Schwer vorstellbar, dass der Name der wohl bekanntesten Crypt-Compilation mal so selbstbezogen zu deuten war. Es ging ja mehr um diese Songs, die auf diesen Platten vom gar nicht so kleinen Friedhof der Popgeschichte zurückgeholt wurden, aber wohl nie so selbst um das eigene Schicksal. Dabei sah es mal echt lange so aus, als wären die BACK FROM THE GRAVE-Sampler selber am Ende gewesen. Dass da noch was kommt, hätten wohl nur wenige gedacht. "Echt lange" heißt in diesem Fall übrigens 18 Jahre. Selbst in den alternativsten Subkulturen eine Ewigkeit, an deren Anfänge sich kein Szenezombie noch erinnern kann.
Und jetzt? Ist es passiert, nicht einen, sondern gleich zwei neue BFTG-Sampler gibt's. Man hält's kaum aus.
Eigentlich unglaublich, dass es 18 Jahre her ist, seit die achte Compialtion dieser Reihe veröffentlicht wurde. 18 verdammte Jahre. Hast du damals ein Kind in die Welt gesetzt, hat es jetzt schon den Führerschein. Und du? Erinnerst dich vielleicht sehr gut daran, wie du in den 80ern und/oder 90ern volljährig warst und mit Muttis grauem Golf Zwo und deinen Jeansbekleideten Punkkumpels durch verschneite Landschaften zum NEWDEVILOBLIVIANSPAGANSLAUGHINGHYENASTURKS- Konzert in die nächste große Stadt gefahren seid. Und das in dieser biederen Karre, in der es so kalt war, dass dem Typen ganz links auf der Rückbank in der Nacht beim Rausch ausschlafen die Haare an der kondenswassergetränkten Innenscheibe festgefroren sind. War ja auf dem Weg zurück dann auch alles sehr eng – alle breit und voll, aber selig, denn neben den Erinnerungen an ein geiles Konzert war der der Wagen auch voll mit neuen Platten, für die man all sein Weihnachtsgeld von Oma hergegeben hat. Und einer hat eventuell auch den neuen Back-From-The-Grave-Sampler mitgenommen. Weil das gezeichnete Cover so geil aussah und die Euphorie war da. Obwohl man keine Band darauf kannte, weil das ja alles so obskure Amibands aus dem behüteten mittleren Westen waren, die 30 Jahre zuvor mal eine Single aufgenommen haben. Zuhause hat man dann beim ersten Hören einen Geschmack davon bekommen, dass Beat auch mal Punk sein konnte und Punk eben nicht erst mit dem Ramones und Slime anfing. Sondern dass auch 60ties-Bands ziemlich ruppig und irre war.
Nun also gleich in zweifacher Ausführung. Nach so langer Zeit musste es wohl die Doppelnummer sein. Was ja nur heißt, dass es da draußen noch so unglaublich viel unentdecktes Beatzeug gibt, das irgendwann mal in Acetat geritzt wurde. Plattenpresswerkbesitzer hätte man damals sein müssen!
Vielleicht kann man sich Tim Warren von Crypt Records als eine Mischung als Detektiv und Archäologe im Indiana Jones-Format vorstellen. Einer, der auch in die finstersten Ecken des amerikanischen Kontinents zieht um DAS eine Exemplar einer lang verschollenen 7inch zu finden. Jedenfalls als einen, der sich darum kümmert, dass diese Perlen der Teenbeat-Geschichte nicht komplett verloren gehen. Denn die Bands auf den BFTG-Samplern sind nie diejenigen, die 1000e von Platten verkauft haben. Es war wohl mehr wirkliche DIY-Arbeit von ein paar Jungs in den US-Provinzcombos , die unbedingt wie die Beatles, die Stones, die Sonics oder die Kinks klingen wollten – aber eben nicht nächtelang Konzertreihen in Hamburgs Beatschuppen hatten oder in London lebten, sondern die lokalen Garage-Rockhelden in irgendeinem Kaff in Arkansas, Indiana, New Jersey oder Tennessee waren. Die vielleicht 1-2 gute Songs hatten und diese dann in Eigenregie auf eine 100ter-Auflage Vinyl pressen ließen, um diese dann an Freunde, Verwandte und Groupies zu vertickern. Oder unterm Bett vergammeln ließen und später beim Yard Sale verramscht haben. Genau so entstehen Raritäten.
Das war das Gute an den BFTG-Samplern. Plötzlich hatte man Songs, die keiner hatte. Von Bands, die keiner kannte und sie waren nicht viel schlechter als die Mainstream-60ies-Bands. Vielleicht etwas wackeliger gespielt, etwas räudiger aufgenommen und manchmal auch einfach billig kopiert. Aber genau dieses Unperfekte machte ja diese unzähligen und kurzlebigen Früh-Rock’n‘Rollbands so charmant. Und vielleicht erfüllten sie gerade dadurch den Wunsch nach Authentizität, dem ja jeder Musikfreak so gern hinterherhechelt.
Ich könnte versuchen, nur die wichtigsten oder besten der 30 Bands aufzählen, die auf BFTG 9 und 10 vertreten sind, zu erwähnen. Aber das funktioniert nicht. Denn es gibt hier nicht den unglaublich herausragenden einzelnen Song. Andersherum gibt es auch keinen absolut schlechten Track. Was hier ausgebuddelt wurde, soll nicht mit Namen glänzen. Denn das ist alles geil. Kann alles in einem Stück durchlaufen, egal ob man sich Volume 9 und 10 auf der einen CD anhört oder separat jeweils auf Vinyl (was den Vorteil hat, dass man das grandiose Artwork von No. 10 auch in angemessener Größe bewundern kann). Da ist kein Hänger oder Luschensong dabei. Und gerade mal zwei Coverversionen. Darauf zu verzichten gehört vielleicht auch zum Ethos des Sampler-Reihen-Herausgebers.
Was auch dazugehört, ist wohl die angemessene Informationsversorgung der gierigen Garagegemeinde mit Infos zu Bands und Songs, die nach 40-50 Jahren nochmal ans Licht gezerrt wurden. Deshalb diese beiden fetten Booklets, mit Infos zu wirklich jeder Band und jedem Song und Fotos und Abbildungen der Orginal-7inches. Was angesichts der schlechten Quellenlage ein Arbeitsaufwand ist, an dem sich manche Billo-Kompilation mal was abgucken kann.
Das Angebot von Samplerreihen, die allerlei obskure Rockmusik aus früheren Zeiten anbieten, ist mittlerweile riesig. Crypt Records hat neben den BFTG-Platten auch noch die mit frühem und obskuren Rock-a-Billy/Novelty-Songs versehene Sin Alley-Reihe aufgelegt, und das hat im Laufe der Jahre viele Nachahmer gefunden. Was aber die optische und inhaltliche Aufarbeitung (Cover! Artwork! Booklets! Infos!) angeht, kommen viele Sampler nicht mit.
18 Jahre. Lange Zeit für Rock’n’Roll. Da waren viele in den letzten 18 Jahren wohl mit anderen Sachen beschäftigt, als jeden Tag der dringenden Frage nachzugehen, wann denn die nächste BFTG-Compilation erscheint. Schande über uns alle, die wir damit nicht gerechnet haben. Und große Verneigung vor der Crypt-Crew für diese zwei wunderbaren Platten. (C)
Gary Flanell
Crypt Records
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