Bam, die erste.
2020, oder wie manche sagen, das neue Jahrzehnt (was nicht stimmt, denn das fängt ja erst mit 2021 an), schlägt mir zum ersten Mal nach drei Wochen unerwartet mit der Faust in die Magengrube.
Der 19.Januar 2020 ist ein Sonntag. Es ist der Tag, an dem GUZ oder Olifr Guz oder Oliver Maurmann, Sänger der AERONAUTEN aus der Schweiz, stirbt. Alles ist voll mit Beileidsbekundungen und Nachrufen - Webseiten von Tageszeitungen, Webseiten von Musikmagazinen und soziale Medien sowieso. Gut so. Denn GUZ hat es verdient.
Ich mache mit beim öffentlichen Trauern und Greinen. Like jedes Video auf Facebook, das von den Aeronauten, jeden traurigen Kommentar, den ich sehe und jeden Clip von Liveaufnahmen der Band und Songs seines solistischen Schaffens, das gepostet wird.
Ich bin ziemlich erschrocken, denn GUZ war ein nicht zu unterschätzender Faktor deutschsprachiger Popkultur. Ein Typ, der auch mit Ü40 immer noch gut für Überraschungen war. Die Nachricht von seinem Tod hat mich ziemlich umgehauen. Sind das Nebenwirkungen eines frisch erwachten Fan-Tums der letzten Jahre? Guz war einer von den ganz ganz Guten, definitiv. Davon gibt es sicher einige, aber der Tod von GUZ hat mich doch mehr als schockiert, als ich es erwartet hätte.
Warum?
Möglicherweise, weil Olifr Maurmann noch nicht besonders alt war. 52 Jahre, das ist in Westeuropa kein Alter, sagt man so. Dass dahinter massive gesundheitliche Probleme standen, wie es im Netz zu lesen ist, war nicht so sehr bekannt. Muss ja auch nicht. Mit seinen Malaisen öffentlich hausieren gehen, ist nicht cool. Und GUZ war cool. Cool sein ist eine harte Währung im Popmusikland. Der Devisenkurs zu Franken, Dollar oder Euro ist so hoch, dass er eigentlich unbezahlbar ist. Weswegen die besten Künstler oft recht prekär leben. GUZ konnte ein Lied davon singen. Hat er auch gemacht. Für "Anpumpen" wurde dreist bei "Hey Jude" geklaut und mit einem Text versehen, der dir mit sanftem Druck den Finger unters Kinn legt, um das Haupt nach oben zu drücken, wenn's kohlemäßig mal wieder eng ist.
Guz. 52 Jahre. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist nicht so weit weg von meinem Alter. Rückblickend betrachtet kann GUZ für mich als Projektion für einen nicht existierenden großen Bruder herhalten. Vielleicht löst so eine auf Fan-sein beruhende Projektion auch einiges an Schrecken aus.
Schwer ist es auch der Schrecken, wenn einer geht, der regelmäßig neues Musikmaterial geliefert hat; an dessen regelmäßigen Output in Form von unterschiedlichsten Projekten (Aeronauten, GUZ, Die Zorros, all this and more...) man sich irgendwie gewöhnt hatte. Es war eine schöne Gewohnheit, immer wieder was neues von GUZ mitzubekommen. Eine Gewohnheit, die jetzt fehlen wird.
Was auch immer gut ging bei GUZ und den Aeronauten: Die ironische Beschreibung der zunehmenden Versteinerung der Punk-Szene aus der Sicht eines All-Time-Slackers, vgl. "Ottos kleine Hardcoreband" (auch hier wunderbar schamloses Kopieren, diesmal Iggy Pop) oder "Freundin". Mit diesen sehr treffenden Beschreibungen ("Sie hören Musik aus dem Baskenland...") einer immer in Stereotypen verschwindenden Szene hat er mich sofort gekriegt. Oder mir den Spiegel vorgehalten. Vielleicht ist "Freundin" sogar der beste Emo-Song, der je auf deutsch geschrieben wurde....
