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Donnerstag, 5. Dezember 2024

Schön, wenn Lobotomie liebevoll ist Pt. I


LAO DAN, GREG KELLEY, GLYNIS LOMON - BALLOON FLOWER

Onomatopoetischer Free Jazz at it‘s best

Musik wird oft nicht schön empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden, heißt es längst bei Wilhelm Busch. Schöne Musik können viele. Ist üblich. Konsumerabel. Masse. Ja, regelrecht mondän! Avantgarde widerstrebt den üblichen Hörgewohnheiten, doch kann darob dennoch schön sein.

Gut, ein bisschen Mühe muss man sich schon geben. Tun wir dies! Hören wir Balloon Flower, the latest crazy of Lao Dan, Greg Kelley und Glynis Lomon: Vier Titel, alle ähnlich, alle anders – verrückter Free Jazz – wohlgemerkt, man muss schon genau hinhören!

Jade Shadow eröffnet schrill und schön, hier ist gleich viel los, doch lärmt es nicht. Gläserne Sounds, Saitenfetzen und Asien-Assoziationen. Klar, denn Lao Dan kommt aus China. Weit weg und nach sechs Jahren Unterbrechung ist er wieder mal in den Staaten und spielt in diesem infernalen Trio die chinesische Bambusflöte.

Apropos Assoziationen: In diesem wilden Tongeklapper und Getute muss ich unweigerlich an Rhasaan Roland Kirk denken. Der Mann mit den drei Saxophonen im Mund (nur die Mundstücke, versteht sich). Meister atonischer Harmonie - total verrückt und schmelzend sanft! Und auch bei Balloon Flower: Man hört, dass alle drei sogleich in Action sind – jeder bei sich, aber jeder bei allen.


Musketiergleich fitzelt die quietsch-trockene Trompete (Greg Kelly) und gurgelt das virtuose Stimmgemurmel (Glynis Lomon) dazu. Weise, lebensstark und spirituell zusammen. Ist übrigens auch gut aufgenommen worden. Ausgewogener Sound, der zwischen Nähe und Distanz im Raum unterscheiden lässt, was besonders bei den vielen leisen Passagen wichtig ist, wenn Klangfenster mit gut geölten Scharnieren geöffnet werden.

Dann ist da dieser gitterartige Wellensound. Den macht Glynis Lomon, wenn sie nicht gerade kehlkopfsingt oder des Wahnsinns grölt. Sie spielt nämlich Wasser-Telefon (erinnert Ihr Euch noch an Frank Zappa bei Steve Allen? „I play the bicycle.“)

Klickt beides ggf. nach! Sehens- und wissenswert, was und wie alles Instrument sein…, doch zurück zum Titel, der ist eigentlich irgendwie ruhig und fast schon traurig am Ende. Kurz davor das Hauptthema geblähter Luftballon und wie der so klingt. Alles zwischen albern und ernst. Verrückend! Trompete mit Dämpfer, nervöse Flöte und ich erwische mich sogar wie ich mitwippe! Was wie irrige Fetzen an- und zumutet, ist wohldosierter Rhythmus! Aber wie gesagt: Schaurig traurig mit erratischem Ende. Dieses war der erste Streich und zweite folgt sogleich:

Drama führt das Ballon-Thema fort und führt an, was niemand leiden kann, wenn einer mit einem gefüllten Luftballon am Zippel ziehend auf einen losgeht (Globophobie ist die Angst vor Ballons. Der Setzer). Und es wirkt todernst. Nomen est omen – besorgniserregend kreischt es in einem fort, als würde jemand erwürgt. Ein Glück ist es hier nur ein enervierendes Blasinstrument.

Das Ballon-Thema indessen bietet das Sujet „Vergewaltigung“ an. Mit Unterbrechungen. In Drama ist es, als wenn das Opfer noch mit dem Täter zu verhandeln versucht und dieser alle Vorbringungen mit „Bla bla“ abtut. Technisch enorm! Kelly züngelt neurotisch in seine Trompete, Dan tutet wie von der Tarantel gestochen, irr-schlenderndes bogen und biegen am Cello durch Lomon. Täter und Opfer derweil – scheinen sich nicht einig zu werden. Gehen ab. Dieses war der zweite Streich und Balloon Flower zerrt an der Luftballonhaut wie gehabt. Es ist und bleibt irre, aber Krach ist es nicht.


Im dritten Live-Titel des dämonischen Triotreffens meint man im Hauptsaal einer Anstalt zu sein.
Manisches Lachweinen, Ticks allerorten, es zuckt und gluckt und auch der Exorzismus lässt grüßen. Aber es bläht und wächst auch scheinbar etwas wie märchenhaft. Ist es Hans und die Bohnenranke? Ein dickes Stangengewächs hoch hinein ins Wolkenkuckucksheim? Oder bin ich jetzt schon meschugge? Goldmünzen! Goldeier! Goldharfe! Ich dreh durch!

…denn ich werde in den Bann geschlagen von der Genialität der Musiker. Man muss wirklich genau hinhören! Was hier ineinander übergeht und dynamisch erzählt wird, ist technisch meisterhaft vollbracht! Es sind nur drei Instrumentalisten und man weiß es irgendwie auch, doch trotzdem ist man mitten in einem Bühnenstück, das uns unsere Habgier aufzeigt, immer wieder Übliches zu konsumieren bis wir uns selbst auskotzen und stumpfsinnig vor uns hinsiechen. Dieses war der dritte Streich und Worcester ist der finale Saft, der dem musikantischen Beisammensein entströmt.


Nicht gerade englisch und auch nicht Dresdener Art, aber wenn man sich die Zutaten von Worcester Sauce einmal durchließt, muss man sich doch wundern, warum das Zeug so gut schmeckt und der Laib nicht kapituliert. In diesem letzten Stück wurde jedoch nicht so homöoptisch dosiert. Wie passend: viel geisteskrankes Kehlkopfgegurgel, nimmer enden wollendes Gequietsche und stotterndes Dröhntrötentrampeln – willkommen im dreisttollen Narrenkabinett! Es klingt wie vergiftet. Wenn da mal nicht der Teufel seine Hand im Spiel hat… Todestaumelnd dem Ende entgegen. Klingt so Gedärm, wenn es stirbt?

Wie der Narr mit seiner Kappe dem König als einzig Dürfender den Spiegel vorhält, so dürfen Lao Dan, Greg Kelly und Glynis Loman uns zum Narren halten und uns nichts weniger zeigen, als was wir dabei in unserem Alltagsspiegel sehen. Wir, die wir uns nur allzu oft für die Könige des Lebens halten und uns entsprechend benehmen – wir sind um keinen Deut besser und wir quietschen und wir platzen oder schrumpeln und pfeifen aus dem (letzten) Loch.

Free Jazz - Wir brauchen das! Liebevolle Lobotomie…
Lao Dan, Greg Kelly, Glyniy Lemon: BALLOON FLOWER

Lao Dan (Hangzhou/ China; Bambusflöte u.a. Blasinstrumente) Greg Kelly (Boston/USA; Trompete) Glynis Lomon (Newton/USA; Stimme, Wassertelefon, Cello)

4 Titel, 39 Minuten

erhältlich als Tape und digital über die Bandcamp-Seite von Lao Dan

Gustav Roland Reudengeutz

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