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Donnerstag, 31. Oktober 2024


TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7"

Spacerock. Wer hats erfunden? Vermutlich Hawkwind. Timmy Vulgar jedenfalls scheint eindeutig Spacerock zu lieben. Laut Info ist er eine Detroiter Underground Legende. Das schöne am Undergroundlegenden-Status ist ja, das ihn jeder für sich beanspruchen kann.

Jeder sein eigener Underground.
Diese Single möchte man zum Pilzesammeln mit seinen Freunden in der Mark Brandenburg mit dabei haben. Naja, vielleicht lassen wir das mit dem Pilzesammeln und bestellen uns gleich etwas Acid im Internet. Geht schneller. Und daheim steht ja auch der Plattenspieler.


Allein um an dieser Stelle auch mal Erik Burdon zu zitieren bringen wir LSD ins Spiel: "When the acid trip is over, you gotta comeback to mother booze". So ist die B-Seite dieser Single ein noch am Montagmorgen noch Schnaps riechender Folk-Booze-Blues: "When the booze is gone, the sorrow is still there....".
Tja, um Sorgen braucht man sich in diesen Zeiten wirklich überhaupt keine Sorgen zu machen. Die legalen und illegalen Apotheken haben darum mal wieder Hochkonjunktur.
Spacerock bald wohlmöglich auch wieder, nach dem endlosen Krautrock-Revival der letzten Jahre. Solange finden wir Timmy im Detroiter Underground mit Internetanschluss und Bandcamp-Account.
Die Single ist auf 300 Stück limitiert. Für den erhöhte Legendenstatus im eigenen Plattenregal. Ride on!

Bruce Bachmann

TIMMY VULGAR'S GENETIC ARMADGEDDON - "Zeta Reticuli" - 7" ist erschienen auf Goodbye Boozy Records

Apocalype Meow


CATNADO

Die Anwesenden: Drei Herren mittleren Alters sowie zwei männlich gelesene Katzen, auch mittleren Alters. Die anwesenden Menschen haben ein gewisses Faible für guten Trash und ein Vorwissen was abseitige Filmprojekte angeht. Man könnte alle drei als cinephil bezeichnen. Aus diesem Grund sind sie zusammengekommen, um per Stream einen Film zu begutachten, der vor einigen Wochen über diverse soziale Medien in ihre Aufmerksamkeit gekommen ist.

Der Film: CATNADO.
Ursprünglich 2022 erschienen, nun auch auf DVD und als Stream erhältlich. Allerdings nur in den USA. Den Stream haben wir freundlicherweise vom Vertrieb gestellt bekommen. Der Titel allein gibt den Menschen, die sich mit Filmtrash beschäftigen, eine Idee, um was es geht. Denn vor einigen Jahren erhielt die SHARKNADO-Reihe einiges an Fame, allein wegen der darin vorkommenden Novelty-Idee: Durch einen TorNADO werden Haie (SHARKS) in die Luft geschleudert, somit aus dem Wasser, rein ins US-amerikanische Binnenland, wo sie dann, keiner weiß genau wie, Menschen anfallen und fressen. Das an sich war schon eine sehr bescheuerte Idee, aber irgendjemand hat etwas Geld dafür hergegeben und dann wurde gedreht. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, nicht viermal, nicht fünfmal, sondern sechsmal insgesamt. Sechsmal Sharknado bitte. Ja, immer ohne Sinn und Hirn, bitte.

Nun ist es ja nicht so außergewöhnlich, wenn man sich an eine erfolgreiche Idee dranhängt, und die Vorraussetzungen im Sinne einer Satire etwas ändert. So auch hier, et voilá: Das Ergebnis heißt CATNADO! Die Prämisse ist ähnlich, nur statt Haien regnet's Katzen vom Himmel und auch diese sind aggro und wollen den Menschen ans Eingeweide. Oder an den Hals. Oder sonst wo hin. Eigentlich konnte bei so einer hünsch absurden Idee nur guter Quatsch rauskommen. Eigentlich.

