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Mittwoch, 16. September 2015

Gitarre, Stein, Punk

Freddy Fudd Pucker

Für einen echten Freddie Fuddpucker braucht man etwas Tequila, ein bißchen O-Saft, einen Schuss Galliano-Likör und zur Abrundung ein Scheibchen Orange. Das weiß jeder Nachwuchscocktail-Schüttler. Die Zutaten für die gleichnamige One-Man-band sind etwas andere: Gitarre, Banjo, ein Bass-Drum-Pedal, ein alter Koffer und ein Stein. Wichtigste Ingredienz für den gelungenen Akustik-Punkrockabend ist aber ein in Berlin ansässiger Neuseeländer. Von dem handelt dieser Text und erschienen ist er ursprünglich in Renfield No. 29.

Die allererste Präsentation der Kurzgeschichtensammlung „Stuntman unter Wasser“ von Gary Flanell war eine Premiere in zweierlei Hinsicht. Denn zum ersten Mal wurde ich bei einer Lesung musikalisch von FREDDY FUDD PUCKER begleitet. Das passte sehr gut, denn für ein Punkrock-affines Publikum, wie man es bei einer Lesung in einer Kreuzberger Bar wie dem FRANKEN erwarten darf, ist FFP die perfekte musikalische Unterstützung.
Mit spürbarem Punkspirit (soll heißen: Ordentlich schnell gespielt und selten mehr als drei Akkorde) prescht FFP durch sein Set, begleitet von den kräftigen Schlägen des Bassdrum-Pedals auf den alten Koffer, den er vor sich aufgebaut hat. Live verbindet Tom also zwei Elemente: Einerseits das mittlerweile schon weit verbreitete Akustik-Punkrock-Ding mit hörbaren Folk-Elementen, wie es Chuck Ragan oder Frank Turner schon seit Jahren zelebrieren und zum anderen den Charme einer echten, kernigen One-Man-Band. Letzteres allerdings ohne komplett im Trash zu versinken, wie man es von vielen dieser Acts kennt.

September 2014: Der Landwehrkanal im Sonnenschein ist eine angenehme Kulisse für ein Interview mit Tom, dem Mann hinter FREDDY FUDD PUCKER. Auf einer Bank sitzend, plätschert vor uns der Kanal samt Ausflugsbooten dahin und hinter uns klickern die Kugeln der Boulespieler im Kies. Es gibt unangenehmere Orte in Berlin, an denen man sich zum Gespräch treffen kann. Überhaupt Berlin. Menschen aus allen möglichen Ländern trifft man hier alle Nase lang, Neuseeländer sind aber eher selten darunter. Warum, frage ich mich da als Geburtswestfale mit Blick auf die triste Kulisse der eigenen Herkunft, sollte man dieses kleine niedliche Land überhaupt verlassen. Neuseeland mag ein sehr schönes Land sein, pflichtet Tom bei, ist aber was das kulturelle Angebot und die Möglichkeiten zum Touren angeht, doch recht limitiert. Australien kommt als nächstgelegene Alternative für ihn auch nicht in Frage, auch wenn sich da gut Geld verdienen ist, das politische Klima aber recht fragwürdig ist – man denke nur kurz an die Aktionen, die die australische Regierung gegen illegale Flüchtlinge fährt. So hat es Tom, nach kurzen Aufenthalten in Melbourne und in den USA, nach Berlin verschlagen. Mittlerweile immerhin seit 18 Monaten. Warum gerade hierhin, erklärt sich für ihn, auch mit Blick auf andere Teile Deutschlands, recht leicht: „Ich glaube, der Rest von Deutschland sieht Berlin immer ein bisschen als Schande, als wäre es eine Stadt der Sünde. Politisch und wirtschaftlich ist Deutschland recht konservativ, und dann gibt es da Berlin, das sehr multikulturell geprägt ist. Natürlich ist es sowas wie die Sin City, es gibt hier ja unglaublich viele Betrunkene. Aber das ist natürlich das, was so eine Stadt cool macht.“

