grölrefrains einzustimmen. „Kein Gott, kein Staat, nur Hildegard!“ lasse ich die Nachbarschaft wissen, die sich überwiegend nun jedoch in die abgedunkelten Wohnzimmer zurückgezogen hat und dort lieber im Schatten verdörrt, als sich dieses unvermittelte, schnörkellose und unglaublich eingängige musikalische Anmeckern und Aufbegehren weiter zu geben. Müssen sie selber wissen, ich wäre jetzt in guter Laune durchaus gesprächsbereit und gar gäbe ein Bier aus.
Kati, Steffi, Achim und die anderen sind austauschbar, ich bin es ebenfalls, Musiktherapie à la BURNOUT OSTWEST ist heuer aber alternativlos.
Die zehn Minuten sind rum. Ok, sogar ein paar mehr, weil ich zu zwanghaft bin, die Vertipper und in der Unendlichkeit verglühende Schachtelsätze so usselig stehen zu lassen. Egal.
Kurzfazit: feine Platte, grob, ungeschliffen, nervend, aber dann doch wieder nicht nervend, tatsächlich jeder Hit ein Treffer, wie auf dem Cover versprochen. Und ob das Ganze was mit Team Scheiße zu tun hat, weiß ich tatsächlich nicht, weil ich die nach wie vor nicht kenne.
Felipe Nogal
BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule ist jetzt raus und gibt es online hier. und auf Vinyl hier.
„Zehn Minuten“, sagt Gary, „Zehn Minuten, stell dir am besten die Uhr. Und wenn der Alarm bimmelt, ists fertig.“ Nun denn also, was Gary sagt, ist wahrscheinlich kein Gesetz, aber sicherlich ein prima Ratschlag, den man beherzigen und es einfach mal ausprobieren kann.
Unpacking the Wundertüte. Es grüßt zunächst Golden Press aus Bremen und wirbt ins Frühjahr 2024 vorschauend für einen neugierig machenden Katalog namens „Was soll das Ganze?“, in dem anscheinend u. a. der Druck „Kunst bleibt beschissen“ zu finden ist. Paradestart.
Dann erst einmal die Rückseite der Platte erwischt, mit ISBN-Nummer, dem Hinweis, dass die Stadt Würzburg das Teil nicht gefördert hat und einer Liste von zehn kryptischen Liedtiteln, die mal so wunderbar gar nix besagen. Mitgemacht und umgedreht.
Abrissszenenbildchen, Bandname, Titel und ein Als-ob-Aufkleber als Als-ob-Reklame oder vielleicht auch nur, weil er gelb und auch ein krakeliger Fußball drauf ist. Und nun? Zunächst mal auf den Moment warten, weiter müßiggehen und sich dabei nicht davon beeindrucken lassen, dass auf der einen Seite Kati und Steffi per Alexa mit Udo Jürgens den Sommer beschallen und auf der anderen Seite Achim nach vorherigem Dauerbetrieb von Kärcher, Rasenmäher, Vertikutirer, Fön (?) und Knattermann 5000 nun die heimlich besorgte, dann grinsend verlegte Russischweißeichenterrasse dauer- und dauer- und dauer- und dauer- und dauerelektroschmirgelt, während vorne jemand unendlich baggert, weiter hinten ein anderer seinen kläffenden Miniköter anschreit und oben drüber heulend ein Bummsurlaubsbomber fliegt. (Anm. d. Setzers: Glaube, dass man Bumsurlaubsbomber nur mit einem M schreibt, bin aber nicht ganz sicher, also lass ich das so stehen.)
BURNOUT, meintwegen sogar OSTWEST, so geht das auch, nicht mehr als nur kurz um sich herumgehorcht und dabei noch nicht einmal weiter hochgerechnet, dass das alles allenfalls ein klitzekleiner Ausschnitt von allem anderen heutigen Unglaublichen und Nichtwahrseindürfenden ist.
„Heutzutage! Heutzutage!“ Widerstand! Nämlich die eigene Lautstärke über den letzten Widerstand hinaus gedreht und dann im Sinne von „Haltet doch alle mal bitte kurz eure Schnauze!“ zurückgedröht. Geht per Bremer Schule prima! Allenfalls zwei Instrumente, eins davon ein Keyboard mit enervierendem NDW- oder Schülerbandsound, eine zeternölige Stimme und textlich ohne Punkt und Komma Feststellungen zur heutigen Innen- und Außenwelt, bei denen eine Entscheidung, ob man über sie lachen oder weinen oder sich empören soll, irgendwie nicht möglich ist – die nämliche Voraortskakophonie wird plattgemacht. Kati brüllt irgendwann, ob das denn wohl sein müsste. Achim keckert und will wissen, „watt datt dann is“. Und sogar der Flieger ist weg! Ich bin entzückt.
Nach Runde #4 der Scheibe gelingt es problemlos, in die sinnfreien Grölrefrains einzustimmen. „Kein Gott, kein Staat, nur Hildegard!“ lasse ich die Nachbarschaft wissen, die sich überwiegend nun jedoch in die abgedunkelten Wohnzimmer zurückgezogen hat und dort lieber im Schatten verdörrt, als sich dieses unvermittelte, schnörkellose und unglaublich eingängige musikalische Anmeckern und Aufbegehren weiter zu geben. Müssen sie selber wissen, ich wäre jetzt in guter Laune durchaus gesprächsbereit und gar gäbe ein Bier aus.
Kati, Steffi, Achim und die anderen sind austauschbar, ich bin es ebenfalls, Musiktherapie à la BURNOUT OSTWEST ist heuer aber alternativlos.
Die zehn Minuten sind rum. Ok, sogar ein paar mehr, weil ich zu zwanghaft bin, die Vertipper und in der Unendlichkeit verglühende Schachtelsätze so usselig stehen zu lassen. Egal.
Kurzfazit: feine Platte, grob, ungeschliffen, nervend, aber dann doch wieder nicht nervend, tatsächlich jeder Hit ein Treffer, wie auf dem Cover versprochen. Und ob das Ganze was mit Team Scheiße zu tun hat, weiß ich tatsächlich nicht, weil ich die nach wie vor nicht kenne.
Felipe Nogal
BURNOUT OSTWEST - Bremer Schule ist jetzt raus und gibt es online hier. und auf Vinyl hier.