Nun liegen die Dinge hier etwas anders. Bei CATNADO handelt es sich nicht um einen zusammenhängenden Film mit einem Plot und einer Gruppe von Darsteller*innen. Es ist vielmehr ein Episodenfilm, bei dem sich sechs Regisseur*innen an der felin-klimatischen Ausgangssituation versuchen. Im Ergebnis ist das Ganze leider weniger lustig geworden als erwartet. Auch nicht trash-lustig, leider. CATNADO ist eher eine Compilation von No-Budget-Kurzfilmen, die zwar das Thema "Katzen im Sturm suchen die Menschheit heim" aufgreifen, aber trotz der wunderbar dämlichen Ausgangslage nur mässig bescheuert und ideenreich sind. Und "mässig bescheuert" als Qualitätsmerkmal anzuwenden ist schon, naja, auch seltsam. Sagen wir es mal so: Dieser Film hat viel Schönes.


Es scheint so, als hätte jede*r Director* seine besten Freunde rangeholt, eine (genau eine) Kamera benutzt, dazu ein paar Videotricks bei einem Umsonst-Film-Edit-Programm der VHS reingequetscht und ein paar found-footage-Aufnahmen von Katzen drübergestreuselt. Zum Trost: Es werden keine echten Katzen gequält oder wirbelwindartig durch die Luft geschleudert. Dafür werden sichtbarerweise ein paar (wenige) Stofftiere den Akteur*innen an den Hals geworfen. Aber selbst in den wenigen Szenen, wo eine echte Katze Sinn (naja, Sinn...) gemacht hätte, so als stimmungsvolles Szenenbild..., gibt es keine.

Achja, Handlungen, die gab es ja auch. Was haben wir da? Den Anfang macht ein Bonny-und-Clyde-artiges Gangsterpärchen, das wirkt, als wären es gerade vom Parkplatz eines Schnellimbiss weggecastet worden. Die beiden brechen irgendwo ein, dann kommt der Catnado und der Angriff der Killerkatzen. Aus dem Bauch des Typen springt hernach noch Alien-mäßig eine Muschi. Wie sie da reingekommen ist, keiner weiß es.

Weiter geht es mit einem kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Klaustro-Ailuro-Phobiker in der Besenkammerkammer, zwei Typen, die nach einem Auffahrunfall in den Catnado geraten, einem Trio, das sich vor dem Sturm in einer Hütte verschanzt - und dort von Katzen (Stofftieren, ich erwähnte es bereits, auch hier nur wenige, ein oder zwei, glaube ich) angefallen wird, zwei Piloten auf Nachtflug, die es mit einem Mensch-Katze-Hybrid zu tun bekommen, der bestenfalls beim Cats-Musical aussortiert wurde (hier aber den Preis fürs beste Kostüm bekommt) und nun in 10000 Meter Höhe versucht, die fliegende Konservendose mit den beiden leckeren Menschen darin vom Dach aus zu öffnen.

Am Ende, quasi als Bonus nach dem Orkan, wird es in "Cosmic Catnado" noch einmal psychedelisch, mit allerlei Phantasiewesen und das ist noch der beste Teil dieser seltsamen Katzen-im-Sturm-Compilation. Wäre der ganze Film derart gestaltet, es wäre mir ein Fest gewesen.

Was die einzelnen Handlungsstränge angeht: Vielleicht habe ich nicht alles verstanden, weil einiges lost in translation war, Untertitel gab es keine. Möglicherweise waren auch hier und da einfach keine schlüssigen Handlungen existent, sondern irgendwelche Leute haben halt irgendwas mit Stofftieren gemacht, um die Zeit zu überbrücken, bis der Catnado auftaucht und alle umbringt.

Ok, es war klar: Trash war angekündigt. Trash wurde auch geboten. Ich finde aber, es gibt Trash und Trash. Guten, liebevoll gemachten, ideenreichen Trash und irgendwelchen Quatsch, bei dem mal zufällig jemand die Kamera draufgehalten hat. Quatsch, bei dem von vornherein klar war: Huch, wir haben ja gar kein Geld für irgendwas. Nicht mal für Katzenfutter. Die Idee von CATNADO mag zu einem gewissen Grad reizvoll sein, allerdings ist der Ideenreichtum und die Umsetzung arg limitiert. Und sechs einzelne Episoden unter diesem einen Titel zu verkaufen, ist auch so eine Mogelpackung.

