Die Frage nach dem Alter… stellt man sich als 16-32-jähriger Jungrebell eher selten. Haben deine Lieblingsbands ja auch nie gemacht. Die Circle Jerks empfahlen ganz schlicht „Live fast, die young“, die Descendents haben erst auf ihrem Spätwerk „What will it be like when I get old?“ gefragt.
Machen wir uns nichts vor: Dem Altern ist schwer auszuweichen. Eigentlich gar nicht. Das weiß Renfield-Schreiber Philipp Nussbaum und Ox-Kolumnist Alex Gräbeldinger weiß das auch. Was sie beide von den Begleiterscheinungen des Älterwerdens halten, haben sie beim Interview in Renfield Nummer 28 ausdiskutiert.
P: Ist genau heute und jetzt eine gute Gelegenheit, mit dir über das Altern zu sprechen? Es geschieht zwar dauernd und ohne Unterlass, manchmal aber sanfter und manchmal heftiger.
A: Zurzeit bewege ich mich im gemütlichen Schritttempo auf die Midlife-Crisis zu. In der Hoffnung, dass sie mich nicht allzu hart erwischen wird. Als kleine Vorsorgeuntersuchung kommt mir unser Gespräch daher durchaus gelegen.
P: Wie alt bist du gerade, und wie alt würde z. B. Jenny sagen, dass du dich fühlst?
A: Ich stehe kurz vor meinem 35. Geburtstag. An manchen Tagen wache ich auf und fühle mich doppelt so alt. Die meiste Zeit benehme ich mich allerdings wie ein Teenager oder Kleinkind. Ich denke, das würde meine Frau so bestätigen.
P: Woran merkst du, wie alt du bist? Woran, dass das schon wieder vorbei und nurmehr Vergangenheit geworden ist?
A: Dass ich nicht mehr als Elfjähriger durchgehe, fällt mir insbesondere beim Blick in den Spiegel auf. Trotz der zahlreichen Anti-Aging-Produkte, die ich in den vergangenen Jahren ausprobiert habe. Somit sind die Zeiten, in denen ich beim Kauf einer Flasche Schnaps nach einem Altersnachweis gefragt wurde, für immer vorbei.
P: Herr Wiebusch sang, dass irgendwas immer sechzehn bleibe (Auch schon lange her, das. Der Setzer) Was soll das eigentlich?
A: Bestenfalls, dass man sich ein Stück Jugend bewahrt. Schlimmstenfalls, dass man, so wie ich, mit 35 noch immer nicht erwachsen ist. Dann gibt es noch Menschen, die definieren sich ein Leben lang über das, was sie als Teenager zustande gebracht haben. Bei einer Band wie beispielsweise SLIME sind das immerhin die Lieder „Deutschland muss sterben“ und „Wir wollen keine Bullenschweine“. Bei mir ist das leider nicht mehr als ein Realschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 3,5.
P: Hat bzw. hatte der 16jährige Gräbeldinger überhaupt einen Vertrag mit Altern, Alter?
A: Das war bei mir schon mit 16 tagesformabhängig. An gut gelaunten Tagen wollte ich nicht älter als 21 werden und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Jung kaputt spart Altersheime". An schlecht gelaunten Tagen verspürte ich Zukunftsängste und hoffte darauf, dass mir noch genug Zeit bleiben würde, um mein verkorkstes Leben wieder in Ordnung zu bringen.
P: Sechzehn, Club der Siebenundzwanziger und und und. Drauf geschissen, mir gehts gerade mehr um den Prozess, um das Geschehen-von. Beizeiten stehe ich mit Kollegen vor meiner Dienststelle, rauche, und wir zerreißen uns das Maul über uns selbst und natürlich mehr über andere, die gerade durchs Bild laufen. „Oh Mann, der/ die/ das bekommt eine Eins mit Sternchen in Unwürdigaltern, hehehe“, usw. Was sind die armseligsten Alternsanzeichen? Was die schönsten? Oder sind sie alle gleich?
A: Ob sich jemand mit 50 noch die Haare grün färbt oder lieber eine beigefarbene Bundfaltenhose trägt, ist mir ehrlich gesagt völlig egal. Auch stört es mich nicht, ob jemand versucht etwas zu konservieren oder es vorzieht, der Zeit ihren Lauf zu lassen. Solange man das macht, womit man sich wohlfühlt, und niemand dabei zu Schaden kommt, altert man meiner Auffassung nach würdevoll. Scheißegal, was die Leute von einem denken.
P: Ist Altern eher Zerfallen oder eher Reifen? Lässt es sich aufhalten oder forcieren?
