Vor ein paar Tagen frug Kollege Daniel Decker auf Facebook nach Ideen für das traurigste Weihnachten aller Zeiten. Kein Problem, dachte ich. Danach noch in Meme-Sprech "Hold my beer". Und dann, dann antwortete ich ihm recht ausführlich in der Kommentarspalte.
Später, des nächtens, habe ich den Text noch einmal überarbeitet und fand ihn auch nach mehrmaligem Lesen für bloggenswert. Sowas muss natürlich gepostet werden, wenn Weihnachten schon halb vorbei ist.
Für das traurigste Weihnachten ever empfehle ich also folgendes:
1. Filme gucken. Viele, die ganze Nacht durch - am besten diese hier:
- Leaving Las Vegas
- Komm und sieh
- Stalker
- irgendeinen belgischen Indiefilm - Ex Drummer, Die Beschissenheit der Dinge oder The Broken Circle Breakdown wären geeignet. Allerdings nicht Brügge sehen und sterben - der ist zu lustig.
2. Wohnung herrichten.
Fenster verdunkeln, Aussenrollos komplett runter lassen. Dann in alle Räumen Heizung und Licht aus, am besten derart, dass du alle Glühbirnen mit einem Nudelholz (sowas hat ja heute keiner mehr), Baseballschläger oder der bloßen Faust kaputtdrischst. Wenn Faust, dann Wunden bluten lassen.
Außerdem: Zwei olle Kerzenstumpen, die schon kurz vorm Verglühen sind, anzünden. Anschließend Feuerzeug, Streichhölzer und Mobiltelefon in die Toilette werfen. Gründlich nachspülen. Alle Fenster weit öffnen, nicht nur auf Kipp. Alle Türen in der Wohnung aufmachen, soll ja nicht zu warm werden. Das erledigt habend, komplett entkleiden. Wäsche aus dem Fenster werfen (dazu noch eimnmal kur die Rollos hochziehen).
Dann ist da nur noch eine dünne Decke aus grauem Baustellenvlies als Bekleidung.
3. Damit es noch zäher wird: Schlechte Internetverbindung einrichten - sollte schnell gehen.
4. Was im Vorfeld zu tun war.
An den Tagen vorher hast du die Wohnung komplett leer geräumt und alle Möbel sowie die Dinge, die du einmal mochtest, weit unter Wert an eine Haushaltsauflösung verkauft. Einiges davon wirst du im Frühjahr auf dem Trödelmarkt wiederfinden. Also keine Angst.
5. Weihnachtsessen.
Zu essen hast du nur zwei Scheiben hartes Brot, die du 2 Tage vorher von dem kleinen Laib Graubrot abschnittest, welchen du wiederum 3 Tage vorher bei einer "Gutes von gestern"-Aktion in dem Supermarkt gekauft hast, den du normalerweise wegen hygienischen Bedenken meidest.
Eventuell dazu noch die verbleichten Gürkchen aus dem Spreewälder-Glas, das schon seit sechs Monaten geöffnet in der Seitentür deines Kühlschranks steht. Der Kühlschrank wurde nicht verkauft, die Haushaltsauflöser sagten: "Sowas nehm wa nich'. "
Als Abschluss noch einen Zahnstocher in das Gewebe hinter deinen Schneidezähnen stecken.
6. Musik.
Ist. Immer. Wichtig.Fast. Immer. Du hörst also keine Musik, da ist nur die Stille des Raumes und der Kälte und der Dunkelheit. Diese Stille, die dich darüber nachdenken lässt, warum die Unendlichkeit mit dir Schluss gemacht hat.
7. Schlafen und Ruhen.
Nicht schlafen. Du schläfst nicht. Du guckst dir die empfohlenen Filme an und bleibst wach. Die Nacht wirst du in diesem Zustand durchwachen.
Falls du doch schlafen willst: Nicht ins Bett (das du verkauft hast), auch nicht an die kahle unverputzte Wand lehnen, sondern auf dem kalten Fliesenboden im Bad niederlassen, ohne das mittlerweile liebgewonnene Baustellenvlies unterzulegen. Aufpassen dass du dich nicht auf die halbverrottete Grinch-Leiche legst, die du schon im Sommer neben das Klo gelegt hast.
Deckenlicht anlassen, was ja nicht geht, weil du ja alle Glühbirnen kaputtgeschlagen hast. Mach es dir auf den Scherben und den Fliesen bequem.
8. Stoffwechselprodukte.
Toilette nicht benutzen, sondern die körperlichen Verwertungsprozesse einfach dem Fluss des Lebens folgen lassen.
Keine Taschentücher, kein Toilettenpapier, keine Feuchttücher oder ähnliches Gewebe (bis auf das Baustellenvlies) wurden vorrausschauend nicht eingekauft. Nichts, womit du eventuell Tränen abtupfen könntest.
"Let it flow, let it flow, let it flow" (Bing Crosby)
9. Drogen.
Drogen, welche Drogen? Du nimmst keine Drogen, das alles muss bei reinem, klaren Bewusstsein er- und durchlebt werden.
10. Epilog.
Eines sollte klar sein dabei: Du bist allein an diesem Abend. Nicht nur allein, weil du mal nach einem Jahr von normalem sozialen Austausch ein paar Minuten für dich brauchst, nein, du bist allein. Komplett. Allumfassend.
Niemand ist da, niemand erreichbar. Kein Chat, kein Anruf, keine Sprachnachricht. Keine SMS, kein Gif, kein Meme von irgendwem, keine Message. Jegliches Kommunikationsmittel ist gekappt. Du bist allein. Und nicht nur allein in dem Sinne, dass gerade kein Lebewesen in der Nähe ist. Nein. Du bist auch emotional allein. Vollkommen einsam ohne Aussicht, dass sich das bald ändert. Einfach. Komplett. Einsam.
Geh den Weg der Angst. Geh ihn ganz allein.
Gary Flanell
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