Bremen
Relativ unspektakulär verläuft die Fahrt durch Norddeutschland. Ist mir ganz recht so, denn der alkoholbedingte Elektrolytmangel hat mich immer noch gut im Griff. Abel beweist mit den Skatalites und Element of Crime eine gute Wahl für den Soundtrack auf der Autobahn. Irgendwelches Punk-Geballer hätte mir wahrscheinlich die Birne zerrissen. So schunkeln wir gemächlich übers Land. Frage mich mit meinem Körnerbrötchen in der Hand, ob ich der einzige bin, der findet, dass Sven Regeners Stimme wie die von Hildegard Knef klingt.
In Bremen lädt mich Abel direkt am Hostel ab. Er selber hat sich durch geschicktes Netzwerken ein Zimmer in einem Edelhotel klargemacht. Sei ihm zu gönnen, aber auch die Low-Budget-Variante im Ostertorsteinviertel ist nicht schlecht. Gibt zwar keine Sauna, keinen Roomservice (der nachts um halb vier noch ein Gläschen Wein hochbringt) und keinen Entspannungsraum, aber ein bequemes Doppelstockbett im Vierbettzimmer. Wer das andere Stockbett belegt hat, weiß ich zum Zeitpunkt meiner Ankunft noch nicht. Eine dieser Personen hat jedoch ein Bukowskibuch auf der Bettdecke liegen. Wer immer es ist, er/sie hat zumindest keinen ganz blöden literarischen Geschmack. So beruhigt verbringe ich die nächsten Stunden in der Koje, bis HC Roth für die nächsten beiden Lesungen stößt.
Abends laufen wir gemütlich zum Auszeit Rock'n'Rollclub – ein Name, der gut zum Laden passt. Hat man nämlich mal eine Rast vom ständigen Rumturnen als wilder Rocker nötig, ist eine Einkehr in diese kleine Bar nicht das schlechteste. Abel ist schon seit 1-2 zwei Bierchen da, die Frau hinterm Tresen ist nett, die Getränke angenehm gekühlt und auch die Lesebühne ist vorbereitet. Was jetzt noch fehlt, wäre etwas zu essen.
„Nebenan gibt’s die größte Pizza Bremens“ erfahren wir. Schon klar. besonders beeindruckt sind wir von so einer Empfehlung erstmal nicht. Sowas lässt sich schnell mal behaupten. HC und ich sind aber doch erstaunt, weil die Pizza wirklich unglaublich riesig und lustigerweise nach europäischen Ländern benannt ist. Die Belegung hat allerdings wenig mit kulinarischen Klischees der jeweiligen Länder zu tun. Pizza Deutschland ist weder mit Sauerkraut noch mit Bratwurst belegt. Schade. Auf Pizza England gibt es als Minireferenz etwas crossen Frühstücksschinken. Ohne Bohnen. Auf Pizza Österreich auch kein Wiener Schnitzel oder Kaiserschmarrn. Lustig ist allerdings, dass HC, der einzige Österreicher im Raum, tatsächlich diese Variante bestellt, weil es - warum auch immer die einzige vegetarische Pizza des Hauses.
Die Lesung im Auszeit Rock'n'Roll ist um einiges besser besucht als in Hannover. Was ein bisschen Werbung schon ausmachen kann. Wir wechseln uns munter beim Lesen ab, HC scheint noch etwas mürbe von der 12stündigen Zugfahrt, aber insgesamt ist der Abend ein Erfolg. Gegen drei streicht Abel die Segel, gerüchteweise war der Wein vom Roomservice im Hotel doch zu verlockend. HC und ich verlassen wir die Auszeit kurz später. Wir begeben uns noch auf eine mehr oder weniger sinnfreie Fototour durchs nächtliche Bremen (inklusive belämmert gucken an einer Holzstatue der bekannten Stadtmusikanten) und steuern unser Hostel im Viertel an. Im Schlepptau haben wir noch einen jungen Iropunk aus Südtirol, der gerade sein Irgendwas-mit-Medien-Praktikum in Bremen absolviert. Ein Absacker, so beschließen wir, muss aber noch sein. Der Ostersteintorweg ist Freitags nachts ähnlich belebt wie die Oranienstraße in Kreuzberg.
Der Laden, den wir schlussendlich ansteuern hat die interessante Atmo einer Absturzkneipe. Vor den Fenstern hängen riesige Jägermeisterflaggen, überm Tresen schweben Plastikskelette, die wirken, als wären sie nach der Halloweenparty 2001 einfach vergessen worden. Riesige gesichtstätowierte Typen mit Iro und Anti-Religion-Slogans auf der Lederweste tanzen mit schwarzafrikanischen Homies zu Rage against the machine und iron Maidenrum, dazu gesellen sich ein paar verlebt aussehende Tresenfliegen jeglichen Alters und Bewusstseinszustandes. Ich bin recht froh, hier nicht mittrinken zu müssen. Ansonsten wäre ich wohl nicht so leicht aus dem Gespräch mit der Frau im Karohemd neben mir raus gekommen. Sie wirkt nicht besonders anziehend auf mich, will mir aber um fast jeden Preis meine Kapuzenjacke abkaufen. Später wird sie mir noch erzählen, dass heute ihr Hund gestorben ist, wie süß sie mein Kinn findet und will wissen, warum der HC sie die ganze Zeit so komisch anschaut. Ich habe keinen Bock auf diese etwas seltsame Anmache. Am Ende knutscht sie mit unserem Kumpel aus Tirol rum. Nachdem ich mir bei der Wirtin noch zwei Songs gewünscht habe (Pennywisens „Bro hymn“ und die „Bratwurstzange“ von Rummelsnuff scheinen mir für das Ambiente und die Stimmung passend zu sein), geht es zurück ins Doppelstockbett.
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