Aber wer weiß, vielleicht verstehe ich das alles falsch. Vielleicht gibt es eine Gruppe von Menschen, die das hier voll abfeiert. Ed Wood hat ja früher auch keiner verstanden. Obwohl... Ed Wood war Filmemacher. Hat sich als solcher verstanden und war irgendwie als solcher auch Teil des Betriebs. Das scheint mir hier nicht der Fall zu sein. Nachdem alles abgedreht war, die DVD veröffentlicht und wieder Ruhe einkehrte, haben sich alle Beteiligten sicher wieder ihren normalen Jobs gewidmet. Was gut ist. Schade ist es eigentlich nur um die Rohstoffe, die bei der DVD-Produktion verwendet worden sind. Streamen reicht.

CATNADO ist am 22. Oktober auf DVD und VOD über Wild Eye Releasing erschienen (eigentlich aber schon 2022). Scheint im übrigen eine ganz hervorragende Adresse für Trash-Horror-Fans zu sein.

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Supergroup statt Vorruhestand


THE HARD QUARTET - s/t

Noch ganz frisch: „The Hard Quartet“. Das nach der Band benannte Debüt-Album ist ein stilistisch vielfältiger Indie-Alternativ-Rock-Pop-Mix. Spielfreudig und virtuos eingespielt, arrangiert und produziert. Was nicht wundert bei diesen „Debütanten“ und ihren Bandgeschichten: Stephen Malkmus (Pavement), Matt Sweeney (Chavez, Cat Power, Superwolves), Emmett Kelly (Bonnie Prince Billy, Ty Segall) und Jim White (Dirty Three, PJ Harvey) sind die „Traveling Wilburys“ der Indie-Szene. Supergroup statt Vorruhestand.

Musikfans mit entsprechendem Geschmack (inklusive der Top-Checker:innen) werden sich an der musikalischen Qualität erfreuen. Auch für Nebenbei-Hörende halten die Songs genug Parts zum Mitsummen, Kopfnicken, Aufstampfen oder Abrocken parat.

Zum energetischen Auftakt wirbelt der Opener „Chrome Mess“ viel Staub auf: Ein Motorrad-Lift jagt Benzin in die Luft, und rollt auf dem Highway zu einem finsteren Rockschuppen mit brettharten Gitarrenwänden im tiefsten Westen der USA. Der Text offenbart psychedelisches Potenzial, wenn „Sister Sludge“ mit den „ampelgrünen Augen“ angesungen wird und das Leben mit ihr ein „heißes Chromchaos“ verspricht. Auch in „Renegade“ drückt die Viererbande das Rockn' Roll-Gaspedal amtlich durch.

Andernsongs mögen es die Haudegen softer: ob mit entspanntem Country-Feeling am Lagerfeuer („Heel Highway“) oder Britpop-balladig wie in „Rio's Song“ oder in „Six Deaf Rats“, wo Malkmus' Gesang Lou Reed wiederaufersingen lässt. „Earth Hater“ wiederum klingt verspielt zappaesk.


Abwechslung ist also Programm - auch innerhalb der Songs, wenn etwa „Action For Military Boys“ mit doomigem Hardrock startet und über poppigen Chorgesang in gitarrengetriebene, diverse Parts und Indie-Sphären mündet. Das alles gelingt „The Hard Quartet“ in einem organischen Spielfluss, oft hymnisch und mit den letzten Stücken des Albums ruhiger werdend.

Das organische Zusammenspiel kommt nicht von ungefähr: Im GQ-Interview erzählte die Band, dass bereits in der ersten Woche ihrer Zusammenarbeit beinahe so viele Songs entstanden sind, um ein Album damit füllen zu können. Sie seien sich zuvor immer wieder zufällig begegnet, ehe Sweeney Malkmus zur Beginn der Corona-Pandemie vorschlug, „The Hard Quartet“ zu gründen. Eine gute Idee!

Live sind sie im kommenden Jahr möglicherweise auch in Europa am Start. Ihr Live-Debüt gab die Band am 10.10. in Los Angeles, am 17.10. gng's dann in New York weiter, am 22.10. in London und im Januar 2025 spielen sie einige Konzerte in Australien. We'll see..

