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Dienstag, 30. September 2014

Nur Dasitzen ist ja Quatsch - Jörg Buttgereit im Renfield-Interview

Was macht einen vergnügt und froh? Die sieben Zwerge singen gerne, andere finden Squashing geil, wieder welche mögen Heimwerken und noch welche gucken sich bei runtergelassenen Rollladen Filme wie Schramm, Der Todesking und Nekromantik an.

JÖRG BUTTGEREIT kommt bei Lust und Genuss entspannt und lachend auf das Thema Arbeit. Aktuell entsteht GERMAN ANGST, das eine oder andere am Theater Dortmund und wahrscheinlich nebenbei noch viel mehr. Es ist Sonntag, ungefähr elf Uhr vormittags. Schweiß läuft, Haare werden verstrubbelt und T-Shirts gedehnt. Frauen sind im Hintergrund, und das Baby knötert, weil es vermutlich Hunger hat.
Dieses Interview erschien in Renfield-Zine No. 27.

Philip Nussbaum: Du wirkst dabei sehr froh, sehr glücklich im Moment...
Jörg Buttgereit: Ja, weil ich ein bisschen so nach dem Lustprinzip arbeite. Ist ja bei kreativer Arbeit eigentlich fast immer so, dass man das gar nicht so steuern kann, beziehungsweise sie nicht funktioniert, wenn man sich dazu zwingen muss.

P: Darüber möchte ich mit dir reden. Lust und Genuss. Epikur und so, nicht nur auf der Zunge, sondern auch grundsätzlich im Prozess.
J: Also, oft ist es halt die Beschäftigung mit den einzelnen Themen, die Spaß macht oder die mir was bringt, aber ich erinnere mich natürlich auch daran, dass die Umsetzung oft sehr beschwerlich war. Bei meinen Filmen damals war das immer alles andere als erfreulich. Was da alles schief gegangen ist und so! Da hatte es dann gleich immer existenzielle Auswirkungen. Wenn wir gedreht haben, war ich nach den zwei Monaten wirklich fertig auf der Bereifung. Das ist heute nicht mehr so, weil heute das alles etwas geordneter abläuft.

P: Bist du ein Genuss- oder Lustmensch? Wie schlägt sich das nieder, außer künstlerisch?
J: Ich denke schon, ja. Das ist ja alles immer schwer zu trennen. Ich achte schon darauf, dass alles etwa im Lot ist. Dass ich nicht zu viele Sachen mache, zu denen ich keine Lust habe – eigentlich überhaupt nicht. Die Produktionsbedingungen, wie man romantisch sagt, sind mittlerweile auch wichtig. Früher hab ich durch die Arbeit gelernt, da so survivalmäßig durchzukommen. Das sind jetzt eher selbstgewählte Ausnahmen. Ich hab jetzt gerade wieder so einen Musikclip gemacht für ne kleine Berliner Frauen-Band, HALF GIRL. Das sind Sachen, die mich eher an früher erinnern, wo ich einfach sehe, da ist überhaupt kein Geld, aber trotzdem so eine Energie. Und das mach ich dann, soweit die dann allein bei mir liegende Verantwortung den Spaß nicht mindert. Och, kannste uns nicht ein Video drehen? Dann habe ich meinen Freund geschnappt, der auch viele Super8-Kameras hat, den Frank Behnke, der das dann geschnitten hat. Das sind dann ein, zwei Drehtage oder ein Nachmittag, da ist das kontrollierbar und mir hilft natürlich die Erfahrung, die ich bei diesen harten Drehs damals gemacht habe. Dass ich einfach in diesem Chaos auch nicht verzweifle. D. h. da ist Kontrollierbarkeit das Entscheidende. Ich find’s natürlich schöner, wenn mir, wie jetzt am Theater Dortmund so eine Spielwiese hingestellt wird, alles drumrum geregelt ist und ich mich wirklich nur auf die künstlerische Umsetzung konzentrieren kann. Bei meinen Filmen früher war das ja so, dass ich wirklich auch die Produktion mitgemacht habe und an allem beteiligt war. Und das ist halt ziemlich zermürbend.

P: Vielleicht haben sich inzwischen deine Lebensrahmenbedingungen einfach auch geändert?
J: Ja klar! Damals konnte ich ja von den Filmen nicht leben. Und die Leute, die mit mir oder für mich diese Filme gemacht haben, konnten auch davon nicht leben. D. h. das kann man eine Zeitlang machen, solange man es durchhält, und wir haben es ja relativ lange gemacht. Ich hab die ersten Super8-Filme schon Ende der Siebziger gemacht, bis Mitte der Neunziger ging das, mindestens fünfzehn Jahre also. Aber irgendwann haben die Leute dann auch gemerkt Ich kann mir das nicht mehr leisten, umsonst für dich zu spielen oder zu arbeiten. Irgendwann wächst man da dann raus.

P: Arbeitest du jetzt pausenlos, oder hast du auch Phasen, wo du sagst: Jetzt sind andere Sachen dran?
J: Es ist so, dass ich in der Regel an drei verschiedenen Sachen auf einmal arbeite. Wenn ich jetzt am Theater bin und inszeniere, wenn ich also sozusagen gar nicht Zuhause bin, dann arbeite ich nur, da mache ich wenig anderes. Jetzt, im Sommer, ist ja recht wenig los. Ich habe gerade ein Hörspiel fertig geschrieben, da werde ich jetzt das Casting machen.
Zeitgleich schreibe ich ein paar Filmkritiken, PACIFIC RIM und all so was, was eben so rein kommt durch die Sommerblockbuster. Und dann wird im September dieses Hörspiel inszeniert, die Zeiten stehen schon fest. Das heißt, ich befinde mich jetzt zwischen zwei Projekten, was aber oft genauso intensiv ist, weil ich ja erst mal die Sachen schreiben und dann auch so durchboxen muss, beim WDR zum Beispiel. Und zeitgleich dann wieder die nächste Theatersache. Oder auch GERMAN ANGST. Wenn das klappt mit dem Crowdfunding, muss ich auch das Drehbuch dafür schreiben. Diese Sachen schweben alle so über mir. Im Prinzip, wenn alles so klappt, hab ich bis Februar zu tun. Aber das ist nicht so, dass ich hier, wenn schönes Wetter ist, nicht sagen : Ok, es ist mittags um zwölf, die Sonne scheint, ich verlasse meinen Schreibtisch.

P: Würdest du einen richtigen Break überhaupt aushalten?
J: Nee, das passiert aber eigentlich auch nicht. Weil man halt ständig im Kopf arbeitet. Ich hab ja auch zwei Kolumnen, die ich einmonatlich oder zweimonatlich abgebe. Schon deswegen mache ich immer irgendwas. Aber das funktioniert von alleine, das fühlt sich jetzt auch gar nicht unbedingt wie Arbeit an. Also, wenn ich ins Kino gehe und einen Film sehe, schreibe ich da im Kopf schon immer halb eine Kritik mit.