Klar ist aber auch, dass es ein bisschen mehr braucht, als bloß nach Berlin zu ziehen und zu hoffen, die so ersehnte Coolness sich von alleine durch den Wohnungswechsel einstellt. Auch das sieht Tom ähnlich: “Du kannst nicht einfach hier her kommen und glauben, dass in Berlin leben nur cool ist. Du musst schon Teil davon werden und dich einbringen. Jeder trägt eine Menge Probleme mit sich herum. Ich denke, Kreativität an sich ist es, diesen Scheiß in etwas Schönes oder Konstruktives umzuwandeln. Viele Leute kommen ja in genau diese Städte, wo die Menschen schon coole Dinge tun, aber du musst was Cooles aus deinen eigenen Sachen machen.“


Seltsamerweise ist FFP live gar nicht so häufig in Berliner Clubs anzutreffen, vielmehr stellt sich der Eindruck ein, dass Tom die Stadt eher als Rückzugsraum sieht. “Letztes Jahr habe ich ungefähr 100 Gigs gespielt, in den Staaten, in Europa, Belgien, Schweiz, Deutschland, Österreich. Berlin ist für mich eher der Ort, um andere Dinge zu tun, andere Projekte zu verfolgen oder über meine Erfahrungen hier zu schreiben. Wahrscheinlich könnte ich hier jeden Tag irgendwo ein FFP-Konzert spielen, aber dann könnte ich ja gar nicht zu anderen Konzerten gehen. Ich weiß, dass ich mir da etwas widerspreche, was das Einbringen in diese Stadt angeht, aber ich liebe es auch, kleine Städte auf Tour zu sehen.“

Und so stehen dann nicht selten Metropolen wie Künzelsau oder Kaufbeuren auf dem Tourplan. Klar ist auch: Touren ist anstrengend, egal in welches Kaff es einen dabei verschlägt. Bleibt die Frage, warum sich der Mann das als Solo-Kunstwerk überhaupt antut. „Klar ist das anstrengend“ weiß Tom, „die Fahrerei, das Booking, Auftritt, die Unterhaltungen danach, aber das ist genau, was mich am Laufen hält. Du kannst das nicht für immer machen, aber wenn eine Tour dann vorbei ist, ist man am nächsten Tag erst mal ziemlich depressiv“.

Freizeitkoller hieß das früher, wenn man als Kid nach drei Wochen Jugendfreizeit mit einer Bande anderer Kids wieder zurück nach Hause in den drögen Alltag musste. Auf die FFP-Touren bezogen, hat auch der Berliner Alltag nicht immer solche Höhepunkte parat, wie zum Beispiel den Opener für die Skatepunkhelden von SNFU zu geben. Ein ziemlich besonderes Ereignis für Tom: „Das ist schon eine ziemlich verrückte Sache, mit deinen musikalischen Helden zu spielen. Nicht so sehr, weil man hinterher für die Vita sagen kann “Ich habe mal mit SNFU gespielt“, sondern, weil es so nett ist, diese Typen zu treffen. Und die sind nun mal einfach nett. Das ist wohl der Grund, warum sie das so lange machen. Klar, hat die Besetzung oft gewechselt, aber Chi Pig, der ist wirklich ein Individualist und hat mit 50 Jahren noch sehr viel Energie.“

Seltsamerweise funktioniert die Kombination aus dem Akustikgitarren-Einzelkämpfer und größeren Punkrockbands sehr gut. Größe ist hier allerdings eher auf die Zahl der Band Mitglieder zu beziehen und nicht auf den Bekanntheitsgrad. Sowieso zieht es Tom vor, kleinere Punkrockshows zu spielen und wenn nur die P.A. groß genug ist, hat auch ein Fredd-Fudd-Pucker-Set genug Energie, damit die Sache funktioniert. Und auch das Publikum ist meist zufrieden, wenn statt der erwarteten Vorband ein einziger Typ Leben in die Bude bringt „Ich glaube, für 1-2 Songs fragen sich alle, was ich da überhaupt mache. Aber danach gibt es normalerweise immer eine ganz gute Reaktion, weil die Leute eben nicht einfach eine Band sehen wollen, die das gleiche wie SNFU macht, aber nicht so gut. Da ist es dann eine große Überraschung, mich alleine auf der Bühne zu sehen. Und es passt auch deshalb, weil es auch Punkrock ist. Laut und schnell“.

