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Donnerstag, 19. Juni 2025

REBECCA SPILKER - MEGA!

Was finde ich denn so richtig gut? So absolut mega? Ja, zum Beispiel die Texte der Hamburger Journalistin Rebecca Spilker, der ich seit geraumer Zeit bei den sozialen Netzwerken folge und mich ob ihrer Spitzzüngigkeit hervorragend unterhalten fühle.

Mit scharfer Feder seziert sie in ihren Kolumnen, Essays und Kommentaren Phänome, Abgründe, Sonderheit und Absurditäten des Alltags, der (Sub-)Kultur und des Lebens im allgemeinen. Ganz egal ob die Hamburger Schule oder der - Hochbunker, Rammstein oder Stuckrad-Barre, Salzteig, Einkaufsnetze oder die Farbe Beige, ihr müsst euch alle warm anziehen vor Rebeccas knallharter Abrechnung.

Doch hier geht es nicht um bloßen „Distinktionsgewinn“ oder das Bashen unliebsamer Zeitgenossen der eigenen Selbsterhöhung wegen. Im Gegenteil. Stets selbstkritisch und vor allem -ironisch blickt die Autorin dabei auf sich selbst. Und das mit soviel Humor, dass ich beim Lesen dieses Buches immer wieder laut auflachen musste. Und wenn sich der Leser, seltener die Leserin, nicht allzu ernst nimmt, kann man diesem feministischen Ansatz so viel gutes abgewinnen. Wenn Popkultur, dann bitte eben genauso, mansplaine ich hier mal so locker aus der Hüfte raus.

Da hat man ja prinzipiell wirklich so gar keinen Bock mehr auf das olle Patriarchat. Verheiratet ist Rebecca übrigens mit Frank Spilker, dem Frontmann der Band Die Sterne. Aber das tut der Sache hier auch keinen Abbruch. Im Gegenteil. Als Fangirl oder -boy bekommt man gelegentlich auch wahnsinnig komische Einblicke in den Alltag einer so genannten Szene-Prominenz und ihrer Familie.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass „Mega!“ eine wunderbare und unterhaltsame Sammlung skuriller, witziger und sehr schlauer Texte ist, die in der Summe einen tollen Kommentar zum Zeitgeist bildet.

Abel Gebhard

Ventil Verlag

Donnerstag, 12. Juni 2025

Schön, wenn die Sonne nie aufgeht

LAIBACH - ALAMUT

Der erste Sänger von Laibach erhängte sich kurz nach einem Auftritt in Zagreb an einem typisch slowenischen Heuschober.

Ein Schulfreund von mir glaubte, das seien so Jugo-Hillbilly-Nazis. Auch ich rätselte 1989, als ich in Jugoslawien vor dessen Zerfall weilte: „Darob erschien Ljubljana: An den Rändern dräuten Plattenbauten und dahinter direkt die Karawanken. Womit kein hartes Reitervolk (mit geschwärzten Gesichtern) gemeint war (wie ich weiland vielleicht gedacht hätte), sondern ein 120 km langer Zug der Kalkalpen, der wohl vom keltischen Wort für „Hirsch“ (karv) abstammt. Mitten in der Stadt buckelt der Burghügel, um den die plätschernde Laibach (Ljubljanica) leiwand ihre Schleife legt. Es gibt italienisch anmutende Kirchen, französisch inspirierte Museen, eine opulente Oper plus kakanische Cafés (damals zumeist im somnambulen Zustand) - und das alles mit weniger als 300.000 Einwohnern (wie Neukölln ohne Gropiusstadt)!

Ich erinnere Ljubljana indes hauptsächlich als leicht zerkratzte Glasvitrine hinter der ganz besonders grobschlächtige Würste liegen, während draußen ein O-Bus an Drähten vorbei bullert. Gegenüber und ringsum ragten typische Tito-Kastenwürfel stumpfgrau bis dumpfbraun. Vielleicht waren es ja auch K&K-Kastenwürfel hinter einer titoesken Sparverschalung, sämtliche Ornamente abgeschlagen, abgeschliffen oder eben durch diese sozialistische Soßenglasur überdeckt. Dank des Smogs experimenteller Diesel-Gemische - aus was für jakutischen Bohrlöchern bzw. raffinierter Partisanen-Petrolschlämpe waren die bitte gebraut? Ich weiß noch, wie ich damals überlegte, in welcher konkreten Verbindung eigentlich die Band Laibach und die Stadt Ljubljana zueinander standen. Nun, wahrscheinlich in einer ähnlichen wie besagte Gemische zum Motor...“