Donnerstag, 29. August 2024
Schön, wenn Finnen Musik machen Pt. YXI
GOBLIN SHARK - RAT BONE
Menschen, die massenweise Videos über die seltsamsten Tiere des Planeten schauen, wissen natürlich, dass es den Koboldhai, auf englisch Goblin shark, wirklich gibt. Allerdings nicht in finnischen Gewässern. Die Referenz zu Mitsukurina owstoni passt bei den drei lustig schaurigen Finnen aber trotzdem, denn wenn es um kauzig-schrullige Rock'n'Roll-Versionen geht, hat Finnland nunja, die Nase vorn. Was wieder zur Nase des Goblin Shark passt.
Also: Der Nasenhai sieht lustig, aber auch ein ein wenig unheimlich aus. Wenn man ihn sieht, weiß man, dass er sicher gefährlich ist, aber so ganz abnehmen kann man ihm das nicht. So in etwa läuft's auch bei diesem Trio. Um das Obskure, das etwas drollig-Schaurige, versetzt mit schroffem Humor und dem Grusel mit Augenzwinkern geht es auch bei den drei lustigen Rock'nRoll-Predigern. Das Bild von drei Typen, die tief im Sumpf in einer Hütte seltsamen Dingen und Rock'n'Roll-Ritualen nachgehen, läuft mir durch den Kopf, während RAT BONE im CD-Player seine Kreise zieht. Um sich in den Bann von Trash-Voodoo ziehen zu lassen, musst du nicht bis nach New Orleans fliegen, ein Ticket mit dem Billigflieger nach Tampere dürfte auch reichen.
Screamin'Jay Hawins hatte diesen augenzwinkernden Rock'n'Roll-HokusPokus genauso gut drauf wie Dr. John oder Tito & Tarantula und davon haben sich die drei finnischen Jünger wahrscheinlich viel ins Ohr geträufelt. Manchmal gesellen sich beim Hören auch gewisse Psychobilly-Assoziationen dazu, nicht dieses schnelle hektische Zeug, eher der brütende, fiebrige Stoff, den THE CRAMPS oder DEADBOLT so gut beherrschten. Das ganze Album könnte gut den Soundtrack zu einem Tim-Burton-Film liefern. Zu irgendwelchen Horror-B-Movies sowieso.
Wenn diese Musik nun ein Topf voll mit heißem Gumbo ist, in dem allerlei Getier verkocht wird, dann sind Pharao Pirttinkangas (auch so ein Name, den du nur einmal in einer Rezension schreiben willst), Taskinen und Neuvonen die Hexenmeister, die tief in den Wäldern eine große Portion Boogie, Garagerock, Gruseltrash, Voodoo Blues und ureigenen finnischen Humor mit einem guten Schluck Swamprock zusammenbrauen.
Das klingt wie ein typischer Halloween-Cocktail. Kann sein, dass manche Menschen nur zu Allerheiligen darauf Bock haben, aber eigentlich ist die Jahreszeit egal, in der man sich diese Platte gönen kann. Denn Spaß machen diese angenehm durchgeknallten Typen immer. Würde ich gern live sehen, aber das kann bestimmt dauern, bis diese Hexenmeister mal auf dem Besen nach Berlin kommen. Wäre jedenfalls dabei.
Anspieltipps: 1. Genghis Khan 2. Serial Eater 3. Root Canal Surgery (Denn wieviele Songs gibt es, die eine Zahnwurzelbehandlung metaphorisch aufgreifen? I love it!)
Gary Flanell
GOBLIN SHARK - RAT BONE ist auf VOODOO RHYTHM Records erschienen.
Donnerstag, 22. August 2024
Schön, wenn Rüttenscheid Musik macht Pt. I
INTERNATIONAL MUSIC - ENDLESS RÜTTENSCHEID
International Music ist so international wie ein Amboss im freien Fall flexibel ist, oder Hamburg eine Metropole.
Im Spiel mit ironischer Provinzialität bewegt sich die Indie Konsensband des Prenzlauer Berges und allen anderen sein-wollen-wie-Stadtvierteln dieser Republik souverän zwischen schön und schaurig.
Angesagte Musik zum wohlfühlen, ausprobieren und abgehen.
Nach ihren ersten beiden Alben auf dem Berliner STAATSAKT Label, erscheint Endless Rüttenscheid nun auf dem bandeigenen Label TIMELESS MELANCHOLIC MUSIC als Katalognummer eins.
Inhaltlich bleibt es zumeist im privaten, ohne Übergriffigkeiten oder Erwartungen – warm und kuschelig wie ein Frühlingssonnenstrahl. Es treten auf :
Kirmesschenkelklopfer (International heat), Marius Müller Westernhagen Anleihen (Kraut), einnehmende Melancholie (Endless Rüttenscheid, Mont St. Michel, Im Sommer bin ich dein König) und vieles, was schön anfängt [ESSEN – der Harmoniegesang sitzt..], bevor sich International Music etwas zu oft in den Rock mit großem R verabschieden, um sich dort zu verlieren.
Kommt auf Festivals wahrscheinlich gut, ist aber halt auch nur eine Option...
Einfach mal öfter im zweiten Gang nach Hause fahren....
[und jetzt einen kleinen Cappuccino mit Hafermilch und Schuss].
Hörrissey
Essen Rüttenscheid – Angesagter Stadtteil zum Wohnen, Arbeiten und Ausgehen [Eigenwerbung]
International Music ist so international wie ein Amboss im freien Fall flexibel ist, oder Hamburg eine Metropole.
Im Spiel mit ironischer Provinzialität bewegt sich die Indie Konsensband des Prenzlauer Berges und allen anderen sein-wollen-wie-Stadtvierteln dieser Republik souverän zwischen schön und schaurig.
Angesagte Musik zum wohlfühlen, ausprobieren und abgehen.
Nach ihren ersten beiden Alben auf dem Berliner STAATSAKT Label, erscheint Endless Rüttenscheid nun auf dem bandeigenen Label TIMELESS MELANCHOLIC MUSIC als Katalognummer eins.
Inhaltlich bleibt es zumeist im privaten, ohne Übergriffigkeiten oder Erwartungen – warm und kuschelig wie ein Frühlingssonnenstrahl. Es treten auf :
Kirmesschenkelklopfer (International heat), Marius Müller Westernhagen Anleihen (Kraut), einnehmende Melancholie (Endless Rüttenscheid, Mont St. Michel, Im Sommer bin ich dein König) und vieles, was schön anfängt [ESSEN – der Harmoniegesang sitzt..], bevor sich International Music etwas zu oft in den Rock mit großem R verabschieden, um sich dort zu verlieren.
