Troglodyten. Klingt wie etwas unangenehmes, das dir in den Nebenhöhlen wächst und alle paar Jahre vom HNO-Arzt per Laser weggeschnitten werden muss. Ach, nee, das waren ja Polypen. Nur mit viel Mühe kann ich mich davon abhalten, nun darüber zu philosophieren, warum der Begriff "Polyp" für Polizisten ein wenig aus der Mode gekommen ist.
Konzentriere ich mich also auf die Troglodyten. Die haben auch was mit Höhlen zu tun. Meine Annahme, dass es sich dabei um kleine Höhlentierchen handelt, die ebenso blass wie penisförmig wie hässlich sind, wurde verworfen. Musste also Tante Wiki um Rat fragen. Troglodyten sind entweder lustige Tierchen oder sagenhafte Höhlenbewohner der Antike. Tauchen in Platons Höhlengleichnis auf. Wenn ich also alles zusammennehme - Affen, putzige Vögel, Höhlenbewohner passt das Wort Troglodyt sehr gut, um damit eine Firma im Musikgeschäft aufzumachen.
Und Teufel noch eins, das hat sogar jemand gemacht. Troglodyt Records ist ein kleines One-man-Wunderwerk mit Sitz in Prenzlauer Berg. Die Kollegen von Staatsakt haben den Labelbetreiber quasi als Praktikant eingestellt (ist im Jahr 2016 mit fertigem Psychologiestudium in der Tasche und Erfahrung als Clubbetreiber gesellschaftlich komplett akzeptiert) und ihn unter ihre wärmenden Fittiche genommmen. Cool.
Die erste Troglodyt-Veröffentlichung kam mir unter, als vor einiger Zeit, Hercules Rockefeller, der Ex-Sänger der COCKBIRDS in der SubCult-Radioshow zu Gast hatte. Thema der Show war eigentlich die neue Band von The Herc, THE PROBLEMS. Davon haben wir natürlich auch fleißig was gespielt. Aber irgendwann bekam Hercules diesen etwas verträumten Blick in den Augen. Er sagte dann einen Moment lang gar nichts und zog etwas aus der Tasche. Eine 7inch. Mit einem Cover wie aus dem Linoleum-Musterkatalog eines westfälischen Teppichhauses der 70er-Jahre.
Diese kleine Platte war in zweierlei Weise gleich interessant. Zum einen war es die allererste Veröffentlichung auf Troglodyt Records. Patrick Catani, das Hirn hinter diesem aufgehenden Stern am Labelhimmel, hat in seiner grenzenlosen Businessplan-Weitsicht nicht irgendeiner schlecht gekleideten Newcomerband den Platz auf der Platte eingeräumt. Stattdessen wurde noch einmal der größte Hit der COCKBIRDS ausgegraben. "Suche Kontakt" war nur eine von vielen Perlen der C-Birds (Vögel. Schon wieder). Wenn ich diese Zeilen schreibe ist es 10 Jahre her, seit der Veröffentlichung ihrer "Superdanke"-LP. Vielleicht waren die Cockbirds die beste, weil unkonventionellste Punkband Berlins zu beginn des neuen Jahrtausends.
Eine, die eher im Umfeld von den TÜREN auftauchte und somit eher aus einem Punkrock-fernen Umfeld kam. Und eben deshalb nicht die übliche Punkrock-Sauce zum 1000mal aufkochte. So entstehen dann aber die besten Platten. Wie eben die Cockbirds-LP. HAMMERHEAD trifft auf TURBONEGRO trifft auf ABBA, um den schnellen Checkern von heute mal eine Idee zu geben, was sie unter dem Namen bei Spotify finden werden.
Das besondere an "Suche Kontakt" war zum einen der irre dufte Discopart mitten im Song, inklusive der schmierig-geilen Keyboardmelodie, die sich über den Gröhlrefrain legt. Und zum anderen das hübsche Video. Fünf Herren in Jogginganzügen beim Singledating mit jungen Asiatinnen in einer Karaokebar. Großes Kino in kleinem Format, Baby. Gedreht von niemand geringerem als Jörg Buttgereit, der dem Clip die nötige Absurdität verpasst und die C-Birds damit endgültig ins immaterielle Gedächtnis der Popkultur gehievt hat.
Soviel zur einen Seite der ersten Troglodyt-Single. Die Band auf der anderen war mir bisher unbekannt, ROCKET FREUDENTHAL mussten mir erst nahe gebracht werden. Kommen irgendwoher aus dem Südwesten. Macht aber nix. Ich hätte jetzt gern einen von den Plattenspielern, die Platten von oben und unten abspielen können. Dann müsste ich nicht immer umdrehen. Denn "Ich bau Scheiße" ist so ein simpler wie geiler Song, der mit genau einem Akkord auskommt. Das hat nicht mal Hank Williams geschafft. Drei Töne, ein Hit, wunderbar. So ganz viel passiert also musikalisch gar nicht, aber das ist ja bei AC/DC nicht anders. Und deswegen kann ich mich bei den Rockets ganz auf den Text konzentrieren. Scheiße auf Stapelweise zu reimen, traut sich auch nicht jeder. Vielleicht der Herr SEDLMEIR, dazu würden sie auch gut passen. Oder eben die Cockbirds.
Die Cockbirds/Rocket-Freudenthal-Single war aber nur der Anfang, vom Treiben der Troglodyten. Nachschub für die Split-Abteilung der Jukebox gab es dann in Form des Gemeinschaftswerks von DOC SCHOKO und SCHNUFFEL, DAS TOTAL SÜSSE EICHHÖRNCHEN (Bei solchen Namen weiß man, das hier nur echte Profis am Werk sind. Alles gut in dieser Hinsicht.).
Und im April, da darf man jetzt schon mal die Groschen ins Sparschwein werfen, kommt der nächste heiße Scheiß: Die Split-Single von ILL TILL & The Xberg Dhirty6 Crew mit einem hübschen Nix-Kohle-Hip-Hop-Track und dem französischen Electro-Punk-Wundertierchen ELECTRONICAT.
Also, fragt der Musikinteressierte, wie lässt sich denn stilistisch beschreiben, was auf Troglodyt rauskommt? Punk, HipHop, Electro, NDW-Trash und einen guten Löffel Hedonismus. Menschen, die sich tendenziell nur an einem Genre erfreuen, dürfte das verwirren. Vielleicht gibt es musikalisch keinen gemeinsamen Nenner, sondern eher einen der Haltung. Laut und grell muss es sein. Und immer eine Platte für zwei bands. Split it, baby.
Billo, Asso et Provo könnte man als Idiotenlatein schön als Motto auf eine wie auch immer geartetes Label-Wappen sticken lassen. Dazu soll der Art Director bitte noch ein paar Ritterhelme, Drachen und Pimmelmöhren einpflegen.
Da ist es dann egal, ob da kernig-analog gerockt wird oder Beats und Gefiepe aus dem Rechner kommen. Passt alles. Und davon ab ist eine stilistische Offenheit in Zeiten, in denen überall innerliche und äußerlich immer mehr Zäune hochgezogen werden, ja nicht schlecht.
Noch was vergessen?
Ja! Das dritte Troglo-Baby wird natürlich auch ordentlich gefeiert. Und zwar am 08.04. im Urban Spree.
Da gibt's dann ILL TILL & ELECTRONICAT live - und natürlich die Möglichkeit für alle Plattengierer, ihre Troglodyt-Record-Sammlung zu komplettieren. Möglicherweise sehen wir uns da - unter Höhlenmenschen.
Gary Flanell
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