Vor Jahren flog eine Promo-CD von "Der beste Freund des Menschen", der letzten Solo-Platte von GUZ, ins Renfield-HQ. Aus Zeitmangel habe ich damals kaum da reingehört, ich glaube, auch rezensiert wurde sie nicht im Heft.
Erst in den letzten Monaten 2019, fiel mir das Ding im Zuge einer internen Neustrukturierung meines CD-Bestandes wieder in die Hände. Und verdammt, da hatte mich GUZ doch noch gekriegt.
Im Herbst 2019 läuft das Ding in einem Lichtenberger Plattenbau fast rund um die Uhr. Immer und immer wieder und am Stück. Ich merke, dass ich wirklich über Jahre eine Perle übersehen habe. Eine Perle? Eine ganze Platte voll! Auch wenn es sieben Jahre her ist, seit "DBFdM" erschienen ist, sind die Songs wirklich gut. Immer noch.
Großartige Songs sind da drauf, mit den GUZ-typischen kleinen Alltagsbeobachtungen: "Hassloch", "Neid", "Sommer 1984".
Oder vielleicht am bekanntesten: "Lass uns Drogen nehmen und rumfahren" - jener Song, der durch das hübsche Video von "Die Zukunft", dem Projekt von Bernadette La Hengst, GUZ und Knarf Rellöm, nochmal intensive mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, und als Referenz auf "Let's take some drugs and drive around" von The Silohs bzw. Michael Hall gelesen werden kann.
All diese guten Texte zwischen Melancholie und Beat-Punk-Widerborst, der gut reflektiert über die Zeit gerettet wurde. Das machte mir Lust auf mehr. Ich klickte mich in diesen Wochen durch diverse Youtube-Videos des GUZ'schen Schaffen. Nahm mir fest vor: Wenn GUZ das nächste Mal in Berlin spielt, schau ich mir das auf alle Fälle an.
Tja.
Dass ich erst vor wenigen Monaten meine ganz eigene GUZ-Phase hatte, ist sicher ein Grund mehr für das Ausmaß, in dem mich die Meldung von seinem Tod umgehauen hat. Ganz allein bin ich damit sicher nicht. Die ganze deutschsprachige Pop-Blase, die in den 90ern sozialisiert wurde, trauert mit. Selbst die sarkastischsten Pop-Zulieferer, wie z.B. Linus Volkmann, werden in ihren Post-Mortem-Posts auf einmal recht lieb und leise.
Manchmal denke ich, dass ich mich so langsam mal dran gewöhnen sollte. An die Tatsache, dass Menschen sterben. Nicht nur geschätzte Musiker, die ich gar nicht persönlich kenne. Könnte man mit Mitte 40 ja mal geschafft haben. Gelegenheiten, sich daran gewöhnen zu können, gab es leider bisher schon mehr, als es mir lieb war. Nicht nur Omas und Opas oder Eltern. Auch Freunde, Gleichaltrige, Bruder-Menschen. Ich dachte lange, dass es normal wäre, wenn einige Freunde von dir sterben, ehe du Mitte 30 bist. Dass da jeder in meiner Alterskohorte so seine Erfahrungen hat. Aber das ist es wohl nicht. Und ja, mir ist auch klar, dass in anderen Teilen der Welt viele Menschen jeden Tag noch viel größere Teile ihrer Familie oder ihres Freundeskreises verlieren. Und nicht die Möglichkeiten haben, darüber in einem Blog zu reflektieren.
Sich daran gewöhnen... Well, richtig leicht wird es ehrlich gesagt nicht. Nicht mehr komplett in Panik zu verfallen... geht einigermaßen, einen ganz eigenen Umgang damit finden auch... irgendwie. Aber ein Schatten, die jeder Verlust mit sich bringt, bleibt. Und jedes Mal ist es ein Schatten mehr, der sich auf das Denken und die Sicht auf die Welt legt. Diese Schatten zu akzeptieren und das dazugehörige Licht umso mehr wert zu schätzen, bleibt vielleicht der einzige brauchbare Weg.
Tschüss Guz.
Zum Nachruf auf der Aeronauten-Homepage geht es hier.
Gary Flanell
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