Kommt auf Festivals wahrscheinlich gut, ist aber halt auch nur eine Option...
Einfach mal öfter im zweiten Gang nach Hause fahren....
[und jetzt einen kleinen Cappuccino mit Hafermilch und Schuss].
Hörrissey
Essen Rüttenscheid – Angesagter Stadtteil zum Wohnen, Arbeiten und Ausgehen [Eigenwerbung]
Geriatrie und Subkultur (Opa erzählt vom Konzert)
Vielleicht war es das Interview mit Martin Seliger von den Shitlers auf der Seite des KAPUT-Magazins, das mich darüber nachdenken ließ, eventuell mal wieder eine Printausgabe des Renfield-Zines in Angriff zu nehmen. Oder gar ein Buch? Man wird sehen.
Allrdings weiß ich nicht genau, wohin das hier führt. Das Interview handelt von der neuen Shitlers-EP und einem Song, der "Wolfgang Wendland" heißt. Darin geht es, wenig überraschend, um den Sänger der Kassierer, der sich in den letzten Jahren immer mehr zum grumpy old Punk-Dude entwickelt hat. Die Kassierer werde ich hier nicht weiter vorstellen, Wikipedia hilft im Notfall. Ich fand diesen Artikel deshalb interessant, weil er mich auf ein Thema zurückführte, dass mich schon öfter in den letzten Jahren durch den Kopf gegangen ist: Das Älterwerden in subkulturellen Kontexten.
Ganz klar liegt aus meiner Perspektive das Altwerden als Punk/Punkrocker*in und angrenzenden Szenen im Fokus. Es stellt sich ja die Frage: Wie wird man da alt, ohne sich lächerlich zu machen? Wie kann man als Punk/Punkrocker*in (ob diese Unterscheidung notwendig ist, wäre auch noch zu diskutieren) altern, wenn man diese beiden Aspekte - unvermeidliche körperliche Verschleißerscheinungen und eigenes subkulturelles Selbstbild - miteinander vereinbaren will und mit sich selbst im Reinen sein möchte?
Ich selber würde mich nicht mehr als Punk bezeichnen. Dafür bin ich mittlerweile von Szeneaktivitäten zu weit weg und ich finde auch diese Beschränkung auf bestimmte Codes, Outfits, Musik und Menschen, mit denen man Zeit verbringt, eher einengend. Sympathisant aber sicher noch. Und naja, vielleicht ist es mittlerweile die Einstellung, als das Outfit.
Allerdings gibt es sicher einige Ü50er, die lange in der Szene aktiv und unterwegs sind und sich selber immer noch als Punk bezeichnen würden. Aber wie kann man die unvermeidbaren körperlichen Veränderungen mit einer doch eher auf einen jungen Metabolismus (Lange feiern, laute Konzerte, Festivals, Drogen, Fokus eher nicht so auf regelmäßigen Lohnjob, kein Gedanke an Altersvorsorge, offensive Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen) zugeschnittenen Lebensstil vereinbaren? Wie geht man damit um, wenn man erlebt, dass diese rebellische Bewegung, die zum eigenen Selbstverständnis gehört, eigentlich immer mehr an Relevanz verliert?
Gibt es ein Rezept, dass eine*n davor schützt, sich ab eine bestimmten Punkt nicht einzuigeln und zurückzuziehen, in Nostalgie zu verfallen und als Referenzen nur die eigene, vor 20 Jahren in ihren Grundfesten gebaute Plattensammlung zu sehen? UND sich eine Offenheit gegenüber neuen Strömungen in der Szene zu behalten? Neueinsteiger*innen nicht mit Platzhirschgehabe (das gender ich jetzt mal nicht) wegzutreten? Gibt es einen Weg auch mit Mitte 50 und Wampe im Youth-of-Today-Shirt nicht lächerlich auszusehen? Auch neue Aspekte der eigenen Persönlichkeit zuzulassen, dei eigentlich nicht zum Punkimage passen? Was machen eigentlich die 60-Jährigen Skinheadfrauen so? Die alten Metaller (wobei ich Metal eine der wenigen Szenen sehe, wo ältere Menschen recht gut integriert werden)? Und die Ü60-Gothics?
Nun ist es nicht so, dass Punk das Thema Alter beziehungsweise Älterwerden thematisch ausgespart hätte. Songs darüber gibt es einige und aus den meisten spricht die pure Angst:
"I don't wanna grow up" (RAMONES)
"Ich will nicht älter werden" (BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, oder auch gleich die ganze Platte "Jung kaputt spart Altersheim)
"GRUPPENSEX IM ALTERSHEIM" (Alter Deutschpunksampler, bezeichnenderweise auf einem Label namens "Live slow, die old" erschienen, und eigentlich der Titel eines Songs von den 3 Besoffskis. Keine Punkband.)
"Alt sein" (PISSE)
"What will it be like, when I get old?" (DESCENDENTS)
"Live fast, die young" (CIRLE JERKS)
"Jetzt kommen die Jahre" (DIE SCHWARZEN SCHAFE)
Alles Tracks, die bekannt sind, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Aber diese Songs sind alle entstanden, als die Bands noch voll im Saft und jung waren, und das Thema Alter eher negativ bis ironisch betrachtet wurde. Und sie sind alle schon mindestens schon 30 Jahre alt. Kam danach nie wieder was aus Punk-Hausen?
Was noch dazu kommt, irgendwann: Die Sache mit der Geriatrie. Wie willst du als Punk-Opa mal gepflegt werden, wenn's alleine nicht mehr geht? Oder als HipHop-Oma? Oder als Techno/Electro-Nerd, der sich an den sedierenden Schlagersoundtrack in der Altersresidenz nur schlecht gewöhnen kann? Was, wenn du dein Leben lang vegan gelebt hast und der Mobile Soziale Hilfsdienst bringt dir jetzt mindestens 1x die Woche Sauerbraten mit Klößen oder Tote Oma? Oder schütteln wir alle unsere über Jahrzehnte geformte Szene-Identität einfach am Eingang vom Pfegeheim ab und lassen uns widerstandslos in beigefarbene Übergangskamotten und Gesundheitsschuhe stecken?
