So viele tolle Projekte
„Aber du hast doch so viele tolle Projekte“, raunen mir meine Freunde immer wieder zu. Stimmt. Oft kann ich die aber nicht so wertschätzen, wie ich es gern möchte. Und warum? Weil mir der Scheißgedanke im Nacken sitzt, wie ich über den nächsten Monat kommen soll. Das vergällt mir oft die Freude an den schönen Projekten. Weil das, was ich gern tue, monetär nicht zum Leben reicht. Also beziehe ich Hartz4.
Alle sechs bis zwölf Monate das EKS-Fomular auszufüllen, in Vorausschau, was man denn verdienen werde, ist schon desparat genug. Noch desparater wird es, wenn man vom Jobcenter ein Schreiben bekommt, dessen Mißtrauen gegenüber meinen Angaben nur so aus der Druckertinte quillt. Wer mit „dem Amt“ zu tun hat, kommt relativ schnell in die Situation, sich irgendwie schuldig zu fühlen. Schuldig, sich nicht genug um einen bezahlten Job zu bemühen. Schuldig, die Unterlagen nicht rechtzeitig eingereicht zu haben. Schuldig, sein gesamtes Arbeitsleben vermasselt zu haben. Denn wenn's nicht klappt mit deiner hübschen Kreativ-Freiberuflerexistenz, dann bist du alleine schuld, weil du lebst, wie du lebst. Mit diversen Tätigkeiten jonglieren, ständig Leistung bringen und nicht mal die Miete davon zahlen können. Ach, die Miete. Auch so ein Thema, das den prekär lebenden Menschen zur scheinbar alternativlosen Depression bringt. Aber eben nur scheinbar.
Gängig wird ja so gewohnt: Du zahlst einem Vermieter relativ viel Geld dafür, dass er dir einen oder mehrere Wohnräume zur Verfügung stellt. Dieser Vermieter ist im Gegenzug meist nicht greifbar und wenn überhaupt, manifestiert er sich in Form einer eher mißtrauisch zu betrachtenden Hausverwaltung. Andere Wohnmodelle werden von den meisten nicht in Betracht gezogen. Von mir selber lange auch nicht. Bis ich umgezogen bin. Raus aus meiner WG im kuscheligen Kreuzberg, rein in ein Hausprojekt in Lichtenberg. Lichtenberg?
Vor zwei Jahren wäre das ein Berliner Äquivalent zur Verbannung in den Ural gewesen. Doch die Wohnungssuche in Kreuzberg oder Neukölln ändert das rasch, wenn du mit 30 anderen Interessierten eine Wohnung anschaust und merkst: Ich habe hier keine Chance. Keine Chance gegen die Kinder reicher Eltern, die ihre Ellbogen im Wohnungskampf mit gut bestückten Bürgschaften ausgepolstert haben, keine Chance mit meinen beschissenen Kontoauszügen gegen die Regelmäßigverdiener. Um nochmal in einer WG neu anzufangen, fehlte mir nach 16 Jahren einfach die Energie. Ich brauchte vier eigene Wände und ein eigenes Klo. Aber wie? Und wo? Lichtenberg?
Dort tat sich eine Möglichkeit auf, die ich so nicht auf dem Schirm hatte. Denn zum ersten Mal überhaupt wohne ich jetzt in einem Hausprojekt.
Meine Wohnung befindet sich in einem sechsstöckigen Plattenbau, in dem früher die Stasi hauste. Jetzt leben dort 60 Menschen fast aller Altersstufen. Man kennt sich vom Sehen, grüßt sich, quatscht miteinander, ist sich eher bekannt als fremd. Das hier ist quasi „Mein Block“, um mal Sido zu zitieren. Es ist ein wenig wie das Prinzip WG, nur auf eine andere Ebene gehoben. Statt sich eine Wohnung zu teilen, teilen wir uns ein Haus.
Jede/r hat seine/ihre Rückzugsräume, kennt aber die Menschen, die nebenan, unten drunter oder oben drüber wohnen. Natürlich zahle ich hier auch Miete, aber eine günstige. Und die dient dem Haus, nicht der Rendite der Eigentümerfirmen.
Hausprojekte kennt man eher von besetzten Häusern, die nach harten Kämpfen einen legalen Status bekommen. In der Stasiplatte war das anders. Das Projekt hat sich ganz legal gegründet und das Geld für den Kauf über Kredite zusammenbekommen. Das geht mit Hilfe des Mietshäuser-Syndikats. Gekauft wurde gemeinsam: als GmbH. Die Mitglieder dieses Projekts haben dann dieses Stasi-Bürohaus von Hand so saniert, dass es WG- und einzelwohntauglich geworden ist. Und den ständigen Mieterhöhungen von Immobilienfirmen entzogen.
Darum ist dieses Haus auch mehr geworden als ein Ort zum Schöner Wohnen. So wird den Geflüchteten, die im Stasikomplex nebenan untergebracht wurden, 1-2 mal in der Woche ein Internetcafé bereit gestellt. Ein antifaschistischer Verein hat bei uns günstige Büroräume. Und natürlich werden Lesungen und Konzerte organisiert.
Diese Idee, im Kollektiv was zu schaffen, wird oft mit Anti-Individualismus und Mitmach-Zwang assoziiert, mit denen, die diese Platte erst dort hingestellt haben. Dieses Kollektiv aber besteht aus Individualisten, die gemerkt haben, dass das gesellschaftlich immer wieder geforderte Einzelkämpfertum nichts bringt außer permanenter Erschöpfung. Klar, ein Haus für 60 Leute ist ein großes Unterfangen, will man alle 60 Menschen erreichen und motivieren, sich einzubringen. Sowas geht nicht schnell, sondern braucht viel Zeit und viele Gespräche. Aber das ist ein Projekt, das wir wertschätzen können: diese Idee – gemeinsam, aber ohne Zwang - wieder stärker in die Köpfe zu bringen. Swimmie lässt grüßen.
Gary Flanell
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