P: Ok, Standby gibt’s bei dir eigentlich gar nicht?
J: Nee. Dadurch, dass ich ja selbständig arbeite, hat sich auch so eine Disziplin entwickelt, glaube ich.

P: Disziplin wäre wieder ein bisschen was anderes als Lust und Genuss.
J: Ich denke, diese Kombination ist wichtig. Man muss eine gewisse Disziplin haben, um die Sachen gebacken zu bekommen, die man machen will, aber die Sachen, die man machen will, muss man halt machen aus dem anderen Grund. Nämlich weil man sie machen will und nicht, weil man sie machen muss. Aber wenn ich mir darüber bewusst bin, dass ich sie machen will, dann muss ich sie natürlich auch machen, weil: Ich will sie ja machen.

P: Die Disziplin und die Rahmenbedingungen bereiten das Spielfeld, auf dem dann das Eigentliche passiert.
J: Genau, man könnte es auch als Professionalität bezeichnen. Ich weiß ja, wie es geht, und muss es dann nur abrufen.

P: Oft scheint ein regulärer Job überhaupt keinen Platz mehr zu lassen für ein Sichdecken von Wollen und Sollen und Zufriedenheit.
J: So war es ja früher bei mir. Ich hab ja mal eine Lehre gemacht in einem Kaufhaus als Dekorateur, und fürs Filmemachen blieben mir immer nur die Wochenenden. Ich hab dann halt entschieden, dass diese feste Struktur, dieses immer das Gleiche Machen nichts für mich ist. Auf der anderen Seite hört man Leute sagen, sie würden damit nicht klarkommen, dass sie gar nicht wissen, ob sie im nächsten Jahr noch ihre Brötchen verdienen können. Wie ich jetzt gesagt hab, bei mir läuft’s jetzt bis Januar, Februar, aber danach ist überhaupt nichts. Das ist halt das, was man aushalten muss.

P: Quälen sich nur die Deutschen zwischen Lust und Frust?
J: Ich bin ja auch schon ein bisschen rumgekommen in der Welt. In Japan zum Beispiel, da sind die Leute völlig anders drauf. Für die ist der Schritt, den ich schon relativ früh gemacht hab, zu sagen „Ich mach jetzt nicht mehr das, was ich soll, sondern nur noch das, was ich will“ völlig unmöglich. Die sind fest eingebunden, identifizieren sich mit ihrer Firma und sagen dir gleichzeitig Sachen wie „Och, ich finde das ja auch schön, wenn ich so was auch machen könnte.“ Meine Antwort ist dann „ Ja, das liegt an dir, das ist mir ja auch nicht zugefallen, ich habe mich selbst entscheiden müssen, ich hab niemand danach gefragt.“ Das ist das Wichtige, schon ein wenig ähnlich wie hier.


P: Es gibt an einer Uni sogar eine Fakultät zum Thema Genuss und Lust. Da hat mal jemand das Thema Genussfähigkeit untersucht. Ergebnis: Im Süden genießt man unbeschwerter als im Norden, wo man sich fast schon zwingen muss.
J: Ich glaub, das hängt auch mit dem Wetter zusammen. Glaube ich wirklich, zum Beispiel auch in Spanien oder Italien sagt der Körper „Och, wenn’s warm wird, arbeite ich weniger.“ Also, ich glaube, damit hängt viel zusammen.

P: Du lebst als Berliner in einer Region, in der angeblich vor allem die Genusszweifler leben. Die möchten gerne frei sein und genießen, hemmen sich aber mit ihrer Angst vor Veränderung und Unsicherem.
J: Ja. Die Rahmenbedingungen sind ja auch unsicher. Aber das ist ja auch das Spannende. Ich fahre deshalb ja auch mehrgleisig. Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass ich selbst auch immer was Neues machen will, also Hörspiel, Schreiben, Filme, Theater, was da alles so dran hängt, diese verschiedenen Sachen, das ist ein Lustgewinn. Zeitgleich ist es ebenfalls eine Absicherung. Wenn ich fünf Eisen im Feuer hab, klappen wahrscheinlich zwei oder drei davon. Es ist die Kombination aus beidem. Das eine bedingt das andere. Also, dieses Pochen auf Sicherheit bedingt, dass ich diese Vielfalt habe. Und umgekehrt.

P: Gibt’s für dich ein gelobtes Land oder einen gelobten Zustand, dass du sagst: „Ok, das war’s, jetzt setze ich mich hin ...“
J: Aber was soll ich denn machen? Nur Dasitzen ist ja Quatsch. Das Lustige ist, das die Sachen, von denen die anderen Leute gar nicht so glauben, dass die lukrativ sind, wie zum Beispiel die Theaterarbeit in Dortmund, die Sachen sind, von denen ich am ehesten lebe. Oder so ein Hörspiel in Dortmund. Oder ein Hörspiel für den WDR. Wo schlicht auch Tantiemen anfallen. Mehr, als wenn ich mich jetzt selber da hinsetze und einen Film mache. Oder einen Videoclip drehe. Das bringt nichts. Außer Spaß. Videoclips machen hat höchstens früher viel Geld gebracht, als die Musikindustrie noch funktionierte.

P: Außer Kunst und Film und Theater und irgendwie Dauerbetrieb – gibt’s Weiteres, bei dem du dich wohlfühlst, wo du sagst „Das hat jetzt nichts mit gar nichts zu tun, das ist nur Genuss und Lust“? Musik, Essen ...
J: Ja, ja, Musik natürlich, klar. Und Yoga zum Beispiel. Oder Kampfsport. Alles so Sachen mache ich auch. Nicht, um mich schlecht zu fühlen, sondern auch um in ein körperliches Gleichgewicht zu kommen.

P: Yoga hast du gesagt, Kampfsport ... Ist ja auch wieder die Mischung aus Disziplin und dem, was im Limbischen System abgeht.
J: Genau. Danach fühlt man sich ja wieder entspannt.

P: Ein langer Weg von 1977 bis 2013, eine wilde Reise von Protest und Wut zu Spaß und Zufriedenheit.
J: Ja, mittlerweile habe ich ja auch weniger mit Staatsanwälten zu tun, sondern mehr mit Leuten, die mir dann auch vertrauen.