Wahrscheinlich wird eh alles nicht so schlimm. Möglicherweise schleicht sich eine gewisse Gelassenheit und Altersmilde ein, eine gewisse Freude an anderen Dingen als Lederjackendesign, Iropflege und Abkotzen über Dinge, die man eh nicht ändern kann, Schweinesystem und so. Aber ihr merkt: Die durch Punk lange mittransportierte Angst vor dem Altern, dem damit einhergehenden körperlichen Verfall und Identitätsverlust schwingt immer noch in diesen Zeilen mit.
Können die subkulturelle Identität und damit verbundene Lebensweisen, die du dein Leben lang entwickelt hast, komplett über Bord geworfen werden, weil in den vorgesehehen Pflegestrukturen diese Gewohnheiten gar nicht eingeplant sind? Kann darauf in einer Pflegeeinrichtung Rücksicht genommen werden? Ist dort überhaupt ein Verständnis für alternative Lebensstile vorhanden? Oder, und das wäre ja vielleicht das schönste: Gibt es schon subkulturelle, selbstverwaltete Altersheime, Mehrgenerationenhäuser oder ähnliches? Früher wurden AJZs und das Leben in Hausprojekten am laufenden Band organisiert, warum sollte das nicht möglich sein, Wohnformen für Greis*innen zu entwickeln, die auf eine subkulturell geprägte Biografie Rücksicht nehmen? Ein subkulturelles Avalon oder Shangri-La, wo die Punks alt werden dürfen, wie sie möchten.
Dass die Peitsche des Alters erbarmungslos knallt, habe ich selber vor ein paar Jahren erfahren. Wie es häufig so ist, durch eine Krankheit. Gicht war die Diagnose. Gichtanfälle sind große Scheiße. Aber die Krankheit ist gut behandelbar und wenn man sich nicht zu blöd anstellt, kann man damit gut leben. Aber: Alkohol ist halt nicht mehr drin, Fleischkonsum wird ebenfalls sehr eingeschränkt.
Ehrlich gesagt, finde ich das gar nicht so schlecht. Saufen wurde mit zunehmendem Alter eh immer anstrengender und spaßloser. Mittlerweile ist es zumindest in Berlin, auch akzeptiert, dass man keinen Alkohol trinkt. Ich merke allerdings auch, dass viele Anlässe, zu denen man sich früher getroffen hat, oft über Alkohol funktioniert haben und so manche durchzechte Nacht ins Mythische erhoben wurde, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Ewig lange Nächte in Punkrock-Kneipen und -Clubs von Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind für mich jetzt nicht mehr so spannend, deshalb hänge ich da auch eher selten herum. Ein gewisser Rückzug aus Szenetreffpunkten geht damit einher, aber ehrlich gesagt, gefällt mir das ganz gut. Und ich liebe es total, morgens wach zu werden und keinen Kater zu haben, der mich drei Tage begleitet. Vor 10-15 Jahren war das noch komplett anders.
Also: Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. Das ist natürlich alles sehr auf Punk/Indie-wasweißich bezogen. Interessant wäre es sicher auch, das ganze nochmal in Bezug auf Männer und Frauen zu betrachten. Altern Frauen in Subkulturen anders als Männer? Werden sie anders wahrgenommen? Und was noch gar nicht so gesehen wurde: Wie geht man als Punk-Opa denn mit Altersarmut um? Denn die ist ja auch mit dem Thema Arbeit und der punkimmanenten Verweigerung derselben verbunden. Bestimmt kein uwichtiges Thema für die alten Punks, die sich im Rentenalter immer noch prekär mit dem Jobcenter rumschlagen müssen, weil die Rente eben nicht reicht.
Soviele Fragen. Ich denke, es wird Zeit für eine Publikation.
Eigene Ideen und Gedanken zu dem Thema? Bock, mitzuschreiben? Einfach eine Mail an renfield-fanzine@hotmail.de schicken.
Gary Flanell
Allrdings weiß ich nicht genau, wohin das hier führt. Das Interview handelt von der neuen Shitlers-EP und einem Song, der "Wolfgang Wendland" heißt. Darin geht es, wenig überraschend, um den Sänger der Kassierer, der sich in den letzten Jahren immer mehr zum grumpy old Punk-Dude entwickelt hat. Die Kassierer werde ich hier nicht weiter vorstellen, Wikipedia hilft im Notfall. Ich fand diesen Artikel deshalb interessant, weil er mich auf ein Thema zurückführte, dass mich schon öfter in den letzten Jahren durch den Kopf gegangen ist: Das Älterwerden in subkulturellen Kontexten.
Ganz klar liegt aus meiner Perspektive das Altwerden als Punk/Punkrocker*in und angrenzenden Szenen im Fokus. Es stellt sich ja die Frage: Wie wird man da alt, ohne sich lächerlich zu machen? Wie kann man als Punk/Punkrocker*in (ob diese Unterscheidung notwendig ist, wäre auch noch zu diskutieren) altern, wenn man diese beiden Aspekte - unvermeidliche körperliche Verschleißerscheinungen und eigenes subkulturelles Selbstbild - miteinander vereinbaren will und mit sich selbst im Reinen sein möchte?
Ich selber würde mich nicht mehr als Punk bezeichnen. Dafür bin ich mittlerweile von Szeneaktivitäten zu weit weg und ich finde auch diese Beschränkung auf bestimmte Codes, Outfits, Musik und Menschen, mit denen man Zeit verbringt, eher einengend. Sympathisant aber sicher noch. Und naja, vielleicht ist es mittlerweile die Einstellung, als das Outfit.
Allerdings gibt es sicher einige Ü50er, die lange in der Szene aktiv und unterwegs sind und sich selber immer noch als Punk bezeichnen würden. Aber wie kann man die unvermeidbaren körperlichen Veränderungen mit einer doch eher auf einen jungen Metabolismus (Lange feiern, laute Konzerte, Festivals, Drogen, Fokus eher nicht so auf regelmäßigen Lohnjob, kein Gedanke an Altersvorsorge, offensive Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen) zugeschnittenen Lebensstil vereinbaren? Wie geht man damit um, wenn man erlebt, dass diese rebellische Bewegung, die zum eigenen Selbstverständnis gehört, eigentlich immer mehr an Relevanz verliert?
