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Donnerstag, 30. Januar 2025

Schön, wenn alte Männer noch Musik machen Pt. MMMMXXXXIIIIXMMMXXII


OLD MEN GROUP - OMG! It’s… THE OLD MEN GROUP

Was für ein Titel. Das schlägt direkt in die Magengrube. So bringt man sprachlich jung und alt zusammen. Generationsübergreifende Musik also? Vielleicht. Doch schauen wir uns die Old Man Group doch erstmal etwas genauer an. Der Name ist da schon Programm.

Denn young und fresh sind die drei Herren jetzt nicht mehr so ganz. Hatte doch Frontmann und Mastermind Klaus Cornfield schon vor runde zweihundert Jahren mit Throw That Beat In The Garbagecan internationalen Erfolg, bevor es mit Katze weiterging. Der Rest ist Geschichte. So far.

Doch nun gibt es seit ein paar Jahren eben besagte Old Men Group, die bereits zahlreiche Berliner Bühnen unsicher machte und auch mich bei einem auftritt im Neuköllner Posh Teckel hellauf begeistern konnte. Es hat dann etwas gedauert, aber endlich ist auch ihr erster Longplayer erschienen, der mir hier jetzt als CD vorliegt.


Zwölf Indie-Pop-Kleinode, die ordentlich nach Garage, Rock’n’Roll und Beat riechen. Lo-Fi mit Charme. Das kennt man von Klaus Cornfield. Und so ist auch drin, was drauf steht. Hier wird quer durch die Rock-Geschichte zitiert und geklaut, dass es eine wahre Freude ist. Hier die Troggs, da die Who und so geht es weiter. Die Platte macht unheimlich viel Spaß, fast so viel wie die Konzerte der Band.

Abel Gebhardt

Das Album mit dem Oh my God-Titel der Old Men Group gibt's hier auf ihrer Bandcamp-Seite.

Donnerstag, 23. Januar 2025

Ambivalentes Gefühlskino der Bafög-Bohéme


Die Regierung: Unten

„Natalie sagt“, „Charlotte“, „Corinna“ oder „Nicole“: Tilmann Rossmys Vorliebe für Frauennamen als oder in Songtitel(n) ist kennzeichnend für das Album „Unten“ seiner Band „Die Regierung“. Er teilt sie mit seinem Einflüsterer Leonard Cohen, der Lieben und Liebschaften in „So Long, Marianne“ oder „Suzanne“ ebenfalls titelgebend in Songportäts verewigte.

Wem Corinna und Natalie und bekannt vorkommen: Bingo! Schon 1994 sorgte die aus Essen an die Elbe emigrierte Popband mit dieser Scheibe auf L'age d'or für Furore. Ein Jahr später löste sie sich auf, ehe sie später in neuer Besetzung wieder loslegte. Trotz des Aufwinds der sogenannten Hamburger Schule blieb der Gruppe Anfang der Neunziger der kommerzielle Erfolg weitgehend versagt. Aber sie avancierte zum Kritiker-Liebling, wie sich Sänger, Texter und Gitarrist Tilman Rossmy im Booklet-Interview mit Carsten Friedrichs zur Neu-Auflage erinnert. Zum 30-jährigen „Unten“-Jubiläum hat Tapete Records das Album Ende letzten Jahres als LP, auf CD und online veröffentlicht.


Zu hören ist zeitlos guter Poprock zum Zuhören und Abgehen. Weniger sperrig als die damaligen Hamburger Szene-Kollegas von „Kolossale Jugend“, „Blumfeld“ oder „Cpt. Kirk &.“, stand „Die Regierung“ für eingängigere Melodien mit Ohrwurm-Potenzial. Songwriterorientierter schon eher im musikalischen Atemzug mit Tom Liwa oder Bernd Begemann unterwegs, mit prägnanten Gitarren und dem Piano von Thies Mynther als tragender Extrasäule. Auf „Unten“ ist das Eingängige nie eintönig, top und dynamisch arrangiert, dabei immer wieder überraschend. Produziert haben das Herman Herman (Lassie Singers) und Chris von Rautenkranz.