P: Gibt’s einen Tipp für jemand, der vielleicht einfach nur am Band steht oder im Büro hockt? Wie kommt der zum Glück?
J: Naja, er muss vom Büro oder vom Band erst einmal weg. Sonst hat er die Voraussetzungen nicht. Man muss die Unsicherheit einfach in Kauf nehmen. Das geht auch erst im kleinen Rahmen, das wächst ja.
Ich hab mich neulich mal unterhalten mit jemand, der ein DVD-Label hat und der mit Inbrunst GODZILLA-Filme rausbringt. Und den hab mich mal gefragt „Wo kommst du eigentlich her?“ Und der sagt „Ich hab früher bei einer Autofirma am Band gestanden.“ Der hat irgendwann, und da war er nicht mehr so jung, gesagt: „Ich hör jetzt auf damit“ und hat angefangen, DVDs rauszubringen, hat ein Label gemacht. Ist irgendwie in so eine Unsicherheit gesprungen, und das war es dann. Bei mir war das ähnlich. Ich hab das relativ früh gemacht. Ich hab gemerkt, als ich diese Ausbildung gemacht hab:“ Ist ein toller Job, kann man bestimmt drin arbeiten, aber vierzig Stunden die Woche geht das nicht“, weil ich dann ja keine Zeit für mich habe.
Der Anspruch, was selbst da zu machen, war schon da.
Filmhochschule hat nicht funktioniert, Photographenlehre hat nicht funktioniert, hat alles nicht funktioniert. Als ich aus dieser Ausbildung raus war, wurde ich dann eh nicht übernommen, das war vielleicht Glück. Ich hab dann irgendwann angefangen als Filmvorführer zu arbeiten und fand das total romantisch und spannend. Und da hatte ich dann tagsüber Zeit, Sachen für mich zu machen. So fing das an. Wieder eine Kombination aus Sicherheit einerseits, also, diesem Minijob, und meinem eigenen Ding andererseits. Jahrelang hat ein Film dann den nächsten finanziert, davon leben konnten wir nicht. Jetzt kommt zum Teil das Geld rein von Sachen, die ich vor zwanzig Jahren gemacht hab. Also, wenn man da einen langen Atem hat, rentiert sich das dann irgendwann.


P: Von wegen des Ratschlags verstünde ich: Erstmal eine Sensibilität. Merken, da ist was, was mich zieht, dann Durchhalten...
J: Ich denke, es funktioniert halt nicht, wenn du eine Hypothek auf einem Haus und einen Job hast und in Abhängigkeit bist. Die Weichen müssen sicher so gestellt sein, dass du zur Not überleben kannst, wenn das alles nicht klappt. Man kann ja immer noch Scheißjobs machen. Wenn man aber den Job, den man hat, eh scheiße findet, ist es egal, ob man ihn jetzt schmeißt, verstehst du, was ich meine? Die Fallhöhe ist dann nicht groß. Wenn man was aufgeben muss, woran einem was liegt, wird es wahrscheinlich schwierig. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass ich eigentlich die Wahl habe. Ich hätte einfach nicht vierzig Stunden in einem Kaufhaus arbeiten können. Die hätten mich dann irgendwann eh rausgeschmissen.

P: Das meinte ich mit Sensibilität.
J: Sensibilität ist gut. Man ist ja unzufrieden, das merkt man ja recht schnell.

P: Wahrscheinlich wäre die Steigerung, dass es einen anekelt. Real life splatter.
J: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie andere Leute das machen, 40 Stunden irgendwo zu arbeiten. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das zum Beispiel meine Frau macht, die einen ganz normalen Job hat. Finde ich auch bewundernswert, einfach weil ich mir das schrecklich vorstelle. Ich kenne das ja, so phasenweise habe ich das auch, wenn ich ein Hörspiel mache, dann werde ich ja vom WDR engagiert und habe Acht-Stunden-Tage, aber es ist halt nach zwei oder drei Wochen vorbei. Oder wenn ich für ARTE so eine Doku gemacht hab, dann sitz ich auch so lange am Stück im Schnittraum. Da hab ich dann auch schon so einen Kopf danach.

P: Das ist dann die Band- oder Bürovariante von deiner Spielwiese.
J: Genau. Nur dass man halt ein Ziel immer vor Augen hat, das ist dann die Kunst, in dieser Monotonie noch den Spirit am Leben zu halten. Man will ja dann auch was Gutes abliefern. Es ist ganz komisch. Ich erinnere mich auch, wenn ich gedreht hab, habe ich immer gesagt, weil das so aufreibend war und Vieles nicht funktioniert hat, dass ich dachte: „Na, wenn wir erst einmal abgedreht haben, dann kann ich faul aufm Arsch sitzen im Schnittstudio und mit nem Cutter das alles schön sortieren.“ Also, da habe ich mich drauf gefreut! Wenn ich dann aber im Schnittstudio war, habe ich das andere vermisst. Das geht dann auch immer hin und her.

P: Jörg, vielen lieben Dank, viel Spaß, viel Genuss, viel Rock‘n‘Roll und wenig blaue Flecken auf der Tanzfläche! Famous last words?

J: Dann werde ich jetzt mal zum See fahren.

Und das tut er dann auch. Die Sonne scheint, und es fühlt sich gut an. Das Baby ist auch wieder still. Warum auch immer. Im Hintergrund singen Lou Reed und John Cale ihre Songs for Drella.

Interview by Philipp Nussbaum

www.joergbuttgereit.com
www.buttgereit.info
www.german-angst.com

Dienstag, 23. September 2014

Meanwhile in Göttingen and Le Mans: Guns'n'Gänseblümchen

Ja, man stolpert zuerst über den Namen, ganz klar. Und sofort bilden sich zwei Lager: Die eineen, die ihn für echt doof halten, und die anderen, die ihn richtig gut finden. Letztere vermuten hinter dem Duo aus Göttingen und Le Mans meist eine stump-Witzige Deutsch-Punkband. Stimmt aber nicht im geringsten, vielmehr erkunden Denise am Schlagzeug und Guillaume mit der Gitarre die Bereiche von Gitarrenmusik, die mit der Vorsilbe Post- beginnen und durch Bands wie Mogwai, Mono und Konsorten geprägt wurden. Zweierbesetzungen wie GnG findet man in diesem Genre allerdings selten. Das und die Tatsache, dass es einfach eine wunderbare Liveband ist und das auf der 10inch "Wonder wheel" wunderbar festgehalten haben, hat diese deutsch-französische Band gleich zu einem Kandidaten für ein Interview in Renfield No. 28 gemacht. Welches wir hiermit auch den vielen Nichtbesitzern des Heftes zugänglich machen.

Gary: Hallo Denise, ihr wart über Ostern 2014 auf Minitour in Frankreich, wie war’s denn so in… Bovel? Und in Soudan ? und in Brest ?

