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Donnerstag, 22. August 2024

Geriatrie und Subkultur (Opa erzählt vom Konzert)

Vielleicht war es das Interview mit Martin Seliger von den Shitlers auf der Seite des KAPUT-Magazins, das mich darüber nachdenken ließ, eventuell mal wieder eine Printausgabe des Renfield-Zines in Angriff zu nehmen. Oder gar ein Buch? Man wird sehen.

Allrdings weiß ich nicht genau, wohin das hier führt. Das Interview handelt von der neuen Shitlers-EP und einem Song, der "Wolfgang Wendland" heißt. Darin geht es, wenig überraschend, um den Sänger der Kassierer, der sich in den letzten Jahren immer mehr zum grumpy old Punk-Dude entwickelt hat. Die Kassierer werde ich hier nicht weiter vorstellen, Wikipedia hilft im Notfall. Ich fand diesen Artikel deshalb interessant, weil er mich auf ein Thema zurückführte, dass mich schon öfter in den letzten Jahren durch den Kopf gegangen ist: Das Älterwerden in subkulturellen Kontexten.


Ganz klar liegt aus meiner Perspektive das Altwerden als Punk/Punkrocker*in und angrenzenden Szenen im Fokus. Es stellt sich ja die Frage: Wie wird man da alt, ohne sich lächerlich zu machen? Wie kann man als Punk/Punkrocker*in (ob diese Unterscheidung notwendig ist, wäre auch noch zu diskutieren) altern, wenn man diese beiden Aspekte - unvermeidliche körperliche Verschleißerscheinungen und eigenes subkulturelles Selbstbild - miteinander vereinbaren will und mit sich selbst im Reinen sein möchte?

Ich selber würde mich nicht mehr als Punk bezeichnen. Dafür bin ich mittlerweile von Szeneaktivitäten zu weit weg und ich finde auch diese Beschränkung auf bestimmte Codes, Outfits, Musik und Menschen, mit denen man Zeit verbringt, eher einengend. Sympathisant aber sicher noch. Und naja, vielleicht ist es mittlerweile die Einstellung, als das Outfit.

Allerdings gibt es sicher einige Ü50er, die lange in der Szene aktiv und unterwegs sind und sich selber immer noch als Punk bezeichnen würden. Aber wie kann man die unvermeidbaren körperlichen Veränderungen mit einer doch eher auf einen jungen Metabolismus (Lange feiern, laute Konzerte, Festivals, Drogen, Fokus eher nicht so auf regelmäßigen Lohnjob, kein Gedanke an Altersvorsorge, offensive Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen) zugeschnittenen Lebensstil vereinbaren? Wie geht man damit um, wenn man erlebt, dass diese rebellische Bewegung, die zum eigenen Selbstverständnis gehört, eigentlich immer mehr an Relevanz verliert?


Gibt es ein Rezept, dass eine*n davor schützt, sich ab eine bestimmten Punkt nicht einzuigeln und zurückzuziehen, in Nostalgie zu verfallen und als Referenzen nur die eigene, vor 20 Jahren in ihren Grundfesten gebaute Plattensammlung zu sehen? UND sich eine Offenheit gegenüber neuen Strömungen in der Szene zu behalten? Neueinsteiger*innen nicht mit Platzhirschgehabe (das gender ich jetzt mal nicht) wegzutreten? Gibt es einen Weg auch mit Mitte 50 und Wampe im Youth-of-Today-Shirt nicht lächerlich auszusehen? Auch neue Aspekte der eigenen Persönlichkeit zuzulassen, dei eigentlich nicht zum Punkimage passen? Was machen eigentlich die 60-Jährigen Skinheadfrauen so? Die alten Metaller (wobei ich Metal eine der wenigen Szenen sehe, wo ältere Menschen recht gut integriert werden)? Und die Ü60-Gothics?

Nun ist es nicht so, dass Punk das Thema Alter beziehungsweise Älterwerden thematisch ausgespart hätte. Songs darüber gibt es einige und aus den meisten spricht die pure Angst:

"I don't wanna grow up" (RAMONES)

"Ich will nicht älter werden" (BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, oder auch gleich die ganze Platte "Jung kaputt spart Altersheim)

"GRUPPENSEX IM ALTERSHEIM" (Alter Deutschpunksampler, bezeichnenderweise auf einem Label namens "Live slow, die old" erschienen, und eigentlich der Titel eines Songs von den 3 Besoffskis. Keine Punkband.)

"Alt sein" (PISSE)

"What will it be like, when I get old?" (DESCENDENTS)

"Live fast, die young" (CIRLE JERKS)

"Jetzt kommen die Jahre" (DIE SCHWARZEN SCHAFE)

Alles Tracks, die bekannt sind, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Aber diese Songs sind alle entstanden, als die Bands noch voll im Saft und jung waren, und das Thema Alter eher negativ bis ironisch betrachtet wurde. Und sie sind alle schon mindestens schon 30 Jahre alt. Kam danach nie wieder was aus Punk-Hausen?