Gibt es ein Rezept, dass eine*n davor schützt, sich ab eine bestimmten Punkt nicht einzuigeln und zurückzuziehen, in Nostalgie zu verfallen und als Referenzen nur die eigene, vor 20 Jahren in ihren Grundfesten gebaute Plattensammlung zu sehen? UND sich eine Offenheit gegenüber neuen Strömungen in der Szene zu behalten? Neueinsteiger*innen nicht mit Platzhirschgehabe (das gender ich jetzt mal nicht) wegzutreten? Gibt es einen Weg auch mit Mitte 50 und Wampe im Youth-of-Today-Shirt nicht lächerlich auszusehen? Auch neue Aspekte der eigenen Persönlichkeit zuzulassen, dei eigentlich nicht zum Punkimage passen? Was machen eigentlich die 60-Jährigen Skinheadfrauen so? Die alten Metaller (wobei ich Metal eine der wenigen Szenen sehe, wo ältere Menschen recht gut integriert werden)? Und die Ü60-Gothics?
Nun ist es nicht so, dass Punk das Thema Alter beziehungsweise Älterwerden thematisch ausgespart hätte. Songs darüber gibt es einige und aus den meisten spricht die pure Angst:
"I don't wanna grow up" (RAMONES)
"Ich will nicht älter werden" (BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, oder auch gleich die ganze Platte "Jung kaputt spart Altersheim)
"GRUPPENSEX IM ALTERSHEIM" (Alter Deutschpunksampler, bezeichnenderweise auf einem Label namens "Live slow, die old" erschienen, und eigentlich der Titel eines Songs von den 3 Besoffskis. Keine Punkband.)
"Alt sein" (PISSE)
"What will it be like, when I get old?" (DESCENDENTS)
"Live fast, die young" (CIRLE JERKS)
"Jetzt kommen die Jahre" (DIE SCHWARZEN SCHAFE)
Alles Tracks, die bekannt sind, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Aber diese Songs sind alle entstanden, als die Bands noch voll im Saft und jung waren, und das Thema Alter eher negativ bis ironisch betrachtet wurde. Und sie sind alle schon mindestens schon 30 Jahre alt. Kam danach nie wieder was aus Punk-Hausen?
Was noch dazu kommt, irgendwann: Die Sache mit der Geriatrie. Wie willst du als Punk-Opa mal gepflegt werden, wenn's alleine nicht mehr geht? Oder als HipHop-Oma? Oder als Techno/Electro-Nerd, der sich an den sedierenden Schlagersoundtrack in der Altersresidenz nur schlecht gewöhnen kann? Was, wenn du dein Leben lang vegan gelebt hast und der Mobile Soziale Hilfsdienst bringt dir jetzt mindestens 1x die Woche Sauerbraten mit Klößen oder Tote Oma? Oder schütteln wir alle unsere über Jahrzehnte geformte Szene-Identität einfach am Eingang vom Pfegeheim ab und lassen uns widerstandslos in beigefarbene Übergangskamotten und Gesundheitsschuhe stecken?
Wahrscheinlich wird eh alles nicht so schlimm. Möglicherweise schleicht sich eine gewisse Gelassenheit und Altersmilde ein, eine gewisse Freude an anderen Dingen als Lederjackendesign, Iropflege und Abkotzen über Dinge, die man eh nicht ändern kann, Schweinesystem und so. Aber ihr merkt: Die durch Punk lange mittransportierte Angst vor dem Altern, dem damit einhergehenden körperlichen Verfall und Identitätsverlust schwingt immer noch in diesen Zeilen mit.
Können die subkulturelle Identität und damit verbundene Lebensweisen, die du dein Leben lang entwickelt hast, komplett über Bord geworfen werden, weil in den vorgesehehen Pflegestrukturen diese Gewohnheiten gar nicht eingeplant sind? Kann darauf in einer Pflegeeinrichtung Rücksicht genommen werden? Ist dort überhaupt ein Verständnis für alternative Lebensstile vorhanden? Oder, und das wäre ja vielleicht das schönste: Gibt es schon subkulturelle, selbstverwaltete Altersheime, Mehrgenerationenhäuser oder ähnliches? Früher wurden AJZs und das Leben in Hausprojekten am laufenden Band organisiert, warum sollte das nicht möglich sein, Wohnformen für Greis*innen zu entwickeln, die auf eine subkulturell geprägte Biografie Rücksicht nehmen? Ein subkulturelles Avalon oder Shangri-La, wo die Punks alt werden dürfen, wie sie möchten.
Dass die Peitsche des Alters erbarmungslos knallt, habe ich selber vor ein paar Jahren erfahren. Wie es häufig so ist, durch eine Krankheit. Gicht war die Diagnose. Gichtanfälle sind große Scheiße. Aber die Krankheit ist gut behandelbar und wenn man sich nicht zu blöd anstellt, kann man damit gut leben. Aber: Alkohol ist halt nicht mehr drin, Fleischkonsum wird ebenfalls sehr eingeschränkt.
Ehrlich gesagt, finde ich das gar nicht so schlecht. Saufen wurde mit zunehmendem Alter eh immer anstrengender und spaßloser. Mittlerweile ist es zumindest in Berlin, auch akzeptiert, dass man keinen Alkohol trinkt. Ich merke allerdings auch, dass viele Anlässe, zu denen man sich früher getroffen hat, oft über Alkohol funktioniert haben und so manche durchzechte Nacht ins Mythische erhoben wurde, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Ewig lange Nächte in Punkrock-Kneipen und -Clubs von Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind für mich jetzt nicht mehr so spannend, deshalb hänge ich da auch eher selten herum. Ein gewisser Rückzug aus Szenetreffpunkten geht damit einher, aber ehrlich gesagt, gefällt mir das ganz gut. Und ich liebe es total, morgens wach zu werden und keinen Kater zu haben, der mich drei Tage begleitet. Vor 10-15 Jahren war das noch komplett anders.
Also: Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. Das ist natürlich alles sehr auf Punk/Indie-wasweißich bezogen. Interessant wäre es sicher auch, das ganze nochmal in Bezug auf Männer und Frauen zu betrachten. Altern Frauen in Subkulturen anders als Männer? Werden sie anders wahrgenommen? Und was noch gar nicht so gesehen wurde: Wie geht man als Punk-Opa denn mit Altersarmut um? Denn die ist ja auch mit dem Thema Arbeit und der punkimmanenten Verweigerung derselben verbunden. Bestimmt kein uwichtiges Thema für die alten Punks, die sich im Rentenalter immer noch prekär mit dem Jobcenter rumschlagen müssen, weil die Rente eben nicht reicht.