Denise: Wir hatten eine sehr schöne kleine Tour durch die Bretagne mit fünf tollen Konzerten. In Bovel und Soudan haben wir in kleinen Kommunen gespielt, sehr ländlich gelegen, sehr familiäre Atmosphäre, selbstgebrannter Schnaps und offene, nette Leute. In Keruscun in der Nähe von Quimper spielten wir ein Solikonzert für GAST!, ein feministisches, zweisprachiges Kollektiv das in der Region aktiv ist und sich unter anderem mit der 'Wiederbelebung' der bretonischen Sprache auseinandersetzt. Da gab es natürlich Diskussionen über Unabhängigkeitsbewegung, Nationalismus und so...
War interessant. Sehr spannend fand ich La Poudrière in Brest. In dieser doch recht großen Stadt mit einer aktiven politischen Punkszene gab es bislang keinen entsprechenden Veranstaltungsort. So hat eine Crew von sehr jungen und gut organisierten Leuten vor einem Monat ein leer stehendes ehemaliges Pfadfinderheim besetzt. Die sind total aktiv da, organisieren Veranstaltungen und Konzerte, haben eine Siebdruckwerkstatt und nen Sportsaal, machen regelmäßig Vokü und zeigen Filme und stehen sogar in gutem Kontakt mit den benachbarten AnwohnerInnen. Wir haben an dem Abend mit drei Hardcorebands und vor entsprechendem Publikum gespielt und waren nicht so sicher, wie wir ankommen würden. Letztendlich tolles Konzert und gutes Feedback! Auch Hardcorefans können Hüftschwung...

G.: Und in Le Mans? Ist das eine Art Heimspiel, wenn ihr da einen Gig habt?
D.:Ja, schon. Zumal wir in der 'Stammkneipe' von Guillaume gespielt haben... zusammen mit TEN VOLT SHOCK aus Freiburg. Ich kannte die vorher nicht, obwohl es die Band schon seit 14(!) Jahren gibt und fand sie großartig.

G.: Auf was kannst du auf Tour überhaupt nicht verzichten? Und was hast du unterwegs mal ganz bitterlich vermisst?
D.: Auf Tour zu sein ist ein wunderbarer Ausnahmezustand und (solange das Auto durchhält) nur gut. Man kommt an dermaßen verschiedene, spannende Orte , weiß nie so richtig, was einEn erwartet und kann jeden Abend spielen. Außerdem finde ich es immer wieder klasse, wie dieses D.I.Y.-Netzwerk funktioniert und das überall Leute für Musik und Selbstorganisation und Punkrock brennen und sich engagieren.

G.: Auf den Hinweis auf eine sehr bekannte US-amerikanische Rockband kommt man bei eurem Namen wohl nicht umhin. Wie groß ist denn eure Verehrung für Guns n Roses? Waren das Helden eurer Jugend? Und warum sind Gänseblümchen cooler als Rosen?

D.: Helden wäre zuviel gesagt. Aber von einer gewissen geschmacklichen Verirrung in der Pubertät sind auch wir nicht verschont geblieben. Und Gänseblümchen sind cooler, weil sie besser aussehen und lustiger, weil in Frankreich kein Mensch dieses Wort aussprechen kann.

G.: Soviele Trommlerinnen kenne ich ehrlich gesagt gar nicht. Ich habe aber das Gefühl, dass in den letzten Jahren immer öfter Frauen in Bands am Schlagzeug sitzen. Würdest du das ähnlich sehen, und warum?
D.: Ja, ist mir auch schon aufgefallen. Keine Ahnung warum. Ich freue mich auf jeden Fall darüber und hoffe, den Tag noch zu erleben, an dem uns das nicht mehr als 'Besonderheit' auffällt.

G.: Welche Klischees bzw. Vorurteilen über Frauen hinterm Schlagzeug begegnest du bei männlichen Drummerkollegenam häufigsten?
D.: Eigentlich gar nicht so vielen. Vielleicht werden die auch nur nicht offen geäußert. Und wenn dann macht es keinen Sinn, sie zu wiederholen und dadurch festzuschreiben.

G.: Noch mal Göttingen und Le Mans. Beide Städte liegen ja nun nicht gerade nah beieinander. Wie habt ihr als Band denn da zusammengefunden?
D.: Wir waren vor ein paar Jahren mit unseren Bands (MONNOCLE und SLUX) gemeinsam auf Tour in Frankreich und Spanien. Das war sehr harmonisch und intensiv und wir fanden uns toll...

G.: Eure Platte heißt Wonder Wheel – ein Riesenrad desselben Namens sieht man auch auf dem Cover. Nun ist ein Rummelplatz eigentlich ein Ort für ganz billiges Entertainment, wird aber in (Horror-) Filmen auch gern mal als unheimliche Location benutzt. Welche Assoziationen verbindet ihr denn mit diesem Ort bzw. mit dem Riesenrad speziell?
D.: Das Wonderwheel steht in Coney Island, wo ich auch das Foto gemacht habe. Das ist ein heruntergekommener Amusementpark, der seine besten Zeiten lange hinter sich hat und eine morbide Tristesse ausstrahlt. Ein Ort, der sich mir stark eingeprägt hat und an den ich mich oft erinnere. Und dann haben wir ja auch auf der EP die Songs The Turn und Achterbahn und fanden das passend...

G.: Was sind für euch eigentlich die Vorteile, in einer Zweierbesetzung zu spielen? Gab es schon mal Pläne, die Band zu erweitern?
D.: Es geht alles ein bisschen schneller und leichter in einem Duo. Kompromisse, Entscheidungen, der profane Orgakram. Ich habe auch den Eindruck, dass jedeR mehr gefordert ist und mehr Raum hat, als in einer größeren Besetzung. Jedenfalls ist es sehr gut so, wie es ist und über eine 'Erweiterung' würden wir nur nachdenken, wenn Axl sich als Sänger bewerben würde.

http://gng.ouvaton.org/index.html

Freitag, 19. September 2014

Die Renfield-Crew im Außen-Einsatz - Heute: Räumung der Cuvrybrache



Ein schöner Tag zum Räumen. Der Herbst kommt, es wird regnerisch und ein bisschen kalt. Und ab heute sind über hundert Menschen, viele von ihnen Sinti und Roma, mal wieder obdachlos. Seit mehr als zwei Jahren leben Leute auf der Cuvry-Brache, dem Gelände an der Schlesischen Ecke Cuvrystraße, das immer mal wieder jemand mit Supermärkten, Hotels oder Hochpreiswohnungen bebauen will. Das Gelände gehört einem Münchner Investor. Vor den riesigen Graffitis von BLU auf der Brandwand stehen die Zelte, Holz- und Wellblechhütten, die der Tagesspiegel als "Berliner Favela" bezeichnet.