Stonebridge

"The Hard Quartet" ist im Oktober 2024 auf Matador Records / Beggars Group (Indigo) erschienen.

thehardquartet.com

facebook.com/thehardquartet

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Air Raid Siren Is Over


BOHDAN STUPAK AIR RAID SIREN IS OVER - FIELD RECORDINGS ON AIR

Live! Wie fühlt es sich an, on air zu sein? Wenn man es nicht sollte. Weil Flugzeuge Bomben abwerfen. In einem Krieg, unter dem die Bevölkerung leidet. Unschuldige Menschen, die ihrem Alltag nachgingen. Den es jetzt nicht mehr gibt. Wie erklärt man das?

Vielleicht kann man das gar nicht erklären. Darum begreifen zu wenige. Erleben ist anders. Tief gehender. Unter die Haut. Wenn wir hören. Als wären wir da. Ohrenzeugen.

Bohdan Stupak erlebt dies in der Ukraine und setzt sich damit auseinander. Muss das tun. Auf der Compilation STOP ALL WARS, die seit Februar 2022 Künstler Musik mit dem Titel stop all wars veröffentlichen lässt, solange, bis alle Kriege auf der Erde enden, hebt er mit seinem knapp zehnminütigen Noisetrack Field Recordings auf ein unheimliches Niveau.

AIR RAID SIREN IS OVER (08/2024) ist ein beklemmendes akustisches Artefakt diskurrierend inmitten menschlicher Dummheit. Dabei ist die Dummheit weniger die Dissoziation des sirenierenden Luftalarms, um Tonaufnahmen für einen geräuschvollen Musikbeitrag zu erstellen. Die Dummheit, die menschliche, ist der Umstand, der dazu führt, sich um das Menschliche zu stellen und sein eigenes Sein und das seiner eigenen Spezies in Frage zu stellen. Leider gehört auch das zum menschlich Allzumenschlichen. Dass nichts ehern und nichts notwendig ist, gleichwohl Gut und Böse sich ein wechselseitig interpretiertes Stelldichein geben. Mit Kultur können wir diese letztliche Sinnlosigkeit nicht aus den Angeln heben, wohl aber sie besser aushalten und Keimlinge für künftige Früchte auf verbrannter Erde setzen.

AIR RAID SIREN IS OVER nimmt sich Zeit, um zu beginnen. Das Warten. Fiepen. Weit im Hintergrund erhaschen die Ohren eine unheilvolle Sinuskurve. Hin und wieder und hierauf immer öfter in skalierter Tonlage. Im Vordergrund Geklapper. Wie nervös bediente Kippschalter und Tasten in einer Schaltzentrale. Aggregate. Dann Räuspern. Alles etwas dünn bis hierhin.

Ab drei Minuten bekommt die Aufzeichnung Körper. Ein resonanter Oszillator summt. 200 Hertz? Eine tagträumerisch gedrückte Klaviertaste kultiviert das Szenario und erinnert an den Trott des Damals. Kurz darauf gesellen sich vokale Schnipsel hinzu. Eine wirr abgehakte Konversation ist zu erahnen. Es tönt wie ein Fehler einer chaotisch widergegebenen Aufnahme, wie ein missglücktes Stück. On air! Aber das ist Absicht. Das ist Chaos. In einem Krieg. …jetzt eine Blockflöte oktroyierter musikalischer Früherziehung. Einstige Kakophonie wider den Hausfrieden, nun so lieblich wie die Nachtigall.

Minute sechs: Ja, es ist ein Dialog. Zwischen einem Mann und einem Kind. Zwischen Bohdan und seinem Sohn. Immer noch zerfledderndes Tremolo und Beatshift, doch die Intervalle verkürzen sich zu ganzen Sätzen. Abermals die Blockflöte. In der letzten Minute erklingen die Sätze in Reinform. Der Vater spricht mit seinem verängstigten Sohn, der etwa drei Jahre alt sein mag. Wie erklärt man das? Kann man nicht. Aber man hört Liebe. Mutige, ja fast gleichmütige Hinwendung in einer Ausnahmesituation. Eines Vaters zu dem Keim, den er in die Zukunft gesetzt hat. Ein Keim, der in Kultur aufgehen soll. Life!

