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Donnerstag, 13. Februar 2025

Schön, wenn‘s schträäzt z Züri - Heute Cumbia, morgen Hunger!


ROLANDO BRUNO - LIVE IN EL LOKAL ZURICH

Bekanntlich haben die Peruaner den Punk erfunden (Ungläubige checken mal Los Saicos). Und die dortige Cumbia chicha war auch für den sympathischen Schnauz namens Rafael Bruno die Initialzündung „seine spezielle Sauce“ anzurühren, „die ihn von allen unterscheidet, so sagt man in Berlin, Köln und Madrid“ – nachzuhören im Song Falafel King vor einer psychedelischen Halbtempopassage.
Töte für 'ne Cumbia auf vermüllten Feten voller Amazonas-Havarien mit Ramón dem Hexerlein! Ja, allerdings im Sinne eines curandero, des traditionellen (indigenen) Heilers, der gern Fotos entgegen nimmt, um vor Neid und bösen Blicken zu schützen. Denn die gibt es gestern-heute-morgen im Dutzend billiger.


Wovon faselt der Loco, hat das ehrwürdige Renfield etwa wieder diesen fragwürdigen Zausel rangelassen? Absolut, diesmal geht es um einen verdienten Traktoristen auf dem unübersehlichen Acker der „Weltmusik“. In den 70er Jahren, als es noch freilaufende Linke gab, hatte Lateinamerika Leitwert in Sachen Literatur und Musik, doch die USA, dieser eifersüchtige Truthahn, wollten natürlich nie und nimmer ihre kulturelle Hegemonie hergeben.

Deshalb hören wir auf „Live in El Lokal Zürich 2024“ auch eine Version von „Sympathy for the devil“ alias simpatía por el demonio. Damit hat Südamerika und Argentinien im Besonderen eine Menge Erfahrung (ich sage nur Militärjunta + die Aufbewahrung von Evitas lobotomisierten und einbalsamierten Körper im Wandschrank eines Oberst).


Szenenwechsel: In Riberalta (Bolivien) begegnete mir mal eine schneeweiße Kuh. Sie schritt nächtens völlig selbsttätig zum Markt, um aus dem dortigen Müllhaufen die Leckerlis zu picken, derweil sie von kreischenden Kindern mit Müll beworfen wurde. Sie war somit die nährende Leinwand für junge Wilde - wenn das kein Symbol war!

Und sind wir schon bei wilde chueh, fallen wir direkt nach Züri ein, denn die zahlen zumindest vernünftige Gagen – in Berlin bekam man ja immer nix. Höchstens teilnahmslose Zuschauer, die eine Bierpulle im Schoß schaukeln (bzw. an der Brust, weil es meist auch keine Stühle gab). Und da erleben wir Ska-Anflüge, wie bei Conhaque, diverse Orientalismen samt Melismatik, und im Intro von cosas raras kommt Brunos Band in die Nähe von Math-Rock – jedenfalls was ich darunter verstehe. Umso eindrücklicher dies live abzufeuern.

Die Beatles waren von ihren Live-Auftritten indes dermaßen erschüttert (im negativen Sinne*), dass sie in eine Sinnkrise stürzten, aus der sie erst Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band katapultierte. Nach einer Idee, die McCartney beim Überfliegen des Kilimanjaro kam. Sprich eine Band, die andere Bands emuliert, um sich selbst nicht schämen zu müssen. Und wäre es jetzt zu viel gesagt, wenn Rolando Brunos eher dünnwandige Stimme dank Mash-up-Metamorphosen Metastasen bildet – sozusagen durch eine chinesische Supermarktbrille gesehen?
Was, Metastasen? Ja, aber ein fideler Krebs mit weltweit zuckenden Scheren, denn Cumbia ist die lingua franca für Panlatino-Powerpop-Psychedelica.

Zum Abschluss kullern zwei bedrocks der Latino-Globalisierung: El Eléctrico (von Los Destellos) und Lambada. Letztere war weiland sogar in den Rückwärtsgang ägyptischer Autos eingebaut - und verstörte mich 1990 in Alexandria. Wo ich mich fragte, mit wie wenig Bit lässt sich eigentlich Musik machen? Ja, die rundhüftige kolumbianische Cumbia hatte durch argentinische Interventionen zeitweise auch ein fies fiepsendes Gewand bekommen.


Aber Bruno und seine Band achen dies mit euphorischem Eklektizismus weg. Ein Shopping-Raubzug durch alle Regale und Register, denn bereits die Lambada ist eine französische Charts-Abstaubung des bolivianischen Panflöten-Klassikers namens Llorando se fue von Los Kjarkas. Schaut‘s Euch mal auf Youtube an, da könnt Ihr noch was über internationale Verwertungszyklen lernen.

Aber weshalb bitte live?
Tja, im Zeitalter immanenter KI-Dominanz könnte das eine niedlich humanoide Nische bilden – bis Algorithmen Dir jedes Publikum der Welt herbei generieren. Da hilft dann nur der curandero mit seinen hierbitas (Kräuterlein), denn sobald Computer rauchen, geben sie den Geist auf (den sie bislang nie hatten, nur emulieren).

Heute Cumbia, morgen Hunger. Das mag als düstere Prophezeiung erscheinen, kann aber gern auch Hunger nach mehr Cumbia bedeuten. In diesem Sinne, no hay que buscar cinco patas al gato, sino sigue cumbiando (Du musst nicht fünf Pfoten bei der Katze suchen, sondern kaschigger einfach weiter zur Cumbia).

Bit Father Out

*Jetzt fängt der schon mit Fußnoten an! Ich beziehe mich aber auf ihre Japan-Tournee, bei der das mäuschenstille Publikum ihre tonalen Schwächen offenbarte, während sie sonst stets mit Rängen voller tobsüchtiger Teenager konfrontiert waren.

Das komplette Latino-Cumbia-Trash-Feuerwerk "Live in El Lokal Zürich" kann übrigens auf Rolando Brunos Bandcamp-Seite und gehört werden.

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