Draußen vor der Brache ist alles abgesperrt, gepanzerte Polizei auf der einen Seite, die Geräumten auf der anderen. Sie sitzen auf Bergen ihrer Sachen und wissen nicht wohin, es nieselt. Eine Katze mauzt in einem Transportkorb. Auf einem Karton voller Magazine steht ein schöner kleiner alter Globus. Vereinzelte Unterstützende stehen dabei und beobachten. "Still not loving Police" und "Zwangsräumung verhindern!" verkünden ihre Jutebeutel.
Es ist ein bisschen wie in der schlechten Disko, wo man am schwer einzuschätzenden Türsteher vorbei muss. Immer mal wieder werden Gruppen von maximal fünf Leuten durch die Absperrung gelassen und dann, flankiert von vier riesig wirkenden, gepanzerten Polizisten, auf das Gelände eskortiert, um ihre Sachen herauszuholen. Dabei haben sie sich streng an den vorgegebenen Weg zu halten. Ein Typ, der auf den Eingang an der Schlesischen zustrebt, wird grob am Arm gepackt und wieder in die Reihe geschubst.

Es ist beklemmend still irgendwie, hier erklingen keine Sprechchöre, keine Soundanlagen oder Lautsprecherwagen wurden kurzfristig zur Unterstützung der Brachenbewohner organisiert. Keiner wird laut, alle haben grimmige Gesichter. Die Geräumten mit gutem Grund, die Polizei von Amts wegen, die Unterstützer wegen der Aussichtslosigkeit. Gute Laune verbreiten nur ein paar Selbstdarsteller, die diesseits der Absperrung ihre selbstgedichteten Friedenslieder intonieren. Eine einzige Frau stürzt auf einmal, heftig weinend, auf die Polizistinnen hinter der Absperrung zu. Sie klagt und schimpft, aber man merkt ihr an, dass sie gar nicht erst eine Reaktion erwartet. Die schwer gepanzerten Polizistinnen bleiben ruhig stehen, sie tragen sorgfältiges Makeup und halten ihre riesigen Helme in der Hand. Sie verziehen keine Miene. Wir können nicht umhin, uns zu fragen, ob sie gerade mit ihrem Job zufrieden sind. Und ob sie wohl darüber informiert wurden, wer da auf dem Cuvry-Gelände lebt. Oder warum. Alle schweigen.

Die weinende Frau gibt auf, "Hau ab!" wirft sie nochmal die Arme in die Luft, "Warum!" Dann geht sie und setzt sich hin.
Warum, fragt sich natürlich auch die Renfield-Crew im Außeneinsatz, und so fragen wir dann das Anti-Konflikt-Team, das knallgelb vor uns herumsteht und eh nichts zu tun hat. Schade übrigens, dass die nicht einfach Konflikt-Team heißen dürfen. Nee, sie müssen natürlich suggerieren, ein Konflikt sei schon etwas Schlechtes und dürfe gar nicht erst aufkommen. Wir bitten die Vorboten der konfliktfreien Gesellschaft also höflich, ob sie uns sagen können, was hier eigentlich passiert? Ob geräumt würde? Sie sagen nein, wir gucken dumm. Dann erklären sie uns, dass das keine Räumung ist, weil die Leute freiwillig gehen. Räumung ist, wenn Oma noch an ihren Sessel gekrallt aus der Wohnung getragen wird. Was hier geschieht, ist Tatortsicherung, weil es gestern auf der Brache gebrannt hat. Daher muss ermittelt werden, da das höchstwahrscheinlich Brandstiftung sei, wenn auch vermutlich nur fahrlässige.

"Und das nutzt der Eigentümer jetzt natürlich, um sich das Gelände wieder anzueignen", erklärt uns der freundliche Konfliktvermeidungsstratege.
Wie lange die Brache nun als Tatort gesperrt sein wird, wissen sie nicht. Immerhin ist hier nun ein Anlass gefunden worden, die Bewohner der Brache mehr oder weniger elegant vom Gelände zu kriegen.

Es passiert nicht mehr viel, außer dass noch verschiedene andere Leute vor ihrem Zeug stehen und weinen. Einer schleppt seine Matratze auf dem Kopf raus, der nächste eine Kiste mit Büchern, ein anderer rollt sein Schlagzeug auf einem Bollerwagen vom Gelände.

Wir wandern langsam davon und denken über Freiwilligkeit nach. Freiwillig bedeutet hier, dass man dir sagt: Du hast eine Stunde Zeit, dein Zeug da rauszuholen, dann machen wir das Gelände platt. Das geschieht dann zwar nicht. Aber du stehst dann da mit deiner Katze und deinem Globus und bist freiwillig gegangen, nirgendwohin, Anfang Herbst in Berlin.

Viola Nova & Gary Flanell

Dienstag, 16. September 2014

Inventing Afro-Punk? Osekre & The Lucky Bastards


Afropunk, was soll das sein? Der Dokumentarfilm gleich Namens widmet sich ja eher der afro-amerikanischen Minderheit in der von Weißen dominierten Punkszene in den USA. Die Bad Brains waren auch eher Afro-American Punks (mit karibischer Vision), ebenso wie die Detroiter Pioniere Death oder später der Rap-Poet Mike Ladd. Aber Punk aus Afrika? Von Ausnahmen wie den (weißen) Kalahari-Surfers aus der Industrienation Südafrika oder einem Nomaden wie dem Rai-Sänger Rachid Taha ist Punk in der afrikanischen Musik seltsamerweise nie eine Referenz gewesen. Vielleicht ist es, historisch, ästhetisch, konzeptuell, einfach mal ... zu weiß? Das sind so die Fragen die mir durch den Kopf schwirren, bevor sich die Skype-Verbindung mit Ishmael Osekre aufbaut.

In Zeiten der Globalisierung war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand auftaucht, der die losen Enden aufnimmt, verknüpft und Afrofunk - der ist ja derzeit durchaus populär - auf Afropunk reimt. Und irgendwie ist es auch kein Wunder, dass dieser Ishmael Osekre, der den Begriff im Wortsinne für sich reklamiert, in Brooklyn residiert, denn da kommen solche Dinge eben auf engstem Raum zusammen.

Das Coole an der Geschichte ist jedoch, dass die physische Manifestation dieses historischen Moments bei uns in Berlin das Licht der Welt erblickt: Waren die Songs von Osekre & The Lucky Bastards bisher ausschließlich live oder im Internet zu erleben, erscheint nun eine schicke 45er mit den beiden größten Hits der jungen Band - "Why Are You Here" und "Mama Said" - auf John Steam Records ... und das ist ja nur ein kleiner Teil des Imperiums, zu dem auch das Magazin gehört, das nun in eurem Gästeklo ausliegt. Ihr lest also gerade so eine Art unbezahlte, als redaktionellen Beitrag getarnte Anzeige - so sind wir, korrupt wie eine afrikanische Verwaltungsbehörde, aber alles für die gute Sache.