Tilman Rossmy singt seine selbstreflexiven, kitsch- und ironiefreien Texte über Gemütszustände und Beziehungsgeflechte unaufgeregt, beiläufig bis schnodderig und mit Blick für Details, wenn er alltägliche Widersprüche, schöne wie seltsame Augenblicke, im Songformat festhält. Immer im Wissen, dass das alles schnell vorbei sein kann. Die Songtexte über diffuse, festgefahrene Beziehungskisten offenbaren auch Eingeständnisse von Ratlosigkeit: Die singende „Ich“-Figur schont sich nicht. Wo sie gerne anders wäre, bezichtigt sich als einer von vielen, „Ein Idiot mehr“. Ein Rausch, die Leere und die Einsicht.


Neben Unsicherheiten und ungeklärten Beziehungen spiegelt sich in den Texten aber auch das Abenteuer der Großstadt, mit der Lust, Neues zu entdecken – Anfang der Neunziger war das noch machbar, ohne viel Verantwortung und Geld, wie Rossmy im Booklet-Interview über seinen Lifestyle verrät: „Diese vier Jahre in Hamburg waren wie ein Traum. Irgendwie was es damals möglich, mit 800 Euro Bafög, täglich zwischen 17 und 5 Uhr zwischen 'Sorgenbrecher', 'Casper's Ballroom', 'Tempelhof' und 'Pudel' ein zünftiges Bohéme-Leben zu führen. Hatte schon was.“

Stonebridge

"Unten" von Die Regierung (erstmals 1994 auf L'age d'dor. Oder Lado) wurde wiederveröffentlicht auf Tapete Records

Donnerstag, 16. Januar 2025

Schön, wenn Kuduro Gamelan kickt! Pt. I


CEMENTO ATLANTICO – Dromomania

Für die Leser diese Fanzines mag das befremdlich klingen (für 98% der Menschheit, die dies nicht lesen, jedoch ganz normal): Ich habe noch nie ein geschriebenes Wort über Musik verloren!

Meine Gehirnareale scheinen dafür bislang nicht vernetzt, denn ich deklamiere nicht beim Lesen wie mittelalterliche Skribenten oder erblicke gar geometrische Figuren wie Bach beim Musizieren.

Nun, das muss man ja auch nicht, murmelt der irritierte Leser, ein Abspielgerät genügt. Herrje, wurde hier etwa der allersimpelste Azubi drangesetzt? Ich aber rufe: Sagt dies nicht, denn wenn Ihr wüsstet, wie alt ich bin, Ihr würdet Euch schämen!

Daher beginne ich mit meinem Zeitgenossen Debussy - wie er, nachdem er ein javanisches Gamelan-Orchester in Paris erlebte - nicht mehr komponieren konnte wie zuvor. Die europäische Leitfrequenz verschob sich von streicherhaften Höhenzügen in wesentlich subterranere und polyphonere Gefilde, die der geneigte oder spektakulär ungeneignte Hörer bis da bloß als Geräusch wahrnahm. Weswegen es bei Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ weiland zu Tumulten kam.

So was werden wir wohl kaum wieder erleben, aber „Weltmusik“ hatte lange Zeit gleichfalls mit vehementen Vorbehalten zu kämpfen – oder wurde von findigen Plattenproduzenten in eine Batik- Dudelecke gepresst. Doch die Globalisierung läuft seit X Jahrhunderten, mindestens seit der Vereenigde Oostindische Compagnie (als schlechtes Beispiel) oder Zheng He mit seiner Schatzflotte (wurde eingeäschert), warum sollte man da nicht endlich mal ein passendes musikalisches Gewand schneidern? Die Schätze einsammeln wie einst Zheng He?

Und da haben wir nun diesen italienischen Kühnen, namens Alessandro Zoffoli alias Cemento Atlantico aus Cesenatico!



Und was steckt schon alles in diesem Namen! Das „opus caementitium“, der Proto-Beton des Römischen Reichs sowie der Name eines legendären Clubs in Buenos Aires (wo ich mal Silvester 1992 weilte – doch das würde den Rahmen hier völlig sprengen). Cesenatico hat einen von Leonardo da Vinci höchstselbst entworfenen Hafen und für zwei Jahre das höchste Haus Italiens (1958-60). 35 Stockwerke Stahlbeton im razzionalismo italiano – da liegt die Latte hoch.

