Oh, dieses Österreich! Oh, diese Kulturförderung!
Sie registrieren spätestens ab Sommer keine Flüchtlinge mehr und bis dahin nur in „Tageskontingenten“, sie regieren ganze Länder blau und scheuen vielerorts auch nicht die offensiv geäußerte Menschenfeind-
lichkeit. Aber sie geben Geld für Kultur aus. Nicht nur für die bereits erwähnte vergoldete Hochkultur, sondern für lebendige Subkultur.
So ist die Frauenabteilung der Stadt Wien 2012 hingegangen und hat Musikerinnen eingeladen, eine Neuinterpretation von Arbeiterinnen- und Kampfliedern vorzunehmen. Mit der durchaus einsichtigen Überlegung, dass selbige kein Mensch mehr kenne, geschweige denn singe, und das doch irgendwie schade sei – aber auch mit der Frage, ob denn das Lied noch eine politische Artikulation sei? Fuck yeah!
Das Resultat ist eine Doppel-CD, trocken betitelt „re:composed“, mit einem ausführlichen Booklet dabei – und das Ganze gibt es UMSONST zu bestellen unter frauen@wien.gv.at. Dank der emsigen Kollegin Niki Matita ist dieser interessante Tonträger - wenn auch mit einiger Verspätung - im Renfield-Hauptquartier gelandet. Kuratiert hat Ulrike Mayer, die Wiener Initiatorin des Girls Rock Camp ist und Kulturarbeit als ein „Einmischen in gesellschaftliche, politische und kulturelle Debatten“ versteht. Da es sich um Extrem-Intertextualität handelt, also um Neuerfindungen, die sich in mehrfacher Weise auf andere Texte beziehen, ist es interessant, die Geschichten zu lesen, wie die jeweiligen Musikerinnen mit ihren Stücken umgegangen sind. Aber die Stücke überzeugen auch unmittelbar völlig ohne Kontext, musikalisch, textlich und, fuck yeah, politisch.
„Es hat sich was getan im Land, zumindest was Musik betrifft“, stellt Mieze Medusa lakonisch fest, „wir brauchen neue Lieder, die alten singen wir nicht mehr.“ Sie hat die Internationale recomposed – das heißt, abgeschafft. An ihre Stelle setzt sie einen Spoken Word Appell, nicht an die internationale Solidarität, sondern an Schneewittchen, ob sie wisse, wie man den gläsernen Sarg zerschlägt: „Hast du da Erfahrungswert, gilt der auch für Decken?“ Schlag nicht zu zaghaft, rät Schneewittchen, wart nicht zu lange. Bisher gibt es nur „Worte als Hülsen, Erklärung als Absicht, Vertröstung auf morgen... das geht sich halt leider in diesem Jahr wieder nicht aus...“
Das Original ganz fallen zu lassen ist ein Extrem der Interpretationen, andere Künstlerinnen haben 'ihren' Song einfach nachgespielt, etwa Stefanie Sourials „Bella Ciao“. Dazwischen gibt es jede Menge Variation. Cherry Sunkist und Ana Threat setzen experimentell-elektronisch um, auch das „Wiedner Spital“ von Laminadyz, ursprünglich eine Grusel-Moritat über Prostitution und Geschlechtskrankheit, wird zur Klanginstallation. Mika Vember lässt das von KZ-Gefangenen geschriebene „Ravensbrücklied“ vielstimmig durcheinander sprechen.
Angie Domdeys „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ aus den 70ern wird von Vera Kropf, der Frontfrau der Wiener-Berliner Indie-Kapelle Luise Pop, hingegen originalgetreu interpretiert. Auch „Drei rote Pfiffe“ stammt aus den 70ern und erzählt die wahre Geschichte der Partisanin Helena „Jelka“ Kucher. Sie tritt als alte Dame im Kreis ihrer Enkel auf, die sagt: „Nun zeige ich euch euer Land.“ Am Ende fordert sie sie auf: „Jetzt trampeln sie wieder auf euren Rechten herum – erinnert euch meiner Geschichte.“
„Auf auf zum Kampf“ schließlich war erst ein Soldatenlied, wurde dann etwa 1919 von Linken umgeschrieben und 1930 von der SA okkupiert. Was macht man wohl damit? Na klar, die „Biedermeierversion“! Der Zeitgeist wird optimal eingefangen von Mimu mit dem neuen Text: „Auf auf zum Kampf, zum Kampf... weiß jemand, worum es geht?“ Mit Piepsstimme und kindlichem Händeklatschen flöten sie: „Ich bleibe gern und viel bequem bei mir daheim... Der Glaube an Veränderung ist verloren, und die moderne Zeit, die ist mir zu komplex.“
Alissa Wyrdguth
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