Ishmael Osekre ist ein lustiger Interviewpartner. Zunächst mal hat er eine Menge Fragen: Woher kenne ich Gary Flanell? Wie finde ich die Platte? Gibt es in Berlin viel DIY-Kultur? Nach einer Weile beantwortenden Vorgeplänkels erinnere ich ihn daran, dass ich hier die Fragen stelle.

Sun Ra Bullock (SRB): Ishmael, wie bist du an die Musik geraten ... und an deine Band?

Ishmael(I.): Ich komme ursprünglich aus Ghana und studiere an der Columbia State University. Als ich damit angefangen habe, war ich eigentlich eher vor allem Dichter: Ich machte spoken word poetry und schrieb für die Uni-Zeitung. Das hat sich rumgesprochen, und während meines zweiten Studienjahres wurde ich eingeladen, bei einer Veranstaltung an der Uni etwas vorzutragen.

Ein Freund von mir spielte dort mit seiner Band, die aber keinen Sänger hatte. Also taten wir uns zusammen, und ich trug nach meiner Performance ein Gedicht zu einem ihrer Beats vor. Das klappte richtig gut! Ich dachte: Wow, das ist richtig cool, ich sollte drüber nachdenken, so etwas zu machen. Wir haben uns also zusammengetan und ein paar Campus- Gigs gespielt. Erst als einige von ihnen den Abschluss machten, konnten nicht weitermachen. Ich kehrte zur Poetry zurück, aber nachdem ich einmal das Gefühl kennengelernt hatte, in einer Band zu spielen, wusste ich, dass ich das weitermachen wollte. Also gründete ich mit anderen Leuten meine eigene Band. Der Schlüssel dazu war natürlich, meine Gedichte in Musik zu übertragen, also mehr Musik daraus zu machen, als "nur" Poetry.


Reine Poetry kann in New York sehr limitierend sein, denn erstens gibt es eine Menge Leute, die das schon machen, und die bekommen auch nicht viel Aufmerksamkeit. Um diese Zeit war K'Naan aus Somalia sehr angesagt. Er ist ja eigentlich Rapper, aber im Grunde ist es auch Poetry, was er macht. Und er brachte diesen kulturellen Aspekt mit rein, seinen somalischen Vibe. Also dachte ich, ich sollte meinen ghanaischen Vibe mit reinbringen, denn die ghanaische Musik macht Spaß! Und im Westen sind gerade nicht so viele ghanaische Musiker bekannt, also dachte ich, es wäre wirklich cool, Ghana so auf die Karte zu setzen. Also nahm ich mir die ghanaischen Songs meiner Kindheit vor: Songs, die wir beim Fußball gesungen haben, um unsere Teams anzufeuern oder im Bus, wenn wir zu Spielen gefahren sind. Das war die Idee hinter dem, was ich kreieren wollte.
Und ich habe mir ghanaische Bands angehört. Eine Band, die mich umgehauen hat, war OSIBISIA. Denn die haben etwas gemacht, was ich machen wollte: Ghanaische Elemente mit Elementen zu verbinden, die sie selbst im Westen mitbekommen hat. Sie, OSIBISIA, selbst hatten karibische Musiker in der Band, das war also das eine. Das andere waren Sachen wie Jazz, und sogar ein bisschen Funk. Das war sehr aufregend! Also hörte ich viel OSIBISIA, und auch Bands wie KOO NIMO, WOLAMEI, E.T. MENSAH, und Ebo Taylor und ein paar Sachen, die heute populär sind. Ich fand in dieser Musik sehr kulturelle Sachen, Dinge, die essentiell sind für Ghana. Viele Afrikaner im Westen nehmen westliche Kultur in sich auf, aber alle machen das, das ist nichts Besonderes. Ich wollte aber etwas finden, was noch nicht gemacht wurde, aber das die Leute lieben würden. Und weil ich wusste, dass ghanaische Musik so einen Spaß macht und uns so glücklich machen kann - jedenfalls die, die ich aus meiner Kindheit kenne - begann ich, meine Songs um diesen Rhythmus herum aufbauen (er klatscht einen Highlife*-Beat). Das war das eine...

(Völlig, richtig, ich habe bis zu diesem Zeitpunkt nur ab und zu zustimmend gegrunzt oder aufmunternd geschmunzelt. So einfach kann das sein mit den Interviews. - Sun Ra Bullock)

I.: Ich bin in der Zwischenzeit von der Columbia-Universität nach Brooklyn gezogen. Um die Zeit haben wir viel in Kellern, Lofts und Hausparties gespielt, und das ganze Punkrock-Ding kam gerade zu der Zeit wieder. Für mich war das eine aufregende Zeit, denn ich hatte gerade angefangen, Gitarre zu lernen und die ghanaischen Rhythmen auf der Gitarre zu spielen. Aber gleichzeitig hörte ich den Punk, den meine Freunde im Keller spielten. Und ich fragte mich: Wie kann ich meinen Kram von zuhause so spielen, dass DIESE Jungs das cool finden und die Leute nicht sagen: Oh, das ist "Weltmusik" und mich damit in einer bestimmten Ecke isolieren. Ich wollte meine Kultur durch meine Linse in ihre Sprache überführen, so dass sie das würdigen können. "Why are You here" ist ja der Song, der uns ein bisschen bekannt gemacht hat. Moment, ich spiel dir was vor, ich hoffe, du kannst das hören, ich hab meine Akustische nicht dabei ... (Und nun singt er zur unverstärkten elektrischen, zu Highlife-Pattern "Why are you here" und wechselt dabei, allmählich das Tempo anziehend, vom Highlife-Geschrammel zum Punkrock-Geschrubbel.)



So kam das, es war ein simples Highlife-Pattern, aber ich dachte: Mann, alle meine Songs haben dieses Tempo: Dafür bin ich zu jung! (lacht) Also hab ich's ein bisschen beschleunigt ... und so ist das entstanden, ich wollte ein bisschen mehr Energie, ein bisschen mehr Spaß, so wie die Jungs im Keller, und je schneller ich wurde, desto mehr Punk wurde es. Und mein Drummer sagte: "Puh, also ich versuch hier, einen anderen Beat zu spielen, aber das klappt nicht. Also, ich glaub ich mach was anderes, denn ich glaube, das wird Punkrock." Und ich sagte (gedehnt): "Genau." Und so entschieden wir, das so zu machen, denn keiner hatte es zuvor gemacht. Und um diese Idee herum entstanden Osekre and the Lucky Bastards.

SRB: Gibt es denn eine afrikanische Community in Brooklyn? Gibt es Essen, Musik, Bands?

