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Dienstag, 24. Februar 2015

Ballad of the homeless Art director

Wut und Zorn steigen in mir hoch.
Je weiter ich die Manteuffelstraße zum Görlitzer Park runterlaufe, um so schlimmer wird es. Mit jedem Stromkasten und jedem Laternenpfahl, den ich passiere, nehmen Flüche und Verwünschungen zu. Denn an jedem dieser Pfeiler und Flächen klebt ein Aushang. Es ist immer der gleiche Zettel. Man findet jeden Tag ähnliche Zettel an den Strom- und Postkästen dieser Stadt. Es sind Wohnungsgesuche. Da ich derzeit keine Wohnung zu vermieten habe, ignoriere ich die meisten. Oft schaue ich auch interessehalber mal drauf, was sich der/diejenige denn so preislich vorstellt. Manche von den Zetteln sind auch überaus sympathisch geschrieben, bei den meisten denke ich, wenn ich die preisliche Einordnung für eine „dringend benötigte“ 1-Zimmer-Suche sehe: Armer Irrer.

Viele von denen, die diese Zettel in der Stadt verteilen, hängen immer noch der romantischen Vorstellung nach, dass es in Kreuzberg reihenweise billigen Mietraum gibt. Dass die Vermieter und Makler und Hausverwaltungen dieser Stadt einen Endorphinausstoß kriegen, wenn sie endlich, endlich, endlich die auf dem Zettel vermerkte Nummer wählen dürfen, um mal jemandem ihre Wohnung andrehen zu können. Vielleicht war das mal so in Kreuzberg. Es muss lange her sein. Die Erinnerungen an solche Zeiten wird in meinem Kopf von einem grauen Nebel der Depression verpackt. „Ach, was waren das für Zeiten, lalalalala…“ pfeife ich dann innerlich die Melodie eines alten Ton-Stene-Scherben-Songs daher, in dem es primär ums Kiffen geht. Vielleicht glauben heute nur noch ein paar verträumte Provinzkiffer, das die Mieten in Kreuzberg so billig sind, wie eine Tonne Haschisch im marokkanischen Bergland.
Wenn ich diese Wohnungszettel also normalerweise wahrnehme, überkommt mich Mitleid ob all dieser Illusionen, die die Verfasser dieser Zettel habenn. Am liebsten würde ich ihnen dann das harte Nudelholz der Realität über den Kopf ziehen. „Billige Wohnungen in Kreuzberg?“ würde ich dann am liebsten schreien. „Vergiß es! Wach einfach mal auf! Hier ist nix mehr billig, nicht mal der Döner, den du gerade in dich reinstopfst.“, würde ich brüllen. Und gleichzeitig rot anlaufen. Multitasking kann ich.


Die Zettel, an denen ich heute vorbeigelaufen bin, sind anders. Die hier verhandelten Wohnungsgesuche wurden von einem Art director aufgehangen. So betitelt er sich selber auf seinem Aushang. Der Art Director ist bereit, für eine 60qm-Wohnung bis zu 900 Euro zu zahlen. Das wäre ein Quadratmeterpreis von knackigen 15 Euro. Dazu ist der junge Mann auch bereit, jedem, der ihm eine Wohnung vermittelt, 1000 Euro Vermittlungsgebühr zu zahlen. Mein Puls fährt langsam in die Höhe, nachdem ich das alles gelesen und realisiert habe. 900 Euro für eine Wohnung. Für eine! Nicht für ein Luxusapartment in Charlottenburg oder ein Hausboot in Flugzeugträgerformat am Müggelsee, sondern für eine stinknormale Wohnung in Kreuzberg. Auf einmal bin ich richtig sauer. Ich würde gern was kaputt treten.

Aber warum werde ich eigentlich so wütend, wenn ich diese Zettel da sehe, auf denen mich auch noch das eigentlich ganz nette Gesicht von dem Art director angrinst? Ist es nur Wut? Ist es Neid, weil der solche Preise zahlen kann? Oder bin ich verärgert, weil ich mich so hilflos fühle? Neid ist es eher nicht, soviel wird mir schnell klar. Es ist eher die Wut darüber, hier am ganz konkreten Beispiel zu sehen, wie Gentrifizierung die Mieten in die Höhe schnellen lässt und somit den Kiez für weniger betuchte Leute unbewohnbar macht. Ich kenne persönlich niemanden, der 900 Euro für eine 60-qm-Wohnung hier zahlen kann. Zwar warm, aber dieses Detail lässt mich gerade kalt.

Der smarte Art Director weiß sicherlich, wie die Mietpreise hier sind. Das Problem ist, dass er 1.) diese Preise wohl zahlen kann und 2.) auch bereit ist, das zu bezahlen. Ich glaube aber nicht, dass er weiß, dass er mit dieser Bereitschaft, einkommensschwächeren Kiezbewohnern die Möglichkeit hier (weiterhin) bzu leben, verbaut. Wenn die Mieten erst mal oben sind, dann werden sie da auch bleiben. Denn in Kreuzberg will man ja auch gern leben. Ist ja schön hier. „Geh doch nach München, Art Director,“ denke ich, während ich auf den Zettel schaue, „da ist es auch schön“. Oder weniger nett gesagt: „Verpiss dich doch, Alter.“
Was kann ich also dagegen tun, dass Menschen, ohne Nachzudenken bereit sind, jeden Preis für eine Wohnung hier im Quartier zu zahlen? Leider überwiegt meine Hilflosigkeit. Zu der Wut gesellt sich jetzt am Spätnachmittag auch eine gewisse Verbitterung, die sich lautmalerisch nur mit „Grmpf“ ausdrücken lässt.
Mir fallen spontan zwei Möglichkeiten ein.

Möglichkeit eins: Ich hole Nägel und Hammer und rufe dann den wohnungssuchenden Art Director an. Gebe vor, eine Wohnung zum aufgerufenen Preis in bester Lage anzubieten und verabrede ein Treffen mit ihm. Beim vereinbarten Termin nagele ich ihm dann seine gesammelten Wohnungsgesuche auf die Stirn und setze ihn ohne Fahrkarte in den nächsten Zug der U1, in dem gerade fünf schlechtgelaunte BVG Kontrolleure unterwegs sind. Das wäre bestimmt machbar, aber das würde das Problem ja nur kurzfristig lösen. Es werden nämlich immer neue Art Directoren kommen; mit dem gierigen Verlangen hier wohnen zu wollen und mit der Bereitschaft, dafür immer absurdere Summen zu zahlen. Und ich kann ja nicht jedem von diesen jungen Leuten was auf die Stirn nageln. Oder doch?

Möglichkeit zwei: Den Informationsfluss unterbrechen. Das ist ganz einfach. Der Typ soll nie eine Wohnung hier im Kiez bekommen, weil niemand weiß, dass er eine sucht. Also reiße ich alle seine Zettel einfach ab. Systematisch von jeder Straßenlaterne, jedem Stromkasten und jedem schwarzen Brett, wo ich sie finde. Damit verhindere ich zwar auch nicht, dass die Mieten weiter steigen, aber mit jedem abgerissenen Zettel, den ich mit Lust zusammenknülle und auch noch draufspucke, geht es mir etwas besser.

Gary Flanell

P.S.: Lieber unbekannter obdachloser Art Director: Ich hoffe, die Wohnungssuche hier frustriert dich trotz deiner unglaublichen Zahlungswilligkeit schon bald so sehr wie alle anderen Umzugswilligen. Und ehrlich, München ist doch auch ganz hübsch.

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