Soviele Fragen. Ich denke, es wird Zeit für eine Publikation.
Eigene Ideen und Gedanken zu dem Thema? Bock, mitzuschreiben? Einfach eine Mail an renfield-fanzine@hotmail.de schicken.
Gary Flanell
Donnerstag, 15. August 2024
Schön, wenn die Chemie stimmt Pt. I
MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES
Das österreichische Duo Claussen-Klement, auch bekannt als DUO 3-KANAL (zu zweit in Korrespondenz mit einer Lautsprecherbox) stilisiert mit Alchemical Allures eine wohlgeplante Klang-Collage bestehend aus dinglich-zithrig-vocaloiden Geräuschfetzen, flatternd in einem elektro-ätherischen Corpus. Durchdacht arrangiert, auch wenn sich der Sinn dessen nicht unmittelbar erschließt. Aber das ist womöglich schon die titulierte Alchemie, die ja auch undurchsichtig und umstritten ist.
Alchemie, das ist die mittelalterliche Stofflehre mit ihren unzähligen reaktiven Versuchen, ferner das Veredeln unedler Stoffe. Ob Claussen und Klement mit ihrem vierteiligen Album ein güldenes Erzeugnis vollbracht haben, soll im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein.
Alchemical Allures ist in vier Teile gliedert: Helium, Silver, Sodium und Neon, je sieben bis zehn Minuten lang. Unklar ist, ob diese chemischen Elemente bereits das Produkt sein oder als Reaktant herhalten sollen. Helium beispielsweise ist zwar kein Gold, aber immerhin ein edler Stoff, nämlich ein Edelgas.
Helium, altgriechisch für Sonne, eröffnet den Ohren einen tatsächlich hörbar hell beschienen Wiesengrund mit Grillengezirpe und Wind im Hintergrund. Die Stimmung indessen wird schnell düster-schaurig, ob der claussen’schen Lippenbekundungen: Hauchen, pressiertes Gluckern, Piep und Plopp, Hecheln und flinke Zungenakrobatik. Eine schizoide Mischung aus Erotik und Horror, aus indigenem Kauderwelsch und Würgereiz. Derweil klackert Klement grazilen Schrittes auf kühlem Grund durch einen fernhallenden Korridor und ergänzt die Naturelle mit maschineller Kulturstruktur.
Silver, das argentische Übergangselement, erklingt sofort als das, was es ist, als Metall, hier spiraliert und verschieden dick aufgetragen. Man kann sich gar einen silbernen Vogel vorstellen, der routiniert durch seine Metallfedern schnäbelt. Dabei schrammelt und döngelt es anmutig, das Federvieh bürstet dabei schwingelnd über den Boden, stößt mit seinem Bürzel hin und wieder an einen Becher oder an eine Klangschale, aber viel mehr passiert eigentlich nicht.
Sodium brummt. Sodium knistert. Dies reine Element, auch Natrium genannt und auch ein Metall, scheint sich dick- und dünnflüssig durch etwas zu winden. Hier dominieren die elektrischen Frequenzen, viel Strom, sowohl solo also auch angenehm resonant in verschiedenen Tempi. Überraschend ineinander fallend in die sämig-wogenden Elektronenteppiche wispert erneut die bereits bekannte Stimme hie und da, von links nach rechts, von hinten nach vorne, ähnlich schizo-schrill wie in Helium, doch diesmal inmitten eines großvolumigen Rauschens, das wie Sodbrennen durch die Röhren der Mensch-Maschine blubbert.
Eine Reise durch das Innere, achtsam aufgebaut, füllig verwoben und am Ende fummelt ein blonder Barde auf seiner Laute zum Geleit durchs Gedärm Groß aufgebaut, ganz seicht ausgeblendet mit pfiffelndem Tön und in Folge dessen doch nur ein feuchter Furz.
Neon schließlich ist die vierte Komponente und wiederum ein edle, ein Edelgas und insofern im gleichen Aggregat wie der alchemistische Auftakt. Zurückhaltend und argwöhnisch begegnen sich Metallquellen und perkussive Rascheleien. Ein bisschen Stimme, ein bisschen No-Input-Mixing, ein bisschen Rausch, ein bisschen Plastik, ein Gong, der nicht gongt, überspannte Saiten und Kling und Klang. Eher abwechselnd und tatenlos, so wie das reaktionsträge Neon in seinem ureigensten Element. Der Schluss geriert zaghaft zur geigenhaften Horrorfilmbegleitung, aber finalisiert das Album mit offenem Ende und erschöpftem Fragezeichen.
Ist die Transmutation gelungen? Das Opus magnum, der Stein der Weisen, ist dies wohl nicht. Alchemical Allures hört sich weniger wie Musik und mehr wie eine Performance an.
Als Sound-Installation für eine Kunstausstellung, wo in einem weißen Raum Grasbüschel, Federn und Zweige an einer Schnur von einem Motor im Kreis gezogen werden und eine groteske Puppe dazu tanzt und launenhafte Phrasen tönt, ist dieses Klangerlebnis besser verortet. Eine Mixtur aus artifizieller Inszenierung und Kontemplation bis hin zum Allerlei, denn nur allzu oft und besonders in Silver werden an sich schöne Sounds weitestgehend brav aneinandergereiht wie in einem Hexenkessel, in den Elemente geworfen werden, die sich schlechterdings kaum verbinden lassen.
Das großräumliche der elektronischen Komponenten und die zumeist effektlosen perkussiven und vokalen Elementen stehen sich zu singulär gegenüber und lediglich in Sodium bricht die Membran auf und breitere Teppiche entrollen sich zu einer verwobenen Melange. Alles andere klingt gekünstelt und ist darob Kunst, aber es hat gleichsam einen unauthentischen Beiklang, der zuweilen vorführend und gar besserwisserisch rüberkommt.
Ist das Wiener Schmäh oder arrangierte Scharlatanerie? So allüresk die Kompositionen auch sein mögen, sie fügen sich ein in ein versuchungsreiches Konzeptalbum ritueller Elektrokunst: Alchemical Allures ist ein fundiertes Klangexperiment von Martina Claussen und Katharina Klement, eine intellektuelle Akustik-Performance zweier Künstlerinnen aus Österreich.