I.: Das Ding an der afrikanischen Community in Musik ist jedenfalls, dass es keine besonders große Community afrikanischer Musiker gibt. Die meisten, die in Brooklyn afrikanische Musik machen, sind weiße Amerikaner. Es gibt eine New Wave von Afrobeatbands in Brooklyn, das hat auch mit dem Revival von Fela Kuti zu tun. Das Broadway Musical "Fela" war sehr erfolgreich und hat, glaube ich, viele junge Leute inspiriert, damit anzufangen. Afrikaner im Westen, in Europa vielleicht weniger, aber speziell in Amerika, sind meistens an der Uni! Sie wollen zur Wall Street oder Arzt werden (lacht) ... denn sobald du hierher kommst, ist da eine Menge Druck! Als ich angefangen habe, in einer Band zu spielen, wurde mir gesagt: "Du bist entweder verrückt... oder sehr, sehr reich" (lacht). "Was sagen deine Eltern dazu!" ... "Was ist mit dir nicht in Ordnung?" (lacht sich kaputt)...

Ich habe hier ein paar Afrikaner getroffen, die ihr eigenes Ding machen. Aber es sind nicht viele von uns. Und die meisten von ihnen machen entweder Afrobeat oder Afropop. Deswegen sind sie auch ausgeflippt, als ich als ich Punk mit reinbrachte habe, weil's halt noch keiner gemacht hat. Alle versuchen, zu tun, was Fela schon gemacht hat, sie versuchen, es zu imitieren oder etwas darum herum zu machen. Aber keiner hat versucht, innovativ zu sein oder etwas Neues darum herum zu bauen. Klar, wenn da was Neues macht, braucht es immer etwas länger, bis es populär ist, denn es ist der weniger ausgetretene Pfad. Dafür bezahlst du einen Preis. Aber nach einer Weile gewöhnen sich die Leute daran, dann mögen sie es, und das gibt dir eine Plattform, dein eigenes Ding zu machen.

SRB: Wie ist deine Band denn so ethnisch zusammengesetzt?

I.: In meiner Band herrscht ein gewisses Kommen und Gehen. Da wäre mein erster Gitarrist und Keyboarder, der ist Nigerianer, aber nach der Uni musste er weiterziehen. Mein Drummer ist jüdischer Amerikaner, und der wechselt sich ab mit einem anderen, der Kolumbianer ist, und früher viel mit uns gespielt hat. Aber der ist professioneller Musiker und braucht die ganze Zeit bezahlte Gigs (seufzt). Aber manchmal, wenn ich ihn brauche, kann ich ihn anrufen, und dann ist er dabei. Mein Gitarrist ist Amerikaner, aber sein Vater ist aus dem Iran. Er ist tatsächlich eine tolle Mischung: iranisch mit vietnamesisch-amerikanisch (lacht).

SRB: Mehr New York geht nicht...

I.:(Lacht) Genau! Dann gibt es noch einen Keyboarder aus New Hamsphire. Er ist auch das konsistenteste Badmitglied. Ud bei den Bläser wechselt sich viel ab: Das ist ein Deutscher (lacht), der ist gerade fertig mit der Uni und ist jetzt auch Profimusiker. Dann noch einer aus New Jersey und ein nigerianischer Zweite-Generation-Immigrant aus Washington D.C.. Eine schöne Mischung. Drei Bläser, Schlagzeug, Bass und zwei Gitarren.


SRB: Und was hast du an der Uni gemacht? Hast du als Poet Literatur studiert oder wolltest du auch zur Wall Street?
I.: Am Anfang wollte ich zur Wall Street und hatte ein paar Kurse in Wirtschaft. Ich mochte die Theorien, aber ich konnte mir nicht vorstellen, so viel Zeit mit Zahlen zu verbringen. Ich wollte etwas freieres, kreativeres, also begann ich mit Soziologie. Das war faszinierend und hat mir wirklich geholfen, die Kultur und die Gesellschaft, in der ich lebe, zu analysieren und zu verstehen: die Weise, wie Leute interagieren. Als ich nach Williamsburg gezogen bin, war das besonders interessant: Es waren dort vor allem Weiße, einige wenige Schwarze, aber überwiegend Weiße. Die Soziologie hat mir wirklich geholfen, zwischen diesen Kulturen zu navigieren, mich in die Szene zu integrieren und mir über die Dynamik dort bewusst zu werden, während ich meine Musik dort vorstelle und Teil der Community werde.


SRB: Das heißt, du bist nun erst einmal Vollzeitmusiker? I.: Ich war die letzten zwei Jahre Vollzeitmusiker. Ich habe nicht davon gelebt, aber das dauert eben. Wir haben viele Shows gespielt, eine pro Woche, manchmal drei. Unser Name ist da draußen, wir wollen mehr touren, ein bisschen im Voraus planen, aus den Kellern herauskommen, weniger Lofts, mehr Bühnen, auf denen wir uns auch hören können, und wo es Soundchecks gibt und größeres Publikum. Wir wollen weiter in Lofts spielen, aber eben auch mehr für tanzende Leute, auf Festivals, das passt besser zu uns. Und nebenbei schreibe ich Codes, mache viel Tech-stuff... und das ist ganz cool.



SRB: Nun hat Gary aus Berlin die Traute, deine Songs auf 45er zu veröffentlichen, und keiner aus New York?

I.: Ja, nun, es gab ein paar Labels, die sich mit uns in Verbindung gesetzte haben, aber die Szene ist aufgeheizt, und die Konkurrenz groß, sie warten ab mit den Entscheidungen. Thomas Gobena von Gogol Bordello zum Beispiel hat sich gemeldet. Er mochte unser Zeug, weil es ihn an das erinnerte, was Gogol Bordello machten, nur eben aus einer afrikanischen Perspektive. Er wollte wirklich helfen, etwas zu produzieren, und so mussten wir ein Label finden. Nun müssen wir schauen, ob wir das Geld auftreiben, über Kickstarter oder so und dann das Album shoppen, oder ob wir erst ein Label finden und dann das Album machen. Das ist der Punkt, an dem wir uns gerade befinden. Wir sprechen mit einem Label namens Side One Dummy Records. Gogol Bordello haben dort angefangen, und Amadou & Mariam. Allerdings kam von denen noch keiner zu unseren Shows.

SRB: Und deine Familie ist in Ghana?

I.: Der größte Teil ist dort, aber meine Mutter und meine Schwester sind hier.

SRB: Warst du in der Zwischenzeit mal dort?

I.: Ich bin vor allem in den USA herumgereist, aber nächstes Jahr will ich auf jeden Fall nach Europa und auch Teile von Afrika, und dann auch mal wieder nach Ghana, ganz klar. Es gibt dort gerade eine große Szene, und sie wächst. Es gibt mehr Veranstaltungsorte und Konzerte und mit dem was sie haben, machen sie eine Menge.

