Erstmal den Notstand ausrufen!
Das mit der Anerkennung durch Erfüllen von Erwartungen habe ich erst so richtig gemerkt, als ich meine Kinder bekommen habe. Erstaunlich, wie man auf einmal in der Familie so einen ganz anderen Stand hat. Nicht dass der vorher problematisch war, halt typischer Studentenstatus. Auf einmal war ich statt dessen eine Mutter. Sofort wurde mir ungewohnte Autorität zugeschrieben und eine andere Art von Respekt erwiesen. Sehr angenehm, sowas.
Dann beschlossen der Vater meiner Kinder und ich, nicht etwa zu heiraten und die Steuerklasse zu wechseln, sondern doch lieber in getrennte Wohnungen zu ziehen, was uns in Folge ermöglichte, uns nicht gegenseitig zu erwürgen und die Schädel einzuschlagen, sondern Freunde zu werden und die Herausforderungen des Lebens wieder als Verbündete anzutreten.
Für unsere Kinder heißt das, dass sie ihre Eltern nicht täglich streiten sehen. Und dass es in beiden Wohnungen noch andere Leute gibt, die sie liebhaben, die mit ihnen Musik machen, Pfannkuchen backen, Brettspiele spielen (hatte ich noch nie Lust zu), ihnen Bilder malen (dito) und darauf bestehen, dass man gemeinsam am Tisch sitzt. Auf selbigem gibt’s dann auch mal den selbstgemachten Kartoffelbrei, der bei mir immer aus der Tüte kommt. Und einen dritten Bruder gibt es noch obendrauf.
Für uns heißt das auch, dass nicht jede soziale Fähigkeit von mir als der perfekten Mutter vermittelt werden muss. Ich brauche nicht den Engel im Haus zu geben, und der Kollege auch nicht den Patriarchen. Meine Kinder bedanken sich an der Kasse beim Verkäufer für die gerade gekauften Obstriegel und fragen ihn, wie er heißt. Von mir haben sie das nicht. So nett bin ich nie. Sie begegnen Menschen mit Zutrauen, weil sie nie etwas anderes erfahren haben als liebevolle Zuwendung, und zwar von verschiedenen Leuten, die verschiedene Arten des Umgangs haben.
Als ihnen Aschenputtel vorgelesen wurde, da sagten sie, das Mädchen hätte keinen Papa und keine Mama mehr. Dass sie im Märchen wohl einen Vater hat, der sich aber nicht um sie kümmert, das können sie sich nicht vorstellen: das ist dann ja kein Papa, per definitionem, sozusagen.
Als meine Familienangehörigen von unserer Kleinfamiliendemontage hörten, wurde der Notstand ausgerufen. Panik und Ressentiment machten sich breit. „Ihr Berliner!“ äußerte mein Schwager sich kopfschüttelnd. Meine Mutter brach zwischenzeitlich die diplomatischen Beziehungen ab, da ich ihre Enkel der Willkür und blanken Not preisgäbe und darüber hinaus den mir gerade so eben nicht Angetrauten böswillig seinem traurigen Schicksal überließe. (Der sah das anders, wurde aber nicht gefragt.) Selbst mein Vater, der sich selbst allen sozialen Bindungen entzieht, forderte über Dritte Informationen an, ob denn alles in Ordnung sei aus Anlaß dieses offenbar erschreckenden Bruches.
Die Reaktion meiner Verwandten ist, wie ich von anderen erfuhr, nicht etwa ungewöhnlich, sondern typisch. Alleinerziehend zu sein ist ein riesiges Stigma, ein Grund zur Besorgnis, etwas zu Vermeidendes, eine Katastrophe, die eine Familie befällt. Niemals aber etwas, das man wählt, das man sich aussucht, das man extra so haben will. Was nicht klar bestimmt ist als „Kleinfamilie“, ist auch wieder nur Negation: Verlust von etwas, nicht Gewinn von etwas anderem, Konkreten. Das zeigt sich auch an der gut gemeinten, aber unschuldig verächtlichen Bezeichnung „Patchwork“. Flickwerk ist etwas, das aus einem schiefen, nicht passenden, irgendwie übrig gebliebenen Zeug zusammengebastelt wurde, um damit zu versöhnen, dass es halt nicht so geklappt hat, wie es eigentlich hätte sein sollen: wie es normal wäre. Wir haben das nicht so erlebt. Wir sind eine Familie geworden und fragen uns nicht so genau, wo die anfängt und aufhört, eine Familie aus Freunden, auf die ich mich verlassen kann. Einer davon ist der Vater meiner Kinder.
Alissa Wyrdguth
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