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Donnerstag, 28. November 2024

Schön, wenn Fanzine noch von Fansein kommt Pt. I


TRUST ISSUES - TOO WHITE TO BE REAL

Hachja, manchmal passiert's doch. Dann weicht die Übersättigung und Unübersichtlichkeit noch einmal dem sonnigen Gefühl von Enthusiasmus.
Apropo sonniges Gefühl: Habe heute einen Streifen blauen Himmel über Friedrichshain getroffen - der bommelte wie ich am Boxi an ein paar Touristen mit französischen Bulldoggen und Pfandflaschensuchpunks vorbei. Wir grüßten uns kurz und dann verschwand wieder jeder in seinem gelebten Bewölktsein.
Hallo blauer Himmel, tschüss blauer Himmel, hallo Gary, tschüss Gary - bis nächstes Jahr.

Im Fanzine-Kontext hatte ich vor einigen Tagen meinen persönlichen Blauer-Himmel-Moment in diesem Jahr, als ich das Päckchen mit der neuen TRUST ISSUES-Platte bei meinen Nachbar*innen abholte.
TRUST ISSUES, für die, denen der Name nichts sagt, besteht zu einem guten Teil aus Leuten, die früher bei CROWD OF ISOLATED (C.O.I.), BUSHFIRE und STICKBOY gespielt haben - eine Saarbrücker Connecte. Und C.O.I. - für die, die es nicht wissen und die es auch gar nicht so sehr interessiert, aber da müsst ihr jetzt durch - das war mal eine meiner absoluten Lieblingsbands!


Es gibt wenige Bands, von denen ich alle Platten habe, hier ist das so. Ok, der Output ist angenehm überschaubar, aber es war einfach eine geile Band. Demzufolge auch mal mit einem Interview mit Sänger Gurke in einer Renfield-Printausgabe vertreten gewesen, allerdings lange nach der Auflösung.
Als sie so richtig aktiv waren, war ich zu jung und auch zu weit weg von der legendären süddeutschen HC-Brutzelle in Nagold, zu der C.O.I. und soviele andere gute Bands bezug hatten. Aber irgendwann gab's nix neues mehr von CROWD OF IOLATED - und ich hatte andere Dinge zu tun, als das zu betrauern.

Seit einiger Zeit ist also TRUST ISSUES am Start, zum einen mit den Isolated-Herren Gurke am Mikro und Guschtel an der Gitarre, dazu noch zwei Kollegen von STICK BOY und BUSHFIRE. Was ich aus der Ferne mitbekam und was mich sehr gefreut hat.
Jetzt also das zweite Album, das Debut "Timekeeping Starts Right Now" kam 2022 raus.
Kurz gesagt: "Too white to be real" ist für mich die beste Punkplatte des Jahres 2024. Mit so einer Anlage wird die Latte natürlich hochgelegt, aber wenn es doch stimmt?! Und, oh Boy, hier stimmt wirklich alles! Muss ich das jetzt argumentativ untermauern oder reicht einfach die Behauptung? Reicht eigentlich, denn das hier ist ja das 21. Jahrhundert, da kann man ja einfach alles behaupten. Also: Das ist die geilste Pukplatte 2024. Sag ich jetzt so. Denn hier ist alles so...


Mitreißend! Vielfältig! Kraftvoll! Diese Platte hat alles, also A.L.L.E.S., was eine Punk-Scheibe braucht, um den älter gewordenen bärtigen DIY-Punk-Rezensenten aus seiner Lethargie zu reißen. Der Gesang von Gurke wie in alten C.O.I.-Zeiten, vielleicht etwas nöliger, die Gitarre schnurrt soundmäßig wie eine Maschine, die Rhythmus-Gang rührt ein vertrauensvolles Fundament an, egal, ob schnell durchtreibend (Failospophy) oder eher in wippenden Mid-Tempo-Bereichen.

Dazu setzt die Band immer wieder kleine hübsche Ideen und Abwechslungen ein:
Ob es eine fast schon FUGAZI-funky Gitarre bei "Smash & Grab it" ist oder gut und passend eingesetzte Chöre sind, die irgendwie an STEAKKNIFE erinnern - oder die wirklich geile Orgel auf "Nutshell", die den Song sehr tanzbar macht. Und ja, natürlich vergleiche ich zwischendurch im Geiste immer mit den C.O.I.-Platten, wenn ich dieses Album höre. Und so gerne wie ich deren Platten noch auflege, fällt mir im Nachhinein auf, dass es dort doch manchmal Längen bei irgendwelchen Intros und Songteilen gab und die Platten an sich etwas melancholischer waren. Passte damals aber.


Die Songs von TRUST ISSUES wirken dagegen viel kompakter, lebensbejahender, auch wütender, sind viel mehr im Hier und Jetzt. Alle Beteiligten wissen, dass keine Zeit für Mätzchen und lange Einleitungen ist. Deshalb wurde überflüssiger Ballast gar nicht erst an Bord genommen, die Songs sind knackig und geradlinig, da ist keine Überlänge dran, es ist aber auch nicht stumpf und im Gesamtbild erinnert diese rockige Version von Hardcore-Punk an Bands wie SCREAM, eben STEAKKNIFE, die DOUGHBOYS oder manchmal, wie erwähnt auch an FUGAZI.

Wie gesagt, ich bin hin und weg, da gibt es wenig mehr zu schreiben, als das ich das Ding vor Enthusiasmus immer wieder auflege und damit den Plattenbau beschalle. Es wird aber noch besser, denn über die liebevolle Aufmachung wurde ja noch gar kein Wort verloren: Es gibt durchsichtiges Vinyl, ein schönes stilvolles Layout und eine wirklich, wirklich, wirklich tolle Hommage an Armin von X-Mist Records auf dem Beiblatt - Texte sind natürlich auch mit dabei.


Hach, ich brauche Luft. Denn die Luft, die Spucke, die Sprache bleiben mir weg, so anrührend ist das, mehr kann ich zu diesem Meisterwerk gar nicht sagen. Ich hoffe, es kommt rüber, was mir diese Platte bedeutet und wie gesagt, es passiert nicht oft heutzutage, dass mich ein Scheibchen so mitreißt.

Wenn ich mal Bock auf eine perfekte zeitgenössische Punkplatte habe - dann muss ich dieses Album hören. Und ihr kleinen süßen Drecksvögel da draußen, die ihr immer nach geilem Stoff lechzt: Ihr solltet das auch tun.

Gary Flanell

TRUST ISSUES - TOO WHITE TO BE REAL ist als LP auf BREAK THE SILENCE RECORDS erschienen.

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