Gustav Roland Reudengeutz

Den Track AIR RAID SIREN IS OVER von Bohdan Stupak findet sich hier.
Die Compilation С​т​о​п​! (STOP) hier.

Donnerstag, 10. Oktober 2024

Schön, wenn junge Leute Musik machen Pt.LXL

Manchmal langweile ich mich fürchterlich, wenn ich mich mit aktueller deutschsprachiger Musik beschäftige. Klingt alles nach dem gleichen Scheiß, nichts dabei, was die Wurst vom Teller zieht. Ist vielleicht auch das Ältere-Mann-Syndrom. Scheiß Punk. Viel gehört, viel gesehen, auf so einem snobby Kissen der Erwartungshaltungen ist es gar nicht so leicht, aus der dunklen Zelle der gepflegten Tristesse in den Palast der Euphorie getragen zu werden. Auf einer Sänfte, geschnitzt aus wohlriechenden Intarsien aus Aufregung und Neugier. Getragen von wohlgelaunten Einhörnern mit Regenbögen an den Hufen.

Aber diesmal ist es so. Gleich zwei Bands, die mindestens einen guten Song auf deutsch rausgepumpt haben. Ob das reicht, die ganze Platte zu kaufen? Ich weiß es nicht. Aber zwei gute Songs sind eine Menge wert, in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit.

Da wären zunächst mal BASSED mit "Deutsche Praktiken". Geiles Intro mit hübscher Nikel-Pallat-Hommage, Song danach auch super. Haben die viel "Die Sterne" und anderes Hamburger-Schule-Zeug in Augsburg konsumiert? Klingt jedenfalls so. Guter Text, sehr tagesaktuell in Bezug auf den Rechtsruck und dazu gibt es ein schickes Video und ein cheesy Gitarrensolo am Ende. Wenn damit genug Leute erreicht werden, sehr gerne mehr davon.



Wir erinnern uns: Ich schrub von zwei Bands. Bevor ich mich wieder dorthin zurückziehe, wo den ganzen Tag aus Nostalgiegründen der Bro-Hymn-Remix von BASSNECTAR läuft, also hier das nächste Überraschungs-Ei.

Der Bandname ist nicht so ein Catcher, aber die Musik ist es: Die Rede ist von THE BACKYARD BAND. Das klingt wenig einfallreich oder gar experimentell, aber - solide. Scheinen diese Jungs (alles Jungs, auch im Video) auch zu sein. Erdige Typen, die völlig altmodischen Boogie-Garage-Punk-RocknRoll spielen. So Zeug, was komplett aus der Zeit gefallen ist. Dazu manchmal auch, und das ist das Schöne, Texte auf Deutsch. Kerniger Rock'n'Roll mit deutschsprachigen Texten, die Kombi ist schon wieder so alt, dass man sie für innovativ halten könnte. Ist sie natürlich nicht. Hol das Ouija-Board raus und frag Opa.

Hörbeispiel 1: Der sehr gute Song "Haltet einfach mal die Fresse". Und ja, wir bewegen uns hier in einem homosozialen Raum, also nur junge Männer, die auch sehr maskulin auftreten. Eine Truppe, die nur aus Jungsfreunden besteht, gemeinsam imm Proberaum abhängt und dort eben jungsmäßigen, angeprollten Quatsch macht. Klischee, Klischee, I know.
Aber ich denke, das sind welche von den Guten. Und "Haltet einfach mal die Fresse" singe ich schnell mit, weil auch hier gerade aktuelle Konflikte auf sehr alltagsnahe Weise thematisiert werden. Ist außerdem so eloquent, dass ich manchmal an den guten alten Dendemann denken muss. Ganz andere Mucke, ich weiß, aber so vom Gefühl under Rotzigkeit, die drin steckt,sehe ich Parallelen.

Die ganzen hard facts um das Album, welche Prominenz da wie und wann im Studio mitgeholfen hat - fuck it, diese Infos kriegt ihr auch so schnell raus.



Gary Flanell

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Die Magie des Weges (eine Überschrift wie aus einem schäbigen Wartezimmerheftchen)

TRAIL MAGIC - Zine Nr. 3

Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.

So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.

Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.

Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.

Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.

Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.

Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.

Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx

Gary Flanell