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Sonntag, 4. Dezember 2022

THANK YOU GARY MUCH - Die Ideen gehen aus


Zweite Seite, zweiter Song - und nach ein paar Tagen anderweitiger Beschäftigung hier wieder ein paar Liner-Notes, in 10 Minuten nach einer Free Writing Methode aufgeschrieben und wieder mal nur sanft korrigiert.

8. Die Ideen gehen aus

Um fünf Uhr ist es schon tiefste Nacht und nicht nur das, sondern auch der Nebel, der sich mit der Dämmerung über die Kleinstadt legt, drückt aufs Gemüt. Ich bin es nicht mehr gewöhnt, in Orten unterwegs zu sein, in denen am Sonntagnachmittag wirklich niemand auf der Straße ist. Songs zu der sonntäglichen Ödnis gibt es genug, als erstes fällt mir ein Oldie von ...But Alive ein: „Es sei denn du bist Snake Plisken“. Es wird gesagt, dass solch dröges Umfeld die Kreativität geradezu herauszwingt, einfach weil man andernfalls depressiv wird, mit der Folge eines Suizides ob der dräuenden Perspektivlosigkeit. Aber wer weiß, ob das so noch stimmt. Denn die Möglichkeiten sich abzulenken per remote control und social media und einen Sonntagabend OHNE hirntötendes Fernsehprogramm zu überleben, waren noch nie so gut. Aber auch dann konsumiert man, lässt Dinge auf sich einwirken, wird das Hirn klamm wie durch die feine Feuchtigkeit eines Nebels über dem Feld, lässt sich in angenehme Mürbidität fallen, anstatt selber zur Tat zu schreiten. Wo bleiben dann die Ideen? Vielleicht laufen sie wirklich durch trostlose Fußgängerzonen westdeutscher Bauart (überall die gleichen drögen rotbraunen Pflastersteine, die müssten doch bald mal aufgebraucht sein.), sehen den Einkaufszentren beim Verfall zu oder ergötzen sich an den leerstehenden Ladenflächen, wo vor 10 bis 20 Jahren noch tapfere Einzelhändler*innen ihre Existenz behaupteten. Lange her. Jetzt wird übers Netz bestellt und Kommando Einzelhandel geht in den Guerrillakampf, um den Kampf gegen den Internetgroßhändler No.1 nicht zu gewinnen, sondern zu bestehen. In all den Jahren in der großen Stadt mit all ihren Ablenkungsmöglichkeiten am Sam-, Sonn- und Feiertag habe ich komplett vergessen, dass der wochenendliche Rausch besonders einen Zweck hat: Am Sonntag so verkatert und erschöpft zu sein, das man den ganzen Tag verschläft. Aber man verpasst ja auch nichts. Jedenfalls nicht in Städten einer gewissen Größen/Nicht-Größenordnung. Was man verpasst, ist folgendes: Dunkelheit. Nebel. Leere Straßen. Dröge Weihnachtsmärkte. Geschlossene Restaurants. Verwaiste Bushaltestellen. Eilig um die Ecken huschende Fast-Food-Lieferanten. Dunkel-nasse Waldwege. Eine matschige Ausweglosigkeit, die Angst macht. In genau so einer Kulisse gehen Ideen aus, und es sei ihnen gegönnt. Sie gehen aus, sie wandern in die große Stadt und machen jenen Mist, den sie nur in der Großstadt machen können. Alles zocken, was es dort gibt. Vegane Currywurst, Fahrradhelm, EC-Automat. Und wenn sie zurück kommen, in die heimische Küche, wo die anderen Depressiven miteinander Spaghetti schlürfen, dann ist zumindest für ein Wochenende die Tristesse im November /Dezember überwunden.

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