Was machen wir also, wenn wir das Normale nicht können, nicht wollen, nicht wollen können? Wir haben nachgedacht und uns selbst befragt, wo wir nach dem guten Leben suchen, mit allen Zweifeln und Abstrichen, und wie sich dem eine Gestalt geben lässt, was sonst bloß formlose Negation ist.
Was, du hast nur einen Teilzeitjob?
Was ich erstrebe, ist gesellschaftlich eine Defizitexistenz. Die Gewerkschaft kämpft dafür, dass mehr Menschen in Vollzeit arbeiten können, lese ich in einer Publikation der Dienstleistungsgewerkschaft. „Ach, du hast nur einen Teilzeitjob? Ja, es wird immer schwieriger, Vollzeitjobs zu finden“, seufzt eine Bekannte. Ich bin irritiert, und zugleich verunsichert.
Ja, ich arbeite in Teilzeit, 20 Wochenstunden. Zumindest was den sozialversicherungspflichtigen Teil meiner Einkünfte angeht. Ansonsten bin ich selbständig. Und das frei gewählt – zumindest im Rahmen der herrschenden Zustände. Ich habe einen Brotjob in Teilzeit, damit ich nebenher das machen kann, was ich wirklich machen möchte: Mediation. Konflikte bearbeiten. Praktische Friedensarbeit an der Basis. Sich damit voll zu finanzieren, ist bisher in Deutschland unmöglich. Reich wird man auch von meiner Kombi nicht, aber es langt zum Leben.
Als ich den Teilzeitjob gefunden habe, war ich heilfroh. In der Regel gibt es die nur für Mütter. Hat man kein Kind als Grund vorzuweisen, warum man*frau gerne Teilzeit arbeiten möchte, wird es schwierig. Eine Promotion ist eventuell noch ein Argument, aber ein anderer Arbeitsbereich, der einem auch noch am Herzen liegt? Das erscheint den meisten Arbeitgebern erstens suspekt und zweitens unnötig. Es passt nicht ins vorherrschende Leistungssystem, in dem man*frau immer alles zu geben hat, und zwar an einen Arbeitgeber.
Dazu kommt, dass ich sogar, hätte ich die ganz freie Wahl, tatsächlich nur Teilzeit arbeiten würde (derzeit tendiert die Kombi zu einer Vollzeittätigkeit). Mit einer 20- bis 30-Stunden-Woche in der Mediation meinen Lebensunterhalt zu verdienen – das wäre für mich das Paradies auf Erden. Den Rest der Zeit wüsste ich schon zu füllen, auch ohne Kind. Und ich glaube, vielen anderen geht es genauso. Dennoch hält sich der Mythos vom erstrebenswerten Vollzeitjob hartnäckig. 80% oder 75%, das ist das Höchste der Gefühle. Und auch das wird schon skeptisch betrachtet. Aber 50%? Das ist, ohne Mutterschaft, in den Augen vieler eine eindeutige Defizitexistenz.
Ich wehre mich dagegen, weiterhin. Und erträume mir einen Zustand, in dem ich - in Teilzeit! - von meinem Beruf leben kann.
Daja Stern
Seh ich ganz genauso! Schöner Artikel! Macht wieder ein bisschen Mut...danke!
AntwortenLöschenIch wünsche dir, dass du in Vollzeit Mediation machen und dich damit ausreichend absichern kannst. Das zu leben, was wir im Herzen tragen ist das schönste Glück und die größte Freiheit. Viel Erfolg auf deinem Weg!
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