Aber wo liegt dieses Cesenatico? Aha, an der Adria, südlich von Ravenna und nur ein paar Steinwürfe von San Marino! Ha, die älteste Republik der Welt - und so erklingen in Zoffolis Zweitwerk polyrhythmisch und ganz gleichberechtigt Dhol- und Tabla-artige Drums, Arpeggio- Bässe, Marimbas, spanische Poesie, Flamenco-Gitarren sowie Field-Recordings. Sehr viele Field- Recordings, die ein Dickicht aus Denotaten bilden. Das musste ich jetzt einfach mal schreiben - aber es gibt gar ein Neruda-Gedicht in den Dialekt der Romagna übersetzt: „Es blieben nur Knochen, rigide sortiert, in Kreuzesform“ (Vienen por las Islas, Neruda).

„Eine Welt, in die viele Welten passen, fragend wandern wir“ (Zitat Zapatistas). Vereint von der digitalen Audio-Werkstation, wie der Deutsche sagt. Und sind das Sarangi- Streicher? Nein, Esraj, jeenfalls allenthalben „a strange mixture of east and west“ wie sogleich der erste Song im voice- over feststellt. Ich höre Kuduro, denke an Burial und empfange Flamenco-Vibes – nicht alles im selben Song, sondern im Verlauf der acht, die zur Hälfte spanische Namen tragen.

Danza Negra ist für mich das atmosphärisch dichteste Stück, aber verheddern wir uns nicht in Details, die sich jederzeit ändern können. „You will feel at home here“ (Zitat aus Garawek Khaos)!



Schließen wir deshalb mit dem brieflichen Ausruf Debussys: „Ah, mein Freund, erinnere Dich der javanischen Musik, die alle Nuancen enthielt, selbst solche, die man nicht benennen kann, bei der Tonika und Dominante nichts weiter sind als nutzlose Hirngespinste zum Gebrauch für Weinekinder, die noch nichts begreifen!“

Wundert Euch ebenfalls nicht, anfangs hörte ich beim Verfassen „The Book of Taliesyn“ von den frühen Deep Purple - das erklärt einiges + die Verfremdung (sowie den Klassik-Approach) - sondern schnappt Euch Eure Boombox und nehmt DROMOMANIA hinaus in die Lande!

Bit Father Out

Das komplette Dromomania-Album von Cemento Atlantico ist auf Vinyl & CD sowie digital hier über die C.A.-Bandcamp-Seite zu kriegen.

Donnerstag, 9. Januar 2025

Schön, wenn Nintendo-Core noch ballert Pt. IXI


KEM TRAIL - ACHT COLA ACHT BIT / SACHBESCHÄDIGUNG

Neues Jahr, guten Tag. Dann mal los und weitergemacht...

Zwei Fragen gehen mir beim Hören dieser Platte durch den Kopf:

1. Was war eigentlich mein Lieblingsspiel auf dem C64?

2. Was haben 8bit-Sounds und Thomas Gottschalk gemeinsam?

1. Das ist leicht zu beantworten: Ganz klar THE GREAT GIANA SISTERS. War eh mehr so der Jump'n'Run-Typ. Niedliche Pixelfiguren, denen die Haare explodieren, wenn sie mit dem Kopf einen Backstein zerbröseln war voll meins. So Tüfteladventure wie MANIAC MANSION eher nicht so. Dann lieber BUBBLE BOBBLE und ehm, dieses Spiel, bei dem man in Windeseile Roboterschaltkreise miteinander verknüpfen musste. Name leider vergessen.

2. Die Gemeinsamkeiten von dem "Berufsjugendlichen der Nation" (Spiegel Online) und dieser Art der Musik? Wahrscheinlich die Tatsache, dass sie zu ihrer Hochzeit in den 80ern ganz unterhaltsam waren. Auch, weil es wenig anderes gab, was in Reichweite war.

In Bezug auf das würdevolle Altern haben die 8Bit-Sounds dagegen ganz klar die Nase vorn. Der Humor von "Tommy" (HÖRZU) Gottschalk befindet sich mehr so auf dem Niveau einer Gurke, die du Anfang des Jahres gekauft und seitdem hinten im Kühlschrank vergessen hast.


Der kleinste gemeinsame Nenner ist wohl, dass Gottschalk und 8bit nunmal popkulturelle Phänomene der 80er waren und nun, ca. 40 Jahre später, bei beiden ein gewisser Alterungsprozess nicht aufzuhalten ist. Der allerdings mal so und mal so ausfällt.

