TRAIL MAGIC - Zine Nr. 3
Gedruckte Zines bekomme ich mittlerweile weniger oft als eigens beschriebene Postkarten aus dem Urlaub von Freunden. Letzteres hat nichts mit Vereinsamung zu tun, sondern der Tatsache, dass Urlaubsgrüße nunmehr fast zeitgleich über digitale Kommunikationskanäle verschickt werden. Oder als digitale Postkarte - was praktisch ist, aber nicht dasselbe wie was handgeschriebenes Unleserliches von Herzen.
So ähnlich ist es auch mit Fanzines - und da ist das Renfield voll im Zwiespalt, denn die gedruckte Ausgabe gibt es ja auch derzeit nicht mehr. Umso schöner also, wenn sich Menschen immer noch dransetzen und ein eigenes Heft rausbringen - und zwar so, wie es ursprünglich mal gedacht war: kleine Auflage, Collagenstil, s/w-kopiert und mit sehr persönlichen Texten.
Vor einer Zeit kam mir das neue Heft von Chriz in die Hände. Ich sollte ihm den Beinamen "den Unermüdlichen" verleihen, denn nach MASSENMÖRDER ZÜCHTEN BLUMEN und sackvielen weiteren Ego- bzw. Personal-Zines, hat er mir sein neuestes Heft zukommen lassen, was auch schon wieder eine Weile her ist (ist m September/Oktober 2023 rausgekommen, als ca. ein Jahr): TRAIL MAGIC heißt es und ist ein Zine geworden, dass sich genau einem Thema widmet, das Chriz sehr am Herzen liegt, somit ein echtes Fan-Zine ist: Dem Wandern. Oder Hiken. Oder Spazierengehen oder wie ihr es nennen wollt. Jedenfalls, sich zu Fuß durch die Landschaft, die Gegend, den Raum bewegen, vielleicht dabei ein Buch von Lefebvre in der Seitentasche vom Rucksack steckend.
Rein von der Zahl der Beiträge ist TRAIL MAGIC recht übersichtlich. Es gibt eine zum Thema Wandern in der alten Heimat (als links sozialisierter Punk in einer ostddeutschen Kleinstadt schon sehr beeindruckend), ein Interview mit Tobias "Puding" Burdukat, seines Zeichens Sozialarbeiter, Antifaschist und Hiker by heart, einen Konzert-Bericht vom 30. Geburtstag von Refuse Records, einen kurze Input zum Instagramaccunt von @extremspaziergaenger und einige sorgsame Zine-Reviews. Klingt zahlenmäßig nicht viel, ist aber inhaltlich sehr spannend geworden.
Das Interview mit Pudding nimmt den größten Teil des Hefts ein, es wird ihm viel Raum gegeben über sein Interesse, na besser, seiner Faszination am Wandern zu reden. Dazu, wo er schon überall rumgelaufen ist, (Orte, wo ich als etwas bohemer Strandläufer eigentlich nicht hinmöchte) und den politischen Aspekt seines Wanderns, auch in Hinblick auf die von ihm initiierte Crowdfunding-Kampange. Das hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle zart redigiert werden können, ist aber auch so spannend zu lesen und schließlich ist das hier ja Fanzine und nicht Spiegel oder sowas. Also darf so ein Interview sehr persönlich und teilweise auch sehr dialoghaft werden. Jedenfalls scheint Pudding eine sehr interessante Person zu sein, auf die wahrscheinlich auch "I've been everywhere" von Johnny Cash bestens passt.
Der erste Bericht übers Wandern in der (alten) Heimat, die man aus guten Gründen verlassen hat, ist vielleicht der spannendeste, weil er zu einen sehr biografisch ist, andererseits aber auch eine gute Ergänzung zu den Berichten über Zeiten aus dem Osten, die unter dem Stichwort Baseballschlägerjahre zusammengefasst werden. Eigentlich sollten viel mehr Leute aus dem Westen diese Texte lesen, um überhaupt mal eine Idee zu bekommen, was es heißen konnte, als Punk durch die Provinz zu laufen und von Nazis körperlich angegriffen zu werden. Aber fuck it, dem Westen, war es eh immer egal, was im Osten auf dem Land abging. Sich dann über hohe AfD-Wählerzahlen zu echauffieren, klingt dann nicht so geil.
Aber zurück zum Trail Magic-Zine: Ich habe mich sehr über dieses Heft gefreut, weil alle Texte sehr persönlich geschrieben sind, nicht das ewig gleiche Musik-Gedödel abfeiert wird und dazu ein Thema behandelt, dass es so in Zines nicht oft gibt. Von daher: Sehr sehr hübsch.
Kontakt zu Chriz gibts über Instagram: @xtrailmagicx
Gary Flanell
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