Gustav Roland Reudengeutz
MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES ist auf Ventil Records erschienen.
Donnerstag, 8. August 2024
Schön, wenn Psycho Analyse noch Musik macht Pt. II
Brezel Göring & Psychoanalyse -
Friedhof der Moral
Er hat es wieder getan.
Trug sein erstes Solo-Album noch den Namen „Psychoanalyse (Volume 2)“, so hört nun beim Nachfolger gleich mal Brezel Görings Begleitband auf selbigen.
Ok, ohne „Volume 2“, das wäre aber auch ein wenig zu absurd. Hinter der Band verbirgt sich eine illustre Truppe durchgeknallter Untergrund-Musiker, die Kreuzbergs Punkprinzessin zielsicher um sich geschart hat.
Die bringen sich da alle mehr oder weniger mit ein und sorgen somit für einen kongenialen Stilmix, den man so in dieser Form ein zweites Mal vergeblich suchen muss.
Auf „Friedhof der Moral“ trifft Punk auf Pop, Disko auf Polka, Trash auf Blues. Brezel hat außerdem ein Faible für klassische Musik und natürlich und vor allem für den französischen Chanson.
Hat der Tod von Françoise Cactus und damit das Ende von Stereo Total eine riesige Lücke in die Berliner Musiklandschaft gerissen, so darf man doch ausgesprochen froh sein, dass Brezel nicht aufgegeben hat und weiter musiziert. Dass er an diesem Verlust allerdings fast zerbrochen wäre, kann man seinen Texten doch gelegentlich anhören. Normal ist hier gar nichts, abgründig eigentlich alles. Immer wieder gewährt Brezel Einblicke in die Tiefen seiner Seele, die Perversionen seiner Sexualität (wenn es so etwas überhaupt gibt) oder seine Vorliebe für berauschende Substanzen.
„Tilidin“ könnte auch fast eine Liebeserklärung an die Angebetete sein. Aber nein, es geht nicht um eine Frau oder einen Mann, sondern um das Mittelchen. Darüber hinaus laufen einem auf diesem Album „Feuerlöscher“ über den Weg, führt einen die Reise nach „Tschernobyl“ oder lässt es den Hörer auf dem „Friedhof der Moral“ erwachen. Eine Tour de Force in die Niederungen des menschlichen Seins. Und das macht dabei stets unheimlich viel Spaß.
Denn eines ist und bleibt Brezel Göring in erster Linie: Ein begnadeter Entertainer, der sein Publikum einfängt, mitnimmt und dann irritiert zurücklässt. So auch auf diesem grandiosen Meisterwerk mit dem formvollendeten Titel „Friedhof der Moral“.
Abel Gebhardt
BREZEL GÖRING & PSYCHO ANALYSEs Album "Friedhof der Moral" erscheint am 20.09. als Vinylchen, Silberling und Kassettchen auf Stereo Total Records/Flirt 99 erschienen.
Mittwoch, 7. August 2024
Sex-positive alien amoeba entity
CUMGIRL8 - KARMA POLICE (Single release)
Die Überschrift mag verwirrend sein, aber so bezeichnet sich das Kollektiv (um mal den Begriff Band auszutauschen) cumgirl8 aus New York selber - wenn man Wikipedia glauben möchte. Ich möchte Wikipedia jetzt mal glauben und bin gespannt wie sich das erste cumgirl8-Album auf 4AD in gänze anhört.
Morgen gibt es schon einmal die erste Single "Karma Police", ist kein Radiohead-Gedöns, was ein Glück. Sondern eher ein interessantes feministisches Post-Punk-Wave-irgendwas-Projekt. Multimedia muss noch erwähnt werden, denn cumgirl8 machen nicht nur Musik, sondern sind auch im Bereich Film, Publishing und Fashion unterwegs. Alle machen alles, also. Ich hoffe, ihr verzettelt euch dabei nicht.
Was bisher auf Youtube rumschwirrt klingt schicko! Viel 80ies-Wave klingt hier durch, hier etwas Siouxsie da etwas Delta 5 und ein bissl von dem Mo-Dettes. Bald kommt also das Debut-Album "the 8th cumming"auf 4AD. Da geht's dann um das Konzept Cyberfeminismus, das die Beziehung zwischen Mensch, Maschine, Natur und Technologie im Blick hat. Klingt irgendwie spannend nach Utopie, sowas kann die Welt ja derzeit ja ganz gut gebrauchen. In so eine Musik verpackt, erst recht.
Wie gesagt, morgen 08.08., ab 16 Uhr hochoffizielle Videopremiere von cumgirl8s Video-Single Karma Police hier.
Donnerstag, 1. August 2024
Schön, wie vor 10 Jahren Musik gemacht wurde Pt. I2XU
SLEAFORD MODS - DIVIDE AND EXIT 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks)
2014 war ich in Berlin unterwegs. Die Dinge liefen mal so, mal so. Meist eher so. Die Sleaford Mods wären ein guter Soundtrack für eine leicht prekäre Berliner Existenz gewesen. Ich war dafür allerdings nicht so wirklich offen. Natürlich habe ich damals irgendwas von diesen beiden mitbekommen, die wurden damals ja sehr abgefeiert, auch und viel von diversen Punkpublikationen, obwohl das musikalisch kein herkömmlicher Punkrock war.
Die Anschlußfähigkeit an unsere liebste Motz-Rum-Subkultur kam bei Jason Williamson und Andrew Fearn wohl eher vom Auftreten und der Einstellung, die sie an den Tag legten. Die beiden Typen sahen aus wie leicht angegangene, mürrische Clubgänger, damit hätten sie auch gut in die Fortsetzung von Trainspotting gepasst. Dazu kam dieser Minimalismus, der fast schon dreist oder auch provokant zu nennen wäre. Nicht zu vergessen: Die recht gute Vernetzung im DIY-Punk-Kontext, die Sleaford-Mods-Single "Bambi" erschien 2013 auf X-Mist Records, Armin Hoffmann wusste es halt schon immer.