Dieses 8bit-Gedöns, Sound und Bild, hat immer noch Charme, zugegeben einen recht nerdigen, aber immer noch Charme. Und die Leute, die damit Musik machen, wissen, dass sie sich hier mit einem Retrophänomen beschäftigen. Bei Gottschalk und seinem Altherren-Witz-Ich-fass-Leute-einfach-mal-an-Habitus bin ich mir nicht so sicher.

So gesehen passen 8bit-Sounds und rebellische Subkultur super zusammen: Hier kann sich Punk noch einmal als Außenseiter-Genre inszenieren, und gleichzeitig auch anschlußfähig für Leute aus linken Kontexten sein, die am Sonntag Morgen ins Sisiphos gehen, dementsprechend halt mehr so Elektro hören und drögen konventionellen GitarreBassSchlagzeug-Punk als etwas aus der Zeit gefallen bewerten.

KEM TRAIL, 8bit-Einzelkämpfer aus Hamburg, hat auf diesem Album zwei Veröffentlichungen zuammengemerged. ACHT COLA ACHT BIT ist als Tape schon 2022 rausgekommen, SACHBESCHÄDIGUNG wurde im letzten Jahr aufgenommen (Ha, jetzt müsst ihr nochmal alle rechnen, welches Jahr denn nun gemeint ist) - und nun gibt's das alles auf einer Platte.


Die ist in ihrer Gesamtheit sehr schick geworden, auch das Cover bringt beide Einflüße - Punk hier, old school Klötzchengrafik da, gut zusammen: Ein pixeliger Roboter zieht - die Faust erhoben - eine Schneise der Zerstörung durch eine Stadt, alles natürlich schick in Schwarz-Roter Optik. Opa Transformer beim Straßenkampf, ich will ein T-Shirt. Wann gibt's das Spiel im Emulator dazu?

Musikalisch ist die Platte ziemlich genau ein Mix aus seligen Electro-Sounds der Brotkisten-Ära und Texten, die typische Deutschpunkthemen abscannen: Hier was gegen Bullen, da was übers Saufen, apokalyptische Endzeitfantasien, Bürokratie-Irrsinn, Anti-Karriere-Songs, fundamentale linke Systemkritik - textmässig also alles am Start, was Punks seit den 80ern gerne thematisieren, wenn sie Musik machen. Da passen die beiden Coverversionen von L'ATTENTAT und BRAINDEAD super rein, ein schöner Brückenschlag zwischen Ost- und West-Punk, das.

Also ist das ACHT COLA ACHT BIT / SACHBESCHÄDIGUNG nur was für hoffnungslose Liebhaber von verstaubten 80er-Sounds- und Subkulturen? Nein.
Interessanterweise klingt diese Nintendo-Punk-Variante doch lebendiger und näher an der recht düsteren Gegenwart als gedacht. Das Tempo der Tracks ist natürlich um einiges höher als bei den gemütlichen Games aus dem C64 und damit grätschen dann doch Techno und Drum'n'Bass rein, sowas war und ist in linken Kontexten ja schon immer sehr verbreitet. Und schnelle, laute Musik - was ist denn bitte mehr Punk als das?
Also insgesamt eine sehr geeignete Platte, um die etwas schal gewordene Punkparty mit deinen Iro-Kumpels Atze, Zecke, Ratte und Penis mal aus dem Bierschlummer zu reißen. Darauf ein analoges Dosenbier.

Dazu kommt: Mit Blick auf derzeitige politische Entwicklungen und dem derzeit live mitzuerlebenden gesellschaftlichen Backlash sind die Themen, die KEM TRAIL ins Mikro brüllt, doch aktueller, als sie es vor 40 Jahren wohl mal waren. Bisschen gruselig dann doch, aber auch hier gilt: Scheiß Leben, aber geile Grafik.

Gary Flanell

KEM TRAIL - ACHT COLA ACHT BIT / SACHBESCHÄDIGUNG ist in limitierter Vinyl-Version (300 Stücker) und digital (und vielleicht auch auf Tape und Floppydisc?) auf RILREC erschienen.

KEM TRAIL gibt's live übrigens am 08.März 2025 in einem schäbigen Keller in Kreuzberg zu sehen.