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Freitag, 19. September 2014

Die Renfield-Crew im Außen-Einsatz - Heute: Räumung der Cuvrybrache



Ein schöner Tag zum Räumen. Der Herbst kommt, es wird regnerisch und ein bisschen kalt. Und ab heute sind über hundert Menschen, viele von ihnen Sinti und Roma, mal wieder obdachlos. Seit mehr als zwei Jahren leben Leute auf der Cuvry-Brache, dem Gelände an der Schlesischen Ecke Cuvrystraße, das immer mal wieder jemand mit Supermärkten, Hotels oder Hochpreiswohnungen bebauen will. Das Gelände gehört einem Münchner Investor. Vor den riesigen Graffitis von BLU auf der Brandwand stehen die Zelte, Holz- und Wellblechhütten, die der Tagesspiegel als "Berliner Favela" bezeichnet.

Draußen vor der Brache ist alles abgesperrt, gepanzerte Polizei auf der einen Seite, die Geräumten auf der anderen. Sie sitzen auf Bergen ihrer Sachen und wissen nicht wohin, es nieselt. Eine Katze mauzt in einem Transportkorb. Auf einem Karton voller Magazine steht ein schöner kleiner alter Globus. Vereinzelte Unterstützende stehen dabei und beobachten. "Still not loving Police" und "Zwangsräumung verhindern!" verkünden ihre Jutebeutel.
Es ist ein bisschen wie in der schlechten Disko, wo man am schwer einzuschätzenden Türsteher vorbei muss. Immer mal wieder werden Gruppen von maximal fünf Leuten durch die Absperrung gelassen und dann, flankiert von vier riesig wirkenden, gepanzerten Polizisten, auf das Gelände eskortiert, um ihre Sachen herauszuholen. Dabei haben sie sich streng an den vorgegebenen Weg zu halten. Ein Typ, der auf den Eingang an der Schlesischen zustrebt, wird grob am Arm gepackt und wieder in die Reihe geschubst.

Es ist beklemmend still irgendwie, hier erklingen keine Sprechchöre, keine Soundanlagen oder Lautsprecherwagen wurden kurzfristig zur Unterstützung der Brachenbewohner organisiert. Keiner wird laut, alle haben grimmige Gesichter. Die Geräumten mit gutem Grund, die Polizei von Amts wegen, die Unterstützer wegen der Aussichtslosigkeit. Gute Laune verbreiten nur ein paar Selbstdarsteller, die diesseits der Absperrung ihre selbstgedichteten Friedenslieder intonieren. Eine einzige Frau stürzt auf einmal, heftig weinend, auf die Polizistinnen hinter der Absperrung zu. Sie klagt und schimpft, aber man merkt ihr an, dass sie gar nicht erst eine Reaktion erwartet. Die schwer gepanzerten Polizistinnen bleiben ruhig stehen, sie tragen sorgfältiges Makeup und halten ihre riesigen Helme in der Hand. Sie verziehen keine Miene. Wir können nicht umhin, uns zu fragen, ob sie gerade mit ihrem Job zufrieden sind. Und ob sie wohl darüber informiert wurden, wer da auf dem Cuvry-Gelände lebt. Oder warum. Alle schweigen.

Die weinende Frau gibt auf, "Hau ab!" wirft sie nochmal die Arme in die Luft, "Warum!" Dann geht sie und setzt sich hin.
Warum, fragt sich natürlich auch die Renfield-Crew im Außeneinsatz, und so fragen wir dann das Anti-Konflikt-Team, das knallgelb vor uns herumsteht und eh nichts zu tun hat. Schade übrigens, dass die nicht einfach Konflikt-Team heißen dürfen. Nee, sie müssen natürlich suggerieren, ein Konflikt sei schon etwas Schlechtes und dürfe gar nicht erst aufkommen. Wir bitten die Vorboten der konfliktfreien Gesellschaft also höflich, ob sie uns sagen können, was hier eigentlich passiert? Ob geräumt würde? Sie sagen nein, wir gucken dumm. Dann erklären sie uns, dass das keine Räumung ist, weil die Leute freiwillig gehen. Räumung ist, wenn Oma noch an ihren Sessel gekrallt aus der Wohnung getragen wird. Was hier geschieht, ist Tatortsicherung, weil es gestern auf der Brache gebrannt hat. Daher muss ermittelt werden, da das höchstwahrscheinlich Brandstiftung sei, wenn auch vermutlich nur fahrlässige.

"Und das nutzt der Eigentümer jetzt natürlich, um sich das Gelände wieder anzueignen", erklärt uns der freundliche Konfliktvermeidungsstratege.
Wie lange die Brache nun als Tatort gesperrt sein wird, wissen sie nicht. Immerhin ist hier nun ein Anlass gefunden worden, die Bewohner der Brache mehr oder weniger elegant vom Gelände zu kriegen.

Es passiert nicht mehr viel, außer dass noch verschiedene andere Leute vor ihrem Zeug stehen und weinen. Einer schleppt seine Matratze auf dem Kopf raus, der nächste eine Kiste mit Büchern, ein anderer rollt sein Schlagzeug auf einem Bollerwagen vom Gelände.

Wir wandern langsam davon und denken über Freiwilligkeit nach. Freiwillig bedeutet hier, dass man dir sagt: Du hast eine Stunde Zeit, dein Zeug da rauszuholen, dann machen wir das Gelände platt. Das geschieht dann zwar nicht. Aber du stehst dann da mit deiner Katze und deinem Globus und bist freiwillig gegangen, nirgendwohin, Anfang Herbst in Berlin.

Viola Nova & Gary Flanell

1 Kommentar:

  1. aaaaaaarrrrggggghhhhhhhhh !!!!!! (ausdruck der ohnmächtigkeit)

    - elmo

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