Wobei man, allein von der Instrumentierung – Akustikgitarre, Banjo und Drumkoffer, FFP schnell mal in die Folk/Countrykiste stecken könnte. Die Verbindung zwischen diesen Stilen ist aber offensichtlich da. Das merken mittlerweile immer mehr Punkrocker, die sich mal unverstärkt mit ihren Songs auf die Bühne trauen. Auch Tom sieht da durchaus Parallelen „Vielleicht haben manche Leute eine sehr begrenzte Sicht auf Punkrock. Aber die Idee ist ja eigentlich, das du etwas machst, was du wirklich aus dir heraus machen musst. Du kannst es nicht nicht tun. Und es ist nicht so, dass ich hoffe, dass FFP größer und größer wird. Ich kann es einfach nicht lassen. Und das ist das Ding mit Punkrock. Du musst es einfach tun, egal wie es ausgeht. Bands, die nicht so drauf sind, halten nicht lange durch“.

Guter Punkt. Oft genug scheinen junge Bands einen zu großen Ehrgeiz an den Tag zu legen und stürzen sich mit der Erwartung in die Punkrockwelt, dass sie in zwei Jahren die richtig dicken Shows spielen. Wenn das dann nicht so ist, ist recht bald Schicht mit der Band. Das Verständnis von Punk sollte also ein ganz anderes sein. Was auch Tom so sieht: „Du musst es halt mögen, diese kleinen Scheißtouren in den winzigen Clubs zu machen. Ich mochte große Clubs noch nie. Wenn mehr als 200 Leute kommen, dann muss es schon was richtig gutes sein. Ich komme klar damit, NEUROSIS mit 500 anderen zu sehen, aber ich würde es natürlich lieben, wenn es nur 50 wären.“

Auch wenn Tom FFP nun schon seit Jahren in der kleinstmöglichen Besetzung betreibt, hat er die Idee, das Projekt mal auf die Größe einer „richtigen“ Band auszuweiten nie so ganz aus dem Kopf bekommen. „Dran gedacht habe ich schon viele Male, hab’s dann aber nie getan“ gibt er offen zu, „Vor Jahren habe ich mal Aufnahmen gemacht, bei denen ein paar Freunde Bass und Drums gespielt haben. Danach war ich noch drei Jahre mit meiner Ex-Freundin unterwegs, die Akkordeon gespielt hat. Aber so ein richtiges Band-Ding wollte ich schon immer mal haben“.

Das richtige „Band-Ding“ entwickelt sich nun möglicherweise abseits von FFP. Mehr aus einer Partylaune heraus haben sich in den letzten Monaten die LOVEBURGERS gegründet, bei denen Tom ab und an auch spielt. Ein Projekt mit Leuten aus Berlin und Braunschweig, das live einfache, aber stimmungsvolle Punkrocksongs hinzaubert.

Hört man sich die mittlerweile acht Alben auf der Bandcamp-Seite von FREDDY FUDD PUCKER an, gibt zumindest die “Albatross”-CD ungefähr eine Vorstellung davon, wie das wäre, wenn FFP eine „normale“, mehrköpfige Band wäre. Die Aufnahmen hat Tom mit seinem Bruder und einem Freund noch in Neuseeland gemacht und wäre das die normale Besetzung, hätte diese Band durchaus ihre Berechtigung mit einem Sound, der an Bands auf NO IDEA oder GUNNER Records erinnert. Das eigentlich Schöne an den Songs von FFP ist aber ihre Vielfalt. Klar finden sich da wunderbare Folk-Punkperlen, andererseits aber auch überraschende Stücke, die ganz ruhig sind, etwas experimentell wirken oder auch nur von einem Piano begleitet werden.