A: Körper und Geist besitzen ein Verfallsdatum, das sowohl positiv als auch negativ beeinflusst werden kann. Wenn ich einen Großteil meiner Lebenszeit damit verbringe, Schnaps zu trinken und Crystal Meth zu rauchen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich nicht nur körperlich verwahrlose, sondern auch geistig.
Achte ich stattdessen auf meine Gesundheit und lese regelmäßig die Apotheken-Umschau, erhöhe ich die Chance, auch im Alter noch Freude an Nordic Walking und Kreuzworträtseln zu haben. Darüber hinaus stehen mir natürlich noch Botox und die Schönheitschirurgie zur Verfügung. Doch ob ich mich letztendlich reifer oder einfach nur älter fühle, wird immer davon abhängig sein, wie ich meine Lebenserfahrungen auswerte. Wenn es gut läuft, werde ich ausgeglichener und weiser. Wenn es doof läuft, nichts weiter als ein verbitterter, alter Sack.
P: Was muss altern, bevor es überhaupt was taugt? Außer Käse?
A: Eine naheliegende Antwort wäre vermutlich Wein. Doch in Wahrheit bin ich alles andere als ein Weinkenner. Das bedeutet: Wenn ich besoffen werden will, gelingt mir das in der Regel auch mit einer Flasche, die vor nicht mehr als einem Jahr abgefüllt wurde.
P: Apropos Wein. Z. B. der wird nur bis zu einem bestimmten Punkt besser, bis er dann den Zenit überschreitet und zu Essig wird. Mensch kommt, steigt, steigt, erreicht, kippelt und saust dann im Sturzflug hinab in die Regression. Welcome back, feuchte Windelwunderwelt. Gehts bei dir weiter aufwärts oder bereits wieder abwärts? Und was machst du, wenns zu steil werden sollte?
A: Ob ich meine besten Jahre bereits allesamt vertrödelt habe, oder ob mir noch ein paar davon übrig bleiben, wird sich zeigen. Allerdings ist davon auszugehen, dass ich in diesem Leben kein Astronaut, Model oder Rockstar mehr werde. Was das betrifft, mache ich mir nicht länger falsche Hoffnungen. Da bleibe ich lieber mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und entgehe somit der Gefahr einer schwindelerregenden Fallhöhe. Verglichen mit Wein würde ich mich ohnehin als Billigfusel aus dem Tetrapack einstufen.
P: In Ecken der Welt ist es wichtig, das letzte bisschen Altern, nötigenfalls eben das Sterben, in einer gewissen Würde erledigen zu können. Wichtiger wohl als bei uns wenigstens, wo die neonausgeleuchtete Seneszenzeinbahnstraße im pflegeindustriellen Nirvana endet und endet und endet. Und nicht endet. Schon gar nicht an einem See. Statement zu Altern in Würde?
A: Sterbehilfe – ein schwieriges Thema. Trotzdem denke ich, sobald die letzten Tage im Leben eines Menschen nur noch aus Leid und Qual bestehen, sollte jeder das Recht auf einen sanften Ausklang haben.
P: Welche Musik passt zu alledem? Vielleicht irgendeine jenseits Raum und insbesondere Zeit.
A: Supernichts – „Ich möchte Teil einer Seniorenbewegung sein“. Chefdenker – „Das Beste zum Schluss“.
P: Letzte Worte für die Ewigkeit?
A: Worte für die Ewigkeit setzen Weisheit voraus. Eine solche möchte ich mir nicht anmaßen. Jedoch bin ich neulich über ein Zitat von Muhammad Ali gestolpert. Es lautet: „Wer die Welt mit 50 Jahren genauso sieht wie mit 20 Jahren, hat 30 Jahre seines Lebens verschwendet.“ Zwar bin ich mir nicht sicher, ob er mit dieser Aussage recht hat, trotzdem werde ich mir Gedanken darüber machen. Spätestens an meinem 50. Geburtstag. Ansonsten hoffe ich darauf, dass man auch einem alten Hund noch neue Tricks beibringen kann.
P: War mir ein Fest, Herr Gräbeldinger, ich danke. Bleiben Sie gesund und munter, wir sehen uns wieder und lauschen dann schwerhörig dem Knuspern des Zahns der Zeit.
Alex Gräbeldinger schreibt Kolumnen (z. B. fürs lebensherbstlich ungeeignet kleingedruckte OX) und beizeiten auch Bücher. Ab und an packt ihn trommelnd so was wie Musikalität. Triff ihn in einem Laden in deiner Stadt, möglicherweise ist er gerade dort.
http://www.alex-graebeldinger.de
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