Highlife ist dort aber heute Musik der alten Leute, und in der Popularität bei den Jungen von Hiplife* abgelöst worden. Das ist sehr wahr, und das ist Teil der Entscheidungen, die du fällen musst, wenn du relevant sein willst. Wenn du zu deiner Generation, aber auch zur älteren Generation sprechen willst, musst du herausfinden, wie du sie in der Mitte zusammenbringst. Das Ding ist auch, dass die jungen Leute heute nicht mehr so viele Instrumente spielen, wie es sein sollte. Es ist leichter und ökonomischer, zu rappen, wo du nur ins Studio gehen musst und auf ein Instrumental rappst, oder einen Computer kaufen, um Beats zu machen. Das ist eine gravierende Differenz zwischen den Generationen, denn heute gibt es so viel Technologie. Die Leute kommen zusammen, basteln einen Beat und texten einen Rap, das ist Hiplife.

Wenn du eine Gitarre hast, musst du erst lernen, sie zu spielen, und dann andere finden, die mit dir spielen können, bevor du etwas erreichen kannst, das ist eine komplett andere Sache. Ich versuche herauszufinden, wie ich meine Musik relevant machen kann für meine Generation, für die davor, und die, die danach kommt. Rockmusik mag jeder, jeder mag Reggae, und jeder mag Ska. Jeder kann Highlife und Afrobeat verstehen ... also hoffe ich, wenn ich alles zusammenpacke, werde ich damit ein größeres Publikum erreichen.

SRB: Du kennst Punk aus Brooklyn. Kannst du dich erinnern, ob es in Ghana - immerhin eine britische Ex-Kolonie - jemals irgendwelche Spuren von Punk gab?

I.: Nein, gar nichts, überhaupt nichts. Kein Punk-Movement hatte in Ghana jemals irgendeine Wirkung, nicht so weit ich weiß. Meine Mutter hörte zu ihrer Zeit Rock'n'Roll, ja, die frühen Sachen, Rolling Stones und so was, das war bei uns populär. Aber als ich aufwuchs, war Country populär, Hip-Hop, Rhythm & Blues, alles das, aber kein Punkrock.

SRB: Vielleicht ist es auch eine soziale Frage: In New York, London, Berlin gab es eine Schicht von bürgerlichen Jugendlichen, die die Zeit und die Bildung hatten, ein Konzept für ihre Frustration zu entwickeln...

I.: Genau. Als ich jung war, durchlebte Ghana eine schwierige Zeit der Veränderungen. Als ich jung war, litt Ghana immer noch unter den Folgen des Staatsstreiches. Es gab einen Bann für Livemusik und eine Ausgangssperre: nach 18.00 durfte keiner mehr raus, solche Sachen. Punk wäre da nirgends durchgedrungen. Die Musik war einfach anders damals: Staatsfernsehen, Staatsradio, da wurde mehr traditionelle Musik für ältere Leute gespielt, oder Importe, die eher harmlos waren. Rhythm & Blues und Country Music.



SRB: Dennoch, in Zeiten des Internet ... Könntest du dir vorstellen, dass jemand in Lagos, Accra, oder Burkina Faso jetzt gerade auch so etwas ausprobiert wie du?

I.: Es gibt keinen Punk in Westafrika. Rock vielleicht, aber bestimmt nicht Punk. Ich kann mich mal umhören, und ich werde dir Bescheid sagen, aber ich bin ziemlich sicher. Eine Band zu gründen und eine wenig populäre Musik zu spielen, für die es keine Szene gibt, das ist sehr unwahrscheinlich.

SRB: Du musst entweder sehr reich sein oder verrückt.

I.: Nun, es gibt Metalbands in Angola und anderen Ländern, es geht also schon etwas vor sich auf dem Kontinent. Aber die Fusion in meiner Band ist schon einzigartig, weil es die Fusion von Vibes aus ganz verschiedenen Kulturen ist. Andere imitieren, aber ich bringe verschiedene Aspekte zusammen, indem ich gemeinsame Muster und Verbindungen zwischen den Genres - finde und sie miteinander verbinde.

Ishmael, vielen Dank für das Interview!


http://osekre.com/

Freitag, 5. September 2014

Weite, Wildnis, Whitman

Sean Rowe – Madman
Für den dauergestressten Großstädter eignet sich einer wie Sean Rowe schon sehr gut als Projektionsfläche für verborgene “Zurück zur Natur“-Sehnsüchte und Landflucht-Träumereien, wie sie seit Eddie Vedders "Into the Wild"-Soundtrack jeder Metropolenbewohner kennt: Bärtiger Typ, bekennender Naturalist, einer, der sich schon seit geraumer Zeit sicher auf dem wilden Gelände von Americana, Folk und Country bewegt. Im Vergleich zum Vorgängeralbum „The salesman and the shark“ bietet das dritte Album "Madman" allerdings einige neue Ansätze.


Hatte der Mann aus Troy, New York, bisher noch einen Hang zu sehr düsteren und ausladenden Soundkonstruktionen, kommt „Madman“ um einiges kompakter daher. Rowes Bariton erinnert immer noch stark an Bruce Springsteen, wäre der nach seinem Nebraska-Album in einer Zeitschleife hängengeblieben und auch eine gewisser kauziger Duktus, wie man ihn von Tom Waits kennt, ist nicht ganz verschwunden. Die Songs selber wirken aber jetzt viel direkter und flotter. Mit „Downwind“ hatte Rowe schon auf der letzten Platte einen Song, den man sofort mitpfeifen wollte. Diese Leichtigkeit zieht sich immer öfter durch die neuen Tracks. Ruhige Folksongs wie „The drive“ oder „Razor of love“ durfte man auch schon früher auf einem Sean-Rowe-Album erwarten.
Überraschender ist dagegen, dass er auf „Done calling you“ oder „The real thing“ nun mit ZZ Top-artigen Riffs daherkommt und mit „Desiree“ ganz leichtfüßig in frühe Disco-Sphären eintaucht. Woher die plötzliche Leichtigkeit des Sean Rowe kommt, bleibt zu vermuten. Vielleicht liegt es an seiner Gewohnheit der letzten Jahre, nur mit der Gitarre in den Wohnungen von wildfremden Menschen spontan, aber extrem fokussiert aufzutreten. Möglicherweise hat auch die Geburt seiner Tochter dem zuweilen etwas eigenbrötlerisch daherkommenden Rowe gezeigt, dass das Leben nicht nur aus Schuld und Sühne besteht. Wäre beides nicht so ganz schlecht (C, Gary Flanell, Anti Records)