Ach, Nostalgie. Ich mag dich nicht. Keine Entschuldigung dafür. Wehmütiges Abfeiern von Bands, die im Kontext von Punk/Hardcore einmal sehr präsent waren, finde ich gelinde gesagt, echt gruselig. oder wenn sie nochmal für einen Gig vorbeischauen, wobei die Läden immer kleiner werden. Band wie MDC oder DOA, beide vor gar nicht langer Zeit hier mal in Berlin zu sehen. Haben vielleicht auch einen Slot bei Festivals bekommen. Ich hab mir beide Gigs in den Kalender eingetragen, hingegangen bin ich zu keinem.
Sieh es ein, Punk-Opa: So schön wie damals, als du jung, die Knochen hart, die Gelenke elastisch und Körper wie Geist insgesamt flexibler waren, wird es nicht mehr. Kümmer dich lieber um deinen Garten.
Ich find's scheiße, nur den alten Quatsch abzufeiern, sich irgendwelche Wiederveröffentlichungen von Uralt-Bands zu kaufen, die, wenn man ehrlich ist, auch nur so semi-spannend waren. Aber das ist ja sehr subjektiv, ich weiß. Auch wenn deine Lieblingsband von damals musikalisch nicht die hellsten Sterne am Musikantenhimmel waren, ist es gut möglich, dass sie für dich sehr viel bedeuten. Immer noch. Und dass du dafür auch eine Menge Geld für die neuen Vinylversion irgendwelcher krumpeliger Demo-Aufnahmen bezahlst, auch ok. Aber was machen diese Aufnahmen dann heute mit dir?
Sie bringen Erinnerungen hoch, Assoziationen an gute Zeiten, schöne Nächte, eine gewisse Sorgenfreiheit, all das. Ist nicht verkehrt. Bedenklich finde ich allerdings, wenn sich die Lebenswelt und -realität komplett an diese im Nachhinein glorreichen Zeiten anpasst. Wenn das Heute so gar nichts mehr gibt. Ich spreche hier in erster Linie von Musik bzw. der Teilnahme an einer Subkultur.
Dass das Leben im 23. Jahr des 21. Jahrhundert viele Krisen und auf persönlicher Ebene Anforderungen bereit hält, vor denen man nicht wirklich die Augen verschließen kann, kommt ja noch dazu.
Ich finde es sehr schwierig, sich in Zeiten von Ukraine-Krieg, deutlichen Auswirkungen des Klimawandels, Rechtsruck in Deutschland, mit Nostalgie zuzukiffen, als wären die 80er- oder 90er die besten Zeiten im HC-Kosmos gewesen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind bei so einer Retro-Vison natürlich nur das eine, der ganz subjektive Blick auf "Damals" kommt dazu. Die Erinnerung an geile Konzerte im JuZe neben an ist natürlich schön, aber auch nur, weil es eine Erinnerung an eine Oase ist, außerhalb der so ziemlich alles kacke war.
Ich denke, Nostalgie fokussiert sich immer auf einen ganz kleinen speziellen Punkt in der eigenen Biografie, der in der Nachbetrachtung im eigenen Wertesystem als perfekt gesehen wird.
Dieser kleine spezielle Aspekt ist aber nicht ganz eindeutig, sondern setzt sich zusammen aus vielen kleinen Bruchstücken von Erinnerungen, die im Nachklapp zu einem Ereignis zusammenballen. War es jetzt '93, wo Kollege Knolle beim SOIA-Gig auf dem PinkPop-Festival sich zum ersten mal Stagediving ausprobiert hat oder war es 1994? Es ist egal.
Alles blubbert zu einer Erinnerung an eine schöne Zeit zusammen. Kann ja auch Kraft geben. Aber nicht andauernd und nicht, wenn es dazu dient, das Hier und Jetzt größtenteils auszublenden.
Ganz schräg finde ich dahingehend das Rebellion-Festival in Blackpool. Ich war noch nie da, sehe aber natürlich die Ankündigungen und auch Bilder von Alt-Punks, die sich dann im vollen Punk-Ornat dahinbegeben.
Als wäre es nicht 2023, sondern 1984, die letzte CONFLICT-Platte wäre das heiße Ding und die neue von THE DAMNED oder den TOY DOLLS sowieso.
Aber es ist ja 2023, tja, sowas auch...
Ich frage mich dann immer: Was machen die Punk Piepels, die da so hübsch raugeputzt stehen, wohl den Rest des Jahres? Wenn wieder Montag morgen im November ist und du dich wieder mit den täglichen Anforderungen herumschlagen musst, was macht ihr dann?
Vielleicht denke ich da gerade auch zu schablonenartig, aber das sind Gedanken, die ich anhand von den zugänglichen Bildern bekomme. Was tut ihr, wenn der Punkzirkus weitergezogen ist?
Also: Ich finde Nostalgie insgesamt nicht wirklich cool. Liegt auch an meiner persönlichen Wahrnehmung.
Es gab früher wenig, was in meiner persönlichen Lebenssituation richtig geil war. Für sehr, sehr lange Zeit. Musik und Punk im speziellen war eine Möglichkeit zur Flucht, aber nicht in dem Maße, dass es immer für eine positive Verklärung meiner damaligen Lebenssituation sorgen könnte. Klar, ist alles arschlange her, aber es prägt immer noch. Das Überschreiben mit positiven Erinnerungen geht, dauert aber.
Die letzten 20 Jahre waren z.B. im Nachhinein wirklich gut.
Von daher bin ich sehr froh, im Hier und Jetzt zu Leben. Stabil leben zu können, neue Bands und Musik entdecken zu können, auch wenn vieles davon nicht mehr so wirklch mit Punkrock zu tun hat. Ich hab keinen Bock, mich andauernd im Kreis zu drehen. Lieber beim Kollegen eine schräge Afro-Beat-Platte hören, als alleine in der Bude die komplette Cock-Sparrer-Vinyl-Sammlung (die ich nicht habe) streicheln...
Das alles lag mir wohl auf dem Herzen. Aber eigentlich sollte es hier um einen positiven Augenblick der Nostalgie in den letzten Wochen gehen. Und um einen ganz aktuelle Platte, die damit zu tun hat. Abe dazu mehr im nächsten Teil der Nostalgie-Edition von "Schön, wenn Menschen Musik machen".
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