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Sonntag, 8. Januar 2023

THANK YOU GARY MUCH - Woher ich komme


2023, da bist du ja! Bisher ging es ganz gut los mit uns beiden. Hoffe, es geht so weiter. Jetzt ist zumindest Zeit, die Linernotes zum THANK YOU GARY MUCH-Tape weiter fortzuführen. Also hier wieder ein paar Gedanken zum vorletzten Song des Flanell'schen Solo-Tapes, in 10 Minuten nach einer Free Writing Methode aufgeschrieben und wieder mal nur sanft korrigiert.

10. Woher ich komme

Der persönlichste Text? Möglich. Aber wohl der, der am meisten reflektiert. Dinge reflektiert, die lange zurückliegen. Eine gute Übung war das, damals im Kreativ-Schreib-Seminar. Es gab ein Schema dazu, eine Art Lückentext, dazu Anweisungen, welche Begriffe gewünscht waren. Das war toll, auch wenn ich mich nicht ganz an die Anweisungen gehalten habe. Ich schrieb halt das auf, was mir am sinnvollsten erschien, die Worte, mit denen ich mich am wohlsten fühlte. War später recht zufrieden mit dem, was da stand. Es ist kein sehr optimistischer Text, die Lyrics sind eher deprimierend, aber so war vieles damals.

Deprimierend. Im November und Anfang Januar, an all diesen grauen Krähentagen am meisten. Dort, wo ich herkomme. Viel von dem, was scheiße war, ist mir erst später klar geworden. Wie scheiße das war. Trauma weit und breit. Dabei hatte ich großes Glück, dass ich weggehen konnte. Wenn ich manchal darüber nachdenke, dann merke ich, dass meine Wurzeln, dort, wo ich geboren wurde, nicht besonders tief reichen. Es gibt Freunde von mir, deren Familien schon seit Generationen in dieser Stadt leben. Ur-Großeltern, Großeltern, Eltern, alle dort geboren, gelebt, gestorben. Fest dort integriert und angesiedelt. Die Bande zu meinem Geburtsort ist dünn, war vielleicht mal stabiler, aber sie wird dünn. Und immer dünner.

Klar, ich bin dort geboren, groß geworden, aufgewachsen. Meine Familie allerdings dort hingezogen, geflüchtet, nach dem Krieg. Großeltern bei den Nachbarn in den ersten Stock einquartiert, im winzigen Zechenhäuschen. Nachdem man in Stettin ausgebombt wurde und dann irgendwo in Pommern nochmal, dann auf den Weg gemacht und irgendwo in Westfalen angekommen, rein ins Zechenhäuschen, rein in die Arbeit unter Tage. Was früher war, wurde nicht mehr gefragt. Dann vom Zimmer bei den Nachbarn nach nebenan ins Reihenendhaus. Aufstieg, ein bißchen zumindest. Die Körper im Westen, die Köpfe vielleicht noch irgendwo tief im Osten, was weiß ich, konstruiere mir das ja so hin, anhand von Erinnerungen, daran wie gesprochen wurde, an den Akzent, der so ganz anders war, als der von den Familien meiner Freunde. Der Sohn noch im Osten geboren. Dessen Kinder beide hier zur Welt gekommen. Das sind wir.

Aber ist das wichtig, wo und wie tief eine*r verwurzelt ist oder doch ganz woanders? Das Nicht-Verwurzelt-Sein für mich leider ja, auch wenn ich kein Freund von Traditionen bin. Dort groß geworden zu sein, war ok. Je mehr Jahre allerdings vergehen, desto mehr weiß ich, dass ich dort nicht mehr zuhause war. Dass die Jahre dort nur eine Stippvisite waren, im Leben. Hat nicht nur mit Geographie zu tun. Auch wie das Aufwachsen dort erlebt wurde. Um es kurz zu sagen: Es war nicht gut. Ließ mich dort fremd werden. Ein Zuhause erleben, das sich nicht wie zuhause anfühlte, sondern wie etwas, das vermieden, hinterlassen werden musste. Wegzugehen war das beste, sonst wäre alles viel schlimmer gekommen. Ich habe Freunde dort gehabt, die nicht weggehen konnten. Die sind fies und bitterlich an den Umständen und ihrem ganz eigenen Drama dort zerschellt. Und an dieser Stadt insgesamt auch.