Was noch dazu kommt, irgendwann: Die Sache mit der Geriatrie. Wie willst du als Punk-Opa mal gepflegt werden, wenn's alleine nicht mehr geht? Oder als HipHop-Oma? Oder als Techno/Electro-Nerd, der sich an den sedierenden Schlagersoundtrack in der Altersresidenz nur schlecht gewöhnen kann? Was, wenn du dein Leben lang vegan gelebt hast und der Mobile Soziale Hilfsdienst bringt dir jetzt mindestens 1x die Woche Sauerbraten mit Klößen oder Tote Oma? Oder schütteln wir alle unsere über Jahrzehnte geformte Szene-Identität einfach am Eingang vom Pfegeheim ab und lassen uns widerstandslos in beigefarbene Übergangskamotten und Gesundheitsschuhe stecken?

Wahrscheinlich wird eh alles nicht so schlimm. Möglicherweise schleicht sich eine gewisse Gelassenheit und Altersmilde ein, eine gewisse Freude an anderen Dingen als Lederjackendesign, Iropflege und Abkotzen über Dinge, die man eh nicht ändern kann, Schweinesystem und so. Aber ihr merkt: Die durch Punk lange mittransportierte Angst vor dem Altern, dem damit einhergehenden körperlichen Verfall und Identitätsverlust schwingt immer noch in diesen Zeilen mit.


Können die subkulturelle Identität und damit verbundene Lebensweisen, die du dein Leben lang entwickelt hast, komplett über Bord geworfen werden, weil in den vorgesehehen Pflegestrukturen diese Gewohnheiten gar nicht eingeplant sind? Kann darauf in einer Pflegeeinrichtung Rücksicht genommen werden? Ist dort überhaupt ein Verständnis für alternative Lebensstile vorhanden? Oder, und das wäre ja vielleicht das schönste: Gibt es schon subkulturelle, selbstverwaltete Altersheime, Mehrgenerationenhäuser oder ähnliches? Früher wurden AJZs und das Leben in Hausprojekten am laufenden Band organisiert, warum sollte das nicht möglich sein, Wohnformen für Greis*innen zu entwickeln, die auf eine subkulturell geprägte Biografie Rücksicht nehmen? Ein subkulturelles Avalon oder Shangri-La, wo die Punks alt werden dürfen, wie sie möchten.

Dass die Peitsche des Alters erbarmungslos knallt, habe ich selber vor ein paar Jahren erfahren. Wie es häufig so ist, durch eine Krankheit. Gicht war die Diagnose. Gichtanfälle sind große Scheiße. Aber die Krankheit ist gut behandelbar und wenn man sich nicht zu blöd anstellt, kann man damit gut leben. Aber: Alkohol ist halt nicht mehr drin, Fleischkonsum wird ebenfalls sehr eingeschränkt.

Ehrlich gesagt, finde ich das gar nicht so schlecht. Saufen wurde mit zunehmendem Alter eh immer anstrengender und spaßloser. Mittlerweile ist es zumindest in Berlin, auch akzeptiert, dass man keinen Alkohol trinkt. Ich merke allerdings auch, dass viele Anlässe, zu denen man sich früher getroffen hat, oft über Alkohol funktioniert haben und so manche durchzechte Nacht ins Mythische erhoben wurde, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Ewig lange Nächte in Punkrock-Kneipen und -Clubs von Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind für mich jetzt nicht mehr so spannend, deshalb hänge ich da auch eher selten herum. Ein gewisser Rückzug aus Szenetreffpunkten geht damit einher, aber ehrlich gesagt, gefällt mir das ganz gut. Und ich liebe es total, morgens wach zu werden und keinen Kater zu haben, der mich drei Tage begleitet. Vor 10-15 Jahren war das noch komplett anders.


Also: Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. Das ist natürlich alles sehr auf Punk/Indie-wasweißich bezogen. Interessant wäre es sicher auch, das ganze nochmal in Bezug auf Männer und Frauen zu betrachten. Altern Frauen in Subkulturen anders als Männer? Werden sie anders wahrgenommen? Und was noch gar nicht so gesehen wurde: Wie geht man als Punk-Opa denn mit Altersarmut um? Denn die ist ja auch mit dem Thema Arbeit und der punkimmanenten Verweigerung derselben verbunden. Bestimmt kein uwichtiges Thema für die alten Punks, die sich im Rentenalter immer noch prekär mit dem Jobcenter rumschlagen müssen, weil die Rente eben nicht reicht.

Soviele Fragen. Ich denke, es wird Zeit für eine Publikation.

Eigene Ideen und Gedanken zu dem Thema? Bock, mitzuschreiben? Einfach eine Mail an renfield-fanzine@hotmail.de schicken.

Gary Flanell

1 Kommentar:

  1. Moin...
    Und die Jahre ziehn in´s Land und ich sammle immer noch Flaschenpfand (Frei nach den Hosen, Tot)
    Interessanter Artikel, wird immer aktueller für alle "Grauen Punker" die 77 mit Debby H. erwachsen wurden. Hatte vor langer Vorrentnerzeit mal mit Archi der Terrorgruppe die Idee ein Punkeraltersheim aufzumachen. Dieses sollte vielleicht mal wieder aufgegriffen werden. Ich geb schon mal nen Zehner in die Spendendose.
    Weitermachen solange es noch geht UND:
    Punk not Dead
    but nur ein wenig Fett

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