Was da passierte, war in seiner Dreistigkeit schon sehr Punk: Einer von den beiden schießt am Rechner die Elektrotracks ab, der andere nölt dazu in breitestem britischem Slang über alles und jeden rum. Über die Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation an sich. Britisches Englisch hat eh launenunabhängig eine charmante Melodie und nun flucht da einer rum, eben zu Billo-Beats und einfachen Basslinien, die am Rechner zusammengebastelt wurden. Dazu wird ungelenk über die Bühne gehupft. Das haben auch die verstanden, die nicht jede Zeile verstanden haben.
Die Musik ist das Vehikel, möglicherweise kein besonders luxuriöses. Aber eins, das funktioniert. Eins, mit dem hervorragend die frustigen Lyrics über alles, was damals in GB im alltäglichen Leben der nicht ganz so Privilegierten schieflief, transportiert werden. Da Punkrock seine Relevanz und Schärfe als Mecker-Medium im Laufe der Jahrzehnte verloren hat, brauchte es eben eine neue Herangehensweise. Denn zum Motzen gibt es immer noch genug, also warum nicht mal neue Methoden ausprobieren? Auf musikalische Filigranität wurde geschissen, auch auf eine Besetzung im herkömmlichen Rock-Sinn und das ist ja schon mal sehr Punk. Scheiß auf Gitarren, scheiß auf Instrumente, scheiß auf Songschema oder tricky Strukturen. Aber live auch sehr unterhaltsam. Also Haken dran.
Weil soviel textreich rumgemeckert wurde und die Songs dann auch einfach nach einer bis drei Minuten einfach aufhörten, sind SLEAFODS MODS sowas wie eine Konsensband, auf die sich verschiedenste Gruppen einigen konnten: Punks und Indieloddels, die diese trashige, schlecht gelaunte und somit sehr nachvollziehbare Rangehensweise eben deshalb schätzten. Dazu Elektroconnaisseure, weil es nun mal eine erfrischend andere Art von Elektro war. Vielleicht auch ein paar versprengte Britcore-Überlebende, die ebenfalls die rohe, ungeschminkten Texte schätzten, weil es authentischer klang, näher dran war an der eigenen Lebensrealität und so gar nichts von gekünsteltem DickeHose-Gangster-Werdereichoderstirbdabei-HipHop hatte. Denn straßencredibel wirken die Mods auf alle Fälle. Eine Band, die Fans von The Fall und The Streets gleichermaßen abfeiern, kann nur interessant sein.
Davon ab krachen die Hits auf DIVIDE AND EXIT auch nach 10 Jahren wie eine Röhre Mentos in der Cola-Flasche: "Git some balls", "Tied up in Nottz", "Tweet Tweet Tweet", "Tiswas" oder "The Corgi" - alles Kracher, die sich schon jetzt schon ins Alzheimer-immune Gedächtnis der Popkultur eingeschrieben haben. Tanzte zu letzterem übrigens gerade nur im Bademantel durch die Plattenbauwohnung und hoffte, dass es laut genug war, damit die Nachbarn mitfeiern können.
Das hat natürlich alles seine Geschichte. DIVIDE AND EXIT war nicht das erste Album der Band, sondern schon das siebte. Sieben Alben von 2007 bis 2014, eine fast serielle Produktionsweise, alle DIY-mäßig rausgebracht, das zeugt von Hartnäckigkeit, jeder Menge Ideen und dem ziemlich tief sitzenden Glauben an das, was man tut. Man kann es ihnen gönnen, dass sie mit ihrem Scheiß abgefeiert worden sind. Eine Schritt zurückgetreten ist die Geschichte dieses Duos somit auch eine, die sehr gut in die mythenhafte Geschichtenbuch der Popkultur passt. Die Geschichte von den beiden Underdogs, die es mit dem, was sie kompromisslos tun, selber ikonisch geworden sind.
Das schöne an den Sleaford Mods ist natürlich, dass es einfach zwei Kerls in Freizeitsportkleidung (oder Campingplatz-Outfit) sind, die so auch seit 20 Jahren am Tresen in der Perspektivlos-Kneipe eines Berliner Vororts neben dir sitzen könnten.
Dabei sollten immer die gesellschaftlichen Umstände in Großbritannien mit in die Betrachtung der Band einbezogen werden. Thatcherism und die troslosen Folgen, die gerade abseits der Metropole London, wahrscheinlich auch in Nottingham, wo die Sleafords Mods herkommen, so richtig für sozialen Kahlschlag und Tristesse gesorgt haben. Es ist leicht zu sehen, dass damals nicht alles erstes Sahne war, und dass nicht wirklich was besser geworden ist - eh klar. Gründe zum Abkotzen gab es vor 10 Jahren genug und heute wahrscheinlich auch noch.
Dass es schon wieder 10 Jahre her ist, seit "Divide and Exit" erstmals erschienen ist, verwundert ein bißchen. Denn so einfach und billig das erscheint, was Williamson und Fearn machen, so zeitlos klingt es auch. Zumindest wenn man es in der Distanz von 10 Jahren sieht. Wer weiß, mit welchen Ohren das in 20 Jahren gehört wird.
Was irgendwie vorhersehbar war: Auch die Sleaford Mods sind nicht gegen die Strategien der popkulturellen Wiederverwertungsmühle gefeit. Zum 10. Jahrestag wird "Divide and Exit" also nochmal rausgebracht, auf Doppel-Vinyl, mit Bonustracks und Flexi-Disc (legt sowas eigentlich irgendwer wirklich auf den Plattenteller?). So werden die Plattensüchtigen geködert, damit die Zweitverwertung funktioniert.
Es sollen mit dieser Neuauflage wohl die damals Zuspätgekommen (das wären dann so Typen wie ich) oder Nochgarnichtgeborenen unter den Vinyljunkies von der Bushaltestelle am Plattenmarkt abgeholt werden. Für alle anderen, die Spotify-Zombies und Youtube-Nuckler, ist das eh alles immer und überall verfügbar und Menschen, die Musik meistens auf diese Art konsumieren, ist es wahrscheinlich auch egal, ob dieser Bonustrack jetzt verfügbar ist oder jener Track neu abgemischt wurde oder der Doppelvinylversion eine Flexidisc beiliegt.
Mir tendenziell auch, trotzdem freue ich mich, dass dieses Album nun wieder für einige Zeit als Vinylversion erhältlich sein sollte und das nicht zu Mondpreisen, die die Erstveröffentlichung wohl mittlerweile erzielt.
Gary Flanell
Sleaford Mods - Divide and Exit 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks) ist am 26.Juni auf Beggars Banquet erschienen.
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