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Sonntag, 17. Juli 2016

Die Sache mit dem Zenit

Täglich wächst die Zahl der Momente, in denen ich meinen Rechner mit fiesesten Schimpfworten aus dem Genitalbereich betitele. Warum? Wenn er zum Beispiel aus nicht nachvollziehbaren Gründen einen Text wie diesen in ein spontan aufpoppendes Lesezeichenfenster schreibt. Nervt. Aber das tun viele Dinge.

Der überschriftgebende Zenit nervt eher selten. Egal, ob es der natürliche, täglich auftretende ist oder der Zenit im Schaffen eines Künstlers, einer Band: Der ist leider so perfide, dass er oft erst zu erkennen ist, wenn er schon lange zurückliegt. Hildegard Knef hat das ganz hübsch zusammengefasst:



Weiß man aber oft erst hinterher. Aber wenn es um eben diese überschrittene Phase der Genialität geht, dann ist so ein Zenit eine sehr nützliche Sache, zumindest für den hämisch lachenden Kritiker. Der kann dann selbstsicher vom Zenitgeschwafel zu einer anderen Binsenweisheit switchen: Weniger wäre mehr gewesen.
Da waren die Binsen ganz schön schlau, als ihnen das eingefallen ist. So wär's manchmal vielleicht besser gewesen, diese eine Platte nicht zu machen, diesen einen Film nicht zu drehen oder dieses eine Buch mal Tagträumerei sein zu lassen.
Von so einem Spruch ausgehend, bin ich schnell dabei, zu sagen, dass es ja bei manchem Bands eine einzige Single auch getan hätte, statt das Gesamtwerk auf eine oder zwei oder drei Platten. Aber sich zurücknehmen, das machen bands eher selten. Eine Platte muss es meist sein. Je größer, desto besser, je mehr Songs, desto schöner. Egal, ob neben den beiden All-time Hits nur noch Füllmaterial dabei ist. Wie gesagt: Das sieht man meist eher aus der Distanz. Wenn's eh zu spät ist um all die Rohstoffe. die für die 500er Vinylauflage verprasst wurden.
Beispiele? Denke gerade an zwei Combos, die kein Mensch mehr kennt und an zwei Bands, die recht aktuell eine Splitsingle rausgebracht haben.

1. THE NOZEMS: So eine obskure holländische Garage-Punkband mit leichtem Hüsker Dü-Schlag aus den 80ern. Zwei Alben haben sie gemacht, die sind nicht schlecht, aber brauchen tut man davon eigentlich nur einen Song. Der heißt PSYCHO und ist ein Knaller von Punksong. JA! Really! Richtige Geschwindigkeit, richtige Melodie, richtiger Außenseitertext. Großartig! Gab's ja auch auf Single. Damals auf Black Box. Und was hätte daraus werden können, wenn sich LEATHERFACE dem mal angenommen hätten? Alles! Ein Hit! Zwei Hits! Drei Hits! Zehn Hits! War aber nix. Nun ja. Wie ich sagte, das hätte eigentlich schon gereicht an Output.
Liebe Internetregie, bitte mal den Videobeweis anfahren:


2. THE SCUBA DRIVERS: Das waren mal zuckersüße Pop-Punk-Jungs aus Frankreich. So ein wenig wie Mega City Four. Waren vor gefühlten Jahrhunderten auf dem "The Violence inherent the System"-Sampler drauf. War eine Spitzensampler, mit den Nomads, Noise Annoys, den Wolfmen und allerlei mehr Punk und Rock'n'Rollbands. Kriegt man mittlerweile billig hinterher geworfen, wenn man Discogs glauben mag.
Aber die Zeiten, in denen Sampler zum Kennenlernen neuer Bands wichtig waren, sind so weit weg, da kommt nicht mal ein aufrichtiger Zeitreisender mehr hin. Ähnlich lange her ist es, als die Mini-LP "Welcome to the hard times" der Scuba Drivers aus, eh, Perigeux (Wo? Was?) stammend. Eien Mini-LP ist fast so gut wie eine 7inch, aber die ist ja quasi das Konzentrat einer jeden Band. Und selbst wenn sich die Scuba Drivers schon auf eine Auswahl von 6 ihrer Hits auf "Welcome to the hard times" beschränkt haben, hätte eine Single mit "All around" auf der A-Seite und irgendeinem B-Seiten-tauglichen B-Seitenhit auf der B-Seite gereicht.
Auch hier bitte den Videobewis zu Rate ziehen:


Ist das ein Hit? Oui, c'est ca!

3. SENOR KAROSHI/AUßER ICH: Wie schon angekündigt, die beiden Bands, die sich ganz aktuell eine Single teilen. Kooperation der sympathischen Art, sowas. Deutschsprachiger Punk ist gerade nicht das, was ich derzeit oft höre, vieles klingt mir heutzutage zu gleich, zu sehr bei Pascow, Turbostaat undwiesiealleheißen abgehört. Deshalb betrachte ich solche Releases, wenn sie hier reinkommen mit etwas gekräuselter Stirn.
SENOR KAROSHI, aus Trier, ziehen mir die Skepsis aber schnell aus dem Gesicht. Der Gesang ist sehr klar, die Texte sind nicht ganz doof. Kommen ein bißchen wie eine weniger räudige Variante der KNOCHENFABRIK oder eine etwas rockigere TAGTRAUM-Version rüber.
Vor 15 Jahren hätte ich "wasted on the young" sicher aufs Mixtape für eine Angebetete gebracht. Für den asozial eingestellten Punkrocker vielleicht ein wenig zu glatt, aber warum nicht. Beste Textzeile? "Das Leben ist mal Kaffee, mal Spucke mit Ei."


AUßER ICH kommen aus Siegen. Kein Grund für eine schlechte Jugend, das ist schließlich Graf Zahl-City. Sie starten mit einem lustigen Leonard-Nimoy-Sample von den Simpsons, kommen dann etwas spröder, verzweifelter und krachiger als ihre Kollegen von der anderen Seite rüber. Mehr der Sound, den man hören möchte, wenn sich die Wände deiner Wohnung mal wieder um dich zusammenziehen. Verstärkt das Gefühl nochmal.
Insgesamt also eine Split-Platte von zwei deutschsprachigen Bands, die sehr gut zusammenpassen. Beide zusammen auf Tour, das wäre ein gutes Paket. Da gäbe es keinen Vor- und Hauptact, weil sich beide Bands - zumindest anhand des gehörten Materials, gut ergänzen. Und so doll nach den Bands aus dem Tante-Guerilla-Stall klingen sie dann doch nicht. Aber mal zurück zur Ausgangslage. Brauche ich also von SENOR KAROSHI und AUßER ICH mehr als diese Single? Nein. Aber wer sich im Jahr des Feueraffen doch noch mit interessantem Deutschpunk eindecken will, ganz sicher.
Auf Youtube sind die Songs der Splitsingle noch nicht angekommen, aber einiges anderes von beiden Bands. zugegeben, da klingen sie gar nicht so übel. Vielleicht kauf ich mir doch ne Platte von denen.
Die SENOR KAROSHI/AUßER ICH-Splitsinlge ist auf Tumbleweed Records erschienen.

Gary Flanell



senorkaroshi.bandcamp.com



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