Verschiedene Dinge und Instrumente auszuprobieren hat für Tom sowieso eine sehr lange Tradition. „Ein bisschen vermisse ich das schon. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich im Wohnzimmer meiner Eltern gespielt. Wir hatten da so ein kleines Studio, sehr einfaches Set Up und da habe ich schon immer mit verschiedenen Sachen rumexperimentiert. Mittlerweile ist das FFP-Songwriting zwar um einiges besser, aber dafür es ist schwerer, mal wieder zu experimentieren, wenn ich Songs schreibe, die ich auch live spielen will.“

Bei all den Experimenten, die er schon früher veranstaltet hat, wurde er beim Musikmachen schon sehr früh gefördert. „Mein Vater ist Musiker und meine Eltern haben mich darin schon immer sehr unterstützt. Als Kind musste ich Klavier spielen. Ich hab’s gehasst. Aber jetzt bi n ich sehr froh, dass ich das machen musste, weil dadurch die Liebe zur Musik schon sehr früh da war. Mit zehn oder so habe ich dann mit dem Klavier aufgehört. Als ich dann Nirvana gehört habe, habe ich Gitarre spielen gelernt und Songs wie „Come as you are“ oder „Smells like teen Spirit“ draufgeschafft.“

Neben gutem Songwriting und ausgiebigen Touren, wird für eine Band, egal ob ein der zehn Leute mitspielen, auch das Artwork der Platten immer wichtiger. Im Fall von FFP lassen sich die guten Covermotive der bisherigen Releases zwar auch im Internet besichtigen, richtig beeindruckend ist zumindest die aktuelle CD, wenn man sie samt Beiheft in den Händen hält.
Die CD steckt nämlich nicht einfach in einer lahmen Hülle, sondern ist Teil eines Comic-Zines, für das Tom ganz D.I.Y.-mäßig alle Lyrics mit Comics und Zeichnungen versehen hat. Deshalb haben wir die Gunst der Stunde gleich mal genutzt und haben auch das Cover dieser Renfield-Ausgabe von Tom gestalten lassen.

Es zeigt sich also, dass FFP nicht einfach bei der Musik aufhört, die Kunst der Verpackung gehört auch dazu, wie Tom erläutert. „Natürlich geht es bei FFP in erster Linie um Musik. Aber ich zeichne auch und schreibe auch Gedichte. Der Grund, warum es dieses Zine gibt, ist einfach, weil CDs an sich scheiße sind. Niemand will eine verdammte CD. Ich habe im Moment kein Geld für eine Vinylplatte, aber ich finde, man muss die CD zu etwas Speziellem für die Leute machen. Dann ist es mehr als einfach nur die blöde CD, also muss man ihnen was dazugeben, das speziell ist, etwas, das man sonst nicht bekommt. Das finde ich wichtig. Sachen an Leute zu verkaufen ist mir immer etwas peinlich. Eigentlich ist es mir sehr unangenehm, dass Leute mir Geld geben. Ich hasse Geld. Und CDs sind ja nur Plastik. Als ich mit Musik aufgewachsen bin, habe ich schon immer auch das Artwork einer Platte geliebt. Ich habe „In Utero“ von Nirvana gehört, mir dabei das Artwork angeschaut und fand das großartig. Sehr verrückt und verdreht. Man ist total eingefangen, wenn man eine Platte hört und sich die Grafiken dazu anschaut.“

Bald ist eine halbe Stunde entspannte Plauderei vorbei, das Bier ausgetrunken, und Tom muss zur Arbeit ins RAMONES-Museum. Zeit, um letzte Dinge zu klären. Zum Beispiel, was es mit dem Stein auf sich hat, den er bei jedem Konzert besorgt und danach im Laden hinterlässt.

“Das ist eigentlich ein Ritual, das natürlich seinen Grund hat. Der Stein ist dazu da, den Koffer zu beschweren, wenn ich darauf Bassdrum spiele. Das Lustige ist allerdings, dass ich auf Tour nie ein und denselben Stein dafür mit in den Van packe. Hab ich noch nie gemacht. Ich suche mir vor Ort immer einen neuen Stein. Eine halbe Stunde vorm Soundcheck gehe ich immer raus, nehme einen Drink und schaue mich nach Steinen um. Ich denke schon, dass das ein Ritual ist. In Berlin ist das recht einfach, hier liegen ja überall Steine rum. Aber wenn du in einer recht sauberen Stadt bist, ist das nicht so leicht.“

Freddy Fudd Pucker zum Anhören.

Gary Flanell

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