Sprich ein streng riechendes Treibmittel für eine reichlich individualistische Bewegung. Gerade weil besagte Band Uniformen trug und monumentale Minenarbeiterromantik mit Nazi-Todeskult sowie italienischem Futurismus Marke Mussolini kreuzte, schien sie jedweden Pathos von innen zu zerfressen. Somit ganz im Sinne Freuds die Traumata „durcharbeitend“. Sie gehörten zum größeren, losen Verbund der „Neuen Slowenischen Kunst“ (auch im Original auf deutsch) und waren in Jugoslawien von 1983 bis `87 verboten, nachdem sie bei einem Konzert zeitgleich einen Revolutionsfilm plus einen Porno im Hintergrund projizierten. Als Tito also mit einem Penis clashte, stürmte die Miliz die Bühne…

Aber das sollte dann alles ganz anders werden. „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“, wiederholt der slowenische Autor Vladimir Bartol in seinem 1938 in Triest unter dem Eindruck des Faschismus verfassten Roman „Alamut“, den er sarkastisch Benito Mussolini widmete. Alamut war die Hauptfestung der Nizariten mit dem „Alten vom Berge“ (so nannte ihn zuerst Marco Polo), dem wir die Assassinen und das Wort Haschisch verdanken – sowie viel später das Videospiel Assassin‘s Creed. Dabei war Hassan-i-Sabah auch ein großer Gelehrter (Spezialgebiet Geometrie), aber unerbittlich im Kampf gegen die Seldschuken.

Ebenso unerbittlich arbeitet Laibach, wobei sie von provozierend über propagandistisch, psychoanalytisch, bis exorzistisch vorgehen. Mittels affirmativer Überidentifizierung, so sagt jedenfalls Slavoj Žižek, der slowenische Großdenker und Laibach-Apologet. Deutsche kommen da häufig seltsam drauf (siehe oben) oder verweisen auf Rammstein, aber die Band selbst verlautbarte schon so perplex-aphoristische Sachen wie, sie seien auf die selbe Art Nazis, wie Hitler Maler gewesen sei – und Rammstein wäre Laibach für Teens. Mit dieser doppelbödigen Mixtur bespielten sie bereits Nordkorea. Nun aber steht der Iran im Fokus in ihrem Werk Alamut. Manchmal klingt das wie der Soundtrack von 2001 ohne Walzer. Epische Klangreisen von bis zu 20 Minuten Länge, die von elegischen Schichtungen (Secret Gardens) bis zu dystopischem Getöse (War) alles umfassen – ergänzt durch Farsi-Verse Omar Khayyams und Mahsati Ganjawis und natürlich Milan Fras‘ Knarzbass, der auf slowenisch verkündet: „Ich kenne weder Grausamkeit noch Gnade, ich verfolge nur meinen Plan“ (Meditation II), Fürwahr, und das passt auch wie die Faust aufs Auge zu Laibach.

Für meinen Geschmack war das früher zu bombasto-martialisch, dafür bin ich offensichtlich nicht genügend traumatisiert. Bis mich vor ein paar Jahren Mina Špiler eiskalt & glutheiß erwischte. Sie bringt mich jedes mal nahezu um mit ihrer ätherischen Halbtonsenkung am Ende von „vor Sonnen- Aufgang“, sobald sie wiederholt „die Sonne hell“, weine ich wie ein Schlosshund. Untermalt von einem Video, welches den Atomkeller in Haigerloch unter der Schlosskirche zeigt, wo ein letztes Aufgebot im NS-Staat an der Kernspaltung forschte. Der Sonnenaufgang als Atompilz – das ist eben auch Laibach für Dich!

Und wer ist heute der Führer der Nizariten? Der Aga Khan und seine jeweilige Begum (meist ein schnittiges Fotomodell)! Der reichste Erbmonarch ohne Land, denn sein Reich ist der Glaube und die direkte Abstammung von Fatima, der Tochter Mohammeds. Erst vor wenigen Wochen wechselten wir zu Aga Khan V, dem fünfzigsten Nizariten-Iman, weil sein Vater in Lissabon das Leben aushauchte. Dort steht nämlich der Diwan, der Hauptsitz der Nizariten. So now you know.

A Bit Father out

Donnerstag, 5. Juni 2025

Schön, wenn's Dubai pisst. P.t-1-I

PISSE - DUBAI

Pisse find ich schon länger gut. Haben ja mal auf einer Releaseparty zu einer Renfield-Ausgabe gespielt. Ich fand sie damals so gut, dass ich mit ihnen ein Interview machen wollte. Das hat nicht geklappt, denn die Menschen in dieser Band waren so nett, mir den dezenten Hinweis zu geben, dass sie in Interviews nicht so gut wären. Dann hab ich das gelassen. Ich habe eigentlich auch keine Fragen gehhabt, die ein Interview wert gewesen wären.

Wie ein Pisse Interview mit totaler Verweigerungshaltung komplett in die Hose gehen kann, hat Linus Volkmann mal berichtet. Als er für ein Musikmagazin ein konventionelles Interview mit der Band machen wollte, ist die Sache total kollabiert und ein wunderbares Nicht-Gespräch entstand. Weil PISSE keinen Bock auf den Medienquatsch hatten und besser als die SEX PISTOLS das Spielchen sabotiert haben. Könnt ihr irgendwo nachlesen.

