Es gibt viele Wege, sich den Ruf als legendäre Punkband zu ruinieren:
1. Ruhe dich auf dem Ruhm aus, den du dir mit deinen beiden Platten Ende der 70er zustande gebracht hast (Sex Pistols)
2. Bring 10 Platten raus, die komplett gleich klingen (Bad Religion)
3. Bring 10 Platten raus, die komplett gleich klingen und snge auch immer die gleichen Texte (Exploited)
4. Trage alle deine Streitereien zwischen den Bandmitgliedern in einer peinlichen Schlammschlacht in aller Öffentlichkeit aus(Dead Kennedys, Black Flag, Flag, Cro-Mags)
5. Wechsle fortlaufend das Line-Up aus, bis nach 10 Jahren eh keiner weiß, wer die Band eigentlich mal gegründet hat (Social Distortion, Misfits)
6. Funktioniere die Band zu einem gut laufenden Merchandise-Imperium mit Disneyhaften Ausmaßen um (Misfits)
7. Nähere dich musikalisch behutsam immer mehr belangloser Mainstreamrockmusik an und proklamiere, dass das jetzt Punk ist, weil ihr eben eine Punkband seid (Social Distortion, Green Day).
Würde sich dieser Text nur mit den Möglichkeiten der Dekonstruktion von liebgewonnenen Punkbands widmen, müsste ich bei den ADOLESCENTS leider sagen: Pech gehabt, Jungs. Auftrag verfehlt.
Dabei haben sie zumindest zwei der oben genannten Punkte erfüllt:
1. Unglaublich viele Besetzungswechsel, die einzig Sänger Tony "Reflex" Cadena und Bassist Steve Soto überstanden haben...
sowie
2. Zwei Frühwerke, die ihren Status als Cali-Punk-Legende quasi begründet haben (Besonders "Amoeba" von der Debut-EP dürfte in jeder Punkrockbar dieses Planeten mindestens einmal am Abend gespielt werden).
AAber der Rest des Legendenzerstörungsratgebers wird glücklicherweise einigermaßen ignoriert. Vielmehr scheint bei den Adolescents die Devise angesagt zu sein: Willst du was gelten, mach dich selten.
Das war zumindest in den 90ern der Fall. Da war lange Zeit Pause, erst ab 2003 kamen wieder recht regelmäßig neue Veröffentlichungen raus, seit 2012 sogar jedes Jahr ein Tonträger.
Mit Concrete Jungle scheint man auch ein Label gefunden haben, dass seine Job für alle Seiten zufriedenstellend erledigt, sonst würde nach "Presumed Insolent" (2013) auch "La Vendetta" nicht dort erschienen.
Musikalisch findet man auf dem 2014er-Album guten und souveränen Punkrock, der stellenweise an die Kollegen von SCREAM und bei manchem Riff und Gitarrenlick gar an TURBONEGRO erinnert, wenn auch ohne den ganzen Leder-Schwuchtel-Käppi-Klimbim. Viel länger als zwei Minuten ist keiner der Songs, und das ist auch trotz eingebauter Soli und ordentlichem Tempo auch ein ganz klares Plus von "La Vendetta": Cadena, Soto und ihre Mitstreiter kommen immer noch auf den Punkt.
Ob bei schnellen Songs wie "Talking to myself" oder dem hübsch groovenden Schunkler "Silent Water" - diese ewig adoleszenten Herren wissen, wann Schluß sein muss. Auch das eine Qualität, die manche Punkband auch nach 20 Jahren nicht drauf hat.
Natürlich ist "La Vendetta" immer noch Punkrock, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Eine Art von stürmischem Punkrock, dem man einfach anhört, dass diese Band schon 16 Platten rausgebracht hat und mit Reflex und Soto über zwei wirklich tragende Konstanten im Bandgefüge verfügt, die nicht einfach bei den Adolescents spielen, sondern die Adolescents SIND. Und immer waren.
Ein Fehler, den gestandene Punkbands immer gern machen, ist jener, dass sie auch mit Mitte 50 immer noch glauben, sie wären die absolut rebellischen Jungspunde, die sie schon vor 30 Jahren waren. Das wirkt oft ähnlich peinlich, wie Erwachsene, die sich mit einem explizit juvenilen Verhalten bei ihren Kindern ankumpeln wollen.
Und die Adolescents? Klar ist man mittlerweile näher an der 50 dran als an der 20, aber trotzdem gibt es immer noch genug Energie, um die eigene Unzufriedenheit altersgemäß glaubhaft rüberzubringen. Aber anstelle irgendwelcher hohlen Rebellionsphrasen werden auf "La Vendetta" ganz konkret Mißstände thematisiert, die Tony Reflex regelrecht in Rage bringen. Zum Beispiel der Tod von Kelly Thomas, einem psychisch kranken Obdachlosen, der nach seiner Festnahme durch drei Polizeibeamte verprügelt wurde und kurz darauf an den Verletzungen starb. Das anschliessende Gerichstverfahren gegen die beteiligten Polizisten endete letztendlich mit einem Freispruch aller Angeklagten und sorgte für einiegn Aufruhr in Fullerton.
Wut ist also nicht nur eine exklusive Sache der Jugend, Punkrock ebensowenig. Auch kalifornische Punklegenden können ihr Mißfallen über die Zustände der Welt ausdrücken, ohne in in einen peinlichen Jugendwahn zu verfallen. Hübsche Ironie, dass das ausgerechnet eine Band, die sich seit über 30 Jahren selber als Die Heranwachsenden bezeichnet, auf ihrer 16. Platte überzeugend beweist. (D)
Noch was: Ob das live auch alles noch so stimmt mit der Energie bei den Adolescents im fortgeschrittenen Punkrockalter, in neuen wie auch alten Songs, kann man Anfang August antesten. Zum Beispiel am 13.08. im Berliner Cassiopeia. Oder in Kiel. Oder Hamburg. Oder Weinheim. Oder Wiesbaden. Mal sehen, wie das so wird.
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