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Dienstag, 8. März 2016

Tortuga!

Hamburg

Heimspiel für Abel Gebhardt. Auf der Hinfahrt bekommen wir noch eine private Rundfahrt über die Elbbrücken samt phänomenalem Ausblick auf den Hamburger Hafen spendiert. „Container love“ von Philipp Boa geht mir durch den Kopf, aber nur kurz. Das Navi führt uns zum gesperrten Elbtunnel und weiß nicht, dass der gesperrt ist. Erst nachdem wir einen kilometerlangen Umweg gefahren sind, gibt es auf und weist uns den richtigen Weg. Hätten wir auf das Ding gehört, wären wir zehnmal bis zu dem Tunnel gefahren, immer und immer wieder.

Dann St. Pauli. Ist wohl 10 Jahre her, dass ich mal hier war und als wir jetzt so durch den Kiez cruisen, bin ich doch ziemlich aufgeregt. Tagsüber sieht das alles noch ganz nett und entspannt aus, aber nachts ist die Ecke um die Reeperbahn sowas wie Ballermann und Allerheiligenkirmes in einem. So ganz war mir nicht klar, dass das jedes Wochenende so läuft. Könnte anstrengend sein, so als Anwohner. Anstrengender als auf der Oranien- oder Skalitzer Straße zu wohnen.

Wer hier wohnt und sich das leisten kann, zieht sich gern ein wenig vom wöchentlichen Feier-Sex-Saufirrsinn zurück. Wie das geht, erfahren wir direkt bei einem guten Freund, der uns netterweise das nur als Messietraum zu bezeichnenden Zimmer seines Mitbewohners überlässt.
Unser Schlafplatz ist zwar direkt im Kiez, aber in einem Innenhof, der durch Tore, Zäune und Zahlenkombinationen vom wilden St.Pauli geschützt wird. Eine kleine gated Community, mitten im Kiez. Wer rein will, muss die Nummern kennen, muss bescheid wissen und ist somit privilegiert, mitten auf St. Pauli in einer echten Hinterhofruhe-Oase leben zu dürfen. Was diese Ruhe mitten im Feierkiez kostet, habe ich nicht gefragt. Ich bin mir aber sicher, dass sie für das sogenannte Prekariat nicht zu bezahlen wäre.

Bis es Zeit ist, in die Tortugabar einzufallen, flanieren HC und ich am Hafen rum und besuchen das Ubootmuseum, welches sich – quelle surprise – in einem richtigen U-Boot befindet. Eine Erkenntnis des Besuchs: Sollte ich jemals mit dem Gedanken gespielt haben, Ubootmatrose zu werden, ist die Idee jetzt vom Tisch. Tage- oder wochenlang in einer engen und zugestopften Röhre unter Wasser rum zu fahren lässt meine Klaustrophobie nur sprießen. Andererseits träume ich danach, mal eine Urlaubstour durch alle U-Boot-Museen Deutschlands zu machen. Kann man da Lesungen machen? Ich wäre am Start. Eine monothematische Renfield-Nummer zum Thema U-Boote klingt auch sehr verlockend.

Als die Nacht sich über St. Pauli senkt, ist deutlich mehr los auf den Straßen. Die Zahl der Nutten (immer erkennbar an den scheinbar als Berufsbekleidung vorgeschriebenen Moonboots) hat sich von einem Moment auf den anderen vervielfacht. Um durch das Gedränge auf den Straßen durchzukommen, ohne angequatscht oder angefasst zu werden, muss man einen beharrlichen Tunnelblick aufsetzen. Kriegen wir bis zur Tortugabar ganz gut hin.

Tortugabar – das klingt schon nach Piratennest und es ist auch eins. Dekoriert wird mit allem, was piratentechnisch zu einer Hamburger Kiezkneipe und Piratenatmo passt. Da hängen dann auch mal die Haifische aus Plastik von der Decke. Dass Abel hier ein und ausgeht, ist für unsere Lesung ein Glücksfall, denn der Laden ist rappelvoll und die Leute wollen wirklich was vorgelesen bekommen. HC ist jetzt gut in Fahrt, vielleicht musste Bremen einfach das Warm-Up sein, Abel kennen und lieben hier eh alle und weil hier alles so schön nach Seemannsgarn aussieht, gebe ich den Seehund zum besten.

Ein optimaler Abschluß für so eine kleine Lesereise, auch wenn ich hinterher, als wir noch durch Läden wie Cobra, Komet und Koralle ziehen, feststelle, dass mir St. Pauli in einer Samstagnacht doch recht anstrengend vorkommt. Vielleicht werde ich einfach alt. Zumindest älter. reden wir nicht mehr davon.
Zumindest war Zeit und Gelegenheit für eine strukturelle Beobachtung im Vergleich der Clubszenerie von Berlin und Hamburg. In der Nachbetrachtung fällt auf, dass es da schon einen signifikanten Unterschied gibt. In Berlin gibt es entweder reine Kneipen jeglicher Couleur oder "echte" Clubs, in denen nur getanzt oder Livekonzerte laufen. In Hamburg scheint die Unterscheidung nicht ganz so strikt zu sein. Es gibt Läden, die nicht größer als eine Kneipe sind, und auch so eine Atmosphäre haben, in denen aber trotzdem irgendwie eine Tanzfläche am Start ist und ein DJ mit dem ganz klaren Ziel auflegt, diese zu füllen.

In Berlin gehst du entweder raus zum Feiern bzw. um eine Band live zu sehen oder eben in eine Kneipe deines Vertrauens, um dort am Tresen abzuhängen. Eine Mischung von beidem gibt es eher selten. Warum das in Hamburg so funktioniert und hier eben nicht, wäre noch zu rauszufinden. Vielleicht liegt es an irgendwelchen Regelungen vom lokalen Ordnungsamt, was die Größe oder die Art eines Unterhaltungsbetriebes angeht oder an der historisch gewachsenen Partykultur. Aber das sind nur Mutmaßungen. Mutmaßungen, wie sie an einem Tresen an Spree oder elbe gleichermaßen weiter gesponnen werden können. Vielleicht bei der nächsten Lesung in Hamburg.

Gary Flanell

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