Nun also neue PISSE-Albm. Titel schon sehr gut, soviele Assoziationen schießen mir durch den Kopf. Die bescheuert-überteuerte Hype-Schokolade? Das Scheichtum, das Menschenrechte mit Füßen tritt und Menschen komplett ausbeutet. Sowas. Fest steht, der Begriff Dubai ist mittlerweile ziemlich negativ belegt. Also springt sofort die punk-kritische Assoziationsmaschine an. Gut, um allein damit schon Aufmerksamkeit zu generieren.

Das zeigt immerhin, dass PISSE immer noch einen guten Riecher dafür haben, was Aufsehen erregen kann. Das funktionierte schon mit den frühen Releases. Die halbe Welt hat den Fahrradsattel-Song zwar nicht so echt verstanden, aber trotzdem geliebt, geteilt und geliket, und bei Work-Life-Balance haben alle gleichzeitig höhnisch gelacht und gekotzt, weil soviel Wahres in dem treffend kurzen Text stand. Sowas konnten Pisse immer gut. Assoziationen wecken, indem man groteske Bilder über schnelle rumpelige Punksongs schreit. Konnte sich jeder sein Stück Hass auf das Leben im 21. Jahhundert abholen. Ich auch.

So richtig hatte ich noch nicht mitbekommen, wie die neue Platte klingen würde. Also aufgelegt. Komisch, denke ich erstmal. PISSE klingen jetzt wie eine sehr ruhige, lahme Post-Rock-Indie-Kapelle? Ist das diese Weiterentwicklung einer Band, vor der alle gewarnt haben? Falscher Alarm, das Album läuft auf 45 statt 33. Also nochmal. Jetzt klingt es schon eher nach... Punk. Ein wenig nach PISSE, aber anders als bisher. Ist alles nicht so wirr, kurz und wütend, wie auf "Hornhaut ist der beste Handschuh", beispielsweise. So rumpelig ist das auch gar nicht mehr, simpel auch nicht. Das war ja mal ein Vorwurf: Dass die Band so tut, als könnten sie nix außer rudimentärem Deutschpunk, obwohl sie ziemlich passable Musiker sind. Mir war das egal. Die Songs waren knackig und kurz und haben dem ganzen Punk-Stuss mal etwas neues Leben eingehaucht.

Die Songs auf DUBAI sind, das fällt erstmal auf, etwas langsamer. Nicht Mid-Tempo (auf 33 Umdrehungen alerdings schon), aber doch schon etwas gemächlicher, dazu auch länger. Man ballert also nicht mehr durch, lässt sich Zeit, lässt Sounds mal stehen und wagt gern mal ausgefalleneres, wenn man jetzt simplen durchgepeitschten Deutschpunk als Referenz nimmt. Sory, Freunde des hektischen good old PISSE-Sounds, da müsst ihr jetzt durch: Eure Lieblingsband entwickkelt sich. Fest steht, der Begriff Dubai ist mittlerweile ziemlich negativ belegt.
Eine Orgel schleicht sich durch einige Songs, und passt da auch gut hin. Aber auch kein ganz neues Phänomen, die hätte so auch auf einem FEELING B-Album drauf sein können. Mittendrin gbt's sogar ein barock anmutendes Orgelstück, damit können sie in der Kirche in Göritz sicher die Messe füllen. Es werden also Dinge ausprobiert. Frage mich, ob da alle Fans mitgehen. Glaube schon.

Ich bin mir nicht sicher: Wenn mir jemand die Platte mit verbundenen Augen vorgespielt hätte, also ich mit verbundenen Augen, nicht der Vorspieler, ob ich sie als das neue PISSE-Album identifiziert hätte. Hätte mir trotzdem gefallen, ich wäre sicher neugierig gewesen. Es changiert alles zwischen frühem Punk der 80er, egal ob Ost oder West, an der Schwelle zu NDW. Meist dazu mit einem etwas melancholischen, desparaten Touch. Seltsamerweise fühle ich mich das eine oder andere Mal beim Gesang an die erste Platte von ZSD erinnert, dann auch mal an den Minimalismus von CHAOS Z oder an die Meckerigkeit von ELEGANT. Ich würde beim Blind Date auch nicht mal sagen können, ob das eine Band wäre, die aus dem Osten, Westen, Norden oder Süden kommt. Die Verortung läuft so nicht mehr und das finde ich wirklich mal schön, dass diese Einteilung in "typische" Ost-Punkband hier eben nicht funktioniert.

Alles andere auf diesem Album - wenn eine Platte und eine Band sich überhaupt daran messen lassen sollte, ob sie funktioniert - dagegen schon.

Gary Flanell

DUBAI von PISSE ist